LG Kleve, Beschluss vom 31.05.2010 - 4 T 77/10
Fundstelle
openJur 2011, 74288
  • Rkr:

1. Besteht zwischen Arzt und Betreuer in dem nach § 1901 b BGB zu führenden Gespräch Einvernehmen darüber, dass die ERteilung, die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine lebenserhaltende ärztliche Behandlung (künstliche Ernährung mittels Ernährungssonde) dem in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen entspricht, und schaltet der Betreuer gleichwohl das Betreuungsgericht ein, so hat dieses lediglich auszusprechen, dass die Genehmigungsbedürftigkeit gemäß § 1904 Abs. 4 BGB nicht besteht (sog. Negativattest).

2. Vor Erteilung des Negativattestes hat aber das Betreuungsgericht zu Vermeidung eines Missbrauchs zu prüfen, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei dem Betroffenen ein irreversibles Grundleiden mit tödlichen Verlauf - sei es auch noch ohne Todesnähe - besteht, und die Auslegung der Patientenverfügung in dem vom Betreuer und dem behandelnden Arzt versandenen Sinne jdenfalls vertretbar erscheint.

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Rheinberg vom 09.02.2010 wird aufgehoben.

Die Entscheidung des Betreuers, die künstliche Ernährung mittels einer Ernährungssonde bei der Betroffenen einzustellen, bedarf keiner vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung

Gründe

I.

Die Betroffene erlitt am 26.06.2007 einen Hinterwandinfarkt und befindet sich in einem sog. Wachkoma verbunden mit einer schwersten muskulären Tetraspastik. Seit dem 14.09.2007 wird die Betroffene auf der Wachkomastation des Marienstiftes in B gepflegt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Zz vom 26.11.2007 wurde der Ehemann der Betroffenen, der Beteiligte zu 1), zum Betreuer der Betroffenen für alle Angelegenheiten bestellt.

Mit Schreiben vom 21.07.2008 (Bl. 39 f. GA) beantragte der Beteiligte zu 1) die "Einstellung der Einnahme von Nahrung und Flüssigkeit". Zur Begründung verwies er u.a. auf das sozialmedizinische Gutachten vom 12.06.2008 (Bl. 44 ff. GA) . Weiter führte er aus, dass lebensverlängernde Maßnahmen nicht mehr angebracht seien, da sie Betroffene an einer schweren schmerzhaften spastischen Lähmung leide. Mit Schreiben vom 15.09.2008 reichte der Beteiligte zu 1) eine sog. Patientenverfügung der Betroffenen vom 21.02.2005 zur Akte. Hinsichtlich des genauen Inhaltes wird auf diese verwiesen (Bl. 61 GA). Mit Beschluss des Amtsgerichts Zz vom 08.01.2009 (AZ: 2 XVII 418/07, Bl. 69 ff. GA) wurde der Antrag des Beteiligten zu 1) abgelehnt. Zur Begründung führte das Amtsgericht u.a. aus, dass nicht ersichtlich sei, dass das Grundleiden der Betroffene einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen habe. Zudem sei der Abbruch der Ernährung durch die PEG-Sonde nicht durch die Patientenverfügung gedeckt.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 4. Dezember 2009 (Bl. 78 f. GA) hat der Beteiligte zu 1) beantragt, seine Entscheidung, die künstliche Ernährung mittels Ernährungssonde bei der Betreuten einzustellen, vormundschaftlich zu genehmigen. Zur Begründung führte er u.a. an: Der Gesundheitszustand der Betroffenen habe sich drastisch verschlechtert. Nunmehr stehe fest, dass sie für immer ohne Bewusstsein sein werde und kognitive Denkvorgänge der Großhirnrinde unmöglich seien. Die schweren Krampfanfälle hätten derart zugenommen, dass es insbesondere an den Fingern schon zu Brüchen gekommen sei. Eine Behandlung der Verkrampfungen sei nicht möglich, so dass alternativ bereits die Amputation der Extremitäten angedeutet worden sei. Die Einstellung der künstlichen Ernährung entspreche dem Willen der Betroffene, der in der Patientenverfügung vom 21.02.2005 zum Ausdruck gekommen sei. Daher hätten zwei der derzeit behandelnden Ärzte festgestellt, dass die Betroffene kein menschenwürdiges Leben mehr führe.

In einem Schreiben des behandelnden Arztes Dr. xx vom 22.11.2009 (vgl. Anlage 2, Bl. 85 GA) heißt es u.a., dass bei der Betroffenen ein qualvoller Sterbeprozess eingesetzt habe und er nach reiflicher Überlegung und Abwägung dringend zur Einstellung der künstlichen Ernährung raten möchte. In dem Schreiben des weiteren behandelnden Arztes Dr. aa vom 24.11.2009 (vgl. Anlage 3, Bl. 86 GA) führte dieser u.a. aus, dass er über die Patientenverfügung informiert sei und er sich mit dem Beteiligten zu 1) darüber unterhalten habe. Eine Behandlung sei nicht möglich, so dass die Betroffene aufgrund der schweren Hirnschädigungen "kein menschenwürdiges Leben" mehr führe.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Zz von 09.02.2010 ist der Antrag des Beteiligten zu 1), die Einstellung der künstlichen Ernährung zu genehmigen, zurückgewiesen worden. Zur Begründung führte das Amtsgericht u.a. aus: Auch nach der Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Betroffenen sei nicht ersichtlich, dass das Grundleiden der Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen habe. Im Übrigen sei die Einstellung der künstlichen Ernährung nicht von ihrer Patientenverfügung erfasst, die eng auszulegen sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Betroffene Hungers sterben wolle.

Hiergegen hat der Beteiligte zu 1) mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03.03.2010 Beschwerde eingelegt, mit der er u.a. ausgeführt hat, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung dem Willen der Betroffenen, wie er in der Patientenverfügung zum Ausdruck gekommen sei, entspreche. Mit Beschluss vom 05.03.2010 hat des Amtsgerichts Zz der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

Die Kammer hat mit Verfügung vom 22.04.2010 (vgl. Bl. 120 GA) schriftliche Stellungnahmen der behandelnden Ärzte Dr. xx und Dr. aa zu der Frage eingeholt, ob im Rahmen eines Gespräches zur Feststellung des Patientenwillens der Betroffenen zwischen den behandelnden Ärzten und dem Betreuer Einvernehmen darüber erzielt worden ist, dass die Beendigung der künstlichen Ernährung der Betroffenen über die Ernährungssonde dem in ihrer Patientenverfügung vom 21.02.2005 erkennbar gewordenen Willen entspricht. Dies ist von dem behandelnden Arzt Dr. xx mit Schreiben vom 03.05.2010 (Bl. 125 GA) und von dem behandelnden Arzt Dr. aa mit Schreiben vom 05.05.2010 (Bl. 126 GA) bestätigt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist gemäß den §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 und 303 Abs. 1 FamFG zulässig. In der Sache führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Antrag des Betreuers vom 4. Dezember 2009 ist unzulässig, weil - wie noch auszuführen sein wird - die Genehmigungsbedürftigkeit gemäß § 1904 Abs. 4 BGB nicht gegeben und eine Entscheidung in der Sache (Genehmigung der Entscheidung des Betreuers) daher nicht erforderlich ist (§ 1904 Abs. 4 BGB). Da das Amtsgericht im Widerspruch hierzu mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag des Beteiligten zu 1), die Einstellung der künstlichen Ernährung zu genehmigen, zurückgewiesen hat, bedarf es der förmlichen Aufhebung des Beschlusses.

1.

Die mit Anwaltsschriftsatz vom 4. Dezember 2009 (Bl. 78 f. GA) beantragte vormundschaftliche Genehmigung der Entscheidung des Betreuers, die künstliche Ernährung mittels Ernährungssonde bei der Betreuten einzustellen, beurteilt sich nach "neuem" Recht (§ 298 FamFG, §§ 1901a und b, 1904 BGB n. F.).

Das FamFG ist Teil des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz - FGG-RG), das am 1. September 2009 in Kraft getreten ist und das FGG ersetzt hat, Art. 112 Abs. 1 FGG-RG. Auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des FGG-RG eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes beantragt wurden, sind die vor dem Inkrafttreten des FGG-RG geltenden Vorschriften anzuwenden; dabei stellt ein selbständiges Verfahren im Sinne der vorbezeichneten Vorschrift jedes gerichtliche Verfahren dar, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, Art. 111 Abs. 1 S. 1 sowie Abs. 2 FGG-RG.

Die Übergangsregelung des Art. 111 FGG-RG erstreckt sich einheitlich auf die Durchführung des Verfahrens in allen Instanzen: Ist das Verfahren in I. Instanz noch nach "altem Recht" eingeleitet worden, erfolgt auch die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nach früher geltendem Recht. Mit anderen Worten findet die Rechtsmittelvorschrift des "neuen" Rechts nur Anwendung, wenn bereits das erstinstanzliche Verfahren nach dem FamFG geführt wurde (vgl. Beschluss des OLG Düsseldorf vom 11. Januar 2010, Az.: I-3 Wx 265/09).

Im vorliegenden Fall stellte der Beschluss des Amtsgerichts Zz vom 8. Januar 2009 (Bl. 69 f. GA), mit dem der Antrag des Betreuers vom 21. Juli 2008 auf Genehmigung der "Einstellung der Einnahme von Nahrung und Flüssigkeit" durch die Betroffene zurückgewiesen wurde, eine Endentscheidung im Sinne des § 111 Abs. 2 FGG-RG dar. Denn eine Endentscheidung im genannten Sinne ist nach der Legal- definition in § 38 Abs. 1 S. 1 FamFG jede Entscheidung, durch die der Verfahrensgegenstand ganz oder teilweise erledigt wird. Das hat zur Folge, dass der mit Anwaltsschriftsatz vom 4. Dezember 2009 (Bl. 78 ff. GA) gestellte Antrag des Betreuers auf vormundschaftliche Genehmigung der Entscheidung, die künstliche Ernährung mittels Ernährungssonde bei der Betreuten einzustellen, als "neuer" Antrag zu bewerten ist, für den das "neue" Recht gilt.

2.

Durch das Gesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286; 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz), das zeitgleich mit dem FamFG in Kraft getreten ist, wurde erstmals eine gesetzliche Regelung zur Verweigerung bzw. zum Widerruf der Einwilligung des Betreuers in die lebenserhaltende ärztliche Behandlung getroffen. Die Regelung lehnt sich eng an die im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. März 2003 an (vgl. BGH NJW 2003, 1588 f.). Nach der Neuregelung des § 1904 Abs. 2 BGB bedarf die Erklärung des Betreuers, die künstliche Ernährung mittels Ernährungssonde bei der Betreuten einzustellen, an sich der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Das Genehmigungserfordernis des § 1904 Abs. 2 BGB dient hierbei dem Schutz des Betroffenen. Die Kontrolle durch das Betreuungsgericht wird aber in den beiden folgenden Absätzen von § 1904 BGB wieder eingeschränkt, indem in Abs. 3 die gerichtliche Genehmigung erleichtert und in Abs. 4 sogar gänzlich darauf verzichtet wird. Dem Gesetzgeber erschien es als ausreichende Sicherung, wenn der genehmigungsbedürftige ärztliche Eingriff oder dessen Unterbleiben bzw. der Widerruf der Einwilligung durch den Betreuer gegebenenfalls obendrein auch noch im Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt "dem Willen des Betroffenen entspricht." Gemäß § 1904 Abs. 4 BGB ist deswegen die Einschaltung des Betreuungsgerichts nicht erforderlich, wenn zwischen Arzt und Betreuer in dem nach § 1901 b BGB zu führenden Gespräch Einvernehmen darüber erzielt wird, dass die Erteilung, die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung jedenfalls dem in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen entspricht. Der nicht gänzlich auszuschließenden Missbrauchsgefahr wird hierbei zum Einen dadurch wirksam begegnet, dass jeder Dritte, insbesondere auch andere Vertrauenspersonen, aufgrund des Amtsermittlungsprinzips jederzeit die Entscheidung des Betreuers überprüfen lassen kann (vgl. Palandt/ Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1904 Rdnr. 20 u. 22; Budde, in Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 298 Rdnr. 5). Zum Anderen geht auch vom Strafrecht eine wirksame Prävention aus; denn bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für ein sachfremdes oder gar kollusives Zusammenwirken müssen Arzt und Betreuer mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen eines Körperverletzungs- oder gar Tötungsdelikts rechnen (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 19). Liegt - wie vorliegend - kein Verdacht auf einen Missbrauch vor, soll die Umsetzung des Patientenwillens aber nicht durch ein - sich ggf. durch mehrere Instanzen hinziehendes - vormundschaftsgerichtliches Verfahren belastet werden. Die Durchsetzung des Patientenwillens würde erheblich verzögert oder gar unmöglich gemacht, da für die Dauer des Verfahrens die in Rede stehenden Maßnahmen in der Regel zunächst nicht eingeleitet werden können oder eingeleitet oder fortgeführt werden müssten und damit massiv in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingegriffen würde. Das gilt sowohl für die Einwilligung des Betreuers in eine Maßnahme nach § 1904 Abs. 1 als auch die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung nach Absatz 2 (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 19).

Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ein bestimmtes Geschäft nach dem Gesetz keiner Genehmigung bedarf, hat es einen entsprechenden Antrag abzuweisen bzw. ein Negativzeugnis auszustellen. Darin liegt schon deshalb keine konkludente Genehmigung, weil eine Prüfung der Interessen des Betroffenen durch das Gericht in der Regel gar nicht stattgefunden hat (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1828 Rdnr. 18 m.w.N.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall war lediglich ein Negativattest zu erteilen, also das Zeugnis, dass die von dem Beteiligten zu 1) beantragte Genehmigung nicht erforderlich ist. Ausweislich der mit Anwaltsschriftsatz vom 4. Dezember 2009 vorgelegten Bestätigung des Dr. xx vom 22. November 2009 (Anl. 2 = Bl. 85 GA) und der Bestätigung des Dr. aa vom 24. November 2009 (Anl. 3 = Bl. 86 GA) besteht zwischen den beiden genannten Medizinern als "behandelnden Ärzten" (§ 1904 Abs. 4 BGB) und dem Betreuer Einvernehmen darüber, dass die Beendigung der künstlichen Ernährung der Betroffenen über Ernährungssonde dem in ihrer Patientenverfügung vom 21. Februar 2005 (Anl. 1 = Bl. 84 GA) erkennbar gewordenen Willen entspricht (§ 1901 a Abs. 1 BGB). Diesbezüglich hat es auch ausweislich des Inhaltes der vorzitierten ärztlichen Bestätigungen zwischen den behandelnden Ärzten und dem Betreuer ein Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens der Betroffenen gegeben (§ 1901 b BGB). Dies wurde von den behandelnden Ärzten Dr. xx und Dr. aa ausdrücklich nochmals in ihren Schreiben vom 03.05.2010 (Bl. 125 GA) und vom 05.05.2010 (Bl. 126 f. GA) bestätigt. Beide Ärzte führten an, dass zwischen ihnen und dem Betreuer Einigkeit darüber besteht, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung dem Willen der Betroffenen entspricht, wie er in der Patientenverfügung vom 21.02.2005 zum Ausdruck gekommen ist.

Weiter hat auch der Verfahrenspfleger der Betroffenen mit den Anwaltsschriftsätzen vom 13. April 2010 (Bl. 115 GA) und vom 28. Dezember 2009 (Bl. 116 GA) zum Ausdruck gebracht, dass auch er die Einstellung der künstlichen Ernährung der Betroffenen als durch ihren in der Patientenverfügung vom 21. Februar 2005 erklärten Willen der Betroffenen abgedeckt sieht. Damit ist den Erfordernissen des § 1904 Abs. 4 BGB im Ergebnis umfassend Genüge geleistet.

3.

Die Erklärung des Betreuers, die künstliche Ernährung der Betroffenen mittels Ernährungssonde einzustellen, bedarf auch nicht deswegen der Genehmigung des Betreuungsgerichtes, weil - so das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss - der Sterbeprozess der Betroffenen noch nicht eingesetzt hat und sich ihrer Patientenverfügung auch nicht ausreichend entnehmen lässt, dass die Betroffene "Hungers sterben will".

Ein Leiden mit irreversiblem tödlichen Verlauf liegt nicht nur dann vor, wenn der Tod in kurzer Zeit bevorsteht. Insoweit ist vielmehr zwischen Hilfe beim Sterben, kurz: Sterbehilfe, und Hilfe zum Sterben oder Sterbehilfe im weiteren Sinne zu differenzieren. Sterbehilfe setzt danach voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Doch auch in dem Fall, in dem der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist danach der Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahme bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit grundsätzlich anzuerkennen. Für diesen Fall sind jedoch an die Annahme des mutmaßlichen Willens erhöhte Anforderungen zu stellen gegenüber der Sterbehilfe im eigentlichen Sinne. Aus der Differenzierung der Sterbehilfe folgt demnach nicht, dass dann, wenn das Kriterium des "unmittelbar bevorstehenden Todes" fehlt, die Genehmigung der Einwilligung in den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen nicht erteilt werden darf, sondern es werden lediglich höhere Anforderungen an die Ermittlung und Annahme des mutmaßlichen Willens gestellt. Dass der Bundesgerichtshof das Kriterium des unmittelbar bevorstehenden Todes nicht für maßgeblich erachtet, erhellt die Feststellung, dass das Vormundschaftsgericht der Entscheidung des Betreuers zustimmen müsse, wenn feststehe, dass die Krankheit des Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen habe und die ärztlicherseits angebotene Behandlung dem früher erklärten und fortgeltenden Willen des Betroffenen, hilfsweise dessen (individuell-) mutmaßlichen Willen widerspreche (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 2004, 1882 f. m.w.N, dort noch zum "alten Recht"; Palandt/Diederichsen, a.a.O., BGB, § 1901 a Rdnr. 7).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kommt allerdings die Einwilligung des Betreuers in den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen nur in Betracht, falls bei dem Betroffenen tatsächlich auch ein irreversibles Grundleiden mit tödlichem Verlauf - gegebenenfalls noch ohne Todesnähe - besteht und hierüber in dem zwischen Arzt und Betreuer nach § 1901 b BGB zu führenden Gespräch Einvernehmen herrscht. Erst in der genannten Situation stellt sich dann auch die weitere Frage, ob sich beide ebenfalls darin einig sind, dass die Erteilung, die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung jedenfalls dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen entspricht. Denn ist dies der Fall, aber auch nur dann, ist - wie ausgeführt - die Einschaltung des Betreuungsgerichts gemäß § 1904 Abs. 4 BGB entbehrlich. Der eingangs genannte Gesichtspunkt verpflichtet hierbei das Betreuungsgericht auch, vor der Erteilung des Negativattestes jedenfalls zu prüfen, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei dem Betroffenen ein irreversibles Grundleiden mit tödlichem Verlauf - sei es auch noch ohne Todesnähe - vorliegt, und die Auslegung der Patientenverfügung in dem vom Betreuer und dem behandelnden Arzt verstandenen Sinne jedenfalls vertretbar erscheint. Denn nur wenn kein Verdacht auf einen Missbrauch vorliegt, soll ausweislich der amtlichen Begründung (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 19) die Umsetzung des Patientenwillens nicht durch ein - sich ggf. durch mehrere Instanzen hinziehendes - vormundschaftsgerichtliches Verfahren belastet werden. Insoweit macht es aber keinen Unterschied, ob zur Vermeidung der nicht auszuschließenden Missbrauchsgefahr ein Dritter, insbesondere eine andere Vertrauensperson, die Entscheidung des Betreuers überprüfen lassen will oder sich dieser selbst mit der entsprechenden Zielrichtung an das Betreuungsgericht wende.

Von solchen zureichenden tatsächlichen Anhaltpunkten für ein irreversibles Grundleiden der Betroffenen mit tödlichem Verlauf - allerdings ohne Todesnähe - ist hier nach den übereinstimmenden Bewertungen der behandelnden Ärzte aber auszugehen. Auch legt die Auslegung der Patientenverfügung vom 21.02.2005 nahe, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung in dieser Situation von der Betroffenen gewollt und damit das von dem Betreuer und den behandelnden Ärzten zugrunde gelegte Verständnis jedenfalls vertretbar ist. All das lässt die Gefahr des Missbrauchs als ausreichend ausgeräumt erscheinen.

