SG Detmold, Urteil vom 09.03.2007 - S 7 AS 103/06
Fundstelle
openJur 2011, 51997
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2006 verurteilt, dem Kläger die Kosten für die Klassenfahrt vom 30.03.2006 bis 01.04.2006 nach X. in Höhe von 140,00 EURO zu erstatten. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kl. von der Bekl. die Übernahme der Kosten für eine Klassenfahrt beanspruchen kann.

Der am 1988 geborene Kläger besuchte das evangelische Gymnasium X. und befand sich zum Zeitpunkt der streitigen Klassenfahrt in der 12. Klasse.

In der Zeit vom 27.01.2006 bis zum 29.01.2006 fand eine Klassenfahrt nach C. statt, an der der Kläger teilnahm. Die Kosten in Höhe von 107,00 EURO wurden von der Beklagten nach Einreichung einer Bescheinigung des Schulträgers mit Bescheid vom 02.02.2006 übernommen.

Der Kläger beantragte mit einem am 24.03.2006 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben einen weiteren Zuschuss in Höhe von 140,00 EURO zu einer Klassenfahrt vom 30.03.2006 bis zum 01.04.2006 nach X ... Der Schulträger bestätigte am 23.02.2006 auf dem Antragsformular die Durchführung und Daten der Klassenfahrt.

Die Beklagte lehnte die Übernahme mit Bescheid vom 28.03.2006 mit der Begründung ab, dass ein Zuschuss nur im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht gewährt werden könne und der Kläger als Schüler in der 12. Klasse dieser nicht mehr unterliege.

Hiergegen legte der Kläger am 18.04.2006 Widerspruch ein. Auf die reguläre Schulpflicht käme es nicht an. Immerhin habe die Beklagte die Kosten der Klassenfahrt vom 27.01.2006 bis zum 29.01.2006 auch übernommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Fördern des Zusammenhalts im Klassenverbund und eine Unterstützung der Sozialisation des Klägers sei aufgrund der Volljährigkeit nicht mehr erforderlich. Zudem könne der volljährige Kläger bei vorheriger Kenntnis für die Bestreitung der Aufwendungen selbst sorgen.

Am 11.09.2006 hat der Kläger Klage erhoben.

Er verweist auf seine Ausführungen im Vorverfahren.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß, die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die Klassenfahrt vom 30.03.2006 bis 01.04.2006 nach X. in Höhe von 140,00 EURO zu erstatten.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Begründungen der streitigen Bescheide.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Vorliegend konnte das Gericht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu im Erörterungstermin am 18.01.2007 zu Protokoll erklärt haben.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger ist im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn er hat einen Anspruch auf die begehrte Leistung. Der Zuschuss für die Klassenfahrt nach X. ist gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II zu gewähren. Der angefochtene Bescheid vom 28.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige hilfebedürftige Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15. Lebensjahr vollendet, das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulischen Bestimmungen nicht von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB II sind sie gesondert zu erbringen. Dem Begriff "Klassenfahrt" in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II unterfallen auch Kursfahrten in der Oberstufe. Mit der gesetzlichen Regelung im SGB II wird die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum abgelösten Bundesozialhilfegesetz aufgegriffen (Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 23, Rdnr. 109). Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung stellte darauf ab, ob die Klassenfahrt im Einklang mit den schulrechtlichen Bestimmungen stand (BVerwG 97, 376, 377). Die in Nordrhein-Westfalen geltende Richtlinie für Schulwanderungen und Schulfahrten (Wanderrichtlinien - WRL), welche auch für die gymnasiale Oberstufe Geltung hat, definiert den Begriff "Klassenfahrt" nicht, sondern nur Schulwanderungen und Schulfahrten, Schullandheimaufenthalte, Studienfahrten und internationale Begegnungen und spricht im Anschluss der Definition nur von Schulwanderungen und Schulfahrten, Nr. 1 WRL. Allerdings wird der Begriff "Klassenfahrt" im weiteren Verlauf der Richtlinie einmalig undifferenziert für alle Veranstaltungen verwendet, vgl. Nr. 4.2 WRL. Damit fallen auch die Kursfahrten in der gymnasialen Oberstufe unter den Begriff der Klassenfahrt (so auch Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 23, Rdnr. 110 mit weiteren - auch schulrechtlichen - Nachweisen). Dies deckt sich auch mit dem Sinn und Zweck der Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II. Die Norm soll sicherstellen, dass auch Kinder aus finanzschwachen Familien an diesen schulischen Maßnahmen, die nach Nr. 4.2 WRL hinsichtlich der Teilnahme grundsätzlich verpflichtend sind, teilnehmen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klassenfahrt nach Nr. 1 WRL dem Schulleben entwachsen sein und vor- sowie nachbereitet werden muss. Damit ist die Klassenfahrt Bestandteil des Lern- und Lehrauftrags der Schule. Eine sinnvolle Teilnahme am Schulunterricht im Umfeld der Klassenfahrt ist somit mit der Teilnahme an der Maßnahme verknüpft.

