OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.04.2010 - I-2 U 126/09
Fundstelle
openJur 2011, 75901
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung gegen das am 8. September 2009 verkündete Urteil der

4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

II. Die Verfügungsklägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Verfügungsklägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung u.a. für die Bundesrepublik Deutschland in englischer Verfahrenssprache erteilten europäischen Patents 1 809 345 (Anlage PBP 1, im folgenden "Verfügungspatent" genannt), das am 06.04.2005 unter Inanspruchnahme einer dänischen Priorität vom 07.10.2004 angemeldet und dessen Erteilung am 18.03.2009 veröffentlicht wurde. Das Verfügungspatent betrifft ein gebrauchsfertiges Blasenkatheterset. Seine von der Verfügungsklägerin in Kombination geltend gemachten Ansprüche 1, 8, 12 und 18 lauten in der eingetragenen deutschen Übersetzung wie folgt:

1. Medizinische Vorrichtung, die eine befeuchtete hydrophile Beschichtung aufweist, die enthält: a) eine Beschichtungszusammensetzung, die ein hydrophiles Polymer enthält, und b) ein Befeuchtungsmittel, das Wasser und ein oder mehrere Schmiermittel umfasst. … 8. Medizinische Vorrichtung nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 - 7, bei der das Schmiermittel ein hydrophiles Schmiermittel ist, … 12. Medizinische Vorrichtung nach Anspruch 8, bei der das Schmiermittel Glycerin ist. … 18. Packung, die eine medizinische Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 16 enthält, wobei die medizinische Vorrichtung oder der Teil der medizinischen Vorrichtung der die befeuchtete hydrophile Beschichtung trägt, in einem für Wasser und Dampf undurchlässigen Behälter eingeschlossen ist.

Die Verfügungsbeklagte bietet an und vertreibt seit Frühjahr 2009 in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung "V…." Blasenkatheter-Sets (im folgenden "angegriffene Ausführungsform" genannt), die nach Auffassung der Verfügungsklägerin die technische Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß verwirklichen. Sie behauptet, in der Katheterverpackung der angegriffenen Ausführungsform Tropfwasser mit Glycerinanteilen vorgefunden zu haben, und ist der Ansicht, dieses Tropfwasser stelle ein erfindungsgemäßes Befeuchtungsmittel dar. Es komme nicht darauf an, ob das Glycerin aus dem als Befeuchtungsmittelreservoir wirkenden Gewebekörper oder aus der Beschichtung des Katheters stamme.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Verfügungsklägerin habe zum einen bereits nicht glaubhaft gemacht, dass das Tropfwasser von der Beschichtung noch aufgenommen werde. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass bei Bildung des Tropfwassers die Sättigung der Oberflächenbeschichtung des Katheters bereits abgeschlossen sei. Zum anderen sei das von der Verfügungsklägerin in Bezug genommene Tropfwasser mit Glycerinanteilen kein erfindungsgemäßes Befeuchtungsmittel. Vor dem Hintergrund seiner Beschreibung sei Verfügungspatentanspruch 1 dahingehend auszulegen, dass das Schmiermittel nicht aus der Beschichtungszusammensetzung stammen dürfe, sondern dass mit dem Wasser Schmiermittel von der Beschichtung aufgenommen werden solle, welches vorher nicht in der Beschichtung vorhanden gewesen sei. Verstehe man das Verfügungspatent im Sinne der Verfügungsklägerin, bestünden im Hinblick auf den Offenbarungsgehalt der US 5,416,131 und der WO 00/30969 Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des bereits mit einem Einspruch gegen seine Erteilung angegriffenen Verfügungspatents.

