LAG Düsseldorf, Urteil vom 08.02.2011 - 16 Sa 1574/10
Fundstelle
openJur 2011, 77030
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 Ca 2360/10

Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch entsteht auch, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer bezieht. Ein Verfall des Urlaubsanspruchs mit dem 31.03. des Folgejahres tritt nicht ein.

Tenor

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 13.10.2010 - Az: 2 Ca 2360/10 - wird zurückgewiesen.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche.

Die am 26.05.1951 geborene Klägerin war von 1972 bis zum 30.06.2010 bei der Beklagten als Produktionshelferin in einer 5-Tage-Woche beschäftigt. Sie verdiente zuletzt 2.250,00 € brutto.

Die Klägerin war seit dem 15.09.2006 arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 01.04.2007 erhielt sie eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, seit dem 06.08.2009 bezieht sie eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Wegen der Einzelheiten der Rentenbescheide wird auf Bl. 32 ff. sowie Bl. 36 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden kraft Vereinbarung die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung.

Nach § 12 I. Ziffer 1 MTV Chemie beträgt der jährliche Urlaubsanspruch 30 Tage. § 12 I. Ziffer 11 Satz 1 MTV Chemie sieht vor, dass der Urlaub spätestens bis 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren ist. In § 12 I. Ziffer 11 Satz 2 MTV heißt es:

"Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist."

§ 17 Ziffern 2 und 3 MTV Chemie sehen folgende Ausschlussfristen vor:

"2. Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Das gilt nicht, wenn die Berufung auf die Ausschlussfrist wegen des Vorliegens besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung ist.

3. Im Falle des Ausscheidens müssen die Ansprüche beider Seiten spätestens einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden."

Mit Anwaltsschreiben vom 12.07.2010 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, ihr Urlaubsabgeltung für die Jahre 2006 (9 Resturlaubstage), 2007-2009 (jeweils 30 Urlaubstage) und 2010 (15 Urlaubstage) zu zahlen. Mit einer am 05.08.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgte sie diesen Anspruch weiter. In der mündlichen Verhandlung vom 13.10.2010 hat sie die Klage hinsichtlich der Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2006 und hinsichtlich des übergesetzlichen Urlaubs aus den Jahren 2007 bis 2010 zurückgenommen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 70 Urlaubstage aus den Jahren 2007 - 2010 zu. Die Urlaubsansprüche seien nicht verfallen, denn sie sei aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit gehindert gewesen, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.076,92 € brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2007 zu zahlen,

2.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.076,92 € brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2008 zu zahlen,

3.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.076,92 € brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2009 zu zahlen,

4.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.038,46 € brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung stehe der Klägerin nicht zu, denn deren Urlaubsansprüche seien bereits gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG bzw. § 12 I. Nr. 11 MTV Chemie verfallen. Auf die neuere Rechtsprechung des EuGH sowie des BAG zu Urlaubsabgeltungsansprüchen von Arbeitnehmern, die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt seien, könne sich die Klägerin nicht berufen. Zwar sei sie seit 2006 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen, die geschuldete Arbeitsleitung zu erbringen. Der Grund für die Nichtrealisierung der entstandenen Urlaubsansprüche liege jedoch nicht in der Arbeitsunfähigkeit, sondern vielmehr in der ihr gewährten Erwerbsminderungsrente; diese sei einer Arbeitsunfähigkeit nicht gleichzusetzen. Der entscheidende Unterschied liege darin, dass es im Falle einer Arbeitsunfähigkeit bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis nicht ausgeschlossen sei, dass der Arbeitnehmer gesunde und dann seine Urlaubsansprüche zu Erholungszwecken realisieren könne. Ebenso sei beim bloßen Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit sehr wahrscheinlich, dass der Arbeitnehmer den Urlaub in natura hätte nehmen können, wenn er mit einem anderen Arbeitgeber eine andere Arbeitsleistung vereinbart hätte, da sich die Arbeitsunfähigkeit immer auf die konkret geschuldete Arbeitsleistung beziehe. Bei einer dauerhaften Erwerbsminderung könne aber kein Arbeitgeber den Urlaub mehr in natura gewähren, denn dann stehe fest, dass der Arbeitnehmer nicht nur die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen, sondern keiner Erwerbsfähigkeit mehr nachgehen könne.

