LG Düsseldorf, Urteil vom 15.04.2010 - 9 O 290/09
Fundstelle
openJur 2011, 75451
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.300,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 2,4 % seit dem 02.08.2006 bis zum 04.03.2009 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.03.2009, Zug um Zug gegen Übereignung des XXX Zertifikats mit der ISIN XXX zum Nennwert von 10.000 €.

2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 1.025,30 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.03.2009.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen behaupteter Verletzung von Aufklärungspflichten im Rahmen einer Anlageberatung.

Die Klägerin ist Rentnerin und unterhält seit dem Jahr 2001 bei der Beklagten ein Wertpapierdepot.

Am 17.11.2005 wurde durch den Mitarbeiter der Beklagten XXX ein Risikoprofil der Klägerin erstellt. In diesem Risikoprofil gab die Klägerin hinsichtlich ihrer Vermögenssituation an, bei der XXX über ein Gesamtvermögen in Höhe von 61.546 € sowie über Immobilien zu verfügen. Weitere Angaben zu den Vermögensverhältnissen wurden nicht gemacht.

Das Risikoprofil enthält weiterhin eine Rubrik "Ihre Risikoeinstellung", unter der der Klägerin Aussagen vorgegeben wurden, hinsichtlich derer diese in vier Stufen zwischen "stimme nicht zu" und "stimme voll zu" ihre Einstellung angeben sollte. Es finden sich dort die folgenden Angaben:

Bei meinen Anlagen steht ausschließlich die Sicherheit im Vordergrund stimme voll zu

In Geldangelegenheiten gehe ich nur ungern ein Risiko ein stimme voll zu

Auch kurzfristige Verlustmöglichkeiten möchte ich auf jeden Fall vermeiden stimme voll zu

Ich möchte gerne höhere Renditen erzielen und bin bereit, dafür Risiken zu akzeptieren stimme zu

Auch wenn nur ein Teil meines Vermögens verloren geht, würde mich das stark belasten stimme zu

Bei der darauf folgenden Frage nach der bevorzugten Anlageform ist in dem Risikoprofil die Anlageform mit einer Rendite von 1 % bis 3 % angekreuzt.

In einer weiteren Rubrik, unter der gefragt wird, für welche Anlageformen bei dem Kunden die notwendige Kenntnisse bzw. Erfahrungen für eine fundierte Anlageentscheidung vorliegen, ist die Gruppe drei (Rentenfonds Global [nicht €], Mischfonds [nicht €]-Rentenfonds; Aktienfonds [€] etc.) angekreuzt.

Bei der darauf folgenden Wahlmöglichkeit zwischen den Anlagestrategien "Konservativ" mit einem maximalen Risikoanteil von 35 % und "Sicherheit" mit einem maximalen Risikoanteil von 20 % ist die Variante "Sicherheit" angekreuzt. Darunter folgen die Angaben: "Unsere Einschätzung: Konservativ" sowie "Ihre Wahl: Sicherheit".

Schließlich enthält das Profil die Vorgabe, dass Aufträge nur in Übereinstimmung mit dem Risikoprofil ausgeführt werden sollen.

Nach einem Beratungsgespräch mit dem Mitarbeiter XXX am 26.07.2009 kaufte die Klägerin mit Auftrag vom 02.08.2006 10 Stück BRIC-Anleihen der XXX Co. B. V. (im Folgenden: Emittentin) mit der ISIN XXX, Wertpapierkennummer XXX, zum Ausgabepreis von 1.030 € pro Stück. Diese Anleihe unterliegt einem auf die Aktienmärkte Brasiliens, Russlands, Indiens und Chinas (BRIC) bezogenen Index. Sie fällt unter die Wertpapierrisikoklasse 2. Die Anleihe verfügt über einen 100%igen Kapitalschutz unabhängig von der Entwicklung der zugrunde liegenden Börsenindizes. Dies bedeutet, dass der Anleger auch bei einer negativen Kursentwicklung - vorbehaltlich einer Insolvenz des Emittenten - sein eingesetztes Kapital zurückerhält.

In einer der Klägerin im Rahmen des Beratungsgesprächs ausgehändigten Produktinformation über die BRIC-Anleihe findet sich auf S. 7 unter der Überschrift "Risiken" der Hinweis, dass der Anleger das Kreditrisiko der Emittentin, der XXX Co. B.V, bzw. der Garantin, XXX Inc., trage.

Auf S. 8 der Produktinformation ist ein Ausgabeaufschlag zugunsten der Beklagten in Höhe von 3 % ausgewiesen. Diese Information findet sich auch in der Wertpapiersammelorder vom 26.07.2007.

Die Beklagte erhielt weiterhin einen Abschlussbonus in Gestalt eines Rabatts auf den Einkaufspreis für den Verkauf einer jeden BRIC-Anleihe in Höhe von 2 %. Hierzu enthält die Produktinformation den Hinweis, dass der Erwerb der Anleihe mit Kosten/Gebühren verbunden ist und dass die XXX darüber hinaus einen Bonus für Abschlüsse vom Emittenten erhält.

In der Wertpapiersammelorder findet sich auf Seite 8 der Hinweis, dass Anlagen in diese Produkte keine Bankanleihen sind und nicht durch die XXX, deren Töchter oder den Einlagensicherungsfonds garantiert sind.

Die Klägerin kaufte sowohl vor als auch nach dem Erwerb dieser Anleihen über die Beklagte Unternehmensanleihen sowie Zertifikate. So erwarb die Klägerin aufgrund eines Beratungsgesprächs am 26.11.2007 über die Beklagte XXX/USA Anleihen.

Im September 2008 meldete zunächst die XXX Inc. und in der Folge auch die Emittentin Insolvenz an. Aufgrund dieser Insolvenz sind die durch die Klägerin erworbenen Papiere praktisch wertlos.

Mit Schreiben vom 03.03.2009 wurde die Beklagte durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert, einen Betrag in Höhe von 10.300 € sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.275,68 € zu zahlen. Mit Schreiben vom 05.03.2009 lehnte es die Beklagte ab, den Forderungen nachzukommen.

Die Klägerin behauptet, sie sei in riskanten Geldanlagen völlig unerfahren und gewohnt, unter Vermeidung jedes Verlustrisikos nur in sichere Geldanlagen, insbesondere Sparbücher, Sparbriefe und festverzinsliche Wertpapiere zu investieren. Dies sei der Beklagten auch bekannt gewesen. Die Klägerin habe in dem Beratungsgespräch immer wieder ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anlage ihrer Alterssicherung bzw. der Deckung außergewöhnlicher Krankheitskosten im Alter dienen sollte. Sie habe ausdrücklich nach sicheren Anlagen gefragt.

Bei der streitgegenständlichen BRIC-Anleihe handele es sich um ein hochriskantes Wertpapier. Der Beklagten sei bereits vor dem Kauf der Papiere am 02.08.2006 bekannt gewesen, dass sich die Investmentbank XXX in erheblichen Schwierigkeiten befand, dass die XXX außerhalb der USA nur in sehr geringem Umfang sicherbares Vermögen für die Zertifikate besaß und seit Jahren Eigenkapital und Verbindlichkeiten zu Lasten des Eigenkapitals völlig außer Verhältnis standen. Dies ergebe sich aus einer Securities Note vom 28.06.2006 (Anlage K3). Die sich daraus ergebenden Risiken seien in dem Beratungsgespräch am 26.07.2006 überhaupt nicht angesprochen worden. Über das Risiko eines Totalverlustes infolge der Insolvenz der Emittentin sei die Klägerin nicht informiert worden.

