VG Arnsberg, Beschluss vom 05.03.2008 - 1 L 12/08
Fundstelle
openJur 2011, 58564
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage - 1 K 222/08 - der Antragstellerinvom 18. Januar 2008 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18. Dezember 2007 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der dem Tenor entsprechende sinngemäße Antrag der Antragstellerin ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Die Antragstellerin durfte ihren Eilantrag vom 4. Januar 2008 bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage stellen (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass das Eilrechtsschutzbegehren sich ursprünglich auf die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines unstatthaften Rechtsmittels - des unter dem 4. Januar 2008 erhobenen Widerspruches gegen die angefochtene Ordnungsverfügung - gerichtet war. Die Antragstellerin hat die statthafte Anfechtungsklage noch rechtzeitig innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben und sich im Rahmen der Klageerhebung auf das bereits anhängige Eilverfahren bezogen. Damit kann zugunsten der Antragstellerin

vgl. hierzu: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. Dezember 2004 - 24 CS.04.1792 - (Juris),

von einer dem Tenor entsprechenden sinngemäßen Klarstellung des Eilrechtsschutzbegehrens ausgegangen werden, zumal sie diesen Antrag zulässigerweise auch im jetzigen Zeitpunkt noch hätte stellen können.

Der Antrag ist auch begründet. Das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die angefochtene Ordnungsverfügung überwiegt das öffentliche Interesse an deren sofortiger Durchsetzung. Denn bei der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Beurteilung bestehen schwerwiegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der genannten Verfügung.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag AG NRW) vom 30. Oktober 2007 (GV NRW S. 445) ist das Sportwettengesetz NRW vom 3. Mai 1955 (GV NRW S. 84) am 1. Januar 2008 außer Kraft getreten. Für die Frage der Rechtmäßigkeit eines Sportwettenvermittlungsverbotes kommt es auf die Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an, weil es sich bei der angefochtenen Untersagungsverfügung - ungeachtet der Frage, ob die richtige Ermächtigungsgrundlage § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes (OBG) oder § 15 Abs. 2 der Gewerbeordnung (GewO) ist - um einen Dauerverwaltungsakt handelt.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 18. April 2007 - 4 B 1246/06 - (nrwe.de).

Daher ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung die Gesetzeslage im Zeitpunkt der Kammerentscheidung maßgeblich.

Vgl. Verwaltungsgericht Regensburg, Beschluss vom 18. Februar 2008 - RN 4 K 07.393 -.

Vor diesem Hintergrund fällt auch die Interessenabwägung im Übrigen zu Gunsten der Antragstellerin aus.

Dem ordnungsbehördlichen Einschreiten des Antragsgegners mangelt es voraussichtlich an der gesetzlichen Grundlage, und zwar unabhängig davon, ob als Ermächtigungsgrundlage § 15 Abs. 2 GewO, oder § 14 Abs. 1 OBG in Betracht kommen. Es spricht alles dafür, dass die gewerbliche Tätigkeit der Antragstellerin, die über ihre Betriebsstätte in P. , I.----straße 58, für die im Vereinigten Königreich als Wettveranstalter lizenzierte Firma G. Limited, D. N. L. (C. .), Sportwetten vermittelt, gegenwärtig nicht gegen Rechtsnormen verstößt. Insbesondere wirkt die Antragstellerin nicht bei der Verwirklichung eines Straftatbestandes mit. Die Verletzung des § 4 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW, der die Veranstaltung von Sportwetten von einer Erlaubnis abhängig macht, welche die Geschäftspartnerin der Antragstellerin nicht besitzt und nach dieser Vorschrift auch nicht erhalten kann, rechtfertigt die Verbotsverfügung ebenfalls nicht.

Dabei geht die Kammer davon aus, dass die Zuständigkeit des Antragsgegners als örtlicher Ordnungsbehörde für die Untersagung der Sportwettenvermittlung vorliegend nicht durch § 18 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe c) Glücksspielstaatsvertrag AG NRW in Frage gestellt wird, auch wenn die Antragstellerin die Sportwetten über Internetleitungen an den Wettveranstalter vermittelt. Nach der genannten Vorschrift ist die Bezirksregierung Düsseldorf landesweit zuständige "Aufsichtsbehörde" für die Überwachung und Untersagung von unerlaubten Glücksspielen und der Werbung hierfür, soweit die unerlaubten Glücksspiele oder die Werbung hierfür über Telekommunikationsanlagen übermittelt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Bezirksregierung Düsseldorf für die Überwachung und Untersagung eines jeden unerlaubten Glücksspiels zuständig ist, soweit nur bei dessen Veranstaltung zu irgendeinem Zeitpunkt Telekommunikationsanlagen benutzt werden.

So aber VG Köln, Beschluss vom 21. Februar 2008 - 1 L 1849/07 -.

Gemäß § 1 Abs. 2 des Telemedienzuständigkeitsgesetzes in der Fassung vom 30. Oktober 2007 (GV NRW S. 454; TMZ-Gesetz) ist die Bezirksregierung Düsseldorf für das gesamte Land Nordrhein-Westfalen zuständig für die Überwachung und Untersagung von Glücksspielen im Internet und der Werbung hierfür im Internet. Diese Vorschrift bleibt gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW unberührt. Aus diesem Normzusammenhang erschließt sich, dass die Bezirksregierung Düsseldorf nur dann im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe c) Glücksspielstaatsvertrag AG NRW als Aufsichtsbehörde zuständig ist, wenn der gesamte Glücksspielvorgang via Internet/ Telekommunikationsanlagen abgewickelt wird, ohne dass ein im Lande Nordrhein-Westfalen ansässiger Vermittler des Veranstalters - wie hier - in die Organisation des Spielablaufes eingebunden ist. In diesem Fall verbleibt es gemäß § 18 Abs. 3 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW für die Überwachung und Untersagung von unerlaubten Glücksspielen bei der Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörden.

Die Kammer hält in Übereinstimmung mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass Sportwetten in der Form der Oddset-Wetten Glückspiele im Sinne des § 284 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) sind. Diese Glückspiele werden im vorliegenden Fall (auch) in Nordrhein-Westfalen veranstaltet, indem hier durch einen Vermittler, die Antragstellerin, die Möglichkeit eröffnet wird, Angebote zum Abschluss von Wettverträgen abzugeben (vgl. § 9 StGB). Seine Gewerbeausübung ist ohne die nachstehend angesprochenen Auswirkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 des EG-Vertrages (EG) jedenfalls als Beihilfe zur Verwirklichung des Straftatbestandes des § 284 Abs. 1 StGB zu beurteilen.

Vgl. hierzu nur OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2006 - 4 B 961/06 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2006, 1078 m. w. N.

Die auf § 284 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 14 Abs. 1, § 3 Abs. 1 und § 4 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW beruhende Strafbarkeit des Veranstaltens von Sportwetten durch einen Gewerbetreibenden, der für diese Tätigkeit eine Erlaubnis eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) erhalten hat, und der damit einhergehende Ausschluss dieses Gewerbetreibenden vom Sportwettenmarkt in Nordrhein-Westfalen sind jedoch mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG nicht vereinbar.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass nationale Regelungen, die strafbewehrte Verbote des Sammelns, der Annahme und der Übertragung von Sportwetten enthalten, Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nach den Art. 43 und 49 EG darstellen, wenn der betreffende Mitgliedstaat (wie hier) keine Genehmigungen erteilt. Diese Beschränkungen müssen - in ihren konkreten Anwendungsmodalitäten - aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Sie müssen darüber hinaus geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Auf jeden Fall müssen sie in nicht diskriminierender Weise angewandt werden. Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die Beschränkungen der Spieltätigkeiten rechtfertigen können, gehört u.a. die Vermeidung von Anreizen zu überhöhten Ausgaben für das Spielen. Unverhältnismäßig können strafrechtliche Sanktionen für das Durchführen von Wetten mit Veranstaltern in einem anderen Mitgliedstaat der EU vor allem dann sein, wenn zur Teilnahme an Wetten ermutigt wird, sofern sie von staatlich zugelassenen nationalen Einrichtungen organisiert werden.

Vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - Rs C-243/01 - (Gambelli), Slg. 2003, S. I-13031, Rn. 48 f, 59 f, 65, 72, 75.

Den Mitgliedstaaten steht es zwar frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet von Glücksspielen festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen, jedoch müssen die von ihnen vorgeschriebenen Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit genügen.

EuGH, Urteil vom 13. September 2007 - Rs C-260/04 (Kommission ./. Italien) -, Rn. 28 m. w. N.

So können Beschränkungen der Anzahl der Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich gerechtfertigt sein. Sie müssen jedoch in jedem Fall dem Anliegen gerecht werden, die Gelegenheiten zum Spiel wirklich zu vermindern und die Tätigkeiten in diesem Bereich kohärent und systematisch zu begrenzen.

EuGH, Urteil vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Placanica u. a. ) -, Rn. 53, m. w. N. aus der st. Rspr. des Gerichtshofes.

Diese Anforderungen erfüllt das nordrheinwestfälische Gesetz zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland wie vordem das Sportwettengesetz NRW nicht, so dass das nordrheinwestfälische Sportwettenmonopol zugunsten staatlicher (öffentlichrechtlicher) bzw. von ihnen beherrschter Veranstalter ohne Möglichkeit der Zulassung privater Veranstalter auch in seiner aktuellen Ausgestaltung nach dem Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (vgl. §§ 2 und 3 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW) gegen Art. 43 und 49 EG verstößt. Dieser Verstoß erfasst auch die in § 7 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW vorgesehene Erlaubnispflicht für Vermittlungstätigkeiten, wie sie die Antragstellerin vornimmt.

Denn auch wenn sich die tatsächliche Ausgestaltung des Wettmonopols inzwischen geändert haben sollte,

vgl. hierzu im Einzelnen OVG NRW, a.a.0.,

bestehen im Lande Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung dieses Monopols auch nach dessen Ausformung durch das nordrhein- westfälische Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag immer noch durchgreifende Zweifel an der Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem höherrangigen Recht der Gemeinschaft.

Es spricht bereits Überwiegendes dafür, dass der generelle Ausschluss auch von Sportwettenveranstaltern aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom deutschen Sportwettenmarkt durch §§ 14, 3 und 4 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW unverhältnismäßig ist, weil er über das hinausgeht, was zur Erreichung des primär geltend gemachten legitimen Zieles - der Spielsuchtbekämpfung - erforderlich ist.

Vgl. VG Frankfurt/Main, Beschluss vom 9. Januar 2008 - 7 G 4107/07(3) -.

Denn die Bekämpfung der Spielsucht ist durch ein Staatsmonopol auf Sportwettenveranstaltungen offenkundig nicht eher gewährleistet als bei privaten Wettveranstaltungen, vorausgesetzt, dass die Tätigkeit der staatlichen und privaten Veranstalter im Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen denselben Bedingungen unterliegt. Die Möglichkeit, auch die Tätigkeit privater Wettveranstalter und -vermittler scharfen Restriktionen und aufsichtsbehördlichen Kontrollen für die Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten zu unterwerfen, ist dem nationalen Gesetzgeber nach der dargelegten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes unbenommen, soweit der Gesetzgeber diese Restriktionen in nicht europarechtlich diskriminierender Weise anwendet. Indem das Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag jedoch ausnahmslos das staatliche Monopol und damit die Beschränkung der europarechtlichen Grundfreiheiten aus Art. 43 und 49 EG-Vertrag festschreibt, diskriminiert es gerade die europäischen Dienstleister. Denn es liegen keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass allein die Aufrechterhaltung des staatlichen Sportwettenmonopols in Nordrhein-Westfalen die unerlässliche Vorbedingung zur Erreichung der legitimen Ziele einer wirksamen Spielsuchtbekämpfung und des Spielerschutzes ist. Die zentrale Argumentation für die Aufrechterhaltung des Monopols, dass die Suchtgefahren mit Hilfe eines auf die Bekämpfung von Glücksspielsucht und problematischem Spielverhalten ausgerichteten Monopols mit staatlich verantwortetem Angebot effektiver beherrscht werden könnten als im Wege einer Kontrolle privater Veranstalter, und dass dieses Monopol es bei der Veranstaltung von Sportwetten und Lotterien mit besonderem Gefährdungspotential ermögliche, die zur Suchtprävention notwendigen Begrenzungen des Angebots an Glücksspielen wirksam vorzunehmen,