Die Urlaubsansprüche der Klägerin seien zumindest aber nach § 17 Ziffer 2 MTV Chemie verfallen. Die Fälligkeit sei jeweils zum Jahresende eingetreten.

Selbst wenn der Klägerin aber ein Urlaubsabgeltungsanspruch zustehen sollte, könne dieser lediglich einen Zeitraum von 1,5 Jahren umfassen. Der Zweck des gesetzlichen Jahresurlaubs, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Erholung zu verfügen, erfordere nicht die Ansammlung von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre hinweg.

Das Arbeitsgericht Wuppertal hat der Klage mit Urteil vom 13.10.2010 stattgegeben und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Urlaubsanspruch sei im eingeklagten Umfang entstanden und nicht verfallen. Dies folge aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG, denn die Klägerin sei aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit gehindert gewesen, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Dass die Klägerin über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe, ändere daran nichts. Auf eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses komme es für den Abgeltungsanspruch als reinen Geldanspruch nicht an. Für eine zeitliche Obergrenze, nach deren Ablauf der Urlaubsanspruch für vergangene Jahre verfalle, sei kein Raum.

Der Abgeltungsanspruch sei auch nicht nach § 17 Ziffer 2 MTV Chemie ausgeschlossen, denn die Klägerin habe ihn rechtzeitig geltend gemacht.

Gegen dieses Urteil, das der Beklagten am 22.10.2010 zugestellt worden ist, hat sie am 16.11.2010 Berufung eingelegt und diese mit einem am 15.12.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Urlaub nicht verfallen sei. Sie bezieht sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass in dem Fall, in dem ein Arbeitnehmer eine befristete oder unbefristete Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe, bereits zum Zeitpunkt der Entstehung des Urlaubsanspruchs feststehe, dass der Urlaub nicht in natura gewährt werden könne. Der Arbeitnehmer erhalte bei einer Urlaubsabgeltung also etwas, das er im Arbeitsverhältnis in natura nie hätte erhalten können. Dies sei mit dem Erholungszweck des Urlaubs nicht zu vereinbaren. Im Übrigen müsse Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24.06.1970 im Hinblick auf die am 30.03.2010 in Kraft getretene Charta der Grundrechte der Europäischen Union einschränkend ausgelegt werden, da die Grundrechtscharta in Art. 15 die Berufsfreiheit und das Recht zu arbeiten und in Art. 17 das Eigentumsrecht vorsehe. Diese Artikel stünden dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, Urlaub auch bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit im Falle einer vollen Erwerbsminderungsrente auf Dauer zu behalten und ggfls. sich abgelten zu lassen, entgegen.

Auch der anteilige Urlaub für das Jahr 2010 stehe der Klägerin nicht zu. Es habe bereits zu Beginn des Urlaubsjahres 2010 festgestanden, dass die Klägerin diesen Teilurlaub bei einer unterstellten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nie würde nehmen können. Die Klägerin könne aber keinen finanziellen Ausgleich für etwas erhalten, dass sie im Jahr 2010 nie in natura hätte bekommen können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal - 2 Ca 2360/10 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, der Urlaubsanspruch sei entstanden und nicht untergegangen. Entscheidend sei, dass sie in den Jahren 2007 bis 2010 wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit gehindert gewesen sei, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Dass sie zudem eine Erwerbsminderungsrente beziehe, sei unerheblich. Die tariflichen Geltendmachungsfristen habe sie gewahrt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhaltes sowie des widerstreitenden Sachvortrages wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

A.

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

I.

Es bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung. Sie ist nach Maßgabe der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 64 Abs. 1, 2 Ziffer b ArbGG.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend und mit überzeugender Begründung erkannt, dass der Klägerin gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ein Urlaubsabgeltungsanspruch in der geltend gemachten Höhe zusteht.

1.

Der gesetzliche Urlaubsanspruch der Klägerin ist gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 c) BUrlG entstanden. Die Klägerin hat nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit des § 4 BUrlG in der Fünf-Tage-Woche Anspruch auf jeweils 20 Urlaubstage für die Jahre 2007 bis 2009 und Anspruch auf einen Teilurlaub von 10 Arbeitstagen für das Jahr 2010, da sie in der ersten Hälfte des Kalenderjahres, hier am 30.06.2010, aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.

Nach der gesetzlichen Regelung ist Voraussetzung für das Entstehen des Urlaubsanspruches lediglich das Bestehen des Arbeitsverhältnisses. Der Urlaubsanspruch entsteht grundsätzlich auch, wenn der Arbeitnehmer - aus welchen Gründen auch immer - nicht arbeitet (BAG v. 15.12.2009 - 9 AZR 795/08 - n.v., juris; BAG v. 30.07.1986 - 8 AZR 475/84 - BAGE 52, 305).

a.

Dem Entstehen des Urlaubsanspruchs steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass die Klägerin während des gesamten hier streitgegenständlichen Zeitraums arbeitsunfähig erkrankt war. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch entsteht nach ständiger Rechtsprechung auch, wenn der Arbeitnehmer im gesamten Bezugszeitraum oder in Teilen davon arbeitsunfähig erkrankt ist (vgl. nur BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - BAGE 130, 119; BAG v. 21.06.2005 - 9 AZR 200/04 - AP Nr. 11 zu § 55 InsO; BAG v. 13.05.1982 - 6 AZR 360/80 - BAGE 39, 53).

b.

Dem Entstehen des Urlaubsanspruches steht ebenfalls nicht entgegen, dass die Klägerin seit dem 01.04.2007 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung und seit dem 06.08.2009 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht. Die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen der Urlaubsanspruch entsteht, sind auch in diesem Fall erfüllt.

Es kann dahinstehen, ob eine andere Wertung angebracht wäre, wenn das Arbeitsverhältnis während des Bezuges der Erwerbsminderungsrente geruht hätte.

aa.

Insoweit ist es umstritten, ob Urlaubsansprüche in einem ruhenden Arbeitsverhältnis überhaupt entstehen können. Ein Arbeitsverhältnis ruht, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten, nämlich die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der vereinbarten Vergütung, suspendiert sind und somit der jeweilige Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistungen nicht mehr verlangen und durchsetzen kann (BAG v. 14.03.2006 - 9 AZR 312/05 - BAGE 117, 231; BAG v. 09.08.1995 - 10 AZR 539/94 - BAGE 80, 308).

Nach der einen Auffassung entstehen in einem ruhenden Arbeitsverhältnis keine Urlaubsansprüche, denn während des Ruhens bestünden von vorneherein nicht die wechselseitigen arbeitsvertraglichen Hauptpflichten. Während die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eine Leistungsstörung des Arbeitsverhältnisses darstelle, sei beim ruhenden Arbeitsverhältnis der Arbeitsvertrag aufgrund einer Vereinbarung, die auf einem willensgesteuerten Verhalten des Arbeitnehmers beruhe, im Kern seines Inhalts umgestaltet. Bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis sei der Arbeitnehmer nicht aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert (LAG Düsseldorf v. 01.10.2010 - 9 Sa 1541/09 - juris; LAG Düsseldorf v. 05.05.2010 - 7 Sa 1571/09 - NZA-RR 2010, 568; LAG Köln v. 29.04.2010 - 6 Sa 103/10 - juris).

Die Gegenauffassung geht demgegenüber davon aus, dass das Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen des Bezuges einer Erwerbsminderungsrente das Entstehen von Urlaubsansprüchen nicht hindere, soweit keine gesetzliche Vorschrift eingreife, die ähnlich § 4 Abs. 1 ArbPlSchG oder § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG anordne, dass der Arbeitgeber für den Zeitraum des Ruhens des Arbeitsverhältnisses den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat um 1/12 kürzen könne (vgl. BAG v. 15.12.2009 - 9 AZR 795/08 - n.v., juris). Etwas anderes ergebe sich nicht daraus, dass beim ruhenden Arbeitsverhältnis die wechselseitigen Hauptleistungspflichten entfielen, denn es handele sich bei der Pflicht des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung nicht um eine synallagmatische Hauptpflicht (LAG Schleswig-Holstein v. 16.12.2010 - 4 Sa 209/10 - juris, LAG Baden-Württemberg v. 29.04.2010 - 11 Sa 64/09 - LAGE § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 28).

bb.

Einer Entscheidung dieser Streitfrage bedarf es im vorliegenden Fall nicht, da ein Ruhenstatbestand nicht vorliegt.

(1)

Die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente hat im vorliegenden Fall nicht zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses geführt. Weder eine Arbeitsunfähigkeit allein (BAG v. 25.02.1998 - 10 AZR 298/97 - n.v., juris) noch die bloße Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente hat Auswirkungen auf die zivilrechlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (BAG v. 07.06.1990 - 6 AZR 52/89 - BAGE 65, 187).

Die Parteien haben auch nicht ausdrücklich ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Ebenso wenig ergibt sich aus den Regelungen des MTV Chemie, dass ein Arbeitsverhältnis nach der Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente ruht.

(2)

Eine konkludente Ruhensvereinbarung liegt ebenfalls nicht vor.

Um einen Ruhenstatbestand zu erreichen, bedarf es regelmäßig der Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, das Arbeitsverhältnis nicht zu kündigen, sondern in seinem Rahmen unter gleichzeitiger Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten fortbestehen zu lassen. Eine solche Vereinbarung kann auch konkludent geschlossen werden.

Aus der tatsächlichen Einstellung der wechselseitigen Hauptpflichten auf ein vereinbartes Ruhen des Arbeitsverhältnisses zu schließen, ist aber dann nicht ohne weiteres statthaft, wenn der Arbeitnehmer nicht nur erwerbsunfähig, sondern auch arbeitsunfähig krank ist. Die Einstellung der Arbeit einerseits und der Zahlung des Entgelts andererseits kann in diesem Fall auch darauf beruhen, dass sich der Arbeitnehmer stets krank gemeldet und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hat und der gesetzliche Fortzahlungszeitraum abgelaufen war. Ist das Verhalten der Parteien oder auch nur einer Partei auf die Einhaltung dieses rechtlichen Rahmens zu deuten, so fehlt es an einer Ruhensvereinbarung (BAG v. 07.06.1990 - 6 AZR 52/89 - a.a.O.). Nach der Rechtsprechung kann eine - stillschweigende - Vereinbarung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses jedoch dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auf seinen Antrag hin nach Aussteuerung durch die Krankenkasse Arbeitslosengeld bezieht (BAG v. 25.02.1998 - 10 AZR 298/97 - n.v., juris; BAG v. 09.08.1995 - 10 AZR 539/94 - a.a.O.).

Im vorliegenden Fall sind keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Parteien das Arbeitsverhältnis konkludent zum Ruhen gebracht haben. Die Klägerin war bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt. Es ist nicht vorgetragen worden, dass sie zwischenzeitlich Arbeitslosengeld bezogen hat, stattdessen wurde ihr bereits während des Krankengeldbezuges Erwerbsminderungsrente ab dem 01.04.2007 bewilligt.

2.

Der Urlaubsanspruch der Klägerin ist nicht verfallen.

a.

Der Teilurlaubsanspruch für das Jahr 2010 ist bereits deswegen nicht verfallen, da das Urlaubsjahr 2010 zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht abgelaufen war. Die Klägerin hätte im - theoretischen - Fall ihrer Wiedergenesung bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis den Urlaub noch nehmen können.

Dagegen spricht nicht, dass sie während des gesamten Jahres eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer bezog, denn bei veränderten Rahmenbedingungen hätte der Rentenbescheid abgeändert werden können. Dies ergibt sich bereits aus den Formulierungen der Rentenbescheide. Der Rentenbescheid vom 14.03.2007 enthält den Hinweis, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung "bei Aufnahme bzw. Ausübung einer Beschäftigung... nicht oder nur in verminderter Höhe geleistet" wird, "sofern durch das erzielte Einkommen die für diese Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten wird." Damit korrespondierend enthält der Bescheid die Verpflichtung, die Aufnahme einer Tätigkeit, die die Hinzuverdienstgrenze überschreitet, zu melden. Der Rentenbescheid vom 06.08.2009 bezieht sich ausdrücklich auf die im ersten Bescheid genannten Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten mit dem Zusatz: "Deshalb sind uns Umstände, die den Leistungsanspruch oder die Höhe der Leistung beeinflussen können, umgehend mitzuteilen."

b.

Die Urlaubsansprüche der Klägerin für die Jahre 2007 bis 2009 sind nicht jeweils gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG mit Ablauf des 31.03. des Folgejahres erloschen.

aa.

§ 7 Abs. 3 BUrlG ist so zu verstehen, dass gesetzliche Urlaubsansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkranken und deswegen arbeitsunfähig sind (BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - BAGE 130, 119 unter Aufgabe der bis dahin ständigen Rechtsprechung, vgl. hierzu nur BAG v. 21.06.2005 - 9 AZR 200/04 - AP Nr. 11 zu § 55 InsO; BAG v. 13.05.1982 - 6 AZR 360/80 - BAGE 39, 53). Dies entspricht der Regelung in Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG (vgl. hierzu EuGH v. 20.01.2009 - C - 350/06 [Schulz-Hoff], AP Nr. 1 zu Richtlinie 2003/88/EG). § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ist insoweit richtlinienkonform auszulegen (BAG v. 04.05.2010 - 9 AZR 183/09 - NZA 2010, 1011; BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - a.a.O.; LAG Düsseldorf v. 02.02.2009 - 12 Sa 486/06 - NZA-RR 2009, 242 ff.; Abele RdA 2009, 312; Gaul/Josten/Strauf BB 2009, 497; Dornbusch/Ahner NZA 2009, 180); es entspricht Wortlaut, Systematik und Zweck der innerstaatlichen Regelungen, wenn die Ziele des Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG und der regelmäßig anzunehmende Wille des nationalen Gesetzgebers zur ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien berücksichtigt werden (BAG v. 04.05.2010 - 9 AZR 183/09 - a.a.O.).

Das Erfordernis der Erfüllbarkeit der Freistellung und der Verfall des Urlaubsanspruchs sind im Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich angelegt und dem Gesetzeszusammenhang nicht in einer Weise zu entnehmen, die jede andere Auslegung ausschließt (BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - a.a.O.). Da der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung lediglich seine Grenze findet, soweit eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers aufgrund eigener rechtspolitischen Vorstellungen geändert würde (unzulässige Auslegung "contra legem", vgl. BAG v. 18.02.2003 - 1 ABR 2/02 - BAGE 105, 32), folgt hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch eine teleologische Reduktion: Die zeitlichen Beschränkungen des Urlaubsanspruchs in § 7 Abs. 3 Sätze 1, 3 und 4 BUrlG bestehen im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Bezugs und/oder Übertragungszeitraums nicht (BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - a.a.O.).

bb.

Auch für den Verfall der Urlaubsansprüche ist es entgegen der Auffassung der Beklagten unerheblich, dass die Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung bezieht.

Soweit die Beklagte argumentiert, mit der Bewilligung der Erwerbsminderungsrente stehe endgültig fest, dass die Klägerin niemals wieder hätte Arbeitsleistungen erbringen und dementsprechend niemals den Urlaub in natura hätte nehmen können, so führt das nicht zu einem Verfall der Urlaubsansprüche jeweils mit dem 31.03. des Folgejahres. Dies gilt selbst dann, wenn man außer Acht lässt, dass auch ein Rentenbescheid bei veränderten Rahmenbedingungen wieder aufgehoben werden kann (siehe dazu oben unter II. 2. a.).

Im vorliegenden Fall war die Klägerin unstreitig bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt und konnte deswegen den Urlaub nicht nehmen. Die Erwerbsminderungsrente als sozialrechtlicher Anspruch trat nur neben die Arbeitsunfähigkeit, löste sie jedoch nicht ab. Insoweit hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, dass die Erwerbsminderung eine von der Arbeitsunfähigkeit zu trennende sozialrechtliche Kategorie ist, die für den etwaigen Verfall entstandener Urlaubsansprüche bedeutungslos ist. Ob die Klägerin bei einem unterstellten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wieder genesen und damit in der Lage gewesen wäre, tatsächlich Urlaub zu nehmen, ist unerheblich. Auf die Frage der Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs bei einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis kommt es nicht an (BAG 04.05.2010 - 9 AZR 183/09 - a.a.O., BAG v. 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - AP Nr. 3 zu § 125 SGB IX).

Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Dauerarbeitsunfähigkeit und dem mehrjährigen Bezug einer Erwerbsminderungsrente (so auch LAG Schleswig-Holstein v. 16.12.2010 - 4 Sa 209/10 - a.a.O. und LAG Baden-Württemberg v. 29.04.2010 - 11 Sa 64/09 - a.a.O., jeweils zum Fall der Bewilligung einer befristeten Erwerbsminderungsrente). Nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes kommt es für den Verfall des Mindesturlaubsanspruchs entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben. Danach kann ein Verfall des Urlaubsanspruchs nur dann eintreten, wenn das Fernbleiben von der Arbeit in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers fällt, weil er grundsätzlich die Möglichkeit hatte, der Arbeit nachzugehen und von der Arbeitsleistung zum Zwecke der Urlaubserfüllung freigestellt zu werden.

Damit ist das Argument der Beklagten, der Urlaubsanspruch sei verfallen, denn es stehe aufgrund der Bewilligung der Erwerbsminderungsrente fest, dass die Klägerin in keinem Arbeitsverhältnis mehr hätte Urlaub nehmen können, hinfällig, denn Grund für die mangelnde Möglichkeit der tatsächlichen Urlaubsnahme bleibt die Arbeitsunfähigkeit, nicht die hinzutretende Erwerbsminderungsrente.

c.

Der Urlaubsanspruch ist - zumindest für die Jahre 2007 und 2008 - nicht nach Art. 9 Abs. 1 des IAO-Übereinkommens Nr. 132 vom 24. Juni 1970 verfallen.

Nach Auffassung des LAG Hamm (Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH v. 15.04.2010 - 16 Sa 1176/09 - LAGE § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 27) erfordert der mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verfolgte Zweck keine Ansammlung von Urlaubsansprüchen für mehrere Jahre, vielmehr ist danach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG einer Auslegung zugänglich, wonach der Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen zeitlich befristet ist. Nach dieser Auffassung kann insoweit zur Bestimmung einer Höchstfrist auf Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der internationalen Arbeitsorganisation vom 24.06.1970 über den bezahlten Jahresurlaub mit einer zeitlichen Begrenzung von 18 Monaten zurückgegriffen werden.

Dieser Auffassung folgt die erkennende Kammer nicht. Die Fristen des IAO-Abkommens Nr. 132 können im vorliegenden Fall nicht angewendet werden.

