LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.12.2006 - L 11 KA 59/06
Fundstelle
openJur 2011, 51346
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 2 KA 140/03
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.05.2004 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Honorarrückforderungen für die Quartale I/99 bis IV/00.

Der Kläger ist als Arzt für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie (MKG) in L zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Gemeinsam mit einem anderen MKG führte er bis zum 30.06.2001 eine Praxisgemeinschaft. Die Praxis war täglich von 8.00 Uhr bis 19.00 Uhr (für Notfälle bis 20.00 Uhr) geöffnet, wobei die Partner an einzelnen Nachmittagen abwesend waren. Im Jahre 1999 lag die Quote der Patienten, die sowohl vom Kläger wie seinem Partner behandelt wurden, in den einzelnen Quartalen zwischen 27,8 % bis 40,97 %, im Jahre 2000 lagen die Quoten zwischen 15,8 % bis 23,8 %.

Mit Schreiben vom 04.10.2000 bat die Beklagte den Kläger unter Hinweis auf die Doppelbehandlungen um eine Stellungnahme hierzu. Mit Schreiben vom 16.10.2000 gab der Kläger an, es handele sich um Fälle, bei denen der Partner bei Abwesenheit vertreten worden sei. Hauptsächlich beträfen diese die Nachsorge nach chirurgischen Eingriffen sowie Schmerz- und Notfallpatienten. Bei einer Öffnungszeit der Praxis von 8.00 Uhr bis 19.00 Uhr könne es sein, dass einer der Partner seinen freien Nachmittag habe, wenn ein solcher Patient erscheine. Grundsätzlich werde zwar streng darauf geachtet, dass ein Patient bei einem Arzt bleibe, dem Patienten müsse es jedoch aus persönlichen Gründen erlaubt sein, seinen Arzt zu wechseln. Die Partner hätten wegen unterschiedlicher persönlicher Präferenzen fachliche Schwerpunkte, so dass es vorkommen könne, dass während des Quartals unterschiedliche Behandler gewählt würden. Nach einem mit dem Kläger und dessen Partner geführten Gespräch am 07.06.2001 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 13.05.2001 Honorar für die Quartale I/99 bis IV/00 in Höhe von 8.097,48 Euro zurück. Ein Rückforderungsbescheid ist auch gegenüber dem früheren Partner des Klägers ergangen; dieser Bescheid ist nach Rücknahme der Berufung bestandskräftig geworden.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2003 zurück. Bei dem mit dem Kläger geführten Gespräch sei deutlich geworden, dass die Praxis wie eine Gemeinschaftspraxis geführt werde; dies ergebe sich u.a. daraus, dass nur eine Kartei pro Patient geführt werde. Darüber hinaus würden die Patienten ohne ersichtlichen Grund von beiden Zahnärzten behandelt. Dies hätten die Ärzte damit erklärt, dass im Falle der Verhinderung eines Partners durch eine länger dauernde Operation der andere die Behandlung dessen Patienten übernehme. Ferner übernehme der Kollege auch ggfls. die Nachkontrolle im Anschluss an die Narkose, wenn der behandelnde Zahnarzt die Praxis bereits verlassen habe. Die genannten Begründungen rechtfertigten weder die hohe Zahl der doppelten Behandlungsfälle noch sei die Praxisorganisation mit der gewählten Praxisform in Einklang zu bringen. Der Kläger habe wie jeder Zahnarzt in einer Einzelpraxis den Praxistag so zu terminieren, dass er sich jeden Patienten ausreichend widmen könne. Die Erhöhung der Fallzahlen beider Praxispartner habe zur Folge, dass sich günstig auf die Teilnahme an der Honorarverteilung auswirke. Daher sei der als Folge einer unzulässigen Kontingenterhöhung entstandene Schaden auszugleichen.

Zur Begründung der am 02.10.2003 erhobenen Klage hat sich der Kläger auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren bezogen und betont, Schwerzpatienten, die während einer länger dauernden Operation eines der Praxispartners die Praxis aufsuchten, hätten das Recht, sofort von dem "freien" Partner behandelt zu werden.

