ArbG Dortmund, Urteil vom 15.07.2008 - 2 Ca 282/08
Fundstelle
openJur 2011, 59021
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.116,57 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz ab dem 14.11.2007 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 643,71 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz ab dem 26.02.2008 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 864,50 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz ab dem 8.4.2008 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 16,5 % und die Beklagte zu 83,5 %.

6. Der Streitwert wird auf 10.329,17 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Entgeltansprüche der Klägerin.

Die 60 Jahre alte, verheiratete, Klägerin ist gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag vom 01.12.2001 (Bl. 101 – 102 d. A.) bei der Beklagten seit dem 15.11.2001 zu einem Stundenlohn von zuletzt 5,20 EUR beschäftigt.

In § 2 des Arbeitsvertrages heißt es:

"Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom 15.11.2001 (siehe Personalfragebogen) als geringfügig Beschäftigter/Packer(in) für eine stundenweise Tätigkeit eingestellt."

§ 3 des Arbeitsvertrages enthält u. a. folgende Regelungen:

"Der Arbeitnehmer erhält als Vergütung für seine Tätigkeit einen Stundenlohn in Höhe von 10,- DM / Euro, zahlbar jeweils zum 15. des Folgemonats auf ein vom Arbeitnehmer zu benennendes Konto.

Die vereinbarte Vergütung beinhaltet den Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Nur tatsächlich geleistete Arbeitsstunden werden vergütet.

Die gesetzlichen Verdienstgrenzen für eine geringfügige Beschäftigung, d. h. 147,00 DM in der Woche bzw. 630,00 DM im Monat werden nicht überschritten. Eine Überschreitung der gesetzlich vorgegebenen Verdienstgrenzen zieht eine entsprechende sozialversicherungs- und steuerrechtliche Behandlung der Bezüge nach sich. …"

In § 4 des Arbeitsvertrages ist unter Arbeitszeit geregelt:

"Ein Arbeitseinsatz erfolgt nach Bedarf unter Berücksichtigung der betrieblichen Notwendigkeiten des Arbeitgebers sowie nach vorheriger Absprache mit dem zuständigen Vorgesetzten.

Die wöchentliche Arbeitszeit kann daher durchaus differieren und dabei auch 10 Stunden unterschreiten.

Ansonsten gestaltet sich die Arbeitszeit nach den gesetzlichen Voraussetzungen für eine geringfügige Beschäftigung, d. h. 14,75 Stunden in der Woche bzw. 63,75 Stunden im Monat werden nicht überschritten. Eine Überschreitung der gesetzlich vorgegebenen Stundengrenzen zieht eine entsprechende sozialversicherungs- und steuerrechtliche Behandlung der Bezüge nach sich."

Mit der vorliegenden, am 08.11.2007 bei Gericht eingegangenen Klage, begehrt die Klägerin die Zahlung der geleisteten Arbeitsstunden bis einschließlich Juni 2004 auf der Basis eines Stundenlohns von 7,96 EUR brutto, bis einschließlich Februar 2005 auf der Basis eines Stundenlohns von 8,10 EUR brutto, bis einschließlich August 2006 auf der Basis eines Stundenlohns von 8,12 EUR brutto, bis einschließlich September 2007 auf der Basis eines Stundenlohns von 8,21 EUR brutto, was für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.09.2007 unter Abzug eines Stundenlohns von 5,20 EUR brutto einen Betrag von insgesamt 7.116,57 EUR brutto ergibt.

Mit ihrer am 14.02.2008 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung begehrt die Klägerin die Zahlung der geleisteten 95 Arbeitsstunden von Oktober 2007 bis Dezember 2007 zu einem Stundenlohn von 8,21 EUR brutto. Unter Abzug von 5,20 EUR brutto je Stunde ergibt sich ein Differenzbetrag in Höhe von 285,95 EUR brutto. Des Weiteren begehrt die Klägerin die Bezahlung von 37 nicht gearbeiteten Stunden zu einem Stundenlohn von 8,21 EUR brutto = 357,76 EUR brutto. Insgesamt ergibt sich für diesen Zeitraum eine Forderung in Höhe von 643,71 EUR brutto.

Auch für die Monate Januar bis März 2008 fordert die Klägerin mit ihrer am 03.04.2008 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung die Zahlung geleisteter 39 Stunden á 8,21 EUR brutto abzgl. 5,20 EUR brutto = 117,39 EUR brutto sowie die Zahlung 91 nicht gearbeiteter Stunden zu 8,21 EUR brutto = 747,11 EUR brutto. Insgesamt ergibt sich für diesen Zeitraum eine Forderung in Höhe von 864,50 EUR brutto.

Schließlich verlangt die Klägerin mit ihrer Klage vom 07.11.2007 auf der Basis des Stundenlohns von 8,21 EUR brutto für die Jahre 2004 bis 2007 die Zahlung von Urlaubsentgelt für 4 Wochen pro Jahr unter Berücksichtigung der in diesen Jahren durchschnittlich geleisteten Stunden, insgesamt 1.704,39 EUR brutto (vgl. Berechnung Bl. 10 d. A.).

Die Klägerin meint, der von der Beklagten gezahlte Lohn sei sittenwidrig, da ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliege. Da sie tatsächlich nicht als Packerin, sondern vielmehr ganz überwiegend mit den Tätigkeiten einer klassischen Verkäuferin, z. B. Warenpräsentation, Kundenberatung, Kassiervorgängen, einschließlich Abrechnen der Kasse, beschäftigt worden sei, habe sie anstelle der sittenwidrigen Vergütung gem. § 612 Abs. 2 BGB die der vertraglich geschuldeten Leistung angemessene Vergütung, nämlich die einer Verkäuferin der Gehaltsgruppe I, 6. Berufsjahr, des Gehaltstarifvertrages für den Einzelhandel NRW zu erhalten, wonach die Beklagte ab dem Jahre 2004 pro Stunde 11,93 EUR brutto, 12,15 EUR brutto, 12,18 EUR brutto und zuletzt ab 01.09.2006 12,30 EUR brutto zu zahlen habe. Unter Abzug eines Drittels errechne sich der ihrer Berechnung für die Jahre 2004 bis 2007 zugrundegelegte Lohnanspruch. Aber auch wenn man von einer gewerblichen Tätigkeit als Packerin ausgehe, habe der Tariflohn nach Lohngruppe II, Staffel b) des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel NRW 10,96 EUR brutto betragen. Abzustellen sei jedenfalls auf die Tarifverträge des Einzelhandels, wo deutlich über 50 % der Unternehmen tarifgebunden seien. Bei den fünf großen Discounthändlern, die über 90 % dieses Marktsegments ausmachten, liege Tarifgebundenheit vor. Die Klägerin meint, da im Arbeitsvertrag eine feste Arbeitszeit nicht vereinbart sei, sei von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden auszugehen, die die Beklagte auch zu bezahlen habe, wenn sie sie nicht zur Arbeit einsetze. Da sie im Übrigen in den Jahren 2004, 2005, 2006 und 2007 Urlaub entsprechend den Dienstplänen erhalten habe, jedoch die Beklagte insoweit kein Urlaubsentgelt unter Hinweis auf den Arbeitsvertrag, wonach nur tatsächlich geleistete Stunden zu bezahlen seien, abgelehnt habe, bestehe ein Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts für die genannten Jahre. Dieses sei auf der Basis der durchschnittlich geleisteten Stunden für einen Zeitraum von 4 Wochen zu bezahlen und ergebe insgesamt bei einem Stundenlohn von 8,21 EUR brutto den Betrag von 1.704,39 EUR brutto.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.820,96 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz ab dem 14.11.2007 zu zahlen. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 643,71 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 26.2.2008 zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 864,50 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 8.4.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerin sei bei ihr als Packerin beschäftigt und nicht als Verkäuferin. Im Übrigen entspreche die der Klägerin gewährte Vergütung dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet. Die Beklagte behauptet, für geringfügig beschäftigte Mitarbeiter im Discount-Einzelhandel betrage das allgemeine Lohnniveau bundesweit 4,- EUR bis 7,- EUR pro Stunde. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin eine Vergütung von 5,20 EUR netto pro Stunde erhalte. Gehe man von dem Tariflohn für Packerinnen von 10,96 EUR brutto aus, verbliebe auch hier nach Abzug der Sozialabgaben ein Nettostundenlohn von 6,16 EUR, der nicht sittenwidrig sei. Etwaige Zahlungsansprüche seien auch gemäß § 24 MTV Einzelhandel NRW, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages im Jahr 2001 allgemeinverbindlich war, verfallen. Die Beklagte meint, die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Zahlung der Vergütung von 10 Wochenstunden für die Monate ab Oktober 2007, da nach dem Arbeitsvertrag die wöchentliche Arbeitszeit differiere und auch 10 Stunden unterschreiten könne. Die Urlaubsansprüche der Klägerin seien bis einschließlich 2006 verfallen, da sie in der Vergangenheit keinen Urlaub geltend gemacht habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und der von ihnen geäußerten Rechtsauffassungen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und im ausgesprochenen Umfang begründet.

Die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Dortmund schließt sich nach eigener Sachprüfung den Ausführungen der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Dortmund im Urteil vom 29.05.2008, 4 Ca 274/08 an:

I.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 7.116,57 EUR brutto für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.09.2007.

Die Beklagte hat die von der Klägerin geleistete Arbeitszeit in Höhe von 7,96 EUR brutto, bzw. 8,10 EUR brutto sowie 8,12 EUR brutto und ab 01.09.2006 mit 8,21 EUR brutto pro Stunde zu vergüten. Dieser Anspruch folgt aus §§ 612 Abs. 2, 138 BGB, denn die Vergütungsvereinbarung der Parteien im Vertrag von 01.12.2001 verstößt gegen die guten Sitten und ist deshalb nichtig.

Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung kann wegen Lohnwucher oder wegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig sein. Sowohl der strafrechtliche Wuchertatbestand des § 291 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB als auch der zivilrechtliche Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB und das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB setzen dabei ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus (BAG vom 24.03.2004 – 5 AZR 303/03 – mwN). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist zur Feststellung, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, der Wert der Leistung des Arbeitnehmers nach ihrem objektiven Wert zu beurteilen (BAG vom 24.03.2004 - 5 AZR 303/03 -; BAG vom 23.05.2001 - 5 AZR 527/99 -). Ausgangspunkt zur Feststellung des Wertes der Arbeitsleistung sind dabei in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweiges. Das gilt jedenfalls dann, wenn in dem Wirtschaftsgebiet üblicherweise der Tariflohn gezahlt wird. Denn dann kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt nur zu den Tariflohnsätzen gewonnen werden können. Entspricht der Tariflohn indessen nicht der verkehrsüblichen Vergütung, sondern liegt diese unterhalb des Tariflohns, ist zur Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen. Das Bundesarbeitsgericht hat bisher keine Richtwerte zur Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung entwickelt, allerdings ausgeführt, dass zur Feststellung des auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung nicht auf einen bestimmten Abstand zwischen dem Arbeitsentgelt und dem Sozialhilfesatz abgestellt werden kann und auch aus den Pfändungsgrenzen des § 850 c ZPO nicht auf ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung geschlossen werden kann (BAG vom 24.03.2004 - 5 AZR 303/03 -). Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Fall der strafrechtlichen Beurteilung des Lohnwuchers die tatrichterliche Würdigung des Landgerichts, ein auffälliges Missverhältnis liege bei einem Lohn vor, der 2/3 des Tariflohns betrage, revisionsrechtlich gebilligt (BGH vom 22.04.1997 - 1 StR 701/96 -). Von diesem Richtwert gehen auch einige Arbeitsgerichte und das Schrifttum aus (LAG Berlin, 20.02.1998 - 6 Sa 145/97 -; LAG Berlin, 28.02.2007 – 15 Sa 1363/06 -; Reineke NZA 2000, Beilage zu Heft 3, Seite 23, 32;).

Vorliegend ist von einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung auszugehen.

Tarifverträge kommen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zur Anwendung. In diesem Fall ist es zunächst Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung festzulegen. Sie haben einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die noch als angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles festzustellen. Maßgeblich ist die Verkehrsanschauung. Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind dabei die einschlägigen Tarifverträge. Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt (BAG vom 19.02.2008 - 9 AZR 1091/06 - zur Angemessenheit einer Ausbildungsvergütung).

Selbst wenn man im vorliegenden Fall davon ausgeht, die Klägerin sei bei der Beklagten entsprechend § 1 des zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrages vom 01.12.2001 als Packerin beschäftigt, so entspräche diese Tätigkeit (mindestens) der Lohngruppe II, Staffel a), des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel NRW, wonach die Klägerin einen Lohnanspruch von 9,39 EUR brutto, 9,72 EUR brutto und ab 01.09.2006 von 9,82 EUR brutto gehabt hätte. Der räumlich und fachlich einschlägige Gehalts- oder Lohntarifvertrag des Einzelhandels NRW gibt die verkehrsübliche Vergütung wider. Es ist nicht ersichtlich, dass die genannten Tarifverträge mit ihren Vergütungsregelungen nicht als Maßstab für die üblicherweise in NRW im Einzelhandel gezahlte Vergütung zugrunde zu legen sind. Die Beklagte trägt hierzu auch lediglich vor, dass für geringfügig beschäftigte Mitarbeiter im Discount-Einzelhandel eine Vergütung bundesweit in Höhe von 4,- EUR bis 7,- EUR pro Stunde gezahlt wird. Dies ist jedoch insofern unerheblich, als es zum Einen nichts über die im gesamten Bereich des Einzelhandels in NRW insgesamt gezahlte übliche Vergütung aussagt, zum Anderen, weil eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitkräften und Vollzeitkräften im Hinblick auf die Entlohnung gem. § 4 TzBfG ungerechtfertigt wäre. Die Beklagte kann sich daher nicht darauf zurückziehen, auch andere Discount-Einzelhändler zahlten unter Verstoß gegen § 4 TzBfG eine Vergütung, die erheblich unter der tariflichen üblichen Vergütung liege, denn entscheidend ist abzustellen auf den entsprechenden Wirtschaftszweig, den Einzelhandel, in welchem die Klägerin tätig ist, und nicht auf einen bestimmten Teilbereich, in dem im großen Umfang geringfügig beschäftigte Frauen mit entsprechend niedriger Entlohnung eingesetzt werden. Dass der Discount-Einzelhandel einen eigenen Wirtschaftszweig bildet und sich insofern von der Einzelhandelsbranche unterscheidet, ist nicht erkennbar. Vergleichsmaßstab zur Ermittlung eines auffälligen Missverhältnisses des vertraglich vereinbarten Lohns einer Packerin zu deren Arbeitsleistung ist damit der im Einzelhandel maßgebliche Tariflohn (zur Frage des Vergleichsmaßstabs, BAG, 24.03.2004 - 5 AZR 303/03 -).

Vergleicht man die Stundenlöhne von 9,39 EUR brutto, 9,72 EUR brutto und 9,82 EUR brutto gemäß der Lohngruppe II, Lohnstaffel a), des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel NRW mit der vertraglich vereinbarten Vergütung von 5,20 EUR pro Stunde, so ist bei der Vergleichsrechnung jeweils von Bruttobeträgen auszugehen, denn der Arbeitsvertrag der Parteien enthält insoweit keine Nettolohnvereinbarung, was sich schon aus der Regelung in § 4 des Arbeitsvertrages vom 01.12.2001 ergibt. Dass die Beklagte im Falle des Überschreitens der Einkommensgrenzen von zuletzt 400,- EUR monatlich auch eine Vergütung von 5,20 EUR netto gezahlt hätte, ist nicht ersichtlich.

Angesichts dessen ist der vertraglich vereinbarte Stundenlohn als Bruttolohn zu vergleichen mit den tarifvertraglich festgelegten Bruttostundenlöhnen. Der vertraglich vereinbarte Stundenlohn liegt um ca. 46 % - 47 % unter der tarifvertraglichen üblichen Vergütung und wird damit insoweit um mehr als 1/3 unterschritten. Es liegt daher ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Eine arbeitsvertragliche Abrede, nach der die arbeitnehmerische Leistung mit nur etwas mehr als der Hälfte der üblichen Vergütung entlohnt werden soll, ist mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren und stellt ein unangemessenes, der Korrektur bedürfendes Ungleichgewicht der gegenseitigen Leistungsverpflichtung dar (vgl. Arbeitsgericht Bremen/Bremerhaven vom 12.12.2007 - 9 Ca 9331/07 -).

Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 138 BGB ist ein Anspruch der Klägerin auf die übliche Vergütung gemäß § 612 Abs. 2 BGB. Die übliche Vergütung ergibt sich, wie ausgeführt, aus dem Lohntarifvertrag des Einzelhandels NRW. Danach hätte die Beklagte die von der Klägerin geleistete Arbeitszeit, geht man tatsächlich von einer Tätigkeit der Klägerin als Packerin aus, mit einem Stundenlohn von mindestens 9,39 EUR brutto, 9,72 EUR brutto und ab 01.09.2006 von 9,82 EUR brutto vergüten müssen. Da die Klägerin für die genannten Zeiträume ab dem 01.01.2004 lediglich 7,96 EUR brutto, 8,10 EUR brutto und 8,12 EUR brutto sowie 8,21 EUR brutto verlangt war dem Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 7.116,57 EUR brutto zu entsprechen.