Nach den Ausführungen im Attest des Dr. med. xx vom 22. November 2009 (Anl. 2 = Bl. 85 GA) besteht bei der Betroffenen als Folge eines Myokardinfarktes ein hypoxischer Hirnschaden und hat sich ihr Krankheitsbild seitdem trotz aufwendiger medizinischer Maßnahmen zunehmend verschlechtert. Die bestehenden Schädigungen können nicht mehr geheilt werden, auch von einer Besserung und Linderung sei in keinem Fall mehr auszugehen. Die Erkrankung werde "in jedem Fall einen tödlichen Verlauf nehmen". Bei der Betroffenen habe auch - so Dr. xx abschließend - bereits ein qualvoller Sterbeprozess eingesetzt, welcher auch durch verschiedene Medikamente nicht mehr gelindert werden könne. Insoweit führe die Fortsetzung der künstlichen Ernährung nur zu einer qualvollen Leidensverlängerung für sie.

Dieselbe Einschätzung findet sich auch in den ärztlichen Attesten des Dr. med. aa vom 24. November 2009 (Anl. 3 = Bl. 86 GA) und vom 5. Mai 2010 (Bl. 126 GA). Insbesondere im letztgenannten Schreiben führt Dr. aa aus: Wie bekannt, habe die Betroffene einen ausgeprägten Herzinfarkt mit Herzstillstand erlitten. Die anschließende Wiederbelebung habe zu einer Sauerstoffmangelsituation im Gehirn geführt, so dass es zu einer Dezerebration und in deren Folge zu einem Wachkomazustand gekommen sei. Er selbst betreue die Betroffene seit 2007. Während der zurückliegenden 2 ½ Jahre habe sich ihr Zustand nicht verbessert oder stabilisiert. Im Gegenteil seien trotz hoher Medikation immer wieder epileptische Anfälle aufgetreten, welche nicht zum Stillstand hätten gebracht werden können. Aufgrund der schweren Hirnschädigung führe die Betroffene kein "menschenwürdiges Leben" mehr und sei - so Dr. aa - eine Behebung ihrer schweren Hirnschädigung "nicht möglich".

Exakt diese Situation hat aber die Betroffene in ihrer Patientenverfügung vom 21.02.2005 angesprochen. Dort erklärt sie ausdrücklich, "dass im Falle einer zum Tode führenden Krankheit von allen lebensverlängernden Maßnahmen abzusehen ist" und sie keine Therapie mehr will, "wenn mindestens zwei Ärzte festgestellt haben, dass ich kein menschenwürdiges Leben mehr führen kann und meine Schädigung nicht mehr zu beheben ist." Insoweit trifft die aktuelle Lebenssituation auf die Festlegungen der Patientenverfügung zu (§ 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB), auch wenn nicht ausdrücklich von der "Einstellung der künstlichen Ernährung" die Rede ist. Damit ist dem Bestimmtheitsgebot ausreichend Rechnung getragen und die Auslegung der Patientenverfügung in dem vom Betreuer und dem behandelnden Arzt verstandenen Sinne jedenfalls vertretbar. Denn maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt, sondern dass er umschreibend festgelegt hat, was er in bestimmten Lebens- und Behandlungssituationen wollte. Der Patientenverfügung muss sich also lediglich eine bestimmte Entscheidung für oder gegen den aktuellen und konkret in Frage stehenden ärztlichen Eingriff entnehmen lassen (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1901 a Rdnr. 18 m.w.N.). Das ist hier aber aus den genannten Gründen ausreichend zu bejahen.

An der Richtigkeit der vorstehend zitierten ärztlichen Ausführungen zum Erkrankungszustand der Betroffenen zweifelt die Kammer nicht. Vor diesem Hintergrund bedarf es aber im Streitfall keiner vormundschaftlichen Genehmigung der Entscheidung des Betreuers, die künstliche Ernährung mittels Ernährungssonde bei der Betreuten einzustellen. Denn - wie ausgeführt - sind sich die behandelnden Ärzte und der Betreuer in dem nach § 1901 b BGB zu führenden Gespräch auch in zumindest vertretbarer Weise darüber einig geworden, dass der Widerruf des Betreuers in die lebenserhaltende ärztliche Behandlung dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen entspricht. Für diesen Fall soll jedoch die Umsetzung des Patientenwillens gerade nicht durch ein - sich gegebenenfalls durch mehrere Instanzen hinziehendes - vormundschaftsgerichtliches Verfahren belastet werden.