Hiergegen wendet sich die Verfügungsklägerin mit ihrer Berufung. Sie macht geltend, das Tropfwasser aktiviere die hydrophile Oberflächenbeschichtung selbst dann, wenn es zu einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem die Oberflächenbeschichtung gesättigt gewesen sei. Denn die Aktivierung sei kein statischer, sondern ein dynamischer Vorgang, der bis zur Beendigung der Benutzung des Katheters andauere. Eine Sättigung könne nur theoretisch für einen kurzzeitigen Moment gegeben sein. Die Auslegung des Verfügungspatents durch das Landgericht berücksichtige zu wenig, dass das Patent eine Vorrichtung und nicht die Herstellung derselben schütze. Der Anspruch besage nichts darüber, woher das Glycerin zu stammen habe. Wichtig sei nur, dass das Befeuchtungsmittel und das Glycerin funktional vorhanden seien, wenn der Patient den gebrauchsfertigen Katheter bestimmungsgemäß einsetze. Diese funktionale Betrachtung müsse bei der Auslegung der Patentbeschreibung berücksichtigt werden.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 08.09.2009 - 4a O 111/09 - abzuändern und die Verfügungsbeklagte zu verurteilen,

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- € - ersatzweise Ordnungshaft - bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Antragsgegnerin zu vollziehen ist,

zu unterlassen,

Packungen, die eine medizinische Vorrichtung enthalten, welche eine befeuchtete hydrophile Beschichtung aufweisen,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wobei

die medizinische Vorrichtung enthält:

eine Beschichtungszusammensetzung, die ein hydrophiles Polymer enthält

und

ein Befeuchtungsmittel, das Wasser und Glycerin als Schmiermittel umfasst,

und wobei die medizinische Vorrichtung in einem für Wasser und Dampf undurchlässigen Behälter eingeschlossen ist;

der Verfügungsklägerin unverzüglich Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der unter 1. genannten Erzeugnisse zu geben durch ein vollständiges und geordnetes Verzeichnis unter Angabe

der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,

der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Verfügungspatents keinen Gebrauch. Die Verfügungsklägerin ignoriere bei ihrer Patentauslegung die patentgemäßen Definitionen, die sich auf einen Zeitpunkt bezögen, der vor dem Beginn des Befeuchtungsvorganges liege. Danach sei Glycerin, welches ursprünglich in der hydrophilen Beschichtung enthalten ist, kein Schmiermittel im Sinne des Verfügungspatents. Die grundlegende Lehre des Verfügungspatents bestehe darin, dass die gesamte Menge Glycerin vor Beginn des Befeuchtungsvorgangs noch nicht in der hydrophilen Beschichtung enthalten ist und der Beschichtung ein Schmiermittel wie Glycerin als Bestandteil des Befeuchtungsmittels zugeführt wird. Ungeachtet dessen sei das Verfügungspatent in jedem Fall schon mit Rücksicht auf den im Prüfungsverfahren nur unzureichend gewürdigten Stand der Technik nicht rechtsbeständig.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Verfügungsantrag der Klägerin zurückgewiesen. Es kann dahinstehen, ob ein Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht ist. Der Erlass der begehrten Unterlassungs- und Auskunftsanordnung ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil es angesichts des ungewissen Rechtsbestandes des Verfügungspatents an einem Verfügungsgrund fehlt.

A.

Nach der einleitenden Erläuterung der Verfügungspatentschrift betrifft die Erfindung eine medizinische Vorrichtung (z.B. einen Harnkatheter) mit einer befeuchteten hydrophilen Beschichtung, die der medizinischen Vorrichtung eine reibungsarme Oberfläche verleiht. Die Vorrichtung ist in anwendungsbereiter Form abgepackt, so dass der Katheter vom Benutzer nach Entnahme aus der Verpackung sofort, d.h. ohne weitere, vorbereitende Maßnahmen ergreifen zu müssen, gebraucht werden kann. Die hydrophile Beschichtung des Katheters bewirkt, dass seine Oberfläche bei Befeuchtung rutschig und schmierig wird, was das Verletzungsrisiko und die Unannehmlichkeit für den Patienten beim Einsetzen beträchtlich reduziert.

Hydrophil beschichtete medizinische Vorrichtungen waren nach dem Stand der Technik bekannt. Das Verfügungspatent führt aus, dass ein Teil von ihnen trocken gelagert und erst unmittelbar vor der Verwendung befeuchtet wird (z.B. nach der US 5,416,131), während ein anderer Teil bereits befeuchtet unter benutzungsbereiten Bedingungen gelagert wird (z.B. nach der WO 00/30696). Die US 5,416,131 sieht vor, Glycerol in eine hydrophile Beschichtung einzubringen, um einen die Osmolalität steigernden Effekt zu erreichen. Die WO 00/30696 schlägt demgegenüber die Verwendung von Glycerol und Diethylenglykol als zu dem Befeuchtungsmittel hinzu zu gebenden Weichmachern vor, ohne allerdings einen Richtwert hinsichtlich der Menge anzugeben. Als nachteilig an diesen bekannten Vorrichtungen benennt das Verfügungspatent, dass sie eine Überschussmenge an Wasser benötigen, eine feuchte schleimige Oberfläche besitzen, was zum "Beschmieren" der Körperhöhle führt, in die der Katheter eingesetzt wird, und unter befeuchteten Bedingungen tropfen können, was zur Beschmutzung der Kleidung des Benutzers führe (Anlage PBP 1a [0009]). Vom Verfügungspatent weiter erwähnt werden die US 5,800,412, bei der Glycerol als ein Lösungsmittel für die Beschichtungslösung verwendet wird, und die US 5,091,205, die eine Beschichtung des Katheters mit einer Schicht aus Silikonfluid, Glycerol oder Olivenöl vorsieht, was den Nachteil einer nicht gleichmäßigen Verteilung und des Verschmierens des Schmiermittels hat.

Als Aufgabe der Erfindung stellt die Verfügungspatentschrift daher heraus, eine medizinische Vorrichtung mit einer hydrophilen Beschichtung bereitzustellen, die in einer befeuchteten, benutzungsbereiten Form abgepackt und gelagert werden kann, die nicht tropft und eine verringerte Neigung zum Verschmieren aufweist.

Dieses Ziel wird nach der Lehre des Verfügungspatents dadurch erreicht, dass zum Befeuchten der hydrophilen Beschichtung ein Befeuchtungsmittel verwendet wird, das ein Gemisch aus Wasser und einem Schmiermittel umfasst.

In den - von der Klägerin kombiniert geltend gemachten - Ansprüchen 1, 8, 12 und 18 sieht das Verfügungspatent demgemäß die Kombination folgender Merkmale vor:

Eine medizinische Vorrichtung mit hydrophiler Beschichtung.

Die medizinische Vorrichtung weist auf:

eine Beschichtungszusammensetzung,

die ein hydrophiles Polymer enthält

u n d

ein Befeuchtungsmittel,

das Wasser

und ein oder mehrere Schmiermittel umfasst, wobei das Schmiermittel Glycerin ist.

Die medizinische Vorrichtung befindet sich in einer Verpackung, so dass

sie oder ihr die befeuchtete hydrophile Beschichtung tragender Teil

in einem für Wasser und Dampf undurchlässigen Behälter eingeschlossen ist.

B.

Dem Verfügungsantrag der Klägerin kann - abgesehen von der Frage des Verletzungstatbestandes - schon deshalb nicht entsprochen werden, weil der Rechtsbestand des Verfügungspatents nach derzeitigem Sach- und Streitstand zu unsicher ist und es deshalb an einem Verfügungsgrund fehlt.

1.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (InstGE 9, 140 - O……), dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung insbesondere auf Unterlassung nur in Betracht kommt, wenn sowohl der Bestand des Verfügungspatents als auch die Frage der Patentverletzung im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (ebenso: OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 - VA-LVD-Fernseher). Was die Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents betrifft, nimmt der Senat den Streitfall zum Anlass, seine grundlegenden Beurteilungskriterien nochmals zusammenfassend darzustellen:

a)

In Patentverletzungsstreitigkeiten ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Antragsgegner. Während dem Antragsteller, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Rechtsbestand des Schutzrechtes vor dem Einreichen eines Verfügungsantrages sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Antragsgegner auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen. Ergeht eine Unterlassungsverfügung, greift sie darüber hinaus meist in sehr einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Antragsgegners ein und führt während ihrer Bestandsdauer zu einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs (Senat, InstGE 9, 140, 145 - O……).

Das alles bedeutet zwar nicht, dass eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung generell nicht oder nur in ganz besonders seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Derartige Restriktionen widersprächen Art. 50 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15. April 1994 (BGBl. II. Seite 1730), welcher die gerichtliche Anordnung einstweiliger Maßnahmen zur Verhinderung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums oder zur Sicherung einschlägiger Beweise ausdrücklich vorsieht. Eine einstweilige Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung verlangt aber in der Regel, dass die Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes hinlänglich gesichert ist (Senat, InstGE 9, 140, 146 - O………). Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatentes können das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ausschließen. Die Einschätzung der Rechtsbeständigkeit muss das Verletzungsgericht in eigener Verantwortung vornehmen (Senat, InstGE 9, 140, 146 - O……). Es kann sich also nicht kurzerhand auf den Erteilungsakt verlassen, sondern hat selbständig zu klären, ob angesichts des Sachvortrages des Antragsgegners ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfügungspatent ggf. keinen Bestand haben wird. Seine Vernichtung muss als Folge der Einwendungen des Antragsgegners aus Sicht des Verletzungsgerichts nicht zwingend und sie muss auch nicht überwiegend wahrscheinlich, aber aufgrund einer in sich schlüssigen, vertretbaren und letztlich nicht von der Hand zu weisenden Argumentation des Antragsgegners möglich sein, um einem Verfügungsantrag den Erfolg versagen zu können.

b)

Damit Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents sich in einer Zurückweisung des Verfügungsantrags niederschlagen können, muss das Verfügungsschutzrecht allerdings mit einem Einspruch oder einer Nichtigkeitsklage angegriffen werden, weil nur sie das Patent tatsächlich zu Fall bringen können (Senat, InstGE 7, 147 - Kleinleistungsschalter). Es hilft dem Antragsgegner deshalb nichts, im einstweiligen Verfügungsverfahren lediglich Einspruchs- oder Nichtigkeitsgründe aufzuzeigen, die zu einer Vernichtung des Verfügungspatents führen könnten, solange er nicht spätestens bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im Verfügungsverfahren tatsächlich beim Deutschen Patent- und Markenamt, beim Europäischen Patentamt oder beim Bundespatentgericht ein Verfahren eröffnet hat, in dem aufgrund dieses Vorbringens ein Widerruf bzw. die Nichtigerklärung des Patents verfügt werden kann. Liegt zwischen der Kenntnis des Antragsgegners vom Verfügungsantrag und dem Verhandlungstermin ein nur kurzer Zeitraum, innerhalb dessen dem Antragsgegner nicht zugemutet werden kann, das Verfügungspatent mit einem förmlichen Rechtsbehelf anzugreifen, muss zumindest zweifelsfrei absehbar sein, dass der Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts zu gegebener Zeit angegriffen werden wird. Innerhalb welcher Frist ein förmlicher Rechtsbehelf erwartet werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Schwierigkeit und Komplexität der technischen Materie sowie von den Recherchemöglichkeiten des Antragsgegners, die durch etwaige offenkundige Vorbenutzungen oder in öffentlich zugänglichen Datenbanken schwer ermittelbare Druckschriften (Firmenprospekte, Tagungsunterlagen, Fachbücher, japanischsprachige Veröffentlichungen) erschwert sein können. Ist die Zeit zwischen Veröffentlichung der Patenterteilung und dem Verhandlungstermin im Verfügungsverfahren besonders kurz, so dass dem Antragsgegner nicht einmal eine vernünftige Recherche nach möglichem Stand der Technik zuzumuten war, so kann der Verfügungsantrag sogar ohne konkrete Benennung von Entgegenhaltungen zurückzuweisen sein, weil die Schutzrechtslage unklar und die Erwartung nicht von der Hand zu weisen ist, dass bei angemessener Recherche relevanter Stand der Technik aufgefunden werden kann (LG Mannheim, InstGE 11, 159 - VA-LCD-Fernseher II).

c)

Sobald das Verfügungspatent in seinem Rechtsbestand angegriffen oder ein bevorstehender Angriff hinreichend absehbar ist, steht es zur Glaubhaftmachungslast des Antragstellers, der den vorläufigen Rechtsschutz für sich in Anspruch nimmt, das Verletzungsgericht davon zu überzeugen, dass die gegen das Verfügungspatent vorgebrachten Einwendungen unberechtigt sind und das Verfügungspatent mit Sicherheit das laufende (oder avisierte) Rechtsbestandsverfahren überstehen wird. Daraus ergeben sich Konsequenzen:

Eine positive Bestandsprognose kann - abweichend von der Handhabung bei der Aussetzung im Hauptsacheprozess - nicht schon darauf gestützt werden, dass der fremdsprachige Einspruchsschriftsatz oder fremdsprachige Entgegenhaltungen vom Antragsgegner auflagenwidrig nicht übersetzt sind. Vielmehr ist es notfalls Sache des Antragstellers, diejenigen Übersetzungsarbeiten zu leisten, die erforderlich sind, um dem Verletzungsgericht die Gewissheit zu verschaffen, dass der unternommene Angriff gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents aussichtslos ist. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass der Angriff auf das Verfügungspatent so rechtzeitig initiiert und substantiiert wird, dass der Antragsteller bei gehöriger Anstrengung Übersetzungen noch rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin beibringen kann (Senat, Urteil vom 14.07.2009 - I-2 U 87/08). Aus derselben Überlegung heraus geht es - anders als bei § 148 ZPO - zu Lasten des Antragstellers, wenn sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbestandsangriffs deshalb nicht klären lassen, weil die Technik des Verfügungspatents komplex und einer verlässlichen Beurteilung durch das Verletzungsgericht nicht zugänglich ist.

d)

Grundsätzlich kann von einem hinreichenden Rechtsbestand nur dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (Senat, InstGE 9, 140, 146 - O……..). Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt deswegen im Allgemeinen nicht in Betracht, wenn sich das Patent noch im Einspruchsverfahren befindet oder ein solches (weil das Patent gerade erst erteilt ist) nicht einmal begonnen hat. Dem kann der Antragsteller nicht dadurch ausweichen, dass er statt einer Beschlussverfügung selbst die Anberaumung eines zeitfernen Verhandlungstermins beantragt, bis zu dem der Antragsgegner etwaigen rechtshindernden Stand der Technik recherchiert und vorgetragen haben kann. Denn es ist nicht Aufgabe der Verletzungsgerichte, im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzes inzident ein Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren durchzuführen. Um ein Verfügungspatent für ein einstweiliges Verfügungsverfahren tauglich zu machen, bedarf es vielmehr einer positiven Entscheidung der dafür zuständigen, mit technischer Sachkunde ausgestatteten Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen. Von dem Erfordernis einer dem Antragsteller günstigen kontradiktorischen Rechtsbestandsentscheidung kann nur in Sonderfällen abgesehen werden. Sie können - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - vorliegen, wenn der Antragsgegner sich bereits mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren beteiligt hat, so dass die Patenterteilung sachlich der Entscheidung in einem zweiseitigen Einspruchsverfahren gleichsteht, oder wenn ein Rechtsbestandsverfahren deshalb nicht durchgeführt worden ist, weil das Verfügungspatent allgemein als schutzfähig anerkannt wird (was sich durch das Vorhandensein namhafter Lizenznehmer oder dergleichen widerspiegelt) oder wenn sich die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents schon bei der dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eigenen summarischen Prüfung als haltlos erweisen oder wenn (z.B. mit Rücksicht auf die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile) außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die es für den Antragsteller ausnahmsweise unzumutbar machen, den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten.

e)

Ist das Patent im Zeitpunkt des Verfügungsverfahrens bereits erstinstanzlich widerrufen oder für nichtig erklärt, wird sich daraus in aller Regel ergeben, dass der Rechtsbestand in einem Maße ungesichert ist, dass eine Unterlassungsverfügung nicht mehr in Betracht kommt. Anderes gilt von Verfassungs wegen nur dann, wenn die Entscheidung über die Vernichtung des Verfügungspatents erkennbar fehlerhaft ist und deswegen sicher abgesehen werden kann, dass sie im nächsten Rechtszug aufgehoben werden wird (Senat, InstGE 9, 140, 147 f. - O……..). Dies verlangt nicht nur die Feststellung, dass die für die Vernichtung gegebene Begründung offenkundig fehlerhaft ist, sondern darüber hinaus die verlässliche Erkenntnis des Verletzungsgerichts, dass auch kein anderer Grund für eine Vernichtung des Verfügungspatents eingreift. Sie wird sich nur gewinnen lassen, wenn die Erfindung einen technischen Gegenstand betrifft, den das Verletzungsgericht anhand des Sachvortrages der Parteien mit seiner eigenen Sachkunde sicher beurteilen kann (Senat, InstGE 9, 140, 147 f. - O……….). Hinzukommen zur evidenten Unrichtigkeit der Vernichtungsentscheidung muss ferner, dass dem Patentinhaber ein außergewöhnlicher Nachteil droht, wenn er bis zur Rechtsmittelentscheidung im Rechtsbestandsverfahren daran gehindert wird, seine Verbietungsrechte durchzusetzen. Dies kann sich - wie beispielsweise bei einem patentierten Arzneimittel und dem Auftreten von Generikaherstellern - von selbst verstehen und bedarf ansonsten eines substantiierten Sachvortrages und der Glaubhaftmachung durch den Antragsteller (Senat, Urteil vom 19.03.2009 - I-2 U 55/08).

2. Vor dem dargelegten rechtlichen Hintergrund kommt der Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung vorliegend nicht in Betracht, da der Rechtsbestand des Verfügungspatents nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden kann.

a)

Die Schutzfähigkeit des Verfügungspatents wird von der Antragsgegnerin unter Benennung konkreter Entgegenhaltungen substantiiert bezweifelt. Gestützt hierauf hat sie unter dem 23.07.2009 ein förmliches Einspruchsverfahren eingeleitet, das zum Widerruf des Verfügungspatents führen kann.

b)

Ein Ausnahmefall, der es gerechtfertigt erscheinen lassen würde, von einer erstinstanzlichen Bestätigung des Verfügungspatents im Einspruchsverfahren abzusehen, liegt nicht vor.

Dass die Antragsgegnerin am Erteilungsverfahren des Verfügungspatents beteiligt war, so dass der Erteilungsbeschluss einer Entscheidung im zweiseitigen Einspruchsverfahren gleichsteht, wird von der Antragstellerin selbst nicht behauptet. Dafür ist auch nichts ersichtlich.

Die Antragstellerin hat gleichfalls keine Umstände dargelegt, aufgrund derer ihr ein Abwarten des Einspruchsverfahrens ausnahmsweise unzumutbar ist. Vielmehr beschreibt die Antragstellerin nur pauschal die gewöhnlichen Folgen eines mutmaßlich patentverletzenden Verhaltens. Dies gilt zum einen für die Gewöhnung von Patienten an die angegriffene Ausführungsform und zum anderen für die Bewerbung dieser mit Gratismustern. Auch wenn naturgemäß zu unterstellen ist, dass die auf die angegriffene Ausführungsform eingestellten Patienten diese dauerhaft benutzen möchten, ist weder ersichtlich noch von der Antragstellerin konkret dargelegt, dass diese Patienten, wenn sie die angegriffene Ausführungsform nicht mehr erwerben können, weil deren Vertrieb als patentverletzend untersagt ist, nicht mehr wie vor Markteinführung der angegriffenen Ausführungsform auf Produkte der Klägerin zurückgreifen werden. Für massive Preisunterbietungen durch die Beklagte, die zu einem nur schwer korrigierbaren und deswegen nachhaltigen Preisverfall für Produkte der Klägerin führen könnten, bestehen ebenso keine Anhaltspunkte.

c)

Die Einwendungen der Antragsgegnerin gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents stellen sich schließlich auch nicht als haltlos dar. Dass das Patent im Einspruchsverfahren widerrufen werden wird, erscheint - ganz im Gegenteil - möglich. Dass die geltend gemachte Anspruchskombination keinen Bestand haben wird, ist nach Einschätzung des Senats sogar in hohem Maße wahrscheinlich.

Die in der Verfügungspatentschrift als Stand der Technik erörterte WO 00/30696 offenbart bereits ein Set, bestehend aus einem medizinischen Instrument mit einer hydrophilen Beschichtung, einer wässrigen Flüssigkeit zum Befeuchten der hydrophilen Beschichtung und einer Verpackung, die sowohl das medizinische Instrument als auch die Befeuchtungsflüssigkeit aufnimmt (vgl. Ansprüche 8, 9). Im erläuternden Beschreibungstext (deutsche Übersetzung S. 10/11) ist hierzu ausgeführt, dass der Katheter durch die besagte Anordnung ständig mit der Befeuchtungsflüssigkeit befeuchtet und somit bei Bedarf unmittelbar einsatzbereit ist. Die Verpackung hat, um der ihr zugedachten Funktion gerecht zu werden, einen vorzeitigen Austritt des Befeuchtungsmittels zu verhindern. Sie muss deshalb - was dem Durchschnittsfachmann ohne jede weitere Belehrung unmittelbar vor Augen steht - einen dichten Behälter für das von ihr aufzunehmende Instrument und die von ihr zu bevorratende Befeuchtungsflüssigkeit bereitstellen. Mit Rücksicht darauf, dass das Befeuchtungsmittel eine wässrige Flüssigkeit sein soll, hat die Verpackung mithin - um einen Austritt des in der Verpackung benötigten Befeuchtungsmittels während der Lagerung zu unterbinden - für Wasser und Dampf undurchlässig zu sein. Zur Beschichtung des medizinischen Instruments selbst findet sich der Hinweis (deutsche Übersetzung, S. 10, 2. Absatz), dass ein hydrophiles Polymer in die Beschichtung eingebaut werden kann. An anderer Stelle (deutsche Übersetzung S. 16 oben) heißt es weiter, dass die Befeuchtungsflüssigkeit, falls gewünscht, auch Glycerin als Weichmacher für die hydrophile Beschichtung enthalten kann.

Mit den nachgewiesenen Textstellen ist ein medizinisches Instrument vorbeschrieben, das sämtliche Merkmale der von der Klägerin geltend gemachten Anspruchskombination des Verfügungspatents aufweist.

Dem lässt sich nicht entgegen halten, dass Glycerin in der Vorveröffentlichung als Weichmacher und nicht - wie im Verfügungspatent - als Schmiermittel angesprochen ist. Völlig zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass der Befeuchtungsflüssigkeit zugesetztes Glycerin diejenigen Wirkungen entfaltet, die seiner chemischen Zusammensetzung nun einmal naturgesetzlich eigen sind. Das Wirkungsprofil ändert sich in keiner Weise mit den subjektiven Absichten, aus denen dem Befeuchtungsmittel Glycerin zugegeben worden ist. Wenn es also zutrifft, dass Glycerin in der Befeuchtungsflüssigkeit die Neigung zum Abtropfen und zum Verschmieren verringert und längere Zeit einer Austrocknung vorbeugt, so haben sich diese Vorteile unvermeidlich auch bei einem Katheterset eingestellt, das nach den oben zitierten Anweisungen der WO 00/30696 konzipiert worden ist.

