OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.07.2007 - III-1 Ws 203/07
Fundstelle
openJur 2011, 56076
  • Rkr:
Tenor

beschlossen:

Die sofortige Beschwerde der Nebenklägerin gegen den Beschluss der

4. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 6. März 2007 (4 KLs 23/06) wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dort entstandenen notwen-digen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Beschwerdeführerin zur Last.

Gründe

Die Anklage wirft dem Angeschuldigten vor, in der Nacht zum 9. November 2004 seine getrennt lebende und kurz darauf geschiedene Ehefrau (Nebenklägerin) in ihrer Wohnung in ......... vergewaltigt und dabei ein gefährliches Werkzeug (Messer) verwendet zu haben. Das Landgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil kein hinreichender Tatverdacht bestehe. Die zulässige (§ 400 Abs. 2 Fall 1 StPO) sofortige Beschwerde der Nebenklägerin hat keinen Erfolg.

1. Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. "Hinreichender Tatverdacht" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum eröffnet, zumal es sich dabei um eine Prognoseentscheidung handelt (BVerfG NJW 2002, 2859, 2860). Die ermittelten Tatsachen müssen es nach praktischer Erfahrung wahrscheinlich machen, dass der Angeschuldigte in einer Hauptverhandlung mit den Beweismitteln, die zur Verfügung stehen, verurteilt wird. Entscheidend ist letztlich die - vertretbare - Prognose des Gerichts, dass die Hauptverhandlung wahrscheinlich mit einem Schuldspruch enden wird, wenn das Ermittlungsergebnis nach Aktenlage sich in der Beweisaufnahme als richtig erweist (vgl. BGH NJW 2000, 2672, 2673; Roxin DRiZ 1997, 109, 114; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. [2007], § 170 Rdnr. 1 f mwN; jeweils zur Prognose aus der Sicht der Staatsanwaltschaft).

2. Die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Einschätzung, dass eine Verurteilung des Angeschuldigten nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht wahrscheinlich sei, hält sich innerhalb dieses Beurteilungsspielraums. Wahrscheinlich ist ein Ereignis nur, wenn mehr dafür als dagegen spricht, dass es eintritt. Hier spricht auch aus der Sicht des Senats bei vorläufiger Bewertung des Ermittlungsergebnisses nicht mehr für als gegen eine Verurteilung des Angeschuldigten:

a) Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass schon zweifelhaft ist, ob die Aussagen der Nebenklägerin den funktionalen (objektiv zweckdienlichen) und finalen (subjektiv zweckgerichteten) Zusammenhang belegen, der in allen Fällen sexueller Nötigung (§§ 177, 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) nach dem Willen (der Vorstellung) des Täters zwischen dem angewendeten Nötigungsmittel (hier: Einsatz eines Messers), dem Verhalten des Opfers (hier: Dulden des Beischlafs) und der Handlung des Täters (hier: Vollzug des Beischlafs) erforderlich ist (BGHSt 50, 359, 368 = NJW 2006, 1146 [26]; BGH NStZ 2005, 268 [3]; NStZ-RR 2006, 269, 270; NStZ 2007, 31; vgl. auch BGH NStZ 2006, 508). Nach der im Zweifel ausschlaggebenden ersten Aussage der Nebenklägerin - am 9. November 2004, unmittelbar nach der (behaupteten) Tat - hatte der Angeschuldigte das Messer nur im Auto und dort (durch Druck der Messerspitze gegen ihre linke Körperseite) nur verwendet, um sie zu der Erklärung zu zwingen, dass sie "die Scheidung zurücknehme". In der Wohnung hatte er weder Gewalt angewendet noch Drohungen ausgesprochen.

b) Allerdings kann einmal angewandte Gewalt als Drohung (Nötigungsmittel) fortwirken und dazu führen, dass das Opfer nur aus Furcht vor weiterer Gewalt keinen nennenswerten Widerstand mehr leistet (BGH NStZ 2005, 268 [3]; NStZ-RR 2006, 269, 270). Eine Bestrafung setzt dann aber voraus, dass der Täter sich dieser Wirkung bewusst ist oder zumindest damit rechnet und das billigend in Kauf nimmt. Das wird im Zweifel nicht nachzuweisen sein. Der Angeschuldigte hat sich unmittelbar nach der (behaupteten) Tat zur Sache eingelassen. Danach hat die Nebenklägerin freiwillig mit ihm verkehrt und den Beischlaf nicht nur "über sich ergehen lassen", sondern aktiv mitgewirkt. Seine Darstellung hatte den Haftrichter veranlasst, den Haftbefehlsantrag abzulehnen, weil Aussage gegen Aussage stehe, Sachbeweise nicht vorlägen und der Beschuldigte (Angeschuldigte) sich widerspruchsfrei eingelassen habe. Diese Einschätzung war zu dem Zeitpunkt offensichtlich richtig und ist auch jetzt noch, wenn auch im Lichte weiterer Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, in die "Verurteilungsprognose" einzubeziehen. Dass die Rollenverteilung der beteiligten Personen im Strafverfahren - auf der einen Seite die nach ihrem Vorbringen geschädigte Antragstellerin als Zeugin, auf der anderen der Angeschuldigte - die Prüfung, wer von ihnen die Wahrheit sagt, nicht beeinflussen darf, liegt auf der Hand (vgl. BGH NStZ 2004, 635 mwN) und gilt in jeder Lage des Verfahrens.

c) Die angeblich ständig vorhandene Gewaltbereitschaft (zum "Klima ständiger Gewalt" vgl. BGH NStZ-RR 2006, 269, 270 mwN) des Angeschuldigten, die hier als Nötigungsmittel zum Tragen gekommen sei, ist eine durch nichts belegte Behauptung der Antragstellerin. Die Aussagen des Sohns Christian und der Zeugin ........ vermitteln den gegenteiligen Eindruck, und die Zeugin ........... kannte - mit ihren Worten - "alles nur vom Hörensagen". Deshalb käme eine auf diesen Gesichtspunkt gestützten Überzeugung von der Tat in die bedenkliche Nähe eines denkfehlerhaften Zirkelschlusses (der Tatrichter schließt aus der Aussage selbst auf ihre Glaubhaftigkeit, ohne darzulegen, dass Teile der Aussage, aus deren Wahrheit auf die Glaubhaftigkeit anderer Aussageteile geschlossen wird, eine außerhalb der Aussage selbst liegende, also "externe" Bestätigung erfahren haben; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 32 = StV 2005, 487 mwN; Weider, StV 1993, 59).

2. Die "negative Verurteilungsprognose" des Landgerichts ist jedenfalls mit Blick auf die besonderen Anforderungen richtig, denen ein Schuldspruch in Fällen von Aussage gegen Aussage unterliegt:

a) Beruht der Tatvorwurf allein auf den Angaben eines Belastungszeugen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Zwar ist der Tatrichter nicht grundsätzlich schon dann durch den Zweifelssatz (im Zweifel für den Angeklagten) an der Verurteilung gehindert, wenn der Angeklagte schweigt oder Aussage gegen Aussage steht und außer der Aussage des Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Der Tatrichter muss sich jedoch bewusst sein, dass die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen zur Sachlage besitzt. Eine lückenlose Aufklärung und Würdigung aller Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, ist dann von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfG NJW 2003, 2444, 2445; Maier NStZ 2005, 246; jeweils mit zahlreichen Nachweisen der BGH-Rechtsprechung; zuletzt 2 StR 375/05 vom 14. Dezember 2005; 4 StR 268/05 vom 22. Dezember 2005 ).

b) Hier liegt ein Fall von Aussage gegen Aussage vor, denn der Anklagevorwurf beruht ausschließlich auf den Angaben der Nebenklägerin. In einem solchen Fall ist als Erstes zu prüfen, ob die Zeugin im Laufe des Verfahrens im Kern gleichbleibende Angaben zu Tat und Täter gemacht hat (Aussagekonstanz; vgl. BGH StV 2002, 350, 351; Maier, aaO unter II 2 b mwN). Das ist nicht der Fall. Nach belastenden Schilderungen am 9., 12. (eidesstattl. Versicherung) und 16. November sowie am 1. Dezember 2004 hat die Nebenklägerin ihre Beschuldigung in drei schriftlichen Erklärungen vom 21. März, 7. April und 28. Juni 2005 widerrufen. In dem von der Verteidigung nachgereichten ersten Schreiben (Bl. 262 GA), auf das sie in den beiden anderen Schreiben offensichtlich, wenn auch mit falscher Zeitangabe, Bezug genommen hat ("... Anfang April bei meinem Anwalt eine Erklärung abgegeben" - "... durch meinen Anwalt ... vor längerer Zeit widerrufen ..."), hat die Nebenklägerin erklärt, sie habe "die (angebliche) Vergewaltigung nur erfunden" und mit dem Angeschuldigten "einvernehmlichen Geschlechtsverkehr" gehabt. Damit hat sie im Ergebnis die Darstellung des Angeschuldigten beim Haftrichter bestätigt. Bei ihrer nochmaligen Vernehmung Anfang September 2005 hat die Antragstellerin das zwar wieder rückgängig gemacht und erklärt, sie habe nicht falsch ausgesagt; die Vergewaltigung habe stattgefunden. Angesichts dieses widersprüchlichen Aussageverhaltens liegt aber auf der Hand, dass die "negative Verurteilungsprognose" des Landgerichts richtig oder zumindest nicht rechtsfehlerhaft ist.

3. Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass es nicht darauf ankam, ob die Nebenklägerin sich vergewaltigt "gefühlt" hat. Selbst die Feststellung, dass das Opfer mit den sexuellen Handlungen des Täters erkennbar oder gar erklärtermaßen nicht einverstanden war, rechtfertigt nicht den Vorwurf der sexuellen Nötigung (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 12 = NStZ 1995, 229; StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 15; BGH, 3 StR 256/04 vom 5. Oktober 2004, Seite 5; OLG Köln NStZ-RR 2004, 168). Erst der Einsatz eines in §§ 177, 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB aufgeführten Nötigungsmittels macht die sexuelle Handlung strafbar.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO.