OLG Hamm, Urteil vom 19.06.2008 - 6 U 48/08
Fundstelle
openJur 2011, 60413
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 O 470/07
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das am 14.12.2007 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 775,64 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Es bleibt bei der Kostenentscheidung des Landgerichts für die erste Instanz.

Von den Kosten des zweiten Rechtszuges tragen der Kläger 7 % und die Beklagten 93 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt in dieser Instanz noch Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 03.10.2005 mittags auf dem U-Weg in Q ereignet hat.

Die Gehwege des Q-Weges sind durch das Zeichen 239 "Fußgänger" gekennzeichnet und jeweils in Fahrtrichtigung rechts durch das Zusatzschild "Radfahrer frei" für den Fahrradverkehr freigegeben.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrrad den linken Gehweg. Auf der Fahrbahn kam aus der Gegenrichtung der Beklagte zu 1) mit einem Kleintransporter des Beklagten zu 2), der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert war. Als er nach rechts über einen abgesenkten Bordstein in eine Grundstückszufahrt einbog, stieß er mit dem Kläger zusammen. Dieser wurde bei dem Sturz verletzt.

Seine späteren Prozessbevollmächtigten wandten sich für ihn am 19.12.2005 an die Beklagte zu 3) und forderten sie auf, sich zum Grunde der Haftung zu erklären und 5.000,00 € als Schmerzensgeld zu zahlen. Das lehnte die Beklagte zu 3) unter dem 23.12.2005 ab.

Mit seiner Klage vom 08.10.2007 machte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten seine materiellen und immateriellen Schaden klageweise auf der Grundlage einer Haftungsquote von 70 % geltend. Nach Beweisaufnahme gab das Landgericht der Klage im Wesentlichen statt, indem es die Haftungsquote bestätigte und dem Kläger das begehrte Schmerzensgeld zusprach, ferner auch den begehrten Ersatz des materiellen Schadens unter relativ geringfügigen Abzügen.

Neben den genannten Hauptforderungen hatte der Kläger auch auf der Grundlage eines Gegenstandwertes von 13.000,00 € den Ersatz angefallener Anwaltskosten geltend gemacht, und zwar eine Geschäftsgebühr gem. Nr. 24 VV-RVG a.F. nach dem 1,3fachen Satz zzgl. Post- und Telekommunikationspauschale und MwSt, zusammen 837,52 €.

Diese Schadensposition hat ihm das Landgericht komplett aberkannt mit der Begründung, der Kläger hätte im Interesse der Kostengeringhaltung seinem späteren Prozessbevollmächtigten sofort einen unbedingten Klageauftrag erteilen können und müssen, denn dann hätte das vorprozessuale Schreiben an den Haftpflichtversicherer der Vorbereitung der Klage gedient und deshalb gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 RVG bereits zum Rechtszug gehört mit der Folge, dass hierfür keine zusätzliche Gebühr angefallen wäre.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen Anspruch wegen dieser ihm aberkannten 837,52 € weiter.

Die Beklagten verteidigen mit näheren Ausführungen das angefochtene Urteil.

II.

Das Rechtsmittel des Klägers hat zum ganz überwiegenden Teil Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

1.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden und ist auch im Übrigen zulässig.

1.1

Die Berufung betrifft zwar nur einen Betrag, der in erster Instanz als Nebenforderung i.S. von § 4 Abs. 1, 2. Halbs. ZPO geltend gemacht wurde (vgl. BGH, SP 07, 370; BGH MDR 07, 1149; BGH NJW 07, 3289). Anders als die prozessuale Kostenentscheidung in § 99 Abs. 1 ZPO sind aber die auf materiellrechtlicher Grundlage ergehenden Entscheidungen über außergerichtliche Kosten nicht von vornherein der isolierten Anfechtung entzogen, selbst wenn sie in erster Instanz als Nebenforderung geltend gemacht worden sind.

1.2.