Die Klägerin behauptet weiter, dass an die Beklagte Rückvergütungen bzw. Innenprovisionen in Höhe von deutlich über 15 % gezahlt worden seien, ohne dass darauf bei dem Beratungsgespräch hingewiesen wurde. Auch gehöre die Beklagte zum XXX Konzern, der die größte Gläubigerbank der XXX Inc. mit einem Engagement von 138 Milliarden US-Dollar sei. Die Klägerin ist der Ansicht, dass auch hierauf hätte hingewiesen werden müssen.

Soweit in dem Risikoprofil die Zustimmung der Klägerin zu dem Satz, wonach zugunsten einer höheren Rendite auch Risiken akzeptiert würden, sowie Erfahrungen der Klägerin mit Wertpapieren der Klasse 3 ausgewiesen seien, so beruhten diese Eintragungen nicht auf Angaben der Klägerin.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.300,00 € zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.08.2006, Zug um Zug gegen Übereignung des XXX Zertifikats mit der ISIN XXX zum Nennwert von 10.000 €

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 1.275,68 € zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2009

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass es sich bei der streitgegenständlichen Anleihe nicht um ein risikoreiches Papier handele. Die Möglichkeit einer Insolvenz der XXX Inc. sei zum Zeitpunkt der Anlageberatung lediglich rein theoretischer Natur gewesen. Nach dem Erwerb dieser Anleihe habe der maximale Risikoanteil im Depot der Klägerin bei 0 % gelegen. Dies ergebe sich daraus, dass der Risikoanteil eines Depots durch das Verhältnis von Wertpapieren der Risikoklasse 3 und darüber zum gesamten Depotwert bestimmt werde, die Risikoklasse der BRIC-Anleihe aber nur bei 2 liegt. Die Beklagte ist der Ansicht, dass bereits vor diesem Hintergrund eine fehlerhafte Beratung über das Anlagerisiko nicht in Betracht komme.

Darüber hinaus behauptet die Beklagte, dass der Klägerin in dem Beratungsgespräch vom 26.07.2006 insbesondere auch die Risiken und die Funktionsweise der BRIC-Anleihe durch den Mitarbeiter XXX anhand einer übersichtlichen und nur wenige Seiten umfassenden detaillierten Produktinformation Schritt für Schritt erläutert worden seien.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist zum überwiegenden Teil begründet.

I.

Die Klägerin kann von der Beklagten Erstattung des für die streitgegenständlichen Anleihen gezahlten Betrages in Höhe von 10.300 € nach § 280 Abs. 1 BGB verlangen.

1.

Zwischen den Parteien ist ein Beratungsvertrag zustande gekommen.

Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder der Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (vgl. BGHZ 100, 117, 118 f.).

2.

Die sich aus dem Beratungsvertrag ergebenden Beratungspflicht hat die Beklagte verletzt.

Inhalt und Umfang der Beratungspflicht hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Die Beratung muss anleger- und objektgerecht sein (BGHZ 123, 126 ff.). Der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarktes sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjektes ergeben, sind hierbei maßgeblich. Der Interessent ist über alle für die Anlageentscheidung relevanten Umstände und Risiken richtig und vollständig zu informieren (BGHZ 123, 126 ff.).

Die Beklagte ist ihrer Pflicht zur richtigen und vollständigen Anlageberatung nicht gerecht geworden. Die Beratungspflichtverletzung ist bereits darin zu sehen, dass die Beklagte der Klägerin die streitgegenständliche BRIC-Anleihe überhaupt als für sie geeignete Anlageform angeboten hat (vgl. vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2009 - XI ZR 152/08 - bei juris, dort Rn. 50). Jedenfalls hätte ein solches Angebot nicht ohne den ausdrücklichen und unmissverständlichen Hinweis erfolgen dürfen, dass mit dem Erwerb dieser Anleihe von den Vorgaben des am 17.11.2005 erstellten Risikoprofils abgewichen und damit die darin ausdrückliche festgehaltene Regelung, dass Aufträge nur in Übereinstimmung mit dem Risikoprofil ausgeführt werden sollen, letztlich außer Kraft gesetzt würde.

