VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.01.2011 - 9 K 51/10
Fundstelle
openJur 2011, 77575
  • Rkr:

1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, auch bei einer Ist-Ausweisung von derselben

abzusehen und alle Aspekte des jeweiligen Einzelfalles im Wege einer Ermessensentscheidung als dem dritten vom

Gesetzgeber vorgesehenen Entscheidungsmodus vorzunehmen, wenn die durch Art. 6, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK

geschützten Belange des Ausländers betroffen sind.

2. Die von Art. 8 EMRK geschützten Belange sind bei der Ausweisung eines Ausländers regelmäßig betroffen, der der

sog. zweiten Generation angehört, d.h. entweder bereits im Bundesgebiet geboren oder als Kleinkind in das Bundesgebiet

eingereist ist und sich seitdem rechtmäßig im Inland aufhält.

3. Die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zu § 81 Abs. 4 AufenthG, nach der

die Fortbestandsfiktion unter bestimmten Voraussetzungen auch dann eintreten kann, wenn ein Antrag auf Verlängerung des

Aufenthaltstitels erst nach Ablauf der Geltungsdauer des Titels und damit verspätet gestellt wird, ist auf § 69 Abs. 3

Satz 1 Nr. 2 AuslG wegen des abweichenden Wortlauts der Vorschrift nicht übertragbar.

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2010 wird hinsichtlich Ziffer 1 aufgehoben.

Im Óbrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckungdurch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweiligeVollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

Tatbestand

Der im Juli 1988 im Bundesgebiet geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger.

Er besuchte zunächst die Grundschule für drei Jahre und wechselte dann wegen Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwierigkeiten auf eine Förderschule für Erziehung in V. . Im Anschluss hieran besuchte er bis zur sechsten Klasse die Hauptschule in I. . Wegen hoher Fehlzeiten und Diebstähle im Schulgebäude wurde er im Herbst 2001 von der Schule verwiesen. Danach besuchte er erneut die Förderschule für Erziehung in V. , verweigerte dort den Schulbesuch aber vollständig. Seit Anfang Januar 2003 besuchte er unregelmäßig die Eintracht-Hauptschule in T. .

Am 10. Juni 1999 hatte ihm der Beklagte eine bis zum 9. Juni 2000 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Diese wurde am 24. August 2000 bis zum 11. Juli 2002 verlängert.

Frühestens am 20. Februar 2003 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Der Beklagte erteilte ihm daraufhin am 6. Mai 2005 eine Fiktionsbescheinigung.

Das Amtsgericht V. verurteilte ihn am 5. Dezember 2003 (Az.: 130 Js 134/ 09 - 22/03 -) - rechtskräftig seit dem 30. März 2004 - zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Diebstahls in 13 Fällen, wobei es sich in fünf Fällen um Diebstahl geringwertiger Sachen handelte, in zwei Fällen um Diebstahl in einem besonders schweren Fall, wobei es in einem Fall bei einem Versuch verblieb, wegen Hausfriedensbruchs, wegen Computerbetrugs in fünf Fällen sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

In der Zeit von November 2003 bis März 2006 war der Kläger in der Jugendstrafanstalt J. inhaftiert und erlangte in dieser Zeit den Hauptschulabschluss nach Klasse 9.

Am 18. Januar 2007 verurteilte das Amtsgericht X. (Az.: 291 Js 787/06 - 146/ 06 -) - rechtskräftig seit dem 26. Januar 2007 - den Kläger wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Amtsgericht V. erkannte am 24. August 2007 (Az.: 130 Js 1351/06 - 18/07 -) rechtskräftig - unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts X. vom 18. Januar 2007 - auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in drei Fällen, Hehlerei sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Sodann verurteilte ihn das Amtsgericht V. am 18. April 2008 (Az.: 130 Js 1923/ 07 - 82/07 -) - rechtskräftig seit dem 17. Oktober 2008 - wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in zwei Fällen unter Einbeziehung des Urteils vom 24. August 2007 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Während der Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt X1. absolvierte er im Juli 2009 einen Schweißerlehrgang.

Mit Schreiben vom 8. August 2009 gab der Beklagte dem Kläger Gelegenheit, zu seiner beabsichtigten Ausweisung aus dem Bundesgebiet und der Ablehnung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Stellung zu nehmen.

Am 22. Oktober 2009 verurteilte das Amtsgericht T1. (Az.: 782 Js 1009/09-44/09) den Kläger rechtskräftig unter Einbeziehung der Verurteilung des Amtsgerichts V. vom 18. April 2008 wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und zwei Monaten.

Unter dem 30. Dezember 2009 gab der Beklagte dem Kläger erneut Gelegenheit, zur beabsichtigten Ausweisung Stellung zu nehmen. Der Kläger äußerte daraufhin: Er sei in Deutschland geboren und habe niemanden in Marokko. Seine ganze Familie lebe in Deutschland. Seine Mutter sei deutsche Staatsangehörige und auch sein Vater und seine Onkel und Tanten lebten im Bundesgebiet. Er sei hier zur Schule gegangen und habe einen Abschluss gemacht. Er spreche viel besser deutsch als marokkanisch. Er habe nunmehr auch Arbeit gefunden. Schließlich habe er eine deutsche Freundin, mit der er mittlerweile drei Jahre zusammen sei und die er gegebenenfalls auch heiraten wolle.

Mit Bescheid vom 5. Januar 2010 wies der Beklagte den Kläger aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus und lehnte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zugleich setzte er dem Kläger eine Ausreisefrist bis zum 8. Februar 2010 und drohte ihm die Abschiebung nach Marokko an. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Aufgrund seiner Verurteilungen erfülle der Kläger die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG -. Ihm komme kein besonderer Ausweisungsschutz zu, da er zwar im Bundesgebiet geboren, jedoch zuletzt nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei. Seine Ausweisung sei daher zwingend zu verfügen gewesen. Ungeachtet dessen lägen aber auch die Voraussetzungen für eine Regelausweisung vor. Im Fall des Klägers sei ein atypischer Ausnahmefall nicht gegeben. Die von ihm geltend gemachten persönlichen Lebensumstände seien bei einer Vielzahl von Jugendlichen und Heranwachsenden gegeben. Sie rechtfertigten nicht die intensive Verwicklung in Straftaten. Die zwischenzeitliche Unterbringung des Klägers in einem Heim führe nicht zwangsläufig in die Kriminalität, vielmehr sei er aufgrund seiner Verhaltensauffälligkeiten dort untergebracht worden. Auch die von den behandelnden Ärzten der Kinder- und Jugendpsychiatrie Hamm gestellte Diagnose "gestörtes Sozialverhalten" sei nicht geeignet, einen atypischen Fall zu begründen. Es seien Maßnahmen zur Therapie versucht worden, der Kläger habe sich jedoch als resistent erwiesen. Dass der Kläger nunmehr angebe, eine Arbeitsstelle in Aussicht zu haben, führe zu keiner anderen Beurteilung. Zwar sei sein Bemühen, sich in das gesellschaftliche Leben einzuordnen, positiv zu bewerten, allerdings sei dieses Verhalten nicht so außergewöhnlich, als dass es sich von der Mehrzahl der entlassenen Straftäter abgrenzen ließe. Der Ausweisung stehe auch höherrangiges Recht nicht entgegen. Aufgrund des bisherigen Lebenslaufs des Klägers sei keine Verwurzelung im Bundesgebiet zu erkennen. Er habe bereits seit seiner Kindheit keine Integration in geordnete gesellschaftliche Verhältnisse geleistet. Er habe die Schule nicht aus eigenem Antrieb besucht und sich zuletzt ganz geweigert, diese zu besuchen. Ein gewisser Grad an Entwurzelung aus seinem Heimatland Marokko möge zwar vorliegen, wenn seine Angabe, dort nicht mehr über Verwandte zu verfügen, als wahr zu betrachten sei. Er habe nach eigenen Angaben jedoch bereits zweimal das Heimatland besucht. Hinzu komme, dass es ihm als Heranwachsendem durchaus zuzumuten sei, sich in die dortigen Lebensverhältnisse einzufügen, insbesondere bei der Interessenabwägung mit den Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die öffentliche Sicherheit zu schützen. Im Hinblick auf die von ihm begangenen Straftaten habe der Kläger wenig Unrechtsbewusstsein gezeigt und damit verbunden auch wenig Bemühungen, von seinem kriminellen Verhalten Abstand zu nehmen. Während seiner Haft in der Justizvollzugsanstalt X1. habe es laut dem Bericht des Sozialdienstes keinen Besuch und keinen Briefkontakt nach außen gegeben. Dies verdeutliche, dass die Bindungen, die der Kläger habe, nicht sonderlich fest seien. Auch eine besonders innige Beziehung zu der Lebenspartnerin erscheine vor diesem Hintergrund fragwürdig. Aufgrund seiner Ausweisung dürfe dem Kläger auch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels spräche zudem, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Zum einen sei der Lebensunterhalt nicht gesichert. Zum anderen liege im Fall des Klägers auch ein Ausweisungsgrund vor. Ein atypischer Ausnahmefall sei wie auch im Bereich der Ausweisung nicht gegeben.