Bei dem Ausschluss bedürftiger Schüler würden die Leistungsträger in unzulässiger Weise mittelbar auf die Lehrinhalte Einfluss nehmen. Denn nach Nr. 1 WRL sind Klassenfahrten Bestandteile der Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Schulen. Den Schulen ist allerdings die Gestaltung des Unterrichts, der Erziehung und des Schullebens im Rahmen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften in eigener Verantwortung zugeordnet, § 3 Abs. 1 Schulgesetz für das Land NRW (SchulG). Ein mittelbarer Eingriff durch andere staatliche Einrichtungen ohne konkrete Ermächtigung ist nicht statthaft. (so im Ergebnis auch SG Dortmund, AZ.: S 33 AS 152/05, Urteil vom 04.12.2006 m.w.N.).

Dabei endet die Förderungsmöglichkeit auch nicht mit dem Abschluss des 10. Schuljahres. Das SGB II benennt alle Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen. Eine Differenzierung in den schulrechtlichen Bestimmungen besteht nicht, zumal auch die Schulfahrten in der gymnasialen Oberstufe in der WRL geregelt sind. Damit besteht auch für die Schüler der gynmasialen Oberstufe eine Teilnahmepflicht nach Nr. 4.2 WRL. Zudem sind damit auch die Schulfahrten in der gesetzlichen Oberstufe Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule und in das Lehrkonzept eingebettet. Ein Ausschluss ist daher nicht sinnvoll und vom Gesetzgeber nicht gewollt. Immerhin soll die Akademikerquote in Deutschland steigen und der Zugang zu Bildung für Kinder aus finanziell schlechter gestellten Familien gefördert werden. Eine Ablehnung der Kostentragung für Fahrten in der Oberstufe widerspräche dem Förderungsziel und Willen des Gesetzgebers und würde zu einer Ausgrenzung von Schülern aus finanziellen Gründen führen, welche nach Nr. 2.2 Satz 4 WRL ausgeschlossen werden soll. Der Umstand, dass Schüler der gymnasialen Oberstufe mitunter volljährig sind und die Schule nach etwaigen Abschlussfahrten bald verlassen, vermag die bisher dargestellte Sichtweise nicht zu ändern. Die Schule hat auch hier die alleinige Entscheidungskompetenz bezüglich der Inhalte und Umsetzungsmittel des Bildungsauftrags.

Begrenzt wird die weite Auslegung des Begriffs "Klassenfahrt" lediglich im Rahmen des SGB II durch die Ergänzung "mehrtägig". Die Kosten für eine Eintagesfahrt können hiernach nicht übernommen werden.

Der Kläger hat unbestritten an der mehrtägigen Klassenfahrt im Zeitraum vom 30.03.2006 bis 01.04.2006 nach X. teilgenommen. Bei dieser Klassenfahrt handelt es sich auch nach Auskunft der Schule um eine reguläre Klassenfahrt im Rahmen der Kursveranstaltungen in der gymnasialen Oberstufe in Übereinstimmung mit den schulrechtlichen Bestimmungen.