Die Zulässigkeit der Berufung scheitert auch nicht an der Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Nur solange der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitete, gerichtlich geltend gemacht wurde, stellte er eine Nebenforderung i.S. von § 4 Abs. 1 ZPO dar, so dass er nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen war (vgl. BGH a.a.O.). Hier ist aber mangels Anfechtung die Hauptanforderung, aus der sich der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch herleitet, nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, so dass in diesem der allein im Streit befindliche Kostenerstattungsanspruch streitwertmäßig als Hauptforderung i.S. von § 4 ZPO zu behandeln ist. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt demnach 837,52 € und liegt somit über der Berufungsgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

2.

Der auf §§ 7, 9, 18 StVG, §§ 823, 831 BGB, § 3 Nr. 1 PflVG a.F. beruhende und in dieser Instanz dem Grunde nach nicht mehr streitige Schadensersatzanspruch des Klägers erstreckt sich auch auf die im Rahmen der vorprozessualen Rechtsverfolgung entstandenen Anwaltskosten, soweit sie nach der berechtigten Schadensersatzforderung angefallen waren.

2.1

Bei derartigen im Rahmen der Unfallschadensregulierung angefallenen Anwaltskosten handelt es sich um einen adäquaten Unfallschaden, so dass sie im Rahmen des Erforderlichen zu ersetzen sind (vgl. BGH, NJW 06, 1065; OLG Oldenburg, NJW 61, 613; OLG Nürnberg, OLGZ, 69, 140), ohne dass vor der Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe der Gegner in Verzug gesetzt worden sein muss (vgl. Palandt-Heinrichs, § 249 Rdn. 38).

2.2

Die Kostenbelastung des Klägers durch die Inanspruchnahme seines Anwalts ist dadurch entstanden, dass er diesen vorprozessual mit der außergerichtlichen Schadensregulierung beauftragt hat. Dass dies geschehen ist, ergibt sich aus der im Senatstermin vorgelegten Originalvollmacht, welche sich in Kopie in den Ermittlungsakten befindet, die schon in erster Instanz dem Gericht vorlagen und Gegenstand der Verhandlung waren. Es handelt sich um ein übliches Vollmachtsformular für außergerichtliche Angelegenheiten. Dass dieses vom Kläger am 21.10.2005 unterzeichnet worden ist, war im zweiten Rechtszug nicht im Streit. Der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers ist seinerzeit auch entsprechend tätig geworden, da er sich mit dem Ziel, eine außergerichtliche Regulierung herbeizuführen, an die Beklagte zu 3) gewandt hat, welche indessen die geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang zurückgewiesen hat. Der Anspruch des Prozessbevollmächtigten auf die Geschäftsgebühr gem. Nr. 2400 VV-RVG a.F. ist demnach entstanden.

2.3

Der Kläger kann diesem Anspruch seines jetzigen Prozessbevollmächtigten nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass dieser ihn bei Übernahme des Mandats falsch beraten habe und sich bei richtiger Beratung sofort einen unbedingten Klageauftrag habe erteilen lassen müssen. Zwar wäre in diesem Fall die Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Vertretung gem. Nr. 2400 VV-RVG a.F. mangels eines entsprechenden Auftrags zur außergerichtlichen Vertretung nicht angefallen, und das Honorar für die auftragsgemäß übernommene gerichtliche Vertretung des Klägers hätte gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 RVG auch das Anwaltsschreiben an den Haftpflichtversicherer vom 19.12.2005 abgedeckt. Auch gebietet es die Pflicht zur interessengemäßen Beratung eines Mandanten bei der Auftragserteilung dem Anwalt, sich grundsätzlich nur dann einen lediglich bedingten Klageauftrag erteilen zu lassen, wenn er unter Würdigung aller Umstände Grund zu der Annahme hat, dass eine Klageerhebung nicht erforderlich sein werde. Es muss zu erwarten sein, dass der Versuch einer außgerichtlichen Regulierung mit Hilfe eines Anwalts Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BGH NJW 68, 2334; OLG Hamm - 24 ZS. - NJW-RR 06, 242).

Nach diesen Maßstäben war aber im vorliegenden Fall der Prozessbevollmächtigte des Klägers keineswegs gehalten, sich von vornherein einen unbedingten Klageauftrag erteilen zu lassen, um den Anfall der Geschäftsgebühr zu vermeiden.

Ohne Erfolg verweisen in diesem Zusammenhang die Beklagten auf die Entscheidung des 24. Zivilsenat des OLG Hamm vom 31.10.2005 (a.a.O.). Dort ging es um die vorprozessualen Kosten für die Vertretung des Mandanten gegen einen Gegner, welcher in einem Vorprozess in die Auseinandersetzung um den streitigen Anspruch einbezogen worden war und schon dort als Streithelfer einer Partei eindeutig zu erkennen gegeben hatte, dass er jedenfalls den geforderten Betrag nicht ohne gerichtliche Inanspruchnahme zahlen werde.

Von einer entsprechenden Situation konnte hier aber keineswegs ausgegangen werden vor dem Erfahrungshintergrund, dass die Bemühungen eines Anwalts, Unfallschäden außergerichtlich mit den Versicherern zu regulieren - was auch deren Interessen entspricht - zum ganz überwiegenden Teil Erfolg haben (vgl. BGH NJW 68, 2334 m.w.N.). Deswegen ist der BGH in der vergleichbaren Frage des Gebührenanfalls nach § 118 BRAGebO oder nach §§ 31 ff. BRAGebO von einer Vermutung ausgegangen, die dafür spricht, dass der Anwalt zunächst versuchen sollte, die Sache gütlich zu bereinigen. Hieran hat sich nichts dadurch geändert, dass an die Stelle der BRAGebO inzwischen das RVG getreten ist; vielmehr besteht die Intention, dass zunächst eine gütliche Erledigung versucht werden sollte, unverändert fort (vgl. dazu auch Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Aufl. 2008, 2300-2301 Rdn. 6; vgl. auch die inzwischen bekannt gewordene Entscheidung des OLG Celle JurBüro 08, 319 = AGS 08, 161 m. Anm. Schons).

Entgegen einer teilweisen vertretenen Auffassung (vgl. AG Brandenburg, NJOZ 06, 3254; AG Geldern JurBüro 05, 363) kann in diesem Zusammenhang die umfangreiche Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, § 286 Rdn. 49 m.w.N.) allenfalls sehr eingeschränkt als Maßstab für die Erstattungsfähigkeit außergerichtlich angefallener Anwaltskosten herangezogen werden, schon weil die inhaltlich sehr begrenzte Inkassotätigkeit eines derartigen Büros nicht mit der Regulierungstätigkeit eines Rechtsanwalts in einer Unfallschadenssache zu vergleichen ist. Während die Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten nur dann bejaht wird, wenn der Auftraggeber aus besonderen Gründen darauf vertrauen durfte, dass der Gegner ohne gerichtliche Hilfe den Anspruch anerkennen werde (vgl. AG Brandenburg a.a.O.), ist der Rechtsanwalt bei der Übernahme eines Mandats zur Unfallschadensregulierung in einer anderen Situation. Er kann im Regelfall zunächst davon ausgehen, dass der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, und ist deswegen nur dann gehalten, sich alsbald einen unbedingten Klageauftrag geben zu lassen und dadurch den Anfall der außergerichtlichen Geschäftsgebühr zu vermeiden, wenn - wie in dem vom 24. Zivilsenat des OLG Hamm (a.a.O.) entschiedenen Fall - hinreichende konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein außergerichtliches Vorgehen nicht die im Regelfall bestehende Erfolgsaussicht hat.