Am 5. März 2010 schob der Beklagte den Kläger nach Marokko ab.

Der Kläger hat am 7. Januar 2010 Klage erhoben. Zur deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Zum Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung am 5. Januar 2010 sei der Beklagte nicht mehr für ihn örtlich zuständig gewesen. Dabei komme es nicht auf seine Anmeldung bei der Stadt I. an, sondern auf seinen tatsächlichen Aufenthalt. Tatsächlich habe er sich hauptsächlich bei seiner Freundin in Dortmund aufgehalten. Die angegriffene Verfügung des Beklagten sei auch materiell rechtswidrig. Da er sich fünf Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, komme ihm besonderer Ausweisungsschutz zu. Ferner seien auch die Zeiten der Fiktionsbescheinigung als rechtmäßiger Aufenthalt anzusehen. Er unterfalle zudem dem Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Marokko. Er sei in den letzten Jahren im Besitz von Fiktionsbescheinigungen mit der Nebenbestimmung "Erwerbstätigkeit gestattet" gewesen. Er unterfalle damit dem Personenkreis hinsichtlich dessen das Diskriminierungsverbot des Art. 64 EU-Marokko gelte. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - ergebe sich, dass eine Ausweisung, wie bei unter das Assoziierungsabkommen ARB 1/80 fallenden Türken, nur nach Ermessen ergehen dürfe. Die Ausweisung sei daher mangels Ermessensgebrauchs fehlerhaft. Schließlich stehe der Ausweisung auch die beabsichtigte Eheschließung mit seiner deutschen Lebensgefährtin entgegen.

Der Kläger beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 5. Januar 2010 hinsichtlich der Ziffern 1 und 4 aufzuheben;

den Beklagten unter Aufhebung der Ziffer 2 der Ordnungsverfügung vom 5. Januar 2010 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid und führt ergänzend aus: Er sei für den Erlass der Ordnungsverfügung örtlich zuständig, da der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt an seiner alleinigen Wohnung oder Hauptwohnung im melderechtlichen Sinne in I. habe. Ein gegenteiliger Nachweis sei bislang nicht erbracht worden. Die angeblich geplante Eheschließung wirke sich nicht positiv auf die Prognose des Klägers aus, da er trotz des Verlobtseins straffällig geworden sei. Es sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Kläger in der Vergangenheit bereits vorgab, sein Fehlverhalten erkannt zu haben und eine Änderung seiner Lebensumstände herbeiführen wolle, er entgegen dieser Bekundungen aber immer wieder Straftaten begangen habe.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 25. März 2010 und 7. April 2010 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Das Passivrubrum ist im Hinblick auf den Wegfall von § 5 Abs. 2 Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. Art. 2 Nr. 28 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land NRW vom 26. Januar 2010, GV. NRW S. 30) von Amts wegen geändert worden. Das Gericht kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (vgl. § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die Klage ist zulässig, jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Die mit Bescheid vom 5. Januar 2010 verfügte Ausweisung des Klägers aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Ausweisung vom 5. Januar 2010 ist rechtswidrig, weil sie als zwingende Ausweisung bzw. hilfsweise als Regelausweisung ohne die notwendige Ermessensausübung durch den Beklagten ergangen ist. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung,

vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - zitiert nach Juris m.w.N.

