AG Bonn, Urteil vom 01.03.2011 - 104 C 444/10
Fundstelle
openJur 2011, 76816
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von ihrer Schwester, der Beklagten, Schadensersatz aufgrund einer vermeintlichen Aufsichtspflichtverletzung gegenüber deren Kleinkind.

Am 04.04.2009 besuchte diese zusammen mit ihrem, zu diesem Zeitpunkt dreijährigen, Sohn die Klägerin und deren zweijährigen Sohn. Während sich die Parteien überwiegend im Wohnzimmer unterhielten, spielten die beiden Kinder in der Wohnung und tobten durch die Zimmer. Die Parteien hatten ihre Kleinkinder nicht unter ständiger Beobachtung. Die Kinder kehrten jedoch immer wieder in das Wohnzimmer zurück, in welchem sich die Klägerin und die Beklagte unterhielten. Der Sohn der Klägerin kündigte dann in Gegenwart der Parteien an, auf die Toilette gehen zu müssen und der Sohn der Beklagten begleitete ihn hierbei. Während des Aufenthalts im Badezimmer warf der Sohn der Beklagten Schmuck der Klägerin, bestehend aus einem Set von einer Kette, einem Ring und Ohrringen, in die Toilette und spülte diesen hinunter. Auch nach Auseinandernehmen des WC und Aufschrauben der Rohre konnte der Schmuck, den die Klägerin im Schlafzimmer auf einer Kommode liegen hatte lassen, nicht mehr aufgefunden werden.

Die Klägerin behauptet, der Schmuck habe einen Wert von 4.000,00 € gehabt und begehrt Ersatz hierfür. Sie ist der Ansicht, die Beklagte habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, da sie ihr Kind nicht in ausreichendem Umfang innerhalb der Wohnung überwacht habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.000,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB nach § 247 Abs. 1 BGB seit dem 11.12.2009 zu zahlen und

die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 213,31 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB nach § 247 Abs. 1 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, eine Haftung komme nicht in Betracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Er ergibt sich insbesondere nicht aus § 832 Abs. 1 BGB zu.

Eine Aufsichtspflichtverletzung der Beklagten gegenüber ihrem dreijährigen Sohn liegt nicht vor. Das Maß der gebotenen Aufsicht in Form von Überwachung, Belehrung und erforderlichen Kontrollen, bestimmt sich nach dem Alter, der Eigenart und dem Charakter des konkreten Kindes. Außerdem kommt es entscheidend darauf an, ob ein schädigendes Verhalten des Aufsichtsbedürftigen voraussehbar ist und was verständigen Eltern in der konkreten Situation vernünftigerweise an erforderlichen Maßnahmen zugemutet werden kann, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern (BGH, Urteil vom 19.01.1993 - VI ZR 117/92, juris Rn. 8). Der Aufsichtspflichtige muss alles tun, was zur Verhinderung einer Schädigung von einem Aufsichtspflichtigen in seiner Lage vernünftiger- und billigerweise erwartet werden kann (vgl. Palandt/Sprau, § 832 Rn. 8). Dabei ist eine ständige Beaufsichtigung auf Schritt und Tritt nicht erforderlich, denn sie ist mit dem Zweck der Erziehung zur Selbständigkeit unvereinbar. Vielmehr genügt es, wenn sich die Eltern einen groben Überblick über das Tun des Kindes verschaffen. Die Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen richtet sich nach dem Ausmaß der Gefahr, die unbeteiligten Dritten nach der Eigenart und dem Charakter des Kindes droht (BGH, Urteil vom 27.02.1996 - VI ZR 86/95, juris Rn. 14).