In der Anweisung des Verfügungspatents, Glycerin als Schmiermittel einzusetzen, könnte ein die Neuheit (und ggf. Erfindungshöhe) tragender Gesichtspunkt nur gesehen werden, wenn darin nicht bloß eine Wirkungsangabe liegen würde, die dem Fachmann - colorandi causa - erläutert, welcher technische Effekt mit der Zugabe von Glycerin zur Befeuchtungsflüssigkeit verbunden ist, sondern in der Bezugnahme auf die Hinzufügung von Glycerin "als Schmiermittel" ein bestimmtes technisches Ausstattungsmerkmal des beanspruchten Kathetersets verschlüsselt wäre, das in den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs noch keinen Niederschlag gefunden hat. So wäre es theoretisch denkbar, dass sich die vorbezeichneten Wirkungen einer Zugabe von Glycerin (Abtropfen, Verschmieren, Schutz gegen Eintrocknen) nur einstellen, wenn eine bestimmte (z.B. besonders hohe oder besonders niedrige) Dosierung eingehalten wird, weswegen der Fachmann dem Merkmal "als Schmiermittel" bei Ausführung des Verfügungspatents entnimmt, dass er Glycerin nicht in irgendeiner beliebigen, sondern in einer ganz bestimmten Menge zusetzen muss, um den patentgemäßen Erfolg herbeizuführen. Für derartiges bietet der Sachvortrag der Klägerin indessen ebensowenig einen Anhaltspunkt wie der Inhalt der Verfügungspatentschrift. Zwar ist die WO 00/30696 in der Beschreibungseinleitung (Absatz [0007]) dahingehend gewürdigt, dass ihr kein Richtwert hinsichtlich der Menge an Glycerin zu entnehmen sei, die dem Befeuchtungsmittel hinzuzugeben sei, was die Annahmwe nahelegen könnte, dass es zur Erzielung der vom Verfügungspatent beabsichtigten Wirkungen tatsächlich einer bestimmten (Mindest-)Dosierung bedarf. Im Absatz [0117] der Verfügungspatentschrift ist andererseits allerdings ausgeführt, dass das zugegebene Schmiermittel (z.B. Glycerin) geeigneterweise einen Anteil von 0,1 bis 95 % des Befeuchtungsmittels ausmacht. Angesichts dieses äußerst weit gespannten bevorzugten Bereichs wird der Fachmann anzunehmen haben, dass grundsätzlich jede Zugabemenge an Glycerin geeignet ist und von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch macht. Für ein anderes Verständnis ist die Verfügungsklägerin jedenfalls jede Erklärung und jeden Beweis schuldig geblieben. Auf Nachfrage des Senats hat sie sich ausdrücklich außerstande gesehen, Dosierungsmengen anzugeben, bei denen Glycerin einerseits (bloß) als Weichmacher und andererseits (schon) als Schmiermittel wirkt.

Ohne Belang ist es ebenfalls, dass die WO 00/30696 eine Sterilisierung des medizinischen Instruments durch Strahlung vorsieht. Irgendein relevanter Unterschied lässt sich daraus schon deshalb nicht herleiten, weil auch das Verfügungspatent exakt eine solche Maßnahme gestattet. Im Absatz [0134] heißt es ausdrücklich:

Die medizinische Vorrichtung gemäß der Erfindung kann geeigneter Weise sterilisiert werden wie in der WO 00/30696 beschrieben, oder durch analoge Verfahren.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

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