Nach § 53 Nr. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist. Diese Voraussetzungen hat der Kläger erfüllt, da er zuletzt vom Amtsgericht T1. am 22. Oktober 2009 unter Einbeziehung der Verurteilung des Amtsgerichts V. vom 18. April 2008 wegen Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt wurde.

Der Beklagte ist vorliegend zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 und 2 AufenthG genießt. Die Voraussetzungen des nach Lage der Dinge allein in Betracht kommenden Tatbestandes des § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sind bereits deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger seit dem Jahre 2002 nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis gewesen ist. Die Gültigkeit der ihm zuletzt erteilten Aufenthaltserlaubnis endete bereits am 11. Juli 2002. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob die Fiktionswirkung des § 69 Abs. 3 Ausländergesetz - AuslG - bzw. § 81 Abs. 4 AufenthG, wonach ein Aufenthaltstitel bis zur Entscheidung der Behörde über einen Verlängerungsantrag als fortbestehend gilt, dem tatsächlichen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 AufenthG gleich steht,

verneinend Bayerischer VGH, Beschluss vom 18. September 2006 - 19 CS 06.1713 -, zitiert nach Juris m.w.N.

Denn selbst wenn man davon ausginge, dass die durch den Verlängerungsantrag ausgelöste Fiktionswirkung dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gleichstünde, ist diese Fiktionswirkung des § 69 Abs. 3 AuslG bzw. § 81 Abs. 4 AufenthG vorliegend nicht eingetreten. Da der Eintritt der Fiktionswirkung im Rahmen des § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG davon abhängt, dass der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis fristgerecht gestellt wird,

vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2000 - 1 C 14.99 -; Urteil vom 3. Juni 1997 - 1 C 7.96 -, beide zitiert nach Juris,

löst der verspätet gestellte Antrag die Fiktionswirkung nicht aus. Der Kläger hat vorliegend seinen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nicht rechtzeitig gestellt. Die Voraussetzungen der Vorschrift des § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG waren schon deshalb nicht erfüllt, weil die zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis am 11. Juli 2002 abgelaufen war, der Verlängerungsantrag aber ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Beklagten frühestens am 20. Februar 2003 - und damit nicht mehr aus der Position rechtmäßigen Aufenthaltes - gestellt worden ist. Mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes ist dessen § 81 Abs. 4 jedenfalls nicht in der Weise an die Stelle des § 69 AuslG getreten, dass er - gleichsam rückwirkend - eine Fiktionswirkung für vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes gestellte Anträge auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels bereits kraft Gesetzes begründet,

OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 18 B 915/04 - zitiert nach Juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30. Oktober 2006 - 9 L 1438/06 -, zitiert nach Juris.

Die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zu § 81 Abs. 4 AufenthG, nach der die Fortbestandsfiktion unter bestimmten Voraussetzungen auch dann eintreten kann, wenn ein Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels erst nach Ablauf der Geltungsdauer des Titels und damit verspätet gestellt wird,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2009 - 18 B 1661/08 -; Beschluss vom 6. Juli 2006 - 18 B 2184/06 -; Beschluss vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 -, alle zitiert nach Juris,

ist auf § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG wegen des abweichenden Wortlauts der Vorschrift nicht übertragbar.

Der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ergibt sich auch nicht aus den vom Beklagten ab dem Jahre 2005 erteilten Fiktionsbescheinigungen (vgl. § 81 Abs. 5 AufenthG). Ihnen kommt lediglich deklaratorische Wirkung zu,

vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30. Oktober 2006 - 9 L 1438/06 -, zitiert nach Juris.

Sie sind zu Unrecht ausgestellt worden und bewirken mithin nicht, dass jedenfalls ab dem Jahre 2005 der Aufenthalt des Klägers als erlaubt galt.

Die vom Beklagten verfügte zwingende Ausweisung (§ 53 AufenthG) erweist sich im Lichte von Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK - als unverhältnismäßig, was eine - vorliegend nicht gegebene - behördliche Ermessensentscheidung (§ 55 AufenthG) notwendig macht.

Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,

Beschluss vom 26. Mai 2009 - 18 E 1230/08 -, zitiert nach Juris,

ist mit Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR -,

vgl. EGMR, Urteile vom 23. Juli 2008 - 1638/03 - (Maslov II) vom 6. Dezember 2007 - 69735/01 - (Chair) und vom 9. Oktober 2003 - 48321/99 - (Silvenko), alle zitiert nach Juris,

und des Bundesverfassungsgerichts,

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - und vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 -, beide zitiert nach Juris,

eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG grundsätzlich einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen. Begründet wird dies mit der Erwägung: Zwar entspreche das System der Abstufung von zwingender Ausweisung, Regel- und Ermessensausweisung sowie des besonderen Ausweisungsschutzes für bestimmte Ausländer (vgl. § 56 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG) grundsätzlich den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen. Die Anwendung des Stufensystems der §§ 53 ff. AufenthG entbinde aber nicht davon, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auch die Umstände des Einzelfalles zu prüfen, da nur diese Prüfung sicherstellen könne, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des betroffenen Ausländers gewahrt bleibe.

Eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung fordert auch das Bundesverwaltungsgericht bei Regel- und Ermessensausweisungen,

siehe Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 C 10.07 - zitiert nach Juris.

Danach liege aufgrund der erkennbar gewachsenen Bedeutung des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - dann vor, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung des Gesamtumstände des Falles gebieten. Der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abstelle, reiche nicht aus, um den von Art. 6, Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz - GG - und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Es bestehe die Gefahr, das schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 56 Abs. 1 AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des betroffenen Ausländers im Verwaltungsvollzug schematisiert ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe von im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls einer Ausweisung entgegenstehe. Auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dabei bereits die Ist-Ausweisung in den Blick genommen, wie ihre Erwähnung in der vorstehenden Begründung belegt. Die Kammer hat daher keine Bedenken, diese Rechtsprechung auch auf die Fälle der zwingenden Ausweisung zu übertragen. Demnach gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, auch bei einer Ist-Ausweisung von derselben abzusehen und alle Aspekte des jeweiligen Einzelfalles im Wege einer Ermessensentscheidung als dem dritten vom Gesetzgeber vorgesehenen Entscheidungsmodus vorzunehmen, wenn die durch Art. 6, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange des Ausländers betroffen sind,

vgl. Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, Kommentar, 2010, § 54 AufenthG Rn. 19, Vorb §§ 53-56 AufenthG Rn. 20, § 53 AufenthG Rn. 5; Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 53 AufenthG Rn. 7 ff.

Verstößt eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG aus den oben dargelegten Gründen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Sofern der Ausweisung nicht höherrangiges Recht entgegensteht und damit das Ermessen ohnehin auf Null reduziert ist, erlangt die Ausländerbehörde durch den Übergang in die Ermessensentscheidung lediglich mehr Flexibilität, um den besonderen Umständen des konkreten Falles ausreichend Rechnung zu tragen. In keinem Fall machen hilfsweise angestellte Ermessenserwägungen die Ausweisungsverfügung rechtsfehlerhaft, auch wenn die spätere Prüfung ergeben sollte, dass die Ist-Ausweisung verhältnismäßig ist.

Vgl. insoweit zur Regelausweisung BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 C 10.07 -, zitiert nach Juris m.w.N.