Nach Art. 9 Abs. 1 des IAO-Übereinkommens Nr. 132 ist der in Art. 8 Abs. 2 des Übereinkommens erwähnte ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen. Die Bundesrepublik hat dem IAO-Übereinkommen zwar durch Gesetz vom 30. April 1975 zugestimmt. Hierdurch ist das IAO-Übereinkommen Nr. 132 aber nicht innerstaatliches Recht in dem Sinne geworden, dass seine Vorschriften normativ auf alle Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik einwirken. Nur ein die Vorgaben des IAO-Übereinkommens ausführendes innerstaatliches Gesetz bindet die nationalen Gerichte bei der Rechtsanwendung. Allein durch ein derartiges Gesetz können subjektive Rechte und Pflichten Einzelner begründet werden (BAG v. 07.12.1993 - 9 AZR 683/02 - BAGE 75, 171; Hessisches LAG v. 07.12.2010 - 19 Sa 939/10 -, juris).

d.

Der Urlaubsanspruch für die Jahre 2007 bis 2009 ist auch nicht gemäß § 12 I. Ziffer 11 MTV Chemie verfallen. Nach Satz 1 ist der Urlaub bis zum 31.03. des Folgejahres zu gewähren und erlischt nach Satz 2, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.

aa.

Diese Tarifnorm umfasst nicht die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche, die wegen einer Arbeitsunfähigkeit innerhalb der genannten Fristen nicht genommen werden können.

Tarifvorschriften verstoßen hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG und sind insoweit unwirksam, als sie den Verfall solcher Urlaubsansprüche regeln, die wegen einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnten (vgl. Erf.Komm.-Dörner 10. Auflage 2010 § 7 BUrlG Rn. 39 e). Die Tarifvertragsparteien sind zwar grundsätzlich berechtigt, Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei zu regeln (BAG v. 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - a.a.O., m. w. N.; vgl. zum vertraglichen Mehrurlaub BAG v. 04.05.2010 - 9 AZR 183/09 - a.a.O. sowie BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - a.a.O.). Insoweit ist die Regelungsmacht der Tarifpartner nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche gegenüber öffentlichen Arbeitgebern eintretende unmittelbare Wirkung von Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie oder die im Privatrechtsverkehr erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt. Einem tariflich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des EuGH kein Unionsrecht entgegen (BAG v. 04.05.2010 - 9 AZR 183/09 - a.a.O.; BAG v. 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - a.a.O., m. w. N.). Die richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 BUrlG verhindert jedoch einen Verfall des jeweiligen Mindesturlaubsanspruchs.

bb.

Zudem liegen die in § 12 I. Ziffer 11 Satz 2 MTV Chemie genannten Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor, denn die Klägerin war gehindert, den Urlaub im Sinne dieser Tarifvorschrift geltend zu machen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt eine Geltendmachung voraus, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber hinsichtlich des Urlaubsanspruchs in Verzug gesetzt hat. Dies erfordert eine bestimmte und eindeutige Aufforderung an den Schuldner, die geschuldete Leistung zu bewirken (BAG v. 19.04.1994 - 9 AZR 671/92 - n.v., juris; BAG v. 26.06.1986 - 8 AZR 266/84 - AP Nr. 6 zu § 44 SchwbG). Der Arbeitnehmer muss den Arbeitgeber auffordern, den Urlaub zeitlich festzulegen (BAG v. 18.09.2001 - 9 AZR 571/00 n. v., juris; BAG v. 21.09.1999 - 9 AZR 705/98 - BAGE 92, 299). Eine solche Aufforderung macht keinen Sinn, wenn der Arbeitgeber mangels Erfüllbarkeit des Anspruchs nicht zur Leistung verpflichtet ist (vgl. BAG v. 21.06.2005 - 9 AZR 200/04 - a.a.O.; Erf.Komm.-Dörner 10. Auflage 2010 § 7 BUrlG Rn. 39 g). Die Geltendmachung des Urlaubsverlangens würde sich im Falle der Arbeitsunfähigkeit darauf beschränken, den Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmer erkannt hat, dass Urlaubsansprüche noch bestehen und er dies dem Arbeitgeber mitteilt. Dies liefe auf eine bloße Förmelei hinaus.

Auch Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Vorschriften gebieten keine Geltendmachung. Ist der Arbeitnehmer dauerhaft erkrankt, ist für den Arbeitnehmer unschwer erkennbar, in welchem Umfang die Urlaubsansprüche entstanden sind (wie hier Hessisches LAG v. 07.12.2010 - 19 Sa 939/10 - n.v., juris).

e.

