FG Düsseldorf, Urteil vom 12.01.2011 - 4 K 2574/10 Erb
Fundstelle
openJur 2011, 77321
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist der Sohn des Bruders des am ... Januar 2009 verstorbenen und zuletzt in A wohnhaften Erblassers X. Der Kläger hat den Erblasser zu einem Anteil von einem Viertel beerbt.

Das beklagte Finanzamt setzte gegen den Kläger mit Bescheid vom 17. Februar 2010 9.360 EUR Erbschaftsteuer fest. Dabei ging es von einem Wert seines Erwerbs von Todes wegen von 51.266 EUR aus. Das Nachlassvermögen bestand aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch. Das beklagte Finanzamt erhob auf den sich nach Abzug eines Freibetrags von 20.000 EUR ergebenden steuerpflichtigen Erwerb von abgerundet 31.200 EUR einen Steuersatz von 30 %.

Mit seinem hiergegen eingelegten Einspruch machte der Kläger geltend: § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz) vom 24. Dezember 2008 (BGBl I, 3018) (ErbStG) sei verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe zu Unrecht die tariflichen Unterschiede zwischen den Steuerklassen II und III beseitigt.

Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 19. Juli 2010 unter Hinweis auf die geltende Gesetzesfassung zurück.

Der Kläger trägt mit seiner Klage vor: Die Gleichstellung der Erwerber der Steuerklasse II mit Erwerbern der Steuerklasse III durch § 19 Abs. 1 ErbStG verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Der Begriff der Familie i.S. des Art. 6 Abs. 1 GG sei nicht auf einen bestimmten Grad der verwandtschaftlichen Beziehungen beschränkt. Nahe Familienangehörige des Erblassers, die der Steuerklasse II zuzuordnen seien, dürften nicht mit denselben Steuersätzen wie fremde Dritte mit Erbschaftsteuer belastet werden. Er sei zudem in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil der Gesetzgeber durch Art. 6 Nr. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums vom 22. Dezember 2009 (BGBl I, 3950) - Wachstumsbeschleunigungsgesetz - die frühere Unterscheidung der Steuersätze zwischen Erwerbern der Steuerklasse II und III wieder hergestellt habe, ohne die neue Rechtslage auf Erwerbe zu erstrecken, für welche die Steuer im Jahr 2009 entstanden sei. Dies habe zur Folge, dass Steuerpflichtige je nach dem Zeitpunkt ihres Erwerbs unterschiedlich behandelt würden. Hierfür gebe es keine sachliche Rechtfertigung. Demgegenüber habe der Gesetzgeber des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes für die erweiterte Begünstigung von Betriebsvermögen eine Rückwirkung vorgesehen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 17. Februar 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2010 aufzuheben, soweit mehr als 4.680 EUR Erbschaftsteuer festgesetzt worden ist.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 17. Februar 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das beklagte Finanzamt hat den der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb des Klägers von Todes wegen (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) zutreffend besteuert. Der Kläger ist der Steuerklasse II zuzuordnen (§ 15 Abs. 1 ErbStG). Das hat zur Folge, dass auf den sich nach Abzug eines Freibetrags von 20.000 EUR (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG) ergebenden steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 Satz 1 und 6 ErbStG) ein Steuersatz von 30 % zu erheben ist (§ 19 Abs. 1 ErbStG).

Der Senat hat nicht die für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erforderliche Überzeugung zu gewinnen vermocht, dass § 19 Abs. 1 ErbStG - soweit er den Kläger betrifft - verfassungswidrig ist.

Der Kläger kann sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG berufen. Danach stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Der Begriff der Familie i.S. des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern (BVerfG, Beschlüsse vom 10. November 1981 1 BvR 894/78, BVerfGE 59, 52, 63 sowie vom 18. April 1989 2 BvR 1169/84, BVerfGE 80, 81, 90). Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der erbschaftsteuerliche Zugriff (nur) bei Familienangehörigen im Sinne der Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 ErbStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1991 - BGBl I S 468 -) derart zu mäßigen sei, dass jedem dieser Steuerpflichtigen der jeweils auf ihn überkommene Nachlass zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen, völlig steuerfrei zugute komme (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165, 174 f.). In seinem Beschluss vom 18. Dezember 2008 1 BvR 2604/06 (NJW 2009, 1133) hat das Bundesverfassungsgericht zwar unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13. Juni 1979 6833/74 (NJW 1979, 2449) ausgeführt, dass auch nahe Verwandte - wie zum Beispiel Großeltern und Enkel - dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallen könnten. Als Sohn des Bruders des Erblassers ist der Kläger jedoch kein naher Verwandter.

Die Gleichstellung der Erwerber der Steuerklasse II mit Erwerbern der Steuerklasse III durch § 19 Abs. 1 ErbStG verstößt - soweit sie den Kläger betrifft - nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentliches Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, NJW 2010, 2783). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfG, Beschluss in NJW 2010, 2783).

Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes (BVerfG, Beschluss in NJW 2010, 2783). Die Freiheit des Gesetzgebers im Erbschaftsteuerrecht wird allerdings durch zwei Leitlinien begrenzt, nämlich durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Grundsatz der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (BVerfG, Beschluss in NJW 2010, 2783). Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (BVerfG, Beschluss in NJW 2010, 2783).

Eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte Gleichheitsprüfung ist zudem geboten, wenn - wie im Streifall - die unterschiedliche Besteuerung von Erbschaften nach personenbezogenen Merkmalen unterscheidet. Der Gesetzgeber unterliegt bei einer Ungleichbehandlung, die ihren Anknüpfungspunkt in der Person findet, regelmäßig einer strengen Bindung (BVerfG, Beschluss in NJW 2010, 2783). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können. Dagegen sind dem Gesetzgeber um so engere Grenzen gesetzt, je weniger der Einzelne nachteilige Folgen durch eigenes Verhalten vermeiden kann (BVerfG, Beschluss in NJW 2010, 2783).

Letzteres ist bei der Einteilung nach Steuerklassen und der sich daran anschließenden Staffelung der Steuersätze der Fall. Der Gesetzgeber unterscheidet insoweit nach Personengruppen in Abhängigkeit von der familiären und verwandtschaftlichen Nähe. Die vom Gesetzgeber vorgenommenen Unterscheidungen zwischen verschiedenen Gruppen von Erben bedürfen eines hinreichend gewichtigen Grundes, der die unterschiedliche Besteuerung zu rechtfertigen vermag (BVerfG, Beschluss in NJW 2010, 2783).

Der Gesetzgeber des Erbschaftsteuerreformgesetzes hat Erwerber der Steuerklasse II und Erwerber der Steuerklasse III in § 19 Abs. 1 ErbStG zwar gleichgestellt, obgleich die erstgenannte Personengruppe im Gegensatz zur letztgenannten Personengruppe regelmäßig eine verwandtschaftliche Nähe zum Erblasser oder Schenker aufweist. Diese Gleichstellung lässt sich für den Regelfall indessen (noch) mit einer verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2010 1 BvL 12/07, DStR 2010, 2393) rechtfertigen. Der Gesetzgeber konnte bei Erwerbern der Steuerklasse II davon ausgehen, dass in der Regel ebenso wie bei Erwerbern der Steuerklasse III überwiegend keine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft und Hausgemeinschaft, sondern allenfalls eine Begegnungsgemeinschaft mit dem Erblasser oder Schenker besteht, die einem geringeren verfassungsrechtlichen Schutz unterliegt (BVerfG, Beschluss in BVerfGE 80, 81, 90 f.). Im Gegensatz hierzu kann die persönliche Bindung zwischen einem Erblasser oder Schenker und einem Erwerber beispielsweise bei Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft enger sein, als dies regelmäßig im Verhältnis zwischen einem Erblasser oder Schenker und Personen der Steuerklasse II der Fall ist. Ob bei Bestehen einer Lebens- und Hausgemeinschaft zwischen dem Erblasser oder Schenker und dem Erwerber die vom Gesetzgeber getroffene typisierende Entscheidung die Grenzen des nach Art. 3 Abs. 1 GG noch Zulässigen überschreitet, kann im Streitfall dahinstehen. Der Kläger lebte mit dem Erblasser nicht in einer Lebens- und Hausgemeinschaft. Der verwitwete Erblasser ist an seinem Wohnort in A verstorben, während der Kläger in B wohnt.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Gesetzgeber des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes die durch Art. 6 Nr. 2 des Gesetzes wieder eingeführte Unterscheidung der Steuersätze zwischen Erwerbern der Steuerklasse II und III nicht auch auf Erwerbe erstreckt hat, für welche die Steuer noch im Jahr 2009 entstanden ist (§ 37 Abs. 1 ErbStG in der Fassung des Art. 6 Nr. 4 Buchst. a des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes).

Die Anknüpfung an den Stichtag der Steuerentstehung ist als solche nicht willkürlich. Sie entspricht dem Grundprinzip des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts (§§ 9, 11, 12 Abs. 2, 3, 5 und 6 ErbStG) und lässt sich daher durch sachliche Gründe rechtfertigen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 5. September 1990 2 BvR 848/88). Da der Kläger - wie dargelegt - durch die Regelung des § 19 Abs. 1 ErbStG nicht in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wird, kann er auf Grund Verfassungsrechts keine Rückwirkung der Neuregelung des § 19 Abs. 1 ErbStG in der Fassung des Art. 6 Nr. 2 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes beanspruchen.

Die unterschiedliche Ausgestaltung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Neuregelungen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes durch Art. 6 Nr. 4 des Gesetzes ist nicht willkürlich. Der Gesetzgeber verfolgte mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz insbesondere das Ziel einer schnellen und wirkungsvollen Beseitigung von Wachstumshemmnissen. Hierzu gehörten namentlich gezielte Korrekturen im Bereich der Erbschaftsteuerreform, um "es den Unternehmen zu erleichtern, die unmittelbaren Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu verkraften und so ihre führende Position im internationalen Wettbewerb zu verteidigen" (Bundestags-Drucks. 17/15, S. 10). Es ist deshalb folgerichtig, dass der Gesetzgeber die Neuregelungen der §§ 13a und 19a ErbStG auch für Erwerbe anwendbar erklärt hat, für welche die Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entstanden ist (§ 37 Abs. 3 Satz 1 ErbStG in der Fassung des Art. 6 Nr. 4 Buchst. b des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes). Demgegenüber waren langfristige Überlegungen des Gesetzgebers Hintergrund der Neuregelung des § 19 Abs. 1 ErbStG, die insbesondere mit der demographischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland begründet wurden (Bundestags-Drucks. 17/15, S. 21).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

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