Vorliegend war eine umfassende Einzelfallwürdigung im Wege einer Ermessensentscheidung vorzunehmen. Die von Art. 8 EMRK geschützten Belange sind bei der Ausweisung eines Ausländers regelmäßig betroffen, der der sog. zweiten Generation angehört, d.h. entweder bereits im Bundesgebiet geboren oder als Kleinkind in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seitdem rechtmäßig im Inland aufhält,

siehe hierzu Niedersächsisches OVG, Urteil vom 25. November 2010 - 11 LB 481/09 -, zitiert nach Juris; Discher, in: GK-AufenthG, Loseblatt Stand: Juni 2009, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 873 ff.

Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger. Er ist im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen. Er beherrscht die deutsche Sprache und sein Aufenthalt im Bundesgebiet war über einen längeren Zeitraum rechtmäßig. Ferner lebt seine Familie (rechtmäßig) im Bundesgebiet; seine Mutter ist deutsche Staatsangehörige. Von daher bestand für den Beklagten Veranlassung, Ermessen auszuüben und die vorstehenden Umstände mit zu erwägen.

Die Verfügung des Beklagten vom 5. Januar 2010 enthält keine Ermessenserwägungen zur Ausweisung des Klägers. Der Beklagte hat vielmehr - und das auch nur hilfsweise für den Fall der (offen gelassenen) Bejahung eines besonderen zur Herabstufung einer zwingenden Ausweisung zu einer Regelausweisung führenden Ausweisungsschutzes - unterstellt, es läge eine Regelausweisung vor. Nimmt der Beklagte aber einen Regelfall im Sinne des § 54 AufenthG an, wechseln die im Rahmen des Ermessens tatbestandlich zu berücksichtigen Ausweisungsgründe, deren differierendes Gewicht zu einem anderen Abwägungsergebnis führen kann.

Im Übrigen sei angemerkt, dass eine auch nur äußerst hilfsweise getroffene Ermessensentscheidung nicht ersichtlich ist.

Die Ablehnung des Antrags des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist hingegen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Zur Frage des Anspruchs des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat die Kammer bereits mit (inzwischen rechtskräftigem) Beschluss vom 28. Januar 2010 (Aktenzeichen: 9 L 23/10) ausgeführt:

"Der Antragsteller hat insbesondere keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse nicht in absehbarer Zeit zu rechnen ist.

Vorliegend ist die Ausreise des Antragstellers bereits nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Unter Ausreise ist im vorliegenden Zusammenhang die freiwillige Ausreise ebenso zu verstehen, wie die zwangsweise Abschiebung des Ausländers. Nur wenn sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise unmöglich sind, kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erteilt werden,

vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, zitiert nach Juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2006 - 18 E 1534/05 -, zitiert nach Juris.

Tatsächliche Ausreisehindernisse sind vorliegend nicht ersichtlich; allenfalls rechtliche Hindernisse kommen in Betracht. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG ergeben,

vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2006, a.a.O.

