OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.08.2009 - 1 B 264/09
Fundstelle
openJur 2011, 68327
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die dargelegten Beschwerdegründe rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und dem erstinstanzlich (sinngemäß) gestellten Antrag der Antragstellerin zu entsprechen,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage VG Münster 4 K 179/09 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Januar 2009 wiederherzustellen.

Denn der gestellte Antrag auf Regelung der Vollziehung ist bereits unzulässig, und ein stattdessen in Betracht zu ziehender etwaiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung könnte jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben, weshalb der Senat von einer Umdeutung Abstand nimmt.

Der auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gerichtete Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist schon nicht statthaft, weil die Antragstellerin sich nicht gegen ein solches Verwaltungshandeln wendet, das als belastender Verwaltungsakt mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann.

Zu diesem Erfordernis vgl. etwa Gersdorf, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 80 Rn. 147, Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl. 2008, Rn. 936 f., und Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 80 Rn. 124, 19 f.

Die hier angegriffene, unter dem 19. Januar 2009 ergangene "Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung" stellt nämlich nach ihrem objektiven Sinngehalt keinen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG NRW dar, weil es insoweit an dem für einen Verwaltungsakt konstitutiven Merkmal der Regelung fehlt. Eine Regelung liegt vor, wenn die Maßnahme auf eine unmittelbare, für den Betroffenen verbindliche Festlegung von Rechten oder Pflichten oder eines Rechtsstatus gerichtet ist, und ist deshalb u.a. dann gegeben, wenn sie darauf abzielt, mit dem Anspruch unmittelbarer Verbindlichkeit und mit der Bestandskraft fähiger Wirkung unmittelbar subjektive Rechte oder Pflichten des Betroffenen zu begründen, aufzuheben, abzuändern oder verbindlich festzustellen.

Vgl. etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 35 Rn. 47, m.w.N.

Die Antragstellerin wendet sich grundsätzlich gegen die ihr mit der streitgegenständlichen "Anordnung" (vermeintlich) auferlegte Verpflichtung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen. Diese vom 19. Januar 2009 datierende Maßnahme stellt indes trotz ihres sich auf den ersten Blick darbietenden Erscheinungsbildes als Verwaltungsakt keine Regelung im o.g. Sinne dar, sondern erweist sich objektiv als sog. wiederholende Verfügung ohne Regelungscharakter.

Dazu, dass eine sog. wiederholende Verfügung mangels Regelungscharakters keinen Verwaltungsakt darstellt, vgl. etwa Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 51 Rn. 57, und Kopp/Ramsauer, VwVfG, a.a.O., § 35 Rn. 55, jeweils m.w.N.

Nicht eindeutige, d. h. auslegungsbedürftige Willenserklärungen der Verwaltung und damit auch die "Anordnung" vom 19. Januar 2009 sind gemäß der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB auszulegen. Nach dieser Vorschrift ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der "wirkliche Wille" zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Maßgeblich ist demnach nicht der innere, bloß subjektive Wille des Bearbeiters, sondern der objektive Gehalt der Erklärung, d. h. der in der Willenserklärung zum Ausdruck kommende erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte bzw. nach Treu und Glauben verstehen musste und durfte ("Empfängerhorizont"). Um den Regelungsgehalt und -umfang einer Willensäußerung der Verwaltung durch Auslegung zu ermitteln, ist zunächst vom Wortlaut der Erklärung auszugehen. Jedoch kann es hierauf nicht allein ankommen. Zu berücksichtigen sind vielmehr alle von dem Adressaten erkannten oder ihm erkennbaren Umstände vor und bei dem Ergehen der behördlichen Maßnahme. Hierzu zählt auch, welche Interessen die Behörde erkennbar mit ihrer Maßnahme verfolgt hat, d. h. vor allem, welchen Sinn und Zweck die Maßnahme aus der Sicht des Adressaten hat.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Juli 2008 - 12 A 520/06 -, m. w. N., und vom 10. Februar 2009 - 1 E 906/08 -.

Die Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze führt hier zu dem Ergebnis, dass die "Anordnung" vom 19. Januar 2009 eine sog. wiederholende Verfügung und nicht etwa einen Zweitbescheid darstellt. Unter einer wiederholenden Verfügung ist die Wiederholung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes oder der Hinweis auf einen solchen Verwaltungsakt zu verstehen, ohne dass eine erneute Sachentscheidung ergeht. Die Bewertung, ob eine wiederholende Verfügung in diesem Sinne oder aber eine erneute Sachentscheidung (Zweitbescheid) vorliegt, welche neue Rechtsbehelfsfristen in Gang setzt und dazu führt, dass sich die Behörde gegenüber einem dagegen erhobenen Rechtsbehelf nicht auf die frühere Unanfechtbarkeit des Erstbescheides berufen kann, hängt maßgeblich davon ab, ob sich die tragenden Erwägungen der behördlichen Aussage gegenüber dem Erstbescheid nach der insoweit maßgeblichen Erklärung der Behörde in der fraglichen Maßnahme geändert haben, insbesondere, weil eine entscheidende Akzentverschiebung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht in der neuen Begründung enthalten ist. Beigefügte Rechtsausführungen nehmen der behördlichen Äußerung mithin dann nicht die Eigenschaft einer wiederholenden Verfügung, wenn es sich um Erwägungen handelt, die schon in der ursprünglichen Begründung enthalten waren.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1961 - VI C 123.59 -, BVerwGE 13, 99, und Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 51 Rn. 58, m.w.N.

