SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.03.2010 - S 12 AY 61/10
Fundstelle
openJur 2011, 76544
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zur Hälfte.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Kosten einer Untätigkeitsklage, nachdem der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt hat.

Der Kläger legte bei der Beklagten am 28.10.2009 Widerspruch ein gegen den Bescheid vom 23.09.2009, mit dem die Beklagte rückwirkend Leistungen nach § 2 AsylbLG bewilligt hatte. Dabei kürzte sie den Nachzahlungsbetrag unter Berufung auf den Aktualitäts- grundsatz. Der Kläger hat am 18.02.2010 Untätigkeitsklage erhoben. Am 05.03.2010 erteilte die Beklagte dem Kläger einen ablehnenden Widerspruchsbescheid. Sie hält die Erhebung einer Untätigkeitsklage nicht für gerechtfertigt, weil der Kläger es unterlassen habe, sie zu mahnen und eine Untätigkeitsklage anzudrohen. Am 12.03.2010 hat der Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten seine außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen, die er mit 238,00 Euro bezifferte.

II. Der Antrag ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Über die außergerichtlichen Kosten ist gemäß § 193 Absatz 1 Satz 3 des Sozial- gerichtsgesetzes auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Die Kostenentscheidung ist grundsätzlich nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. Wesentlich sind dabei die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat. Bei Erledigung einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG hat der Beklagte in der Regel die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, wenn die Klage nach der Sperrfrist erhoben worden ist und später der begehrte Verwaltungsakt ergeht (Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage § 88 Rn. 13c). Denn jeder darf darauf vertrauen, dass innerhalb der in § 88 SGG genannten Fristen über seinen Antrag bzw. Widerspruch entschieden wird. Dabei besteht keine Verpflichtung, die Behörde vorab zu mahnen und ihr eine Untätigkeitsklage anzudrohen.

Die beklagte Behörde trifft nur dann nicht die Kostenlast, wenn der Betroffene aus Mitteilungen der Behörde oder aus anderen Umständen erkennen kann, dass diese aus einem zureichenden Grund im Sinne von § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht fristgemäß entscheiden kann. Das folgt aus dem hier anzuwendenden Rechtsgedanken des § 161 Absatz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung. Nach dieser Vorschrift fallen bei einer erledigten Untätigkeitsklage die Kosten stets der Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen konnte. Damit wird sichergestellt, dass er nach der Bescheiderteilung nicht deshalb die Kosten der Untätigkeitsklage zu tragen hat, weil die Beklagte mit zureichendem Grund nicht in angemessener Frist entschieden hat. Einem Kläger ist die Klärung dieser verwaltungsinternen Voraussetzung regelmäßig nicht möglich. Darum lässt § 161 Absatz 3 VwGO es ausreichen, wenn ein Kläger nach den ihm bekannten Umständen des Falles mit einer früheren Bescheidung rechnen durfte. Aber erst wenn ein zureichender Grund vorliegt, ist es von Bedeutung, ob dem Kläger der Grund für die Verzögerung bekannt war oder bekannt sein musste (vgl. LSG Berlin Beschluss vom 18.04.2008 -L 23 B 198/06 SO -).

Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung kann etwa in einer vorübergehenden besonderen Belastung der Behörde bestehen oder darin, dass die besonderen Schwierigkeiten des Sachverhalts eine längere Bearbeitungszeit als die in § 88 SGG vorgesehene beanspruchten. Hier war eine Bearbeitung unmöglich, weil die Akten unauffindbar waren. Dieser zureichende Grund war aber für den Kläger nicht ohne weiteres offensichtlich und er wurde auch nicht durch Zwischennachrichten der Beklagten darüber informiert.

Die Beklagte muss die außergerichtlichen Kosten des Klägers aber nur zur Hälfte tragen, weil die Klage zum Teil keine Erfolgsaussicht hatte, da sie unzulässig war. Gegenstand einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG ist nicht die inhaltliche Prüfung eines Verwaltungsakts, sondern die bloße Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs. Darum war die Klage unzulässig, soweit das Gericht die Beklagte verurteilen sollte, über den Widerspruch "unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts" zu entscheiden. Die Sozialgerichte können im Rahmen einer Untätigkeitsklage keine Behörde verurteilen, einen Widerspruchsbescheid mit einem bestimmten Inhalt zu erlassen.

Zur Vermeidung eines unnötigen Folgestreits bezüglich der Höhe der festzusetzenden Kosten sei bereits jetzt darauf hingewiesen, dass das LSG NW in seiner Grundsatzentscheidung vom 05.05.2008 (L 19 B 24/08 AS) entschieden hat, dass die Verfahrensgebühr für eine Untätigkeitsklage 80 Euro beträgt und dass eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nicht anfällt, da das Verfahren nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis erledigt wird.

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