vgl. LT-Drs. 14/868; Entwurf des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland, Stand: 14.12.2006; Erläuterungen A II 2.2. (http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/ MMV14-868.pdf?von=1&bis=0),

überzeugt angesichts der Notwendigkeit einer neutralen Kontrolle auch des staatlichen Monopols auf die Einhaltung dieser Vorgaben und der legislatorischen Möglichkeiten zur Einschränkung und Kontrolle des Angebotes privater Veranstalter vor dem Hintergrund der europarechtlichen Vorgaben nicht. Letztlich dürften auch private Veranstalter grundsätzlich in der Lage sein, ein im Hinblick auf legitime Ziele des Allgemeininteresses eingeschränktes Glücksspielangebot bereit zu stellen.

Der befürchtete Verlust von staatlichen Einnahmen durch die Zulassung privater Veranstalter rechtfertigt die Aufrechterhaltung des Sportwettenmonopols ohnehin nicht. Die Begrenzung der Dienstleistungsfreiheit durch die Einschränkung von Glücksspielerlaubnissen ist nur zulässig, wenn die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist.

EuGH, Urteil vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98 (Zenatti) -, Slg. 1999, I-07289, Rn. 36.

Unbeschadet des Umstandes, dass die Verfolgung fiskalischer Zwecke danach kein Hauptziel des Monopols sein darf, kann der Gesetzgeber auch bei einer Zulassung privater Wettveranstalter die zur Rechtfertigung des Monopols angeführten gemeinnützigfiskalischen Zwecke verfolgen. Denn die Zweckabgaben (§ 10 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW) lassen sich voraussichtlich ebenso wie Steuern auf die Spieltätigkeiten auch rechtmäßig von privaten Veranstaltern erheben.

Vgl. zur Zulässigkeit von Glücksspielsonderabgaben: Koenig/Ciszewski, Novellierung der gesetzlichen Grundlagen des Glücksspielrechts durch eine duale Glücksspielordnung, in: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2007, 313 (319).

Ganz ungeachtet dessen dürften nach den Maßgaben des Europäischen Gerichtshofes auch erhebliche Zweifel an einer kohärenten und systematischen Begrenzung der Tätigkeiten im Bereich des Glücksspielwesens durch die in Nordrhein-Westfalen bzw. bundesweit geltenden Vorschriften bestehen. Der Europäische Gerichtshof fordert zur Rechtfertigung einer Beschränkung der Anzahl der Wirtschaftsteilnehmer die kohärente Begrenzung von Tätigkeiten im Bereich des "Spiels".

EuGH, Urteil vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Placanica u. a. ) -, Rn. 53.

In einer früheren Entscheidung des Gerichtshofes ist zwar auch schon von "Beschränkungen der Spieltätigkeiten" die Rede, jedoch mit dem Hinweis, dass diese zu einem kohärenten und systematischen Beitrag zur Begrenzung der "Wetttätigkeiten" geeignet sein müssen.

EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01 (Gambelli) -, Rn. 67.

Der Europäische Gerichtshof hat damit das Kohärenzerfordernis spätestens in dem genannten Urteil vom 6. März 2007 ausdrücklich über den Glücksspielsektor der "Sportwetten" hinaus auf das gesamte Glücksspielwesen erweitert. Zudem impliziert der Kohärenzbegriff ein funktionales Übergreifen von Maßnahmen über die einzelnen Teilbereiche des Glücksspielwesens hinweg, soweit diese Maßnahmen auf dasselbe legitime Ziel gerichtet sind. Das einem einzelnen (staatlichen) Veranstalter eingeräumte Sportwettenmonopol stellt insoweit lediglich einen Bereich des als Ganzes zu betrachtenden nationalstaatlichen Glücksspielwesens dar.

Vgl. EFTA-Gerichtshof, Urteil vom 30. Mai 2007 - Rechtssache E-3/06 (Ladbrokes Ltd. ./. The Government of Norway) -, Rn. 45 und 52, unter Bezugnahme auf den EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - Rs C- 243/01 - (Gambelli); im Ergebnis wie hier: VG Schleswig, Beschluss vom 30. Januar 2008 - 12 A 102/06 -; zur Bedeutung der Kohärenzproblematik auch: Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 6 S 2082/07 -.

Diesen rechtlichen Vorgaben dürfte die für das Land Nordrhein-Westfalen maßgebliche rechtliche Ausgestaltung des Glücksspielwesens nicht gerecht werden, weil sie das legitime Ziel der Spielsuchtbekämpfung ebenso wie dasjenige des Spielerschutzes gerade nicht im Sinne des Europäischen Gerichtshofes systematisch verfolgen dürfte. Die einzelnen Bereiche des Glücksspielwesens sind in Deutschland verschieden geregelt. Lotto und Sportwetten sind ebenso wie der Betrieb von Spielbanken in NRW (vgl. § 3 des Gesetzes über die Zulassung öffentlicher Spielbanken im Land Nordrhein-Westfalen; GV NRW 2007 S. 450) dem Staatsmonopol vorbehalten; Pferdewetten (vgl. § 2 Abs. 1 des Rennwett- und Lotteriegesetzes in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 611-14, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 119 der Verordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl. I S. 2407) und das ebenfalls bundesgesetzlich geregelte besonders suchtgefährdende Automatenspiel dürfen dagegen von privater Seite veranstaltet werden (vgl. § 33c GewO). Hierbei zeigen insbesondere die Regelungen über das Glücksspiel an Spielautomaten, dass den Spielsuchtgefahren in Deutschland nicht kohärent und systematisch begegnet wird. Die mit Abstand prozentual wie absolut häufigsten Fälle von Spielsucht betreffen die Besucher von Spielhallen und das Spiel an Glücksspielautomaten. In der Forschung wird für die Automatenspieler ein Anteil von deutlich über 80 % an der Gesamtzahl der pathologisch Spielsüchtigen genannt.

Vgl. Meyer, Gerhard: Glücksspiel, Zahlen und Fakten, http://www.gluecksspielsucht.de/materialien/zahlen_fakten2004.pdf; Website des Fachverbandes Glücksspielsucht e.V.

Suchtfördernd beim Automatenspiel ist die rasche zeitliche Abfolge der Spiele an den Automaten. Durch die Novellierung der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (Spielverordnung - SpielV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Januar 2006 (BGBl. I S. 280) ist der zeitliche Abstand der Einzelspiele auf fünf Sekunden verkürzt worden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 SpielV). Dass die Verkürzung, wie in der Gesetzesbegründung (BR Drs. 655/05, S. 1, 23 ff) behauptet wird, dem Spielerschutz dienen soll, ist nicht nachvollziehbar. Es sei des Weiteren darauf hingewiesen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung jüngst die generellen Kontrollpflichten von Casinos im Hinblick auf Spielsüchtige, die sich haben freiwillig sperren lassen, vom sog. "Großen Spiel" auf das Automatenspiel in den Casinos erweitert hat.

Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 22. November 2007 - III ZR 9/07 -.

Hier zeigt sich gerade im gesetzlichen Spielerschutz die fehlende Kohärenz in der Ausrichtung des Glücksspielwesens. Die Verpflichtung zur Einrichtung einer (dem Spielerschutz dienenden) Sperrdatei für gefährdete Spieler gemäß § 12 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW betrifft nur die Veranstaltungen staatlicher Veranstalter und diejenigen der (staatlichen) Spielbanken. Spieler, die durch das Automatenglücksspiel spielsuchtgefährdet sind, können durch diese Datei - und auch durch sonstige Schutzeinrichtungen - nur dann erfasst werden, wenn sie Spielbanken besuchen wollen, um in dortigen Automatensälen zu spielen. Der Schutz erstreckt sich jedenfalls nicht auf das Glücksspielautomatenangebot in gewerblichen Spielhallen. Zudem umfasst das Teilnahmeverbot für gesperrte Spieler nur die Teilnahme an Wetten und Lotterien, die häufiger als zweimal pro Woche veranstaltet werden (§ 12 Abs. 1 Satz 3 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW). Damit wird aber auch spielsuchtgefährdeten Spielern die Teilnahme an den allwöchentlichen Veranstaltungen der staatlichen Veranstalter, wie Mittwochs- und Samstagslotto, gestattet. Inwieweit hierdurch ein wirksamer Schutz auch bereits erheblich gefährdeter und deswegen auch in der Sperrdatei erfasster Personen gewährleistet werden soll, erschließt sich nicht.

Soweit das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen aus dem nach seiner Auffassung vom Europäischen Gerichtshof eingeräumten Beurteilungsspielraum eine Berechtigung des Gesetzgebers zu unterschiedlichen sektoralen Regelungen (sc. im Bereich des nationalen Glücksspielwesens) entnimmt,

Beschluss vom 22. Februar 2008 - 13 B 1215/07 -, nrwe.de, Rn. 127,

dürfte diese Berechtigung schon von den hierzu aufgestellten Voraussetzungen nicht getragen werden. Voraussetzung für eine berechtigte Regelung nach Glücksspielsektoren soll nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen sein, dass die einzelnen sektorspezifischen Regelungen sich in der Zielsetzung entsprechen, jede Regelung für sich betrachtet erforderlich und geeignet ist und die sektorspezifischen Regelungen zueinander nicht in einem krassen Missverhältnis stehen. Diese Voraussetzungen liegen aber ersichtlich nicht vor. Unabhängig davon, ob sich die sektorspezifischen Regelungen im deutschen Glücksspielwesen in der (behaupteten) Zielsetzung der Spielsuchtbekämpfung überhaupt entsprechen, ist bereits nicht jede Regelung für sich betrachtet hierzu geeignet oder erforderlich. Denn die europarechtlich diskriminierende Einrichtung eines Monopols unter Ausschluss europäischer Anbieter ist - wie gezeigt - im Sportwettensektor jedenfalls nicht erforderlich, weil auch private Veranstalter oder Vermittler spielsuchtbekämpfenden Maßnahmen mit effizienter Kontrolle unterworfen werden können. Die dargelegten Regelungen über das gewerbliche Automatenglücksspiel dürften insbesondere durch die rasche Spielabfolge der Spielsucht nicht entgegenwirken und insofern bereits nicht zur Erreichung der postulierten Zielsetzung einer Suchtbekämpfung geeignet sein. In Bezug auf welche Umstände die sektoralen Regelungen zueinander schließlich nicht in einem "krassen Missverhältnis" stehen dürfen, kann der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht entnommen werden.

Bereits die aufgezeigten durchgreifenden Bedenken gegen die Erforderlichkeit des staatlichen Wettmonopols aus europarechtlicher Sicht führen wegen des Anwendungsvorranges des europäischen Gemeinschaftsrechts zur Unanwendbarkeit der mit ihm unvereinbaren nationalen Rechtsnormen. Die Bestimmungen des EG- Vertrages und die anderen unmittelbar geltenden Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane haben Vorrang vor dem internen Recht der Mitgliedstaaten. Das nationale Recht ist, soweit es dem EG-Recht widerspricht, nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, im Übrigen auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, unangewendet zu lassen.

Vgl. EuGH, Urteile vom 15. Juli 1964 - Rechtssache 6-64 - (Costa/ E.N.E.L.), Slg. 1964, S. 1253 (1269), vom 9. März 1978 - Rs 106-77 - (Simmenthal), Slg. 1978, 629, Leitsatz 3, und vom 22. Juni 1989 - Rs 103-88 - (Costanzo), Slg. 1989, 1839 (Rn. 28 - 33); Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 8. April 1987 - 2 BvR 687/85 -, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 75, 223 (244).

Hieraus folgt vorliegend die Unanwendbarkeit des § 284 Abs. 1 StGB in Verbindung mit den §§ 14, 3 und 4 Glücksspielstaatsvertrag AG NRW.

Nach alledem fällt auch die Interessenabwägung im Übrigen zugunsten der Antragstellerin aus. Die Kammer berücksichtigt auch, dass Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Regelungen nach dem Glücksspielstaatsvertrag mit den Regelungen des EG-Vertrages nicht nur von deutschen Verwaltungsgerichten, dokumentiert durch zahlreiche Vorlagebeschlüsse an den Europäischen Gerichtshof,

vgl. u. a. Beschluss des Präsidenten des EuGH vom 15. Oktober 2007 betr. die Vorabentscheidungsersuchen der Verwaltungsgerichte Stuttgart und Gießen - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C- 409/07 und C-410/07 -,

sondern auch von der EU-Kommission erhoben werden. Die Kommission hat beschlossen, Deutschland offiziell um Auskunft über nationale Rechtsvorschriften zur Beschränkung des Angebots von Glücksspielen zu ersuchen. Sie möchte prüfen, ob die in Frage stehenden Maßnahmen mit den Artikeln 43, 49 und 56 EG vereinbar sind.

Pressemitteilung der Kommission vom 31. Januar 2008 - IP 08/119 -.

Angesichts der nach Auffassung der Kammer durchgreifenden gemeinschaftsrechtlichen Bedenken ist es dem Betroffenen nicht zuzumuten, die angefochtene Ordnungsverfügung zu beachten.

Vgl. auch VG Stuttgart, Beschluss vom 7. Januar 2008 - 4 K 6081/07 -.

Es kommt hinzu, dass die untersagte Tätigkeit jahrelang hingenommen wurde und dass in dieser Zeit auch die staatlich beherrschten Wettveranstalter intensiv geworben haben.

Vgl. auch VG Dresden, Beschluss vom 4. Mai 2007 - 14 K 2151/06 - (Beschlussabdruck S. 15).

Dies alles spricht dagegen, dass die Gefahren, zu deren Abwehr hier eingeschritten wurde, jetzt auch nicht mehr vorübergehend hinzunehmen wären. Nach den in der Vergangenheit gewonnenen Erfahrungen haben sich befürchtete Gefahren z. B. in Bezug auf eine Ausnutzung der Spielsucht von Sportwettern soweit ersichtlich nicht realisiert. "Zusätzliche" schädliche Auswirkungen durch private Wettveranstalter sind nicht zu befürchten.

Vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. Januar 2007 - 3 MB 38/06 -.

Zudem ist kein Grund erkennbar, der einen an Sportwetten Interessierten davon abhalten könnte, seinem Spielverlangen durch die Wahrnehmung eines Spielangebotes der staatlich beherrschten Gesellschaften nachzukommen, wenn die Vermittlungstätigkeit ins EU-Ausland unterbunden würde.

Vgl. Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschlüsse vom 6. Dezember 2006 - 3 W 18/06 -, und vom 4. April 2007 - 3 W 18/06 -.

Da die Untersagungsverfügung nach alledem einstweilen nicht beachtet werden muss, ist auch die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Androhung eines Zwangsmittels für den Fall der nicht fristgerechten Befolgung der Grundverfügung anzuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes. Sie entspricht der aktuellen Rechtsprechung für Verfahren dieser Art.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 4 B 1637/04 -, GewArch 2005, 77.