Zudem sind ausweislich der Bescheinigung der Schule Kosten in Höhe von 140,00 EURO entstanden. Diese Kosten sind dem Kläger vollständig zu erstatten. Eine Höchstbetragsregelung enthält § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB II nicht. Eine solche kann auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift hergeleitet werden, da sie nicht sachgerecht wäre. Der Gesetzgeber hat die Kostenübernahme bei Klassenfahrten im Rahmen der schulischen Bestimmungen geregelt. Damit stellt er fest, dass die Kosten, die im Sinne der schulrechtlichen Bestimmungen anfallen, auch zu übernehmen sind. Mit dieser Regelung wird aber gleichzeitig auch hinreichend das schulische Umfeld des Betroffenen mitberücksichtigt und so für eine angemessene Mittelverwendung gesorgt. Denn nach Nr. 2.2 WRL legt die Schulkonfertenz die Kostenobergrenze für Schulfahrten fest. Dabei ist der Schulpflegschaft, dem Schülerrat und der Lehrerkonferenz Gelegenheit zur vorbereitenden Beratung zu geben. Zudem ist die Kostenobergrenze für die Schulwanderungen und Schulfahrten möglichst niedrig zu halten, um die Erziehungsberechtigten nicht unzumutbar zu belasten. Außerdem darf der finanzielle Aufwand kein Grund dafür sein, dass eine Schülerin oder ein Schüler nicht teilnehmen kann. Die Kosten für die Klassenfahrten sind damit auszurichten an dem, was die Erziehungsberechtigten leisten können oder leisten möchten und kommen in einem pädagogisch geleiteten demokratischen Prozess im Rahmen der Schulkonferenz zustande. Damit ist ein ausreichendes Korrektiv geschaffen, welches dafür sorgt, dass auch der Leistungsträger nach dem SGB II nicht übermäßige oder unverhältnismäßige Kosten zu tragen hat. Einer Höchstbetragsregelung bedarf es daher seitens der Leistungsträger nach dem SGB II nicht. Eine Höchstbetragsregelung kann auch nicht in das SGB II über die Regelung in Nr. 2.2 Satz 4 WRL, dass kein Kind aus finanziellen Gründen gehindert sein darf, an der Klassenfahrt teilzunehmen, hereininterpretiert werden. Durch die Festlegung eines Höchstbetrages hätte es der Leistungsträger nach dem SGB II in der Hand zu bestimmen, in welchem finanziellen Rahmen alle Schüler einer Schule bzw. einer Region Klassenfahrten durchführen dürfen. Denn bereits bei einem betroffenen Schüler könnte die Schulkonferenz zur Vermeidung eines Ausschlusses des Betroffenen als Höchstbetrag für Klassenfahrten nur den Höchstbetrag des SGB II-Trägers übernehmen. Ein solcher Reflex ist vom Gesetzgeber nicht gewollt. Vielmehr soll sich das von dem Träger zu Leistende an dem sozialen Umfeld orientieren. Der Leistungsträger soll das zu finanzieren haben, was die leistungsfähigen Eltern zu leisten in der Lage sind oder bereit sind zu übernehmen. Eine Höchstgrenze wäre auch ein unzulässiger Eingriff in die pädagogische Gestaltungfreiheit des Unterrichts, vgl. oben.

Dabei kann der Leistungsträger seine Förderung auch nicht auf generell nur eine Fahrt oder eine Fahrt in einem Schuljahr begrenzen. Eine solche Möglichkeit ergibt sich nicht aus dem SGB II oder anderen Rechtsnormen. Es ist aus dem Zusammenspiel von SGB II und schulischen Bestimmungen zu entnehmen, dass allein die Schulkonferenz die Klassenfahrten an der Schule regelt. Damit regelt sie auch die Erstattungsfähigkeit der Klassenfahrt durch den SGB II-Leistungsträger in zulässiger Weise. Denn es muss der Schule unbenommen sein, das Leistungsvermögen der Erziehungsberechtigten ohne Einmischung abzubilden und zu bestimmen, ob die Klassenfahrten einmalig in größeren Verbänden bzw. häufiger in kleineren Kurseinheiten stattfinden. Dabei kann die Schulkonferenz auch einmalige Klassenfahrten pro Schüler oder alljährliche Klassenfahrten beschließen. Bei derartigen Entscheidungen sind viele Umstände zu berücksichtigen, die die Leistungsträger zum einen nicht kennen (Leistungsfähigkeit der anderen Eltern etc.) und zum anderen auch nicht bewerten können (z.B. pädagogischer Nutzen, Schwerpunktbildung und Profilierung der Schule). Damit kann es nicht dem Leistungsträger obliegen, durch eigene Regelungen Einfluss auf die Bildungsarbeit der Schule zu nehmen. Eine Umgehung der Entscheidungsprozesse innerhalb der Schule, insbesondere der Schulkonferenz mit entsprechenden Beteiligungsrechten, ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt.

Der Kläger ist auch nicht auf eine Eigenbeschaffung der erforderlichen Finanzmittel durch die Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit zu verweisen. Eine solche Verweisung ist im Gesetz ausdrücklich nicht vorgesehen und kann auch nicht in der Norm des § 9 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II gesehen werden. Ein Rückgriff auf die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II würde dazu führen, dass Schüler bei allen Leistungsansprüchen erst auf eine Vermeidung der Hilfebedürftigkeit zu verweisen wären. Eine schulische Qualifizierung wäre nicht mehr möglich, da alle Schüler bezahlte Tätigkeiten aufzunehmen hätten und sich nicht mehr der Schule widmen könnten. Dies ist nicht vom Gesetzgeber gewollt. Vielmehr hat der Gesetzgeber einen uneingeschränkten Titel für die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Klassenfahrten geschaffen und so klargestellt, dass Schüler nicht nur ein Recht haben, zur Schule zu gehen, sondern auch ein Recht haben, an allen schulischen Veranstaltungen im Rahmen des sozial Anerkannten teilzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG.