OLG Hamm, Beschluss vom 08.02.2011 - 15 W 27/11
Fundstelle
openJur 2011, 77024
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. MS-14705-14
Tenor

Unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde wird die angefochtene Zwischenverfügung abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der beantragten Grundbuchberichtigung steht entgegen, dass die Erbfolge nach dem am 24.06.2010 verstorbenen S nicht lückenlos in der Form des § 35 Abs. 1 GBO nachgewiesen ist.

Zur Behebung des Hindernisses haben die Beteiligten zu 1. bis 3. innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses entweder einen Erbschein einzureichen, der sie als Erbinnen des Erblassers S ausweist, oder eidesstattliche Versicherungen vorzulegen, die den in den Gründen dieses Beschlusses genannten Anforderungen entsprechen.

Der Gegenstandswert der Beschwerde beträgt im zurückgewiesenen Umfang bis zu 1.000,- €.

Gründe

I.

Im Grundbuch von N Blatt ...... und Blatt ......2 sind jeweils der Diplom-Kaufmann S und zwei Schwestern des S in Erbengemeinschaft als Eigentümer eingetragen. Nach dem Tode des S haben seine Töchter, die Beteiligten zu 1. bis 3., die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung der Erbfolge nach dem Erblasser S beantragt. Bei den Grundakten befinden sich von dem Nachlassgericht Weiden i. d. OPf. von Amts wegen übersandte beglaubigte Ablichtungen folgender drei Verfügungen von Todes wegen nebst einer beglaubigten Ablichtung des Eröffnungsprotokolls:

Ein privatschriftliches Ehegattentestament vom 25.01.1977, in dem der Erblasser und seine Ehefrau sich gegenseitig zu Alleinerben und die Beteiligten zu 1. bis 3. - verbunden mit einer Pflichtteilsstrafklausel - zu gleichen Teilen als Schlusserben eingesetzt haben; ein privatschriftliches Ehegattentestament vom 03.10.1997, in dem die Eheleute ergänzend Vermächtnisse ausgesetzt haben, und ein von dem Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau errichtetes notarielles Testament vom 21.01.2010, in dem der Erblasser den Widerruf aller bisherigen letztwilligen Verfügungen erklärt und die Beteiligten zu 1. bis 3. zu gleichen Teilen als seine Erben eingesetzt hat.

Mit Zwischenverfügung vom 17.12.2010 hat das Grundbuchamt den Beteiligten die Einreichung eines Erbscheins aufgegeben. Hiergegen wenden sich die Beteiligten mit ihrer Beschwerde. Sie machen geltend, dass sich die Erbfolge bereits aus den vorliegenden Testamenten in Verbindung mit dem Eröffnungsprotokoll ergebe. Außerdem tragen sie vor, dass keine von ihnen nach dem Ableben der Mutter den Pflichtteil geltend gemacht habe, und erklären ihre Bereitschaft, dieses auch an Eides statt zu versichern.

II.

Die Beschwerde ist nach den §§ 71 ff. GBO zulässig, soweit die Beteiligten die Aufhebung der Zwischenverfügung vom 17.12.2010 begehren. Der weitergehende Antrag, das Grundbuchamt zur Durchführung der Grundbuchberichtigung anzuweisen, ist dagegen bereits unzulässig, weil der Senat im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht abschließend über den Eintragungsantrag zu entscheiden hat.

Die Beschwerde ist im zulässigen Umfang teilweise begründet und führt zu einer Abänderung bzw. Ergänzung der angefochtenen Zwischenverfügung, weil außer dem vom Grundbuchamt geforderten Erbschein auch die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen der Beteiligten als Mittel zur Behebung des Eintragungshindernisses in Betracht kommt.

Für die beantragte Grundbuchberichtigung (§ 22 GBO) ist der Nachweis der Erbfolge nach dem am 24.06.2010 verstorbenen S in der Form des § 35 Abs. 1 GBO erforderlich.

Nach dieser Vorschrift ist der Nachweis der Erbfolge grundsätzlich durch einen Erbschein zu führen (§ 35 Abs. 1 S. 1 GBO). Beruht jedoch die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, so genügt es gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 GBO in der Regel, wenn an Stelle des Erbscheins die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt werden. Dabei reicht in formaler Hinsicht die Vorlage beglaubigter Abschriften aus (Demharter, GBO, 27. Aufl., § 35, Rn. 45; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl., Rn. 786; Schaub in Bauer/von Oefele, GBO, 2. Aufl., § 35, Rn. 121; Herrmann in Kuntze/Ertl/Herrmann/Eickmann, Grundbuchrecht, 6. Aufl., § 35 GBO, Rn. 68). Liegt - wie hier - außer einer öffentlichen Verfügung von Todes wegen auch ein privatschriftliches Testament vor, so genügt es, wenn die Erbfolge jedenfalls auch auf der öffentlichen Verfügung von Todes wegen beruht und sich selbständig auch aus ihr ableiten lässt (Demharter a.a.O., § 35, Rn. 31, 37; Schaub in Bauer/von Oefele a.a.O., § 35, Rn. 158 ff.).

Im vorliegenden Fall kommt es also darauf an, ob sich die Erbfolge aus dem notariellen Testament vom 21.01.2010 ergibt. Bei den Testamenten vom 25.01.1977 und 03.10.1997 handelt es sich lediglich um privatschriftliche Testamente, durch die nach dem oben Gesagten im Grundbuchverfahren die Erbfolge nicht nachgewiesen werden kann. Das Testament vom 03.10.1997 enthält außerdem nur Vermächtnisanordnungen und ist daher für die Beurteilung der Erbfolge unerheblich.

Das notarielle Testament vom 21.01.2010 enthält eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1. bis 3. zu gleichen Teilen. Die Wirksamkeit dieser Erbeinsetzung wird aber von der Bindungswirkung des früheren privatschriftlichen Ehegattentestaments vom 25.01.1977 berührt, was auch im Grundbucheintragungsverfahren zu berücksichtigen ist (vgl. Schöner/Stöber a.a.O., Rn. 787; Herrmann in Kuntze/Ertl/ Herrmann/Eickmann a.a.O., Rn. 61).

Die mit einer Pflichtteilsstrafklausel verbundene Einsetzung der Beteiligten zu 1. bis 3. als Schlusserben zu gleichen Teilen in dem formwirksamen (§§ 2247, 2267 BGB) privatschriftlichen Ehegattentestament vom 25.01.1977 war wechselbezüglich im Sinne des § 2270 BGB und damit für den Erblasser als überlebenden Ehegatten bindend. Die vorverstorbene Ehefrau des S hat diesen zu ihrem Alleinerben eingesetzt und damit ihre Kinder, die Beteiligten zu 1. bis 3., enterbt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung liegt es nahe, dass diese Regelung für den ersten Todesfall in einer Wechselwirkung dazu steht, dass der überlebende Ehegatte im Gegenzug dafür als Schlusserben die Kinder einsetzt. Wer sein Vermögen letztlich an die eigenen Kinder weitergeben will, sie aber trotzdem für den ersten eigenen Todesfall enterbt, tut das im Bewusstsein und Vertrauen darauf, dass wegen der Schlusserbeinsetzung des anderen Ehegatten das gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen wird (vgl. OLG München, FGPrax 2010, 299, 300). Auch nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB wäre von der Wechselbezüglichkeit auszugehen.