Die Ansprüche der Klägerin auf Vergütung auf der Basis der genannten Stundenlöhne für die Zeit vom 01.01.2004 bis einschließlich 30.09.2007 sind auch nicht gemäß § 24 MTV des Einzelhandels NRW verfallen. Allerdings ist der Manteltarifvertrag des Einzelhandels NRW vorliegend nachwirkend gemäß § 4 Abs. 5 TVG auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis anwendbar. Die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist stellt sich jedoch nach Auffassung der Kammer als rechtsmissbräuchliches Verhalten gemäß § 242 BGB dar.

Zwar geht das BAG davon aus, dass allein der Verstoß gegen die aus § 2 Abs. 1 NachwG folgende Verpflichtung nicht den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens begründet (BAG 29.05.2002 - 5 AZR 105/01 -; BAG 05.11.2003 - 5 AZR 676/02 -). Vorliegend haben die Parteien jedoch in einem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 01.12.2001 dezidiert die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien niedergelegt, ohne gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG einen Hinweis auf den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW aufzunehmen. Sie haben alle Punkte, die gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG in die Niederschrift des Arbeitsvertrages aufgenommen werden müssen, geregelt, nur diesen einen Punkt gerade nicht. Angesichts dessen musste die Klägerin in dem Glauben sein, alle wesentlichen Vertragspunkte seien schriftlich festgelegt und mündliche Nebenabreden seien nicht getroffen, obwohl tatsächlich zusätzlich zu den im Arbeitsvertrag vom 01.12.2001 getroffenen Vereinbarungen noch die Regelungen des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel NRW hinzutraten. Da die Beklagte selbst über einen Zeitraum von 6 Jahren den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW nicht angewendet hat, setzt sie sich mit ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn sie sich, ohne dass insoweit eine arbeitsvertragliche Niederschrift vorliegt, nunmehr auf die Verfallfrist in § 24 MTV für den Einzelhandel NRW beruft. Dieses widersprüchliche Verhalten stellt sich als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB dar. Von einem Verfall der Ansprüche der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.09.2007 ist deshalb nicht auszugehen.

II.

Für die Monate Oktober bis Dezember 2007 sowie Januar bis März 2008 hat die Beklagte die Klägerin auf der Basis einer 10-Stunden-Woche und einem Stundenlohn von 8,21 EUR brutto zu bezahlen. Da zwischen den Parteien eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit nicht vereinbart ist, vielmehr in § 4 des Arbeitsvertrages vom 01.12.2001 festgelegt ist, dass die wöchentliche Arbeitszeit differieren und auch 10 Stunden unterschreiten könne, gilt gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG eine Arbeitszeit von 10 Stunden pro Woche als vereinbart. Die Beklagte hat daher der Klägerin trotz fehlender Arbeitsleistung die Vergütung für 10 Stunden pro Woche. Dies ergibt für die Zeit von Oktober bis Dezember 2007 jedenfalls 643,71 EUR brutto sowie für die Zeit von Januar bis März 2008 jedenfalls 864,50 EUR brutto.

III.

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf Urlaubsentgelt für die Jahre 2004 bis 2007. Hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2006 bestehen insoweit schon Bedenken, ob nicht der Urlaub, lässt man die Anwendbarkeit des MTV für den Einzelhandel NRW außer Betracht, nach den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes spätestens mit dem 31.03. des Folgejahres verfallen ist. Jedenfalls aber kommt ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Urlaubsentgelt für die Jahre 2004 bis 2007 schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin sich noch in einem Arbeitsverhältnis befindet. Sofern die Klägerin daher, wie sie behauptet, bezahlten Erholungsurlaub gegenüber der Beklagten geltend gemacht und diese der Klägerin den Urlaub zu Unrecht verweigert hat, käme als Schadensersatzanspruch nur ein Anspruch auf Gewährung von Urlaub für die vergangenen Jahre in Betracht. Eine Abgeltung von Urlaub ist im bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeschlossen. Nur wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, so ist er abzugelten, § 7 Abs. 4 BUrlG. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Klägerin könnte, sofern ihr tatsächlich noch ein Urlaubsanspruch für die Vergangenheit zustehen sollte, diesen noch in Natur nehmen.

IV.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet sich jeweils seit Erhebung der Klage mit den Lohnzahlungen an die Klägerin in Verzug.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kosten waren verhältnismäßig zu teilen. Die Entscheidung über den Streitwert gründet sich auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, § 3 ZPO. Der Streitwert wurde in Höhe der eingeforderten Zahlungsbeträge festgesetzt.

Bartels