Zwar scheint hier die äußerlich gewählte Form für das Vorliegen eines Verwaltungsaktes zu sprechen: Die Antragstellerin hat nämlich ihre Maßnahme als "Anordnung" bezeichnet und mit einem Tenor versehen, darüber hinaus die "sofortige Vollziehung" der "Untersuchungsanordnung" verfügt und dem Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung beigegeben.

Zu der umstrittenen, hier indes nicht entscheidungserheblichen Frage, ob die auf § 45 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW a.F. bzw. - seit dem 1. April 2009 - auf § 33 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW oder aber auf entsprechende Regelungen des Bundes oder anderer Länder gestützte Weisung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, materiell einen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG darstellt oder aber als eine bloß innenrechtliche Maßnahme ohne intendierte Außenwirkung bzw. eine unselbständige behördliche Verfahrenshandlung ohne Regelungscharakter zu qualifizieren ist, vgl. - den Verwaltungsaktscharakter wohl zutreffend bejahend - insbesondere OVG Lüneburg, Beschluss 13. Juni 1990 - 5 M 22/90 -, NVwZ 1990, 1194, und OVG Berlin, Beschluss vom 21. Dezember 2001 - 4 S 5/01 -, NVwZ-RR 2002, 762, jeweils m.w.N., auch zur Gegenansicht; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 35 Rn. 153, 200; Kopp/Ramsauer, § 35 Rn. 66, 86; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Aufl. 2005, Rn. 220 mit Fn. 39; vgl. ferner OVG NRW, Beschluss vom 3. Mai 2007 - 6 B 2718/06 -, juris, wonach Überwiegendes dafür spricht, dass die Weisung an den Beamten, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, einen Verwaltungsakt darstellt; offen gelassen im Senatsbeschluss vom 2. Mai 2007 - 1 B 70/07 -; anderer Ansicht etwa Bayerischer VGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 - 3 CS 05.2955 -, juris, m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 19. Juni 2000 - 1 DB 13.00 -, BVerwGE 111, 246 = ZBR 2000, 384, zu einer an einen Ruhestandsbeamten gerichteten Weisung.

Ein verständiger Empfänger der "Anordnung" konnte und musste hier indes mit Blick jedenfalls auf die erkennbaren Umstände und die Interessenlage vor und bei dem Ergehen der behördlichen Maßnahme erkennen, dass die Antragsgegnerin mit ihr in Wahrheit keine inhaltlich neue Untersuchungsanordnung i.S. eines sog. Zweitbescheides treffen, also die Antragstellerin nicht neu und erstmalig verpflichten wollte, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, sondern nur darauf abzielte, die bereits mit dem bestandskräftigen Verwaltungsakt vom 9. Dezember 2008 getroffene Regelung (Untersuchungsanordnung) hinweisend zu wiederholen und der Antragstellerin darüber hinaus durch Mitteilung eines neuen Termins tatsächlich die Gelegenheit zu eröffnen, ihrer Verpflichtung nachzukommen.

Das Vorliegen einer solchen Interessenlage der Antragsgegnerin ergibt sich schon daraus, dass sich die entscheidungserhebliche Sach- und Rechtslage bis zum Erlass der "Anordnung" am 19. Januar 2009 gegenüber der bei Erlass der Verfügung vom 9. Dezember 2008 gegebenen Situation nicht maßgeblich verändert hatte. Der Umstand, dass sich der in der Verfügung vom 9. Dezember 2008 angebotene Untersuchungstermin durch sein Verstreichen ohne Untersuchung zwischenzeitlich erledigt hatte, ist insoweit ohne Bedeutung. Denn es entspricht schon generell und auch vorliegend der Interessenlage eines Dienstherrn, dass mit einer von ihm verfügten Untersuchungsanordnung allein die Pflicht des Beamten begründet werden soll, sich zum jeweils nächstmöglichen Termin amtsärztlich untersuchen zu lassen (Grundverfügung), und dass eine etwaige Bestimmung eines Untersuchungstermins in der Verfügung deshalb nicht Bestandteil der Regelung ist, sondern lediglich der "technischen Abwicklung" dient bzw. dem Betroffenen nur tatsächliche Gelegenheit(en) eröffnet, seiner Verpflichtung zeitnah nachzukommen. Anderenfalls würde nämlich allein schon das fruchtlose Verstreichen eines in der Untersuchungsanordnung aufgeführten Untersuchungstermins, das der Beamte durch schlichte Nichtbefolgung der (nicht im Wege des Verwaltungszwanges durchsetzbaren) Anordnung zu dem mitgeteilten Termin herbeiführen kann, zur Erledigung der Verfügung führen und nicht, wie offensichtlich gewollt, erst eine den Anforderungen genügende amtsärztliche Untersuchung.