Die Wechselbezüglichkeit erstreckt sich aber auch auf die im Testament vom 25.01.1977 enthaltene Pflichtteilsstrafklausel. Infolge dieser Klausel ist die Schlusserbeinsetzung auflösend bedingt durch das Verlangen des Pflichtteils nach dem Erstversterbenden (vgl. BGH, NJW 2006, 3064 f.; BayObLG, NJW-RR 2004, 654, 655; Palandt/Weidlich, BGB, 70. Aufl., § 2269, Rn. 15). Mit dem Bedingungseintritt entfällt die Erbenstellung. Der Eintritt der auflösenden Bedingung kann auch noch nach dem Tod des Letztversterbenden herbeigeführt werden (BGH a.a.O.; Palandt/Weidlich a.a.O.). Da die Regelung der Pflichtteilsstrafklausel von der Schlusserbeinsetzung nicht zu trennen ist, ist sie ein Bestandteil der wechselbezüglichen Erbeinsetzung und somit für den überlebenden Ehegatten bindend (BayObLG, NJW-RR 2004, 654, 656; Lübbert, NJW 1988, 2706, 2708; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 2269, Rn. 35).

Aus alledem folgt, dass der in dem notariellen Testament vom 21.01.2010 erklärte Widerruf aller früheren letztwilligen Verfügungen gemäß § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB jedenfalls insoweit unwirksam ist, als er sich auf die auflösend bedingte Schlusserbeinsetzung im gemeinschaftlichen Ehegattentestament vom 25.01.1977 bezieht.

Ob die in dem notariellen Testament vom 21.01.2010 enthaltene ausdrückliche Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1. bis 3. zu gleichen Teilen wirksam ist, hängt davon ab, ob eine der Beteiligten den Pflichtteil nach dem Tod der erstverstorbenen Mutter verlangt hat. Letztwillige Verfügungen des überlebenden Ehegatten, die einer früheren wechselbezüglichen Verfügung widersprechen, sind nämlich nur insoweit unwirksam, als sie die Rechte des durch die wechselbezügliche Verfügung Bedachten beeinträchtigen würden (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2271, Rn. 14; Staudinger/Kanzleiter, BGB, Neubearbeitung 2006, § 2271, Rn. 33; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 2271, Rn. 15 f.). Für den Fall, dass keine der Beteiligten den Pflichtteil nach der Mutter verlangt hat, würde sich die Pflichtteilsstrafklausel im gemeinschaftlichen Ehegattentestament vom 25.01.1977 nicht auswirken, so dass durch die (dann nur wiederholende) Erbeinsetzung im notariellen Testament vom 21.01.2010 keine der Beteiligten beeinträchtigt würde; die Erbfolge ließe sich dann (auch) aus dem notariellen Testament vom 21.01.2010 herleiten. Falls aber eine der Beteiligten den Pflichtteil nach der Mutter verlangt haben sollte, wäre ihre Einsetzung zur Schlusserbin entfallen; ihr Erbteil wäre den übrigen Beteiligten angewachsen, deren Erbquoten sich dadurch erhöht hätten; in diesem Falle wäre die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1. bis 3. zu gleichen Teilen im notariellen Testament vom 21.01.2010 eine Beeinträchtigung derjenigen Beteiligten, die den Pflichtteil nach der Mutter nicht gefordert haben (vgl. BayObLG, NJW-RR 2004, 654, 656); dann wäre die Erbeinsetzung in dem notariellen Testament vom 21.01.2010 unwirksam.

Dementsprechend besteht im vorliegenden Fall eine Lücke im urkundlichen Nachweis der Erbfolge. Die Tatsache der fehlenden Geltendmachung des Pflichtteils muss durch eine öffentliche Urkunde nachgewiesen werden, da sie Wirksamkeitsvoraussetzung für die beantragte Grundbuchberichtigung ist und es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach Kinder in Fällen der vorliegenden Art nach dem erstverstorbenen Elternteil den Pflichtteil nicht verlangen (vgl. OLG Frankfurt, Rpfleger 1994, 206, 207; OLG Köln, NJW-RR 2010, 665, 666). Allein der Umstand, dass der überlebende Ehegatte (S) in dem notariellen Testament vom 21.01.2010 die Beteiligten zu 1. bis 3. zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt hat, genügt entgegen der Ansicht der Beteiligten als Nachweis nicht; vielmehr geht es gerade um die Überprüfung der Wirksamkeit dieser Verfügung.

Soweit teilweise die Auffassung vertreten wird, dass bei dieser Fallkonstellation in der Regel die Vorlage eines Erbscheins erforderlich sei (vgl. Demharter a.a.O., § 35, Rn. 39; Schaub in Bauer/von Oefele a.a.O., § 35, Rn. 134; Meikel/Roth, GBO, 10. Aufl., § 35, Rn. 119), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zum Nachweis der (negativen) Tatsache der fehlenden Geltendmachung des Pflichtteils kann vielmehr auch eine vor einem Notar abgegebene eidesstattliche Versicherung genügen (LG Bochum, Rpfleger 1992, 194, 195; Schöner/Stöber a.a.O., Rn. 790 mit Fußnote 39; Hügel/Wilsch, GBO, 2. Aufl., § 35, Rn. 108; letztlich offengelassen vom OLG Frankfurt, Rpfleger 1994, 206, 207 und vom OLG Köln, NJW-RR 2010, 665, 666). Dafür spricht entscheidend, dass in Fällen der vorliegenden Art auch das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren regelmäßig eine entsprechende eidesstattliche Versicherung ausreichen lassen und der Erbscheinserteilung zugrunde legen würde (LG Bochum a.a.O.; Schöner/Stöber a.a.O.). Es entspricht gerade dem Gesetzeszweck des § 35 Abs. 1 S. 2 GBO, eine erleichterte Berichtigung ohne den Umweg über das Nachlassgericht zu ermöglichen. Für den vergleichbaren Fall, dass das Nichtvorhandensein weiterer Kinder bzw. Abkömmlinge nachzuweisen ist, wird außerdem eine eidesstattliche Versicherung ebenfalls für beachtlich gehalten (vgl. Senat, NJW-RR 1997, 646 f. = FGPrax 1997, 48 ff. = Rpfleger 1997, 210 ff.; OLG Schleswig, Rpfleger 1999, 533; OLG Düsseldorf, FGPrax 2010, 114 f.; Demharter a.a.O., § 35, Rn. 40; Schaub in Bauer/von Oefele a.a.O., § 35, Rn. 138); es besteht kein Grund dafür, die vorliegende Fallkonstellation anders zu behandeln. Das Grundbuchamt dürfte also formgerechte eidesstattliche Versicherungen der Beteiligten nicht von vornherein als unbeachtlich zurückweisen, sondern müsste diese Urkunde(n) berücksichtigen. Ein Erbschein ist nach § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GBO allerdings nicht verzichtbar, wenn unter Einbeziehung der eidesstattlichen Versicherungen noch Zweifel verbleiben, die über die abstrakte Möglichkeit eines anderen Sachverhalts hinausgehen (Senat a.a.O.). Nach dem derzeitigen Sachstand bestehen im vorliegenden Fall allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren weitere tatsächliche Ermittlungen durchzuführen hätte.

Um im vorliegenden Grundbucheintragungsverfahren die Lücke im urkundlichen Nachweis der Erbfolge nach dem am 24.06.2010 verstorbenen S zu schließen, hält der Senat eidesstattliche Versicherungen aller Beteiligten als Erbprätendenten für erforderlich (vgl. Hügel/Wilsch a.a.O.). Jede der Beteiligten hat vor einem Notar sinngemäß an Eides statt zu versichern, dass weder sie selbst noch nach ihrem Kenntnisstand eine der übrigen Beteiligten den Pflichtteil nach der erstverstorbenen Mutter verlangt hat. Dieses bietet eine erhöhte Gewähr für die Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherungen, da sich eine Beteiligte, die den Pflichtteil nach der Mutter nicht verlangt hat, durch falsche Angaben zugunsten einer anderen Beteiligten nur selbst schädigen würde. Das Grundbuchamt wird im Falle der Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen zu prüfen haben, ob noch irgendwelche begründeten Zweifel hinsichtlich der Erbfolge nach S bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO.