LG Dortmund, Urteil vom 09.12.2009 - 4 O 297/09
Fundstelle
openJur 2011, 69471
  • Rkr:
Tenor

Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Hamm vom 04.12.2009 wird aufgehoben und der Antrag auf Feststelllung der Erledigung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Verfügungsklägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Verfügungsbeklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Verfügungsklägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die am ........1948 geborene Verfügungsklägerin wurde im Haus der Beklagten stationär versorgt. Am 4.12.2009 um 10.50 Uhr stellten die Ärzte der Verfügungsbeklagten den Hirntod der Verfügungsklägerin fest, stellten eine Todesbescheinigung aus und beabsichtigten die medizinischen Geräte, die die Verfügungsklägerin bis dahin versorgt hatten, abzustellen.

Daraufhin beantragte die Verfügungsklägerin, vertreten durch ihren Betreuer, am 4.12.2009 um 11.37 Uhr bei dem Amtsgericht Hamm als Eilgericht nach § 942 ZPO eine einstweilige Verfügung, wonach der Verfügungsbeklagten aufgegeben werden sollte, es zu unterlassen, medizinische Geräte, insbesondere das Beatmungsgerät, die der Lebenserhaltung der Verfügungsklägerin dienen, abzuschalten und alle lebenserhaltenden Maßnahmen aufrechtzuerhalten.

Die Verfügungsklägerin, vertreten durch ihren Betreuer, hat behauptet, sie habe am 4.12.2009 zwar im Koma gelegen, sei aber nicht verstorben und nicht tot im Sinne eines Gesamthirntodes gewesen. Den Ärzten sei mehrfach mitgeteilt worden, dass die Angehörigen die Fortsetzung der lebenserhaltenden Maßnahmen wünschen und die Geräte nicht abgeschaltet werden sollten. Sie habe ihren Angehörigen im gesunden Zustand mitgeteilt, dass sie in einem derartigen Fall wünsche, dass alle lebenserhaltenden Maßnahmen ausgeschöpft werden sollen. Die Ärzte hätten allerdings mitgeteilt, dass sie diesem Wunsch aufgrund den Richtlinien der Bundesärztekammer nicht entsprechen könnten und die Geräte abgeschaltet werden würden, sobald die Angehörigen Abschied genommen und das Krankenhaus verlassen hätten.

Auf den Antrag hin hat die Verfügungsbeklagte dem Gericht per Fax die am 3.12.2009 und 4.12.2009 gefertigten Hirntodprotokolle nebst Radiometeraufzeichnungen zu den Spontanatmungstests übersandt und behauptet, die Verfügungsklägerin sei am 4.12.2009 um 10.50 Uhr verstorben. Bei der Verfügungsklägerin seien unter sachgerechter Anwendung des heutigen Wissensstandes der Medizin alle angezeigten medizinischen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen ergriffen worden, um ihr Leben zu erhalten. Nach deutlichen Hinweisen auf einen Hirntod seien am 3.12.2009 und am 4.12.2009 Protokolle zur Feststellung des Hirntodes nach gültiger Richtlinie der Bundesärztekammer durchgeführt worden. Daraus habe sich die Feststellung des Hirntodes ergeben.

Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Parteien per Fax und offenbar nach telefonischer Rücksprache die einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen und Bezug genommen auf ein Telefonat mit der Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin, wonach diese telefonisch nochmals bestätigt habe, dass vorgetragen werden solle, dass die Verfügungsklägerin noch nicht verstorben und nicht tot sei.

Am gleichen Tag ist ein Schriftsatz der Verfügungsklägerin nachgereicht und behauptet worden, aus den eingereichten Unterlagen würden sich Zweifel ergeben, ob der Hirntod irreversibel sei. Zwar seien eine primäre Hirnschädigung festgestellt und andere Ursachen oder Mitursachen für einen Ausfall der Hirnschädigung ausgeschlossen worden. Es sei aber nicht feststellbar, dass dieses Ergebnis nach den klinischen und apparativen Kriterien, die hier zu erfüllen seien, tatsächlich gegeben sei. Nach den vorliegenden Protokollen sei weder ein Null-Linien-EEG geschrieben worden noch habe eine Dopplersonographie der Hirnbasisarterien stattgefunden.

Die Verfügungsbeklagte hat gegen den Erlass der einstweiligen Verfügung Widerspruch eingelegt und das Amtsgericht hat das Verfahren an die Kammer als Hauptsachegericht abgegeben.

Die medizinische Geräte wurden zunächst nicht abschaltet. In der Nacht vor der mündlichen Verhandlung kam es nach Angaben der Ärzte der Verfügungsbeklagten zu einem Herzstillstand bei der Verfügungsklägerin. Die Geräte wurden daraufhin abgeschaltet.

Die Verfügungsklägerin beantragt nunmehr,

die Erledigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens festzustellen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.

Die einstweilige Verfügung habe aufgrund des Todes und des Endes des Betreueramtes gar nicht beantragt werden können. Der Antrag sei auch auf eine unmögliche Leistung gerichtet gewesen, da kein Leben mehr habe erhalten werden können. Jede Minute auf der Intensivstation koste sehr viel Geld. Die Krankenkasse der Verstorbenen zahle nicht mehr. Die lebenserhaltenden Maschinen müssten für andere Notfälle bereit stehen. In der mündlichen Verhandlung ist dazu erläutert worden, tatsächlich habe eine Hirntumoroperation verschoben und ein Patient bei einer Bettenanfrage an ein anderes Krankenhaus verwiesen werden müssen. Das Pflegepersonal sei belastet gewesen, weil über Tage eine tote Patientin habe gepflegt werden müssen.

Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung im Einverständnis der Parteien den Angehörigen der Verfügungsklägerin die Gelegenheit eingeräumt, die seitens der Verfügungsbeklagten erschienen Ärzte, den Chefarzt der Intensivmedizinischen Klinik und den Chefarzt der Neurochirurgischen Klinik zu den Hirntodprotokollen zu befragen. Eine am 7.12.2009 gefertigte CT-Angiographie wurde betrachtet und erläutert.

Gründe

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung war unzulässig - im Übrigen auch unbegründet - , so dass der Verfügungsklägerin kein Anspruch auf Feststellung der Erledigung zusteht.

Zwischen den Parteien bestand von Anfang an Streit darüber, ob die Verfügungsklägerin im Zeitpunkt der Antragseinreichung noch lebend war. Obwohl die Parteifähigkeit des Menschen mit seinem Tod bzw. seiner Todeserklärung endet, hat die Kammer die Verfügungsklägerin zunächst als parteifähig behandelt. Es ist anerkannt, dass im Streit über die Parteifähigkeit auch der Parteiunfähige parteifähig ist (BGH NJW 1982, 238). Es kann auch keinen Zweifeln unterliegen, dass es einem Menschen möglich sein muss, gegen eine vorschnell und falsch ausgestellte Todesbescheinigung vorzugehen.

Die Prüfung hat aber ergeben, dass die Verfügungsklägerin mit der Feststellung des Hirntodes bedauerlicherweise bereits am 4.12.2009 verstorben war. Die medizinischen Geräte durften abgestellt werden. Eine Zustimmung seitens der Angehörigen war nicht erforderlich. Ein zu schützendes, noch zu erhaltendes Leben gab es nicht mehr. Die Antragstellung war damit von Anfang an unzulässig. Vertragliche oder deliktsrechtliche Abwehransprüche bestanden im Übrigen nicht.

Dabei hat die Kammer Verständnis dafür, dass das Amtsgericht, als Eilgericht mit der Sache befasst, wegen der Bedeutung der Sache zunächst die scheinbar lebenserhaltenden Maßnahmen angeordnet hat. Die Entscheidung wäre aber abzuändern gewesen, wenn nicht infolge des zwischenzeitlich eingetretenen Herzstillstandes ohnehin die Geräte abgeschaltet worden wären.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes herausgegeben, und zwar im Jahr 1997 in der dritten Fortschreibung. Mit dem Hirntod ist naturwissenschaftlichmedizinisch der Tod des Menschen festgestellt. Mag dies auch - wie im vorliegenden Fall - für die Angehörigen schwer zu verstehen sein, wenn bei dem vertrauten Angehörigen durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten wird und der Patient lebend erscheint. Sofern der Hirntod festgestellt werden kann, ist von dem Tod des Patienten auszugehen.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat in seinen Richtlinien vorzunehmende Untersuchungen aufgeführt, die in einem Protokoll zur Feststellung des Hirntodes zusammengefasst sind. Dieses Protokoll der Bundesärztekammer haben die Ärzte der Verfügungsbeklagten bei der Feststellung des Hirntodes verwandt. Vier Ärzte sind an zwei Tagen zu dem übereinstimmenden Ergebnis gekommen, dass der Hirntod eingetreten ist.

Konkrete Einwendungen gegen die in den Protokollen festgestellten Fakten hat die Verfügungsklägerin nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht. Es ist noch nicht einmal vorgetragen worden, aufgrund welcher Erkrankung die Verfügungsklägerin in Behandlung war und das Koma eingetreten ist. Mit dem nachgereichtem Schriftsatz ist konkret lediglich gerügt worden, es sei keine EEG-Untersuchung bzw. keine Dopplersonographie erfolgt. Diese waren aber entbehrlich.

Aus den Hirntodprotollen ergibt sich als übereinstimmende Diagnose - SAB bei Pericallosa-Aneurysma. Es ist also zu einer Subarachnoidalblutung gekommen, nachdem die Arteria pericallosa ein Aneurysma mit Ruptur hatte. Der Befund ist von den Ärzten als primäre supratentorielle Hirnschädigung eingeordnet worden. Eine Intoxikation, die dämpfende Wirkung von Medikamenten, neuromuskuläre Blockaden, eine primäre Unterkühlung, ein metabolisches oder endokrines Koma und ein Schock sind ausgeschlossen worden. Die verschiedensten Reflexe sind als negativ geprüft worden. Es ist versucht worden, ob sich eine Spontanatmung einstellt. Die Tests sind an zwei Tagen von zwei Ärzten zeitgleich durchgeführt worden.

Je eines der Protokolle vom 3.12.2009 und vom 4.12.2009 trägt allerdings hinter dem Apnoe-Test und dem Wort "erfüllt" keine zusätzliche Erklärung, während die übrigen Tests mit einem Zusatz bestätigt sind. Die Bögen erscheinen daher nicht ganz sorgfältig ausgefüllt. Nach den Erklärungen des Chefarztes der Intensivmedizin, selbst einer der ausfüllenden Ärzte, sind die Eintragungen später nachgetragen worden.

Letztlich kann die Bedeutung des Nachtrages dahinstehen. Die Ärzte der Verfügungsbeklagten haben ergänzend am 7.12.2009 eine CT-Angiographie durchgeführt, um die Angehörigen zu einem Einlenken zu bewegen. Aus den eingesehenen Bildern ergibt sich, dass keine Hirndurchblutung mehr vorhanden war.

Soweit bemängelt worden ist, dass eine EEG-Messung oder eine Dopplersonographie-Untersuchung nicht erfolgt seien, bedurfte es dieser Untersuchungen nicht. Bei einer primären supratentoriellen Hirnschädigung kann der Hirntod alternativ durch eine wiederholte Untersuchung nach angemessener Zeit oder durch ergänzende Untersuchungen erfolgen. Hier ist der Weg der wiederholten Untersuchung gewählt worden.

Die Kammer hat daher keine Zweifel, dass der Hirntod der Verfügungsklägerin zu Recht am 4.12.2009 festgestellt worden ist und die medizinischen Geräte abgeschaltet werden durften, so schwer dieser Schritt für die Angehörigen auch sein mag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Kosten sind von der Verfügungsklägerin, selbst wenn sie nicht parteifähig war, zu tragen. Es ist davon auszugehen, dass ihre Vertreter in gutem Glauben gehandelt haben, dass sie noch nicht verstorben sei. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.