Derartige Anhaltspunkte bestanden hier bei der Mandatsübernahme keineswegs, zumal nach der einschlägigen Rechtsprechung (auch des erkennenden Senats, vgl. NZV 97, 123 = OLGR Hamm 97, 43) der "Radfahrer auf der falschen Seite" nach einem Zusammenstoß mit einem Grundstückseinbieger keineswegs chancenlos bei der Verfolgung seiner Schadensersatzansprüche ist, was im vorliegenden Fall auch durch die inzwischen rechtskräftig gewordene Entscheidung des Landgerichts zur Hauptsache bestätigt worden ist.

Demgemäß ist der Honoraranspruch des jetzigen Prozessbevollmächtigten gegen den Kläger auf Zahlung der Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Tätigkeit entstanden und durchsetzbar, so dass dem Kläger infolge des Unfalls einer entsprechender Schaden in Form der Kostenbelastung entstanden ist.

2.4

Ohne Erfolg halten die Beklagten dem entgegen, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, weil seinem eigenen Vortrag zufolge seine Rechtsschutzversicherung ihm Deckungszusage erteilt habe für die außergerichtliche Rechtsverfolgung. Denn die Versicherungsprämien hat der Kläger aufgebracht, um für sich vorzusorgen und nicht, um einen Schädiger zu entlasten. Demgemäß wäre auch dann, wenn der Rechtsschutzversicherer bereits gezahlt hätte, die entsprechende Schadensersatzforderung des Klägers nicht untergegangen, sondern gem. § 67 Abs. 1 VVG a.F. auf den Rechtsschutzversicherer übergegangen. Der Kläger wäre zwar nicht mehr aktivlegitimiert nach einem derartigen Anspruchsübergang; dessen Voraussetzungen stehen aber zur Darlegungs- und Beweislast der Beklagten. Da zudem der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Senatstermin ein Schreiben des Rechtsschutzversicherers vorgewiesen hat, wonach die hier im Streit befindliche Geschäftsgebühr noch nicht ausgeglichen ist, ist weiterhin von der Aktivlegitimation des Klägers auszugehen.

2.5

Da die Beklagten wegen der Verletzung der Person des Klägers Schadensersatz zu leisten haben, kann der Kläger auch wegen des darauf beruhenden materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Zahlung des erforderlichen Geldbetrages an sich selbst verlangen, ohne dass die weiteren Voraussetzungen des § 250 BGB vorliegen müssen. Er ist nicht darauf angewiesen, stattdessen als Naturalrestitution die Freistellung von der Verbindlichkeit zu verlangen, die er gegenüber dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt eingegangen ist.

2.6

Zur Höhe der Geschäftsgebühr, welche die Beklagten dem Kläger zu erstatten haben, gilt Folgendes:

Dass innerhalb des Gebührenrahmens der geltend gemachte 1,3fache Satz angemessen ist, ist außer Streit. Die von den Beklagten zu erstattende Gebühr berechnet sich jedoch nicht nach dem vom Kläger zugrunde gelegten Wert von bis zu 13.000,00 €. Dem Erstattungsanspruch des Geschädigten hinsichtlich der ihm entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten ist im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (vgl. BGH MDR 08, 351 = z.f.s. 08, 164 = RVGReport 3/2008 S. 111). Das waren hier ausweislich des insoweit nicht angefochtenen

landgerichtlichen Urteils 9.957,08 €,

nämlich Schmerzensgeld 6.300,00 €

+ Feststellung 1.500,00 €

+ Zahlung materieller Schaden 1.959,08 €.

Demgemäß ist also der Wert bis zu 10.000,00 € anzusetzen, bei dem eine Gebühr 486,00 € beträgt. Danach ergibt sich folgende Abrechnung:

1,3 Gebühren 631,80 €

Postpauschale 20,00 €

Zwischensumme netto 651,80 €

19 % USt 123,84 €

Summe 775,64 €.

Diesen Betrag haben die Beklagten dem Kläger zu erstatten, ohne dass er aufgrund der Haftungsquote zu reduzieren wäre; denn diese hat sich bereits in der Ermittlung des Wertes niedergeschlagen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 100, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die erstinstanzliche Kostenquote ändert sich nicht, da die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten dort nicht streitwertrelevant waren. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.