Mit Urteil vom 05.05.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Aufgrund der Öffnungszeiten in der Praxisorganisation sei ein Arztwechsel der Patienten im Quartal gefördert worden. Bei Öffnungszeiten der Praxis von 8.00 Uhr bis 19.00 Uhr ungeachtet der Tatsache, dass an einzelnen Tagen nach dem eigenen Vortrag einer der Partner an einem Nachmittag nicht anwesend war, komme es naturgemäß dazu, dass ein Patient nicht immer auf denselben Stammbehandler stoße. Auch die Operationen rechtfertigten nicht die Mitbehandlung von Patienten durch den Partner. Auch der Partner einer Praxisgemeinschaft habe wie in einer Einzelpraxis organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um die Versorgung seiner anderen Patienten zu gewährleisten. Er könne diese nicht einfach an seinen zur Verfügung stehenden Praxisgemeinschaftspartner verweisen. Von daher sei der Vorwurf der Beklagten gerechtfertigt, dass die Partner der Gemeinschaftspraxis die Voraussetzungen dafür geschaffen hätten, in übergebührlichem Maße Patienten innerhalb desselben Quartals von beiden Partner der Gemeinschaft zu behandeln und hieraus unzulässiger Weise kontingentbildene Fallzahlen zu generieren.

Gegen das ihm am 16.06.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.07.2004 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, prinzipiell habe zwischen ihm und seinem früheren Partner eine Praxisgemeinschaft bestanden. Der Beklagten sei vorzuwerfen, dass sie nicht früher "Richtlinien" für Praxisgemeinschaften erlassen und diese mitgeteilt habe. Sie habe die Praxisgemeinschaften ohne Information arbeiten lassen, um dann das Honorar zu kürzen. Das Quartal IV/99, dass hauptsächlich beanstandet worden sei, sei nicht repräsentativ, da in diesem Quartal seine Haupturlaubszeit angefallen sei. Bei einer Öffnung der Praxisgemeinschaft von Montag bis Freitag von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr könne nicht erwartet werden, dass jeder Behandler immer anwesend sei. Da die Praxisräume jedoch geöffnet seien, lasse sich nicht verhindern, dass Notfälle oder Schmerzpatienten des einen Arztes den anderen planmäßig konsultierten. Das gleiche gelte auch bei Terminschwierigkeiten außerhalb der Behandlungszeiten eines Arztes.

Nachdem das Verfahren zunächst im Hinblick auf das BSG anhängige Verfahren B 6 KA 76/04 R geruht hat, hat der Kläger nach Wiederaufnahme geltend gemacht, sein Fall sei nicht mit dem vom BSG entschiedenen vergleichbar. Ferner weist er darauf hin, dass für die gleiche Quartale Kürzungen im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen erfolgt sind, so dass ihm das Budget nicht in voller Höhe zur Verfügung gestanden habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5.5.2004 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 13.5.2003 und 10.9.2003 aufzuheben

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, auch hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind nicht zu beanstanden.

Die Beklagte durfte wegen der hohen Zahl der in der Praxisgemeinschaft während eines Quartals von beiden Partnern der Praxisgemeinschaft behandelten Patienten Honorar für die Jahre 1999 und 2000 zurückfordern. Zur Begründung nimmt der Senat auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Das nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ergangene Urteil des BSG vom 22.03.2006 (B 6 KA 76/04 R) bestätigt die Rechtsauffassung der Beklagten, dass die Befugnis zur sachlichrechnerischen Richtigstellung von Honoraranforderungen auch im Falle der missbräuchlichen Nutzung der Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft besteht. Da Honorarbescheide stets als nur vorläufig anzusehen sind, stehen dieser Richtigstellungsbefugnis Vertrauensschutzgesichtspunkte nur in besonderen Konstellationen entgegen; vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R); eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor. In der Rückforderung des Honorars liegt auch implizit eine (Teil-) Aufhebung der für die streitigen Quartale ergangenen Honorarbescheide (vgl. von Wulffen/Wiesner, SGB X, 5. Auflage, § 50 Randnr. 11).

Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch in der Sache das genannte Urteil des BSG vom 22.03.2006 im vorliegenden Fall einschlägig. Zwar mag vordergründig im dort entschiedenen Fall eine andere Fallkonstellation vorgelegen haben. Das BSG fordert jedoch allgemein, dass die nach außen gewählte Rechtsform von Vertrags(zahn)ärzten im Praxisalltag transparent realisiert werden muss, was es mit den wirtschaftlichen Folgen der Doppelabrechnungen im entschiedenen Fall begründet. Ein Gestaltungsmissbrauch liegt vor, wenn die Partner einer Praxisgemeinschaft zu einem hohen Anteil Patienten gemeinschaftlich behandeln, wobei das BSG offen gelassen hat, ab welchem vom-Hundert-Satz gemeinsam behandelter Patienten in einer fachgebietsgleichen Praxisgemeinschaft ein Missbrauch der Rechtsform anzunehmen ist. In dem dort entschiedenen Fall betrug zwar die Quote 58 %, der Senat hat jedoch keine Bedenken, dass auch bei einer Überschneidungsquote von 15,8 % bis 40,97 % von einem Missbrauch auszugehen ist. Dies gilt vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Doppelbehandlungen, die wegen der Fallzahlvermehrung nach dem HVM der Beklagten zu einer ungerechtfertigten Erhöhung der Kontingente führt. Dabei ist wegen der Übertragbarkeit nicht ausgeschöpfter Punktzahlvolumen/DM-Beträge in einzelnen Fällen auf andere Fälle der "Anreiz" besonders hoch, durch eine nur kurzfristige Mitbehandlung eines Patienten der eigenen Fallzahl sogenannte "Verdünnerfälle" zuzufügen.

Die Behauptung des Klägers, hauptsächlich beträfen die Kürzungen das IV. Quartal 1999, das wegen seiner Urlaubszeit nicht repräsentativ sei, trifft nicht zu. Die Quote der Doppelabrechnungen des Klägers lag im Quartal II/99 bei 40,16 %, im Quartal III/99 bei 32,19 % und im Quartal IV/99 40,97 %. Es ist somit nicht ersichtlich, dass die Doppelabrechnungsquote durch Besonderheiten eines Quartals erklärbar sind. Ferner ist auffällig, dass die Quote der Doppelabrechnungen bei beiden Partnern im ersten Quartal 2001, also nach dem Schreiben vom 04.10.2000, mit dem sie zur Erläuterung der Doppelbehandlungen im IV. Quartal 1999 aufgefordert worden waren, deutlich zurückgegangen ist. Im II. Quartal 2001 betrug die Quote beim Kläger 4,19 %, bei seinem ehemaligen Partner 3,67 %. Dies zeigt zum einen, dass nicht medizinische (Notfälle) oder sachliche Gründe (Vertretungsfälle) für die frühere hohe Quote von Doppelbehandlungen verantwortlich gewesen sein können und zum anderen, dass die von der Beklagten ermittelte Quote von 3 % bis 5 % Doppelbehandlungen in Praxisgemeinschaften realistisch ist. Hiervon ausgehend ist die Zubilligung einer Quote von 10 % bei der Ermittlung der "tatsächlichen" Fallzahl nicht zu beanstanden.

Dass hier die konkrete Gestaltung der Behandlungsabläufe nicht der nach außen gewählten Form einer Praxisgemeinschaft entsprochen hat, hat das Sozialgericht überzeugend dargelegt, so dass sich weitere Ausführungen des Senats erübrigen. Letztlich bestätigt der Kläger mit seinem Vorwurf, die Beklagte habe vorab auf die Rahmenbedingungen für die Führung von Praxisgemeinschaften hinweisen müssen, dass die gewählte äußere Form einer Praxisgemeinschaft nicht der tatsächlichen Gestaltung entsprochen hat, sondern die früheren Partner tatsächlich die Praxis eher wie eine Gemeinschaftspraxis geführt haben.

Auch die Berechnung der Honorarrückforderung hält der Senat für sachgerecht. Die Beklagte hat keine Leistungen gestrichen, sondern lediglich eine fiktive Fallzahl ermittelt, die sich bei "richtiger" Anwendung der rechtlichen Vorgaben ergeben hätte und hiervon ausgehend die Kontingente neu berechnet. Die Differenz zwischen dem so errechneten Honorar und dem tatsächlich erhaltenen ist der Mehrbetrag, den der Kläger durch die künstlich produzierten Honorarzuwächse zu Unrecht erhalten hat. Wenn es nach der Entscheidung des BSG vom 22.03.2006 (a.a.O.) der Beklagten grundsätzlich erlaubt ist, gegen mit einer "unechten" Fallzahlvermehrung verbundene künstlich produzierte Honorarzuwächse vorzugehen, ist auch der von der Beklagten beschrittene Weg, der Honorarberechnung eine fiktive Zahl "echte" Behandlungsfälle zurgrundezulegen, sachgerecht.

Soweit der Kläger auf die - nach seiner Darstellung - dieselben Quartale betreffenden Kürzungen wegen Wirtschaftlichkeitsprüfungen verweist, ist die von der Beklagten vorgenommene sachlichrechnerische Berichtigung vorrangig. Deren Auswirkungen sind dann im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.