Im Fall des Antragstellers ist für zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nichts ersichtlich. Inlandsbezogene Ausreisehindernisse, die sich aus Abschiebungsverboten und aus höherrangigem Recht, etwa Art. 1 Abs. 1, Art. 2, Art. 6 GG oder dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie aus Art. 8 EMRK ergeben könnten, liegen ebenfalls nicht vor. Das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK umfasst unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln. Schutzgut ist damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen. Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistet jedoch nicht das Recht den Ort zu wählen, der am besten geeignet ist, ein Privat- und Familienleben aufzubauen. Die Vorschrift darf auch nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen oder vermittle diesem ein Aufenthaltsrecht allein deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat. Entscheidend ist vielmehr, ob der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt, aufgrund derer er in seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden ist, weshalb ihm bei einem Verlassen des Aufnahmestaates eine Entwurzelung droht. Dem ist regelmäßig gegenüberzustellen, inwieweit ein Ausländer noch im Land seiner Staatsangehörigkeit verwurzelt ist.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 -, DVBl. 2009, 650; OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2007 - 18 A 4369/05 -, a.a.O., jeweils mit weiteren Nachweisen, auch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Gemessen an diesem Maßstab kann die Ausreise des Antragstellers nicht als rechtlich unmöglich angesehen werden. Zwar hält sich der Antragsteller seit seiner Geburt - bis zum Jahr 2002 sogar rechtmäßig - im Bundesgebiet auf. Seine nächsten Familienangehörigen befinden sich seit vielen Jahren in Deutschland und verfügen (jedenfalls teilweise) über Aufenthaltstitel, so dass das Interesse des Antragstellers an einem Verbleib im Bundesgebiet nachvollziehbar ist. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass im Fall des Antragstellers von einer Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse, die den Antragsteller als einen "faktischen Inländer" erscheinen lassen könnten, gesprochen werden kann. Zugunsten des Antragstellers ist zunächst zu berücksichtigen, dass er die deutsche Sprache beherrscht und während seiner Inhaftierung in der Jugendstrafanstalt J. in der Zeit von November 2003 bis März 2006 den Hauptschulabschluss nach Klasse 9 erlangen konnte. Sein Schulbesuch vor seiner Inhaftierung ist allerdings geprägt von Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwierigkeiten. So musste der Antragsteller bereits in der Grundschule auf eine Förderschule für Erziehung in V. -L. wechseln. Im Anschluss hieran besuchte er bis zur 6. Klasse die Hauptschule in I. . Dort wurde er aber wegen hoher Fehlzeiten und etlicher Diebstähle im Schulgebäude im Herbst 2001 von der Schule verwiesen. Den anschließenden erneuten Besuch der Förderschule verweigerte er nach kurzer Zeit vollständig. Eine Berufsausbildung hat der Antragsteller bislang nicht absolviert. Ernsthafte Bemühungen um einen Ausbildungsplatz, der ihm eine Sicherung seines Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel ermöglichen könnte, sind nicht nachgewiesen, auch wenn der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner immer wieder erklärt hat, er bemühe sich um einen Ausbildungsplatz. Seine angeblichen Bemühungen im Jahre 2006 dürften jedenfalls daran gescheitert sein, dass er im November 2006 in Untersuchungshaft gekommen ist.

Von einer Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse kann aber vor allem auch deshalb nicht gesprochen werden, weil er in den vergangenen Jahren in zahlreichen Fällen gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat. Bereits vor Eintritt seiner Strafmündigkeit sind mehr als 35 Ermittlungsverfahren - überwiegend wegen Diebstahls - gegen ihn eingeleitet worden. Mit dem Eintritt seiner Strafmündigkeit verurteilte ihn das Amtsgericht V. am 5. Dezember 2003 wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die Verbüßung der Jugendstrafe hat den Antragsteller offenbar nicht beeindruckt. Wie sich aus einer Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt J. ergibt, verbesserte sich das Vollzugsverhalten des Antragstellers nach anfänglichen Schwierigkeiten, so dass seine vorzeitige Entlassung von Seiten des Vollzuges zunächst befürwortet wurde. In einer späteren Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt J. vom 19. September 2005 spiegelt sich dann aber eine negative Entwicklung des Antragstellers wider. Dort heißt es: Bereits einen Monat nach seiner Haftentlassung im März 2006 ist er sodann auch gleich erneut straffällig geworden und vom Amtsgericht X. wegen gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Doch auch diese Verurteilung ließ sich der Antragsteller nicht zur Warnung gereichen, sondern beging Februar 2007 wiederum eine Straftat. Das Amtsgericht V. erkannte am 24. August 2007 daher wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in drei Fällen, Hehlerei sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts X. vom 18. Januar 2007 auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren. Es folgte eine Verurteilung des Amtsgerichts V. vom 18. April 2008, unter Einbeziehung der Entscheidungen des Amtsgerichts X. vom 18. Januar 2007 und des Amtsgerichts V. vom 24. August 2007, zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten und schließlich eine Verurteilung des Amtsgerichts T1. vom 22. Oktober 2009 - ebenfalls unter Einbeziehung der vorgenannten Entscheidungen - zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und zwei Monaten. In allen vorgenannten Urteilen sind dem Antragsteller schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG attestiert worden. Abschließend ist festzuhalten, dass die vom Antragsteller begangenen Straftaten zum Teil von erheblicher krimineller Energie und durch kurze Intervalle zwischen den einzelnen strafrechtlichen Verurteilungen geprägt sind.