Der aufsichtsbedürftige Sohn der Beklagten war zum Zeitpunkt des Schadensfalles drei Jahre alt und ein lebhaftes Kleinkind. Das Kind spielte in einer ihm bekannten Umgebung, nämlich in der Wohnung seiner Tante, welche er infolge mehrfacher Besuche mit seiner Mutter kannte. Das Geschehen ereignete sich innerhalb der geschlossenen Wohnung, so dass kein erhöhtes Gefahrenpotential für die Beklagte ersichtlich war. Auch ein Kleinkind darf allein die Toilette aufsuchen, ohne dass der Aufsichtspflichtige dies kontrollieren muss, denn es soll auch in diesem Bereich seine Eigenständigkeit ausüben dürfen und ein Badezimmer bietet nicht grundsätzlich eine erhöhte Gefahrenlage. Vorliegend war es indes nicht der Sohn der Beklagten, sondern der zweijährige Sohn der Klägerin, der die Toilette alleine aufsuchte, der Sohn der Beklagten begleitete ihn. Weder die Beklagte noch die Klägerin kamen mit.

Das Erziehungsziel der Ausbildung von Fähigkeiten und Selbständigkeit darf durch eine ununterbrochene Kontrolle nicht behindert werden. Da der Sohn der Beklagten wie der der Klägerin sich beim Spielen immer wieder im selben Raum wie die Eltern befand, wurde einer regelmäßigen Überwachung genüge getan. Durch das vorherige Ankündigen des Toilettenbesuchs durch die Kinder, wurde unmittelbar vor dem Vorfall offenkundig das notwendige Überwachungsintervall eingehalten. Eine darüber hinausgehende, durchgängige Überwachung ist, entgegen der Auffassung der Klägerin, weder erforderlich noch dem Aufsichtspflichtigem zumutbar.

Die Aufsichtspflicht war auch nicht erhöht, denn es bestand keine erkennbare Gefährdungslage für einen Dritten, welche aus dem Verhalten oder dem Charakter des Aufsichtbedürftigen erkennbar war. Allein die Lebhaftigkeit des Kindes und das Zusammenspiel und Toben mit einem anderen Kleinkind ändern daran nichts. Dass der Sohn der Beklagten ein - über das bei einem dreijährigen Jungen übliche Maß hinausgehendes Zerstörungs- oder Vernichtungspotential hätte, hat die Klägerin schon nicht schlüssig vorgetragen. Das Gericht vermag als Elternteil aus eigener Sachkunde beurteilen, dass ein Kratzer auf einem Fernseher und eine umgestoßene Vase als einzige von der Klägerin benannte Vorfälle nicht außerhalb des Bereichs des Üblichen für dreijährige Jungen liegen. Hier ist es innerhalb einer geschlossenen Wohnung gerade nicht erforderlich, dass der Aufsichtspflichtige ein dreijähriges Kind unter ständiger Beobachtung hält. Denn ein Kind in diesem Alter muss sich auch selbst beschäftigen können, damit der Raum für die persönliche Entfaltung und Entwicklung geschaffen werden kann. Eine unmittelbare und ununterbrochene Beaufsichtigung des Kindes an Ort und Stelle ist lediglich außerhalb der Wohnung erforderlich, nicht aber innerhalb eines gewohnten und räumlich abgeschlossenen Umfelds (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 12.03.2008 - 4 U 58/07, juris Rn. 65, bzgl. eines Vierjährigen). Die Beklagte befand sich zu jeder Zeit in der Reich- und Hörweite ihres Kindes, so dass bei besonderen Anhaltspunkten oder drohenden Gefahren eine Eingriffsmöglichkeit bestand. Eine weitergehende Beaufsichtigung, wie etwa die dauerhafte Kontrolle des Kindes oder eine Belehrung über die Art des Spiels war nicht erforderlich und zumutbar.

Ohne dass es bei dieser Sach- und Rechtslage noch darauf ankommt, sei auf das erhebliche Mitverschulden der Klägerin hingewiesen, die allein für den vor Kindern ungesicherten Ablageort des Schmuckes verantwortlich war und von dem Treiben der Kinder, dem Umfang der Beaufsichtigung sowie von dem Naturell ihres Neffen Kenntnis hatte.

Die Nebenforderungen sind entsprechend ebenfalls unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 4.000,00 €