OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.2010 - 2 Ws 18/10
Fundstelle
openJur 2011, 73855
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 KLs 34 Js 449/09
Tenor

Die sofortige Beschwerde wird mit der Maßgabe verworfen, dass festgestellt wird, dass der angefochtene Beschluss lediglich insoweit rechtswidrig ist, als die Überwachung des Schriftverkehrs auf den Berichterstatter der Strafkam-mer übertragen worden ist.

Die Kosten des Rechtsmittels hat der Angeklagte zu tragen.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 19. Januar 2010 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Angeklagte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Witten in dieser Sache in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hagen in der Zeit vom 16. Juli 2009 bis zum 19. Januar 2010. Der Haftbefehl, der neben dem Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) auch auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 b StPO) gestützt worden ist, ist in der Hauptverhandlung am 19. Januar 2010 nach der Urteilsverkündung gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt worden.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 18. Dezember 2009 hatte die 1. große Strafkammer des Landgerichts Bochum gemäß § 119 Abs. 1 StPO in der ab dem 01. Januar 2010 geltenden Fassung mit Wirkung ab dem 01. Januar 2010 angeordnet:

"Der Empfang von Besuchen, die Telekommunikation und die Ausantwortung bedürfen der Erlaubnis. Besuche sind optisch und akustisch zu überwachen.

Der Schrift und Paketverkehr ist zu überwachen.

Die Überwachung von Besuchen, der Telekommunikation und des Paketverkehrs wird der Staatsanwaltschaft übertragen, die sich dazu der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und der Vollzugsanstalt bedienen kann.

Die Überwachung des Schriftverkehrs erfolgt durch den Berichterstatter der Kammer.

Die Übergabe von Gegenständen mit Ausnahme einer Schachtel Zigaretten und einer Tafel Schokolade je Besuch bedarf der Erlaubnis.

Der Verkehr des Angeklagten mit seinen Verteidigers und dem in § 119 Abs. 4 Satz 2 StPO genannten Personenkreis bleibt unberührt."

Zur Begründung heißt es, dass dem Angeklagten zahlreiche Vergehen und Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt werden, was einen erheblichen Fluchtanreiz darstelle.

Sein nach Aktenlage anzunehmender umfangreicher und langzeitiger Rauschgifthandel lasse besorgen, dass er ohne die angeordneten Maßnahmen auch in der Justizvollzugsanstalt mit Rauschgift handeln würde.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 29. Dezember 2009, der die 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum mit Beschluss vom 30. Dezember 2009 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat. In der Nichtabhilfeentscheidung heißt es, dass nach der Gesetzesbegründung zu § 119 StPO n.F. Beschränkungen nach § 119 StPO nicht nur auf den oder die im Haftbefehl genannten Gründe gestützt werden könnten. Vielmehr könnten sie auch zur Abwehr aller anderen Gefahren angeordnet werden. So liege es hier. Bei dem Angeklagten liege Wiederholungsgefahr vor.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

II.

Die zulässige Beschwerde war in dem tenorierten Umfang als unbegründet zu verwerfen.

1.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO).

a.

Sie ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft (vgl. § 119 Abs. 5 Satz 1 HS 2 StPO). Sie ist nicht gemäß § 305 Satz 1 StPO als Entscheidung des erkennenden Gerichts ausgeschlossen, da es sich um eine Entscheidung über eine Verhaftung im Sinne des § 305 Satz 2 StPO handelt. Der Begriff der Verhaftung im Sinne des § 305 Satz 2 StPO ist weiter als der des § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1, Abs. 5 StPO und umfasst auch die Anordnungen gemäß § 119 Abs. 1 StPO (vgl. BT-Drucksache 16/11644, S. 30; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06. Dezember 1996 - 3 Ws 321/96, 3 Ws 322/96-, zitiert nach juris Rn. 6; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 305 Rdnr. 7).

b.

Der Zulässigkeit steht auch nicht deshalb ein fehlendes Rechtsschutzinteresse des Angeklagten entgegen, weil er mit Beschluss der Strafkammer vom 19. Januar 2010 von der Untersuchungshaft verschont worden und damit - zumindest derzeit - durch die in dem angefochtenen Beschluss angeordneten Maßnahmen nicht mehr beschwert ist (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1996 - 2 BvR 2137/95-, zitiert nach juris Rn. 21; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 119 Rd. 49). Der Beschwerdeführer kann sich aber unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr auf ein fortwirkendes Rechtsschutzbedürfnis berufen, da der Haftbefehl nur außer Vollzug gesetzt wurde, so dass ein neuerlicher Vollzug der Untersuchungshaft und vergleichbare Anordnungen, wie sie hier angegriffen werden, nicht fern liegen (vgl. BVerfG, a.a.O.; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 31. Mai 2005 - 2 BvR 1673/04,

2 BvR 2402/04 -, zitiert nach juris Rn. 32; Beschluss vom 03. März 2004

- 1 BvR 461/03 -, zitiert nach juris Rn. 27; Beschluss vom 05. Dezember 2001

- 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00 -, zitiert nach juris Rn. 35).

Er wäre dann erneut den in dem angefochtenen Beschluss getroffenen Beschränkungen ausgesetzt .

2.

Die danach zulässige Beschwerde hat jedoch in der Sache nur in dem tenorierten Umfang Erfolg.

a.

Der angefochtene Beschluss war nicht bereits deshalb aufzuheben, weil er unter Verstoß gegen die ausdrückliche Zuständigkeitsregelung der §§ 119 Abs. 61 Satz 3, 126 Abs. 2 Satz 3 StPO zustande gekommen ist.

Danach ist für die Anordnung der Beschränkungen ausschließlich der Vorsitzende der Strafkammer zuständig. Eine allgemeine Auffangzuständigkeit des Kollegialgerichts besteht insoweit nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Januar 2009

- 2 Ws 388/08; OLG Hamm, NJW 1969, 1865; OLG München, StV 1995, 140, 141; OLG Frankfurt, StV 1988, 536). Dennoch führt dieser Verstoß gegen die funktionelle Zuständigkeit nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung an den Strafkammervorsitzenden, sondern der Senat entscheidet entsprechend § 309 Abs. 2 StPO in der Sache selbst (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom

02. Februar 2010 - 2 Ws 14/10; so auch: OLG Hamm, Beschluss vom

16. Dezember 2003 - 4 Ws 675/03 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom

16. Oktober 1973 - 2 Ws 212/73).

Nach Ansicht des Senats vermag die Gegenmeinung (so noch der 4. Strafsenat des OLG Hamm, NJW 1969, 1985; vergleiche dazu ferner: OLG München, StV 1995, 140 f.) nicht zu überzeugen. Danach soll der Beschluss aufzuheben und zurückzuverweisen sein, da nicht auszuschließen sei, dass die Mitwirkung der Beisitzer die Entscheidung beeinflusst habe und eine Entscheidung durch das Beschwerdegericht dem Verlust einer Instanz gleichkäme (vergleiche dazu: OLG Hamm, NJW 1969, 1985; OLG München, StV 1995, 140, 141 mit weiteren Nachweisen). Dem steht aber entgegen, dass alleiniger Zweck der Zuständigkeitsregelung, die im Vergleich zu den Sachentscheidungen untergeordnete Entscheidung über Maßnahmen nach § 119 StPO bewusst dem Kollegialgericht zu entziehen und allein dem Vorsitzenden anzuvertrauen, die beschleunigte Erledigung und damit eine reine Zweckmäßigkeitserwägung ist. Bei Berücksichtigung des Zwecks kann deshalb dem Umstand, dass das Kollegialgericht entschieden hat, nicht ein derartiges Gewicht zukommen, das zu einer Aufhebung der Entscheidung zwingt (vgl. Senatsbeschlüsse vom

02. Februar 2010 - 2 Ws 14/10 - sowie vom 13. Januar 2009 - 2 Ws 388/08; so auch: BayObLG, Beschluss vom 23. September 2004 - 6 StObWs 003/04 (11),

6 St ObWs 3/04 (11); 6 ObWs 3/04 - zitiert nach juris Rn. 7; OLG Karlsruhe, NJW 1974, 110; OLG Düsseldorf; MDR 1985, 603 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

b.

Die durch den angefochtenen Beschluss getroffenen Anordnungen sind mit Ausnahme der Übertragung der Überwachung des Schriftverkehrs auf den Berichterstatter rechtmäßig.

Gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 StPO können einem Untersuchungsgefangenen Beschränkungen auferlegt werden, soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a StPO) erforderlich ist.

Die Neuregelung des § 119 StPO ist zum 01. Januar 2010 in Kraft getreten (Artikel 1 und Artikel 8 des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom

29. Juli 2009, BGBl. I, 2274) und enthält keine vollzuglichen Regelungen mehr. Dem Untersuchungsgefangenen können danach Beschränkungen auferlegt werden, soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr

(§§ 112, 112a StPO) erforderlich ist. § 119 Abs. 1 StPO präzisiert die bisherige Regelung des 119 Abs. 3 Alt. 1 StPO a. F. ("Zweck der Untersuchungshaft"). Zur Klarstellung nennt § 119 Abs. 1 StPO n. F. die zulässigen Zwecke der Untersuchungshaft ausdrücklich. Eine sachliche Erweiterung oder Einschränkung ist damit nicht verbunden (BT-Drucksache 16/11644, S. 24).

In Nordrhein-Westfalen tritt am 01. März 2010 das Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen in Kraft (Untersuchungshaftvollzugsgesetz - UVollzG NRW, verkündet als Art. 1 des Gesetzes vom

27. Oktober 2009, GV. NRW. S. 540).

Für den Vollzug der Untersuchungshaft gilt bis zum Inkrafttreten der landesgesetzlichen Regelung § 119 StPO in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung, soweit dort der Vollzug der Untersuchungshaft geregelt ist, neben der ab dem 01. Januar 2010 geltenden Fassung fort (§ 13 EGStPO n. F.; BT-Drucksache 1613097, S. 20).

Auch nach Inkrafttreten des UVollzG NRW richten sich Beschränkungen, die dem Zweck der Untersuchungshaft dienen, nach § 119 Abs. 1 StPO n. F. Das UVollzG regelt nur solche Anordnungen, die die Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung betreffen, die zuvor in § 119 Abs. 3 Alt. 2 StPO a. F. geregelt waren. Nach Auffassung des Gesetzgebers ist eine gewisse Überschneidung der Regelungsbereiche unvermeidlich, aber unschädlich (vgl. BT-Drucksache 16/11644, S. 23 f.).

Der Untersuchungsgefangene darf unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung nur den unvermeidlichen Haftbeschränkungen unterworfen werden, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht werden. Grundrechtsbeschränkungen aufgrund des § 119 Abs. 1 StPO sind danach nur zulässig, wenn ein Haftzweck real gefährdet ist und dieses öffentliche Interesse nicht mit weniger einschneidenden Mitteln geschützt werden kann (vgl. BVerfG, NJW 1981, 1943; BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009 - 2 BvR 455/08, zitiert nach juris Rn. 27 mit weiteren Nachweisen).

aa) Die Anordnung der Überwachung des Schrift- und Paketverkehrs und der Telekommunikation genügt diesen Anforderungen. Aus der Beschlussformel des Landgerichts ergibt sich hinreichend deutlich, dass auch die Überwachung der Telekommunikation angeordnet wurde. Rechtsgrundlage ist § 119 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 StPO.

Zwar betrifft die Überwachung der Korrespondenz den sensiblen Grundrechtsbereich des Angeklagten aus Artikel 2 Abs. 1, Artikel 10 Abs. 1 und Artikel 6 GG, sowie Artikel 8 EMRK. Der Angeklagte hat grundsätzlich ein sich aus Artikel 2 Abs. 1, 10 Abs. 1 GG ergebendes Grundrecht auf unüberwachten und unkontrollierten Briefverkehr (BVerfG, NJW 2004, 1095, 1096; Senatsbeschluss vom 13. Januar 2009

- 2 Ws 388/08) und sonstigen Postverkehr, das heißt auch Paketverkehr (Pagenkopf, in Sachs, 5. Aufl. 2009, Artikel 10 GG Rn. 13), sowie auf unüberwachte Telekommunikation (vgl. BVerfGE 85, 386, zitiert nach juris Rn. 46 f.; BVerfG, NJW 2007, 2749, 2750). Das Recht aus Artikel 8 Abs. 1 EMRK, das nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm auch die private und familiäre Korrespondenz erfasst, steht auch inhaftierten Personen zu (EuGH MR, EuGZR 1992, 99). Das durch Artikel 2 Abs. 1 GG verbürgte Gebot auf Achtung der freien Entfaltung im privaten Bereich erfährt durch die verfassungsrechtliche Garantie von Ehe und Familie besondere Stärkung. Der Schutzbereich des Artikel 6 Abs. 1 GG erfasst auch das - hier durch die generelle Überwachung betroffene - Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern (BVerfG, NJW 1981, 1943, 1944).

Die angeordneten Beschränkungen gemäß § 119 Abs. 1 StPO waren aber gemessen an den Grundrechten des Angeklagten rechtmäßig, da sie zur Abwehr einer Gefahr für den Untersuchungshaftzweck erforderlich waren und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht werden. Es kann dahinstehen, ob die Beschränkungen zur Abwehr einer Flucht- und Verdunkelungsgefahr erforderlich waren, da die Anordnung von Beschränkungen gem. § 119 Abs. 1 StPO nicht nur auf die im Haftbefehl genannten, sondern auf alle Haftgründe i.S.d. §§ 112, 112a StPO gestützt werden kann (BT-Drs. 16/11644, 24) und vorliegend die Überwachung zumindest zur Abwehr der Wiederholungsgefahr im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO erforderlich war.

Es waren konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass beim inhaftierten Angeklagten Wiederholungsgefahr bestand. Der Angeklagte war dringend verdächtig, wiederholt Straftaten nach §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG begangen zu haben.

Die wiederholte Begehung setzt mindestens zwei rechtlich selbständige Handlungen gemäß § 53 StGB voraus, wobei geringfügige Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung ohne Bedeutung sind (Meyer-Goßner, 52. Aufl. 2009, § 112a StPO Rn. 8). Der Angeklagte war laut Anklageschrift mindestens acht selbständiger Handlungen hinreichend verdächtig.

Im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Landgericht konnten die Taten des Angeklagten, derer der Angeklagte dringend verdächtig war, als selbständige Handlungen im Sinne des § 53 StGB gewertet werden. Dass das Landgericht ausweislich des Terminprotokolls und Tenors des Urteils vom 19. Januar 2010 von einer einheitlichen Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ausgegangen ist, ändert daran nichts.

Eine Verklammerung zu einer einheitlichen Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach den Grundsätzen der so genannten Bewertungseinheit war nach dem damaligen Sachstand nicht angezeigt. Voraussetzung für eine Verklammerung ist, dass alle Teilakte eines länger andauernden Gesamtgeschehens "im Rahmen ein und desselben Güterumsatzes" sich auf eine einzige erworbene oder besessene Betäubungsmittelmenge beziehen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1981

- 2 StR 618/80, zitiert nach juris Rn. 9; seit dem ständige Rspr., vgl. Rahlf, in MünchKomm StGB, 1. Aufl. 2007, § 29 BtMG Rn. 381). Die Annahme einer Bewertungseinheit beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist nur dann geboten, wenn konkrete Umstände dafür vorliegen, dass an sich selbständige Verkaufshandlungen aus derselben Erwerbsmenge getätigt werden (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 11. März 1998 - 2 StR 22/98, zitiert nach juris, Rn. 20; Rahlf, in MünchKomm StGB, 1. Aufl. 2007, § 29 BtMG Rn. 385 ff. mit weiteren Nachweisen).

Trotz der in der Bunkerwohnung des Angeklagten gefundenen großen Gesamtmenge war zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht von einem derart einheitlichen Gesamtvorrat auszugehen. Gegen einen einheitlichen Gesamtvorrat sprach insbesondere, dass der festgestellte Wirkstoffgehalt der abgepackten Teilmengen teilweise unterschiedlich war und beispielsweise von 5,8 % über 9,5 % bis zu 12,1 % THC reichte (Bl. 105 ff. d.A.; vgl. Rahlf, in MünchKomm StGB, 1. Aufl. 2007, § 29 BtMG Rn. 386). Weiteres gegen die Einheitlichkeit sprechendes Indiz war, dass der Angeklagte nicht nur das eine Versteck hatte, sondern seine Wohnung ihm als weiteres Versteck diente (vgl. Rahlf, in MünchKomm StGB, 1. Aufl. 2007, § 29 BtMG Rn. 395 Fn. 9). Auch bestand keine Absprache des Angeklagten mit dem gesonderten Verfolgten K, eine konkret bestimmte Gesamtmenge sukzessive in bestimmten Teilmengen zu liefern. K konnte vielmehr je nach Bedarf bei dem Angeklagten Betäubungsmittel bestellen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. März 1995

- 4 StR 746/94, zitiert nach juris Rn. 7; Rahlf, in MünchKomm StGB, 1. Aufl. 2007, § 29 BtMG Rn. 388).

Die Taten haben die Rechtsordnung auch schwerwiegend beeinträchtigt. Da die in den Katalog des § 112a Abs. 2 Nr. 2 StPO aufgenommenen Straftaten schon generell schwerwiegender Natur sind, der Anwendungsbereich aber durch das Merkmal der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung noch weiter eingeschränkt werden soll, ist anzunehmen, dass nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades als Anlasstaten eingestuft werden sollen (OLG Frankfurt, StV 2000, 209 f.; OLG Karlsruhe, StV 2002, 147, 148 f.; LG Gera, NStZ-RR 2000, 219). Es muss sich daher um Straftaten handeln, die schon nach ihrem gesetzlichen Tatbestand einen erheblichen, in der Höhe der Strafandrohung zum Ausdruck kommenden Unrechtsgehalt aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BVerfG, NJW 1973, 1363, 1365). Angesichts des erheblichen Umfangs und der Gewerbsmäßigkeit sind die Serientaten, derer der Angeklagte dringend verdächtig war, geeignet, in weiten Kreisen der Bevölkerung das Vertrauen in Sicherheit und Rechtsfrieden zu beeinträchtigen. Zudem war eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten, vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 und § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, die jeweils eine Mindeststrafe von einem Jahr vorsehen.

Es bestand die Gefahr, dass der Angeklagte vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begeht, § 112a Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 StPO. Denn der Angeklagte hatte im Verlauf des Ermittlungsverfahrens eine so starke innere Neigung zu einschlägigen Taten erkennen lassen, dass die Besorgnis begründet war, er werde weitere solche Taten begehen. Für diese innere Neigung spricht die serienmäßige Begehung der Straftaten und insbesondere die Tatsache, dass der Angeklagte sich von gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren und sogar von damit einhergehenden vorläufigen Festnahmen gänzlich unbeeindruckt gezeigt hat: Am 3. Juni 2009 trafen Polizeibeamte den Angeklagten mit etwa 57 g Marihuana an und nahmen ihn vorläufig fest. Der Angeklagte befand sich über Nacht in Polizeigewahrsam. Kurz darauf, am 20. Juni 2009, wurde er erneut von Polizeibeamten angetroffen und durchsucht, wobei ca. 2,2 g Marihuana gefunden wurden. Er war dringend verdächtig, bereits wieder Anfang Juli, etwa zehn Tage nach der letzten polizeilichen Ermittlungsmaßnahme, an den gesondert verfolgten K Marihuana in einer Größenordnung von 225 g und am 13. Juli 2009 eine Menge von 75 g verkauft zu haben. Am 15. Juli 2009 wurde der Angeklagte erneut von Polizeibeamten mit einer Menge von 198,7 g Marihuana angetroffen, die K zuvor bei ihm bestellt hatte. In der sogenannten Bunkerwohnung des Angeklagten fanden die Polizeibeamten insgesamt 2,483 Kilogramm Marihuana. Zu berücksichtigen war zudem, dass gegen den Angeklagten auch bereits ein seit dem 5. Oktober 2008 rechtskräftiger Strafbefehl wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) ergangen war, wobei es sich allerdings um eine geringe Menge handelte.

Bei den zu befürchtenden Straftaten handelte es sich um erhebliche, da sie aufgrund der beim Angeklagten mutmaßlich vorliegenden Gewerbsmäßigkeit - auch bei geringen Mengen - mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität angehören, vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 BtMG.

Die Überwachung des Schrift-, Paket- und Telefonverkehrs war zur Abwehr der

bestehenden Wiederholungsgefahr erforderlich. Unüberwachte Außenkontakte jeglicher Art hätten vom Angeklagten genutzt werden können, um seiner dargelegten starken Neigung zur Begehung von Betäubungsmitteldelikten nachzugehen, indem er z.B. weitere Rauschgiftdelikte koordinierte. Der Paketverkehr war schon wegen der Gefahr zu überwachen, dass Betäubungsmittel in die Justizvollzugsanstalt verbracht würden. Weniger einschneidende Maßnahmen waren nicht ersichtlich. Auch im Hinblick auf den sensiblen Bereich der familiären Kommunikation und den damit betroffenen Artikel 6 GG waren keine Ausnahmen gerechtfertigt. Auch die Überwachung familiärer Kommunikation war zur Abwehr der Wiederholungsgefahr erforderlich. Denn es bestand die Gefahr, dass der Angeklagte jeden Kommunikationspartner, das heißt auch Familienangehörige, als Mittelspersonen missbrauchte, um seiner Neigung nachzugehen.

Der Verkehr mit dem Verteidiger und dem in § 119 Abs. 4 S. 2 StPO genannten Personenkreis war von der Überwachung ausgenommen.

bb) Auch die optische und akustische Überwachung von Besuchen gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 StPO war rechtmäßig. Zwar ist insbesondere die akustische Überwachung ein nicht ganz unerheblicher Eingriff in den durch Artikel 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG geschützten persönlichen Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch des Besuchers (BVerfG, NStZ 1994, 52; OLG Hamm, Beschluss vom 3. August 2004 - 1 Ws 227/04), dies in Verbindung mit Artikel 6 GG, soweit familiärer Besuch betroffen ist. Dieser Eingriff war aber unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt, da er zur Abwehr der Wiederholungsgefahr erforderlich war. Mildere Mittel waren nicht ersichtlich, da unüberwachte Besuche - gleichgültig von welcher Person - angesichts der dabei möglichen Kommunikation zur Steuerung von weiteren Straftaten nicht hingenommen werden konnten. Der Verkehr mit dem Verteidiger und dem in § 119 Abs. 4 S. 2 StPO genannten Personenkreis war von der Überwachung ausgenommen.

cc) Die Anordnung des Erlaubnisvorbehalts für Besuche und Telekommunikation gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 StPO war rechtmäßig. Sie war erforderlich, um die Wiederholungsgefahr abzuwehren, da nur so die rechtmäßig angeordnete Überwachung (s.o. aa) und bb) gewährleistet werden konnte (vgl. BT-Drs. 16/11644, S. 25).

dd) Auch der Erlaubnisvorbehalt für die Übergabe von Gegenständen (§ 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StPO) war zur Abwehr der Wiederholungsgefahr erforderlich, da nur so eine Übergabe von Betäubungsmitteln verhindert werden konnte. Durch die Ausnahme von Zigaretten und Schokolade war dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Genüge getan.

ee) Die Übertragung der Überwachung von Besuchen, Telekommunikation und Paketverkehr auf die Staatsanwaltschaft, die sich dazu der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und durch die Vollzugsanstalt bedienen kann, ist nicht zu beanstanden, vergleiche § 119 Abs. 2 Satz 1 StPO.

3.

Rechtswidrig war allerdings die Übertragung der Überwachung des Schriftverkehrs auf den Berichterstatter. Gemäß § 119 Abs. 2 S. 1 StPO obliegt die Ausführung der nach dem Gesetz für die Anordnung zuständigen Stelle. Für die Anordnung zuständig ist gemäß § 119 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 126 Abs. 2 S. 3 StPO der Vorsitzende der mit der Sache befassten Strafkammer (s.o. 2.a). Eine Übertragung auf ein anderes Mitglied des Kollegialgerichts ist gesetzlich nicht vorgesehen und damit rechtswidrig.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Der Teilerfolg in Bezug auf die Übertragung der Überwachung des Schriftverkehrs auf den Berichterstatter rechtfertigt es nicht, gemäß § 473 Abs. 4 StPO die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise der Staatskasse aufzuerlegen. Es ist nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten und Auslagen zu belasten, da die angegriffenen Anordnungen der Beschränkungen als solche sämtlich rechtmäßig waren und die Beschwerde in Bezug auf diesen Schwerpunkt als unbegründet zu

verwerfen war.