Vgl. insoweit schon OVG NRW, Beschluss vom 17. April 2008 - 1 B 568/08 - und VG Gelsenkirchen, Urteil vom 25. Juni 2008 - 1 K 3679/07 -, juris.

Diese Interessenlage und der aus ihr heraus ermittelte Sinn und Zweck der "Anordnung" vom 19. Januar 2009 waren für einen verständigen Empfänger und gerade auch für die Antragstellerin bei objektiver Würdigung deutlich erkennbar. Dass die Antragsgegnerin mit ihrer "Anordnung" vom 19. Januar 2009 von ihr - der Antragstellerin - nichts anderes verlangen wollte, als was sie schon mit der Verfügung vom 9. Dezember 2008 verlangt hatte, dass sich also die "Anordnung" vom 19. Januar 2009 allein als bloße Wiederholung der zentralen Regelung der Verfügung vom 9. Dezember 2008 darstellen sollte, musste für die Antragstellerin deshalb auf der Hand liegen, weil auch sie wusste, dass die Sach- und Rechtslage unverändert geblieben war, und weil ein Vergleich der "Anordnung" vom 19. Januar 2009 mit der früher ergangenen Verfügung ihr klar vor Augen führen musste, dass die "Anordnung" mit der Verfügung vom 9. Dezember 2008 nahezu wortgleich war und keinerlei inhaltlich neue Erwägungen enthielt. Für die Erkennbarkeit der dargelegten Interessenlage spricht im Übrigen ferner, dass die Antragsgegnerin in der "Anordnung" vom 19. Januar 2009 auf den Umstand hingewiesen hat, dass der Bescheid vom 9. Dezember 2008 "am 17.01.2009 rechtskräftig" (richtig: mit Ablauf des 19. Januar 2009, einem Montag, bestandskräftig) geworden sei (Seite 1 des Bescheides, erster Absatz). Zwar hat die Antragsgegnerin aus dieser Feststellung nicht ausdrücklich - wie es ohne weiteres möglich gewesen wäre - die Konsequenz gezogen, nur noch auf diesen Bescheid zu verweisen und der Antragstellerin lediglich einen neuen (letzten) Untersuchungstermin mitzuteilen; sie hat mit dieser Feststellung aber zumindest und noch hinreichend deutlich erkennen lassen, dass die Bestandskraft der Verfügung vom 9. Dezember 2008 nicht angetastet werden sollte, so dass es ihr - der Antragsgegnerin -unbenommen bleiben konnte, sich gegenüber einem gegen die "Anordnung" erhobenen Rechtsbehelf auf die frühere Unanfechtbarkeit des Erstbescheides zu berufen.

Eine Umdeutung des Antrags auf Regelung der Vollziehung in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO kommt hier jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil auch dies dem erkennbaren Begehren der Antragstellerin nicht zum Erfolg verhelfen könnte.

Das Begehren der Antragstellerin ist erkennbar ganz grundsätzlich darauf gerichtet, sich unabhängig von einzelnen angebotenen Terminen einer von der Antragsgegnerin vorgesehenen amtsärztlichen Untersuchung nicht stellen zu müssen. Das ergibt sich deutlich aus ihrem Vorbringen. Denn sie hat sich nicht etwa gegen den konkret mitgeteilten Termin gewendet, sondern im Kern allein geltend gemacht, die Antragsgegnerin sei deshalb daran gehindert, ihr gegenüber die Verpflichtung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu stellen, auszusprechen, weil sie nicht ihre Dienstherrin geworden sei bzw. weil hierüber zumindest Streit bestehe.

Ein deshalb allenfalls etwa in Betracht kommender Antrag, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die wiederholende Verfügung bzw. ein weiteres Verlangen nach amtsärztlicher Untersuchung mit Terminsbestimmung vorläufig zu unterlassen, könnte ungeachtet aller weiteren Zweifelsfragen jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben. Denn die Antragstellerin hat insoweit keinen Anordnungsanspruch i.S.d. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht und könnte einen solchen auch nicht glaubhaft machen. Ein Anspruch, die wiederholende Verfügung bzw. ein weiteres Verlangen nach amtsärztlicher Untersuchung vorläufig zu unterlassen, müsste nämlich jedenfalls daran scheitern, dass die Antragsgegnerin zu einem solchen Verhalten auf der Grundlage der unanfechtbaren Grundverfügung vom 9. Dezember 2008 jederzeit und ohne weiteres berechtigt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und - hinsichtlich der Streitwertfestsetzung - gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.