Das am 17.11.2005 erstellte Risikoprofil der Klägerin beschreibt in dem Teil, der auf den eigenen Angaben des Kunden zur Risikobereitschaft und zu den mit der Anlage verfolgten Zielen beruht, die Klägerin als überaus sicherheitsorientiert. So hat sich die Klägerin vollständig zu den Aussagen bekannt, dass bei ihren Geldanlagen Sicherheit im Vordergrund steht und dass sie in Geldangelegenheiten ungern Risiken eingeht. Weiterhin hat sie ihre Zustimmung zu der Aussage bekundet, dass sie auch durch einen teilweisen Vermögensverlust stark belastet würde. Nach ihrer bevorzugten Anlageform befragt, hat die Klägerin sich für eine Form entschieden, die eine nur geringfügige Rendite, dafür aber auch kein Risiko aufweist. Aus diesen Angaben ergibt sich, dass die Klägerin vor allem auf den Erhalt ihres Vermögens abzielte und dafür bereit war, nur geringfügige Gewinne hinzunehmen.

Mit diesem durch die Klägerin bekundeten Maß an Risikobereitschaft lässt sich die Empfehlung der streitgegenständlichen BRIC-Anleihe durch die Beklagte nicht in Einklang bringen.

Die streitgegenständlichen Anleihen bergen ungeachtet des 100%igen Kapitalschutzes am Laufzeitende das Risiko eines Totalverlustes aufgrund des Emittentenrisikos und der fehlenden Deckung durch die Einlagensicherung. Dieses - wenn auch nur im Extremfall - bestehende Sicherheitsrisiko eines vollständigen und endgültigen Kapitalverlustes ist weder mit einer in erster Linie auf Sicherheit ausgerichteten Anlagestrategie, noch mit dem Wunsch, auch kurzfristige Verlustmöglichkeiten zu verhindern, vereinbar.

Dem Vorstehenden steht nicht entgegen, dass sich aus dem Risikoprofil ebenfalls eine Zustimmung der Klägerin zu der Aussage ergibt, dass sie für höhere Rendite bereit ist, Risiken zu akzeptieren. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin tatsächlich eine entsprechende Angabe gemacht hat. Jedenfalls kann diese Angabe die sicherheitsorientierten Einstellung der Klägerin nicht in Zweifel ziehen, da sie in offenkundigem Widerspruch zu den übrigen Antworten der Klägerin sowie zu ihren Angaben zu der bevorzugten Anlageform stehen. Allenfalls kann ein solcher Widerspruch in den Angaben eines Kunden Anlass zu weiteren Nachfragen seitens der Bank sowie zu ergänzender Beratung durch diese sein.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die der Beratung zugrunde zu legende Risikoeinstufung der Klägerin nicht lediglich auf deren Antworten auf die genannten Fragen (Risikobereitschaft) beruht, sondern darüber hinaus auch deren wirtschaftliche Situation, also ihre Risikotragfähigkeit, und ihre Vorerfahrungen mit Wertpapieren berücksichtigt. Wenngleich auch diese Aspekte für das Ausmaß und die Intensität der dem Kunden geschuldeten Beratung von Bedeutung sind, so können sie jedenfalls nicht dazu führen, dass im Ergebnis ein durch den Kunden ausdrücklich artikulierter Wunsch nach einer stark sicherheitsorientierten Geldanlage außer Acht bleibt und ihm Geldanlagen angeboten werden, die das erkennbar nicht gewünschte Risiko eines Totalverlustes bergen.

Der vorstehend beschriebene Grundsatz zwingt indes eine Bank nicht dazu, einem Kunden entgegen einem durch diesen bekundeten grundsätzlichen Interesse an Wertpapieren etwa ausschließlich Festgeldanlagen anzubieten. Vielmehr ist es nicht ausgeschlossen, dass eine beratende Bank dem Kunden auch solche Anlageformen anbietet, die von der artikulierten Risikobereitschaft nicht mehr gedeckt sind. In diesem Fall hat aber die Bank den Kunden ausdrücklich auf den Widerspruch zum Risikoprofil hinzuweisen und ihm zu verdeutlichen, dass mit der angebotenen Anlageform sein Sicherheitsinteresse nicht mehr vollständig gewahrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2009 - XI ZR 152/08 - bei juris, dort Rn. 51). Eine derartige Beratung der Klägerin ist aber auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht ersichtlich. Soweit diese vorträgt, dass auf das Kredit- bzw. Emittentenrisiko zum einen in der Produktinformation und zudem im Rahmen der mündlichen Beratung hingewiesen worden sei, so reicht dies nicht aus, um eine Verletzung der Beratungspflicht auszuschließen, da nicht ersichtlich ist, dass der Klägerin zugleich auch die damit verbundene Diskrepanz zu ihrem Risikoprofil vor Augen geführt worden ist.

Ob die Beklagte über das Vorstehende hinaus weitere Beratungspflichten verletzt hat, bedarf keiner Entscheidung. Dies gilt etwa für die Frage, ob die Beklagte auf etwaige Geschäftsbeziehungen zwischen ihrem Mutterkonzern und der Emittentin hätte hinweisen müssen. Ebenfalls muss nicht entschieden werden, ob die Beklagte verpflichtet war, über den ihr durch die Emittentin gewährten Rabatt auf den Einkaufswert der Zertifikate in Höhe von 2 % hinzuweisen und ob die Beklagte diese Pflicht erfüllt hat.

3.

Die fehlerhafte Beratung war auch für die Anlageentscheidung ursächlich. Zwar trägt im Grundsatz der Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt, jedoch streitet dann, wenn eine Aufklärungspflichtverletzung feststeht, für den Anleger die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (BGH NJW 2009, 2298). Dies bedeutet, dass der Aufklärungspflichtige beweisen muss, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben, also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte.

Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht dadurch widerlegt, dass die Klägerin vor und nach dem Erwerb der streitgegenständlichen Anleihen auch noch andere, ebenfalls mit einem Totalverlustrisiko behafteten Wertpapiere erworben hat. Auch hinsichtlich dieser weiteren Papiere ist nämlich nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Klägerin auf die Unvereinbarkeit des Erwerbs dieser Papiere mit deren Risikoprofil hingewiesen hat. Vor diesem Hintergrund kann der Kauf weiterer Wertpapiere auch nicht als Indiz dafür herangezogen werden, dass es für die Klägerin nicht lediglich eine Möglichkeit des aufklärungsrichtigen Verhaltens gegeben hat bzw. dafür, dass die Klägerin auch im Falle der Aufklärung über die Abweichung von ihrem Risikoprofil die streitgegenständliche BRIC-Anleihe erworben hätte.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann auch der Vortrag der Klägerin zu früheren Investitionen in festverzinsliche Wertpapiere nicht dahingehend verstanden werden, dass der Erwerb von Papieren, denen das Risiko eines vollständigen Kapitalverlustes anhaftet, den Wünschen der Klägerin entsprach. Vielmehr hat die Klägerin insoweit vorgetragen, dass sie es gewohnt war, unter Vermeidung jedes Verlustrisikos nur in sichere Geldanlagen, insbesondere Sparbücher, Sparbriefe und festverzinsliche Wertpapiere zu investieren. Gerade die Tatsache, dass die Klägerin offenbar auch bei festverzinslichen Wertpapieren ein Kapitalverlustrisiko nicht für gegeben und diese Anlageform daher als ihren Sicherheitsbedürfnissen entsprechend erachtete, zeigt, dass insoweit ein Beratungs- und Aufklärungsbedürfnis der Klägerin bestand und dass es keineswegs ausgeschlossen war, dass die Klägerin im Falle eines Hinweises auf die Abweichung von ihrem Risikoprofil von dem Erwerb der streitgegenständlichen Anleihen abgesehen hätte.

4.

Die Pflichtverletzung ihres Beraters hat sich die Beklagte nach § 278 BGB zurechnen zu lassen.

II.

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Ersatz des entgangenen Zinsgewinns. Wird ein Kapitalanleger durch schuldhaft fehlerhafte oder unterlassene Aufklärung zu einer nachteiligen Anlageentscheidung bewogen, ist ihm nicht nur seine Einlage, sondern auch der Schaden zu ersetzen, der sich typischerweise daraus ergibt, dass Eigenkapital in beträchtlicher Höhe erfahrungsgemäß nicht ungenutzt bleibt (vgl. BGH NJW 1992, 1223, 1224). Der entgangene Anlagegewinn (§ 252 BGB) stellt eine selbständige Schadensposition dar und ist unmittelbar aus der den Gesamtanspruch tragenden Anspruchsgrundlage, vorliegend aus § 280 Abs. 1 BGB, zu ersetzen. Seine Höhe richtet sich nach dem im maßgeblichen Zeitraum allgemein üblichen Zinssatz, zu dem das Kapital nach der Lebenserfahrung angelegt worden wäre (vgl. BGH WM 1974, 128, 129; BGH WM 1980, 85; BGH NJW 1992, 1223, 1224).

Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass die Klägerin die eingezahlten Gelder seit dem Einzahlungs- bzw. Veräußerungszeitpunkt anderweitig gewinnbringend angelegt hätte, wenn sie aufgrund pflichtgemäßer Aufklärung die Geschäftsbeziehung zur Beklagten beendet hätte und es demgemäß nicht zu deren Empfehlung zu dem Erwerb der Zertifikate gekommen wäre. Insbesondere bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sie die entsprechenden Mittel auf anderem Wege in risikobehaftete Spekulationsgeschäfte investiert und dabei ebenfalls Verluste erwirtschaftet hätte.

Zwar hat die Klägerin nicht vorgetragen, in welche Alternativanlage sie investiert hätte. Es besteht aber die Vermutung einer Gewinn bringenden Anlage zu einem üblichen Zinssatz. Maßgeblich ist insoweit der Anlagegewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 BGB). Allerdings ist der geltend gemachte Zinssatz in Höhe von 5 % unter Berücksichtigung der Statistiken der Bundesbank als überhöht anzusehen. Im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO erachtet die Kammer einen Zinssatz in Höhe von 2,4 % als angemessen.

Ab dem Zeitpunkt der Ablehnung der Forderungen der Klägerin mit Schreiben der Beklagten vom 05.03.2009 ergibt sich der geforderte Zinsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Verzugs.

III.

Die begehrten Rechtsanwaltskosten sind gleichfalls aufgrund der zum Schadensersatz verpflichtenden Pflichtverletzung der Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB dem Grunde nach zu erstatten.

Der Ansatz einer Geschäftsgebühr von 2,0 erscheint jedoch auch unter Berücksichtigung von Umfang und Schwierigkeit der Sache sowie im Hinblick auf die Bedeutung der Sache für die Klägerin als übersetzt. Die Kammer erachtet demgegenüber eine Gebühr von 1,6 für ausreichend und angemessen. Ein Gebührengutachten war insoweit nicht einzuholen, da sich § 14 Abs. 2 RVG nur auf das Verhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber bezieht. Ein Anspruch besteht demnach lediglich in Höhe von 1025,30 €.

Der Zinsanspruch hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB. Er besteht ab dem Zeitpunkt der Ablehnung jeglicher Zahlungen durch die Beklagte mit Schreiben vom 05.03.2009.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Das Unterliegen hinsichtlich der geltend gemachten Zinsansprüche sowie hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten wirkt sich auf die Kostenentscheidung nicht aus, da es sich insofern um Nebenforderungen handelt, die nach § 43 Abs. 1 GKG nicht streitwerterhöhend wirken.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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