Dass eine Rückkehrverpflichtung für den Antragsteller im Hinblick darauf, dass er nach eigenen Angaben über keine Verwandten in Marokko verfügt, mit gewissen Integrationsschwierigkeiten verbunden sein wird, liegt auf der Hand. Hierbei ist allerdings mit Gewicht einzustellen, dass der Antragsteller noch sehr jung ist und ihm eine Integration im Heimatland dementsprechend leichter fallen wird. Hierbei wird ihm zu Gute kommen, dass er die Sprache seines Heimatlandes spricht.

Der Antragsteller kann auch nicht mit Blick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens Marokko - EMA/Marokko - die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verlangen. Art. 64 Abs. 1 EMA/Marokko verbietet es der Bundesrepublik Deutschland, marokkanische Arbeitnehmer hinsichtlich der Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen gegenüber deutschen Staatsangehörigen zu benachteiligen.

Der Antragsteller dürfte bereits nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen, da er kein Arbeitnehmer im Sinne des Abkommens ist. Aus den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ergibt sich lediglich eine Tätigkeit des Antragstellers von bestenfalls drei Monaten im Jahre 2006 in einem Call-Center. Für eine darauffolgende Erwerbstätigkeit des Antragstellers ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.

Ferner kann der Antragsteller aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 64 Abs. 1 EMA/Marokko keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis herleiten, weil die dem Antragsteller mit den Fiktionsbescheinigungen ausgestellten Arbeitserlaubnisse kein von einem Aufenthaltstitel unabhängiges, gleichsam überschießendes Recht auf Fortsetzung einer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit vermitteln,

vgl. BVerwG, Urteile vom 8. Dezember 2009 - 1 C 14.08 und 1 C 16.08 -; OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 18 B 471/09 -, zitiert nach Juris.

Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes.

Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 und 2 AufenthG oder § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG scheitert bereits daran, dass der Ausländer bei Erreichen der Volljährigkeit im Besitz einer ihm als Kind erteilten Aufenthaltserlaubnis gewesen sein muss,

vgl. Marx, in: GK-AufenthG, Loseblatt Stand: Juni 2008, § 34 AufenthG Rn. 48, § 35 AufenthG Rn. 70 ff.; Oberhäuser, in: HK-AuslR, § 34 AufenthG Rdnr. 12 m.w.N.,

was beim Antragsteller nicht der Fall war.

Der Besitz einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG ist insoweit nicht ausreichend.

Vgl. Marx, in: GK-AufenthG, Loseblatt Stand: Juni 2008, § 34 AufenthG Rn. 48.

Ungeachtet dessen liegen im Fall des Antragstellers auch nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG vor. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel u.a. voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und kein Ausweisungsgrund vorliegt (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Für die Sicherung des Lebensunterhaltes ist im Fall des Antragstellers nichts ersichtlich. Zudem liegt aufgrund der umfänglichen Straftaten des Antragstellers der Ausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG - der Antragsteller wurde innerhalb von fünf Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten rechtkräftig zu Jugendstrafen von zusammen mehr als 3 Jahren verurteilt - vor. Für eine Ausnahme von den vorgenannten Regeltatbeständen gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte."

An diesen Überlegungen hält die Kammer weiterhin fest und nimmt ergänzend Bezug auf den im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. März 2010 (Az.: 17 B 158/10). Der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, die zu einer anderen Bewertung führen.

Die Abschiebungsandrohung hat ihre Rechtsgrundlage in § 59 AufenthG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 Zivilprozessordnung.

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