Der Urlaubsanspruch für die Jahre 2007 bis 2009 ist auch nicht nach § 17 Ziffer 2 MTV Chemie verfallen. Hiernach müssen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung grundsätzlich - bis auf den Fall der unzulässigen Rechtsausübung - ausgeschlossen.

Auch diese Regelung umfasst keine Urlaubsansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis während der Dauer einer Arbeitsunfähigkeit. Ausschlussfristen greifen insoweit nicht ein, da der Fortbestand des gesetzlichen Mindesturlaubs im Falle eine Arbeitsunfähigkeit gewährleistet sein muss. Im Übrigen liegen auch hier die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausschlussfrist nicht vor, da der Urlaubsanspruch während der Arbeitsunfähigkeit nicht "geltend" gemacht werden kann.

3.

Für die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnis bestehenden Urlaubsansprüche hat die Klägerin einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG, denn sie ist aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehindert, den Urlaub in natura zu nehmen.

a.

Dabei kommt es für die Frage des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht darauf an, ob die Klägerin im fortbestehenden Arbeitsverhältnis den Urlaub hätte nehmen können.

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 04.05.2010 - 9 AZR 183/09 - a.a.O.) handelt es sich bei dem Urlaubsabgeltungsanspruch um einen reinen Geldanspruch, der von der Erfüllbarkeit der noch bestehenden Urlaubsansprüche zu trennen ist. Diese auf eine finanzielle Vergütung i. S. v. Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie gerichtete Forderung bleibt in ihrem Bestand davon unberührt, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin fortdauerte.

b.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nicht verfallen.

Nach § 17 Ziffer 3 MTV Chemie sind Ansprüche im Fall des Ausscheidens binnen eines Monats schriftlich geltend zu machen. Diese Frist hat die Klägerin gewahrt. Der Urlaubsabgeltungsanspruch war mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2010 fällig. Die Klägerin hat diesen mit Anwaltsschreiben vom 12.07.2010 - und damit innerhalb der einmonatigen Ausschlussfrist - gegenüber der Beklagten geltend gemacht.

c.

Der nach deutschem Recht für Arbeitgeber aus Art. 12, Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes steht den Ansprüchen der Klägerin auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs nicht entgegen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der am 30.03.2010 in Kraft getretenen Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Die Kammer schließt sich hinsichtlich des Vertrauensschutzes der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts an (vgl. BAG v. 04.05.2010 - 9 AZR 193/09 - a.a.O.; BAG v. 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - a.a.O.), wonach es sich für die Arbeitgeber bereits seit dem Ende der Umsetzungsfrist für die Richtlinie am 23.11.1996 im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hielt, dass die Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei Arbeitsunfähigkeit im Lichte der Arbeitszeitrichtlinie zu überprüfen sein würde.

Das Vertrauen der Beklagten darauf, dass § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht richtlinienkonform auszulegen oder fortzubilden sein würde, ist nicht schutzwürdig. Der Beklagten ist es zumutbar, die fortbestehenden Ansprüche der Klägerin auf Abgeltung des Mindesturlaubs für die Jahre 2007 bis 2010 zu erfüllen.

4.

Hinsichtlich der Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruchs besteht kein Streit. Für die Jahre 2007 bis 2009 besteht jeweils ein Anspruch in Höhe von 2.076,92 € brutto (2.250.- € x 3 : 65 x 20). Für das Jahr 2010 steht der Klägerin ein Anspruch in Höhe von 1.038,46 € brutto (2.250.- € x 3 : 65 x 10) zu.

B.

I.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO.

II.

Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Der Entscheidung liegen klärungsbedürftige Rechtsfragen zugrunde, die für einen größeren Teil der Allgemeinheit von Bedeutung sind.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten

R E V I S I O N

eingelegt werden.

Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361-2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

BarthKühlWosnitza