VG Minden, Urteil vom 15.02.2007 - 2 K 835/06
Fundstelle
openJur 2011, 49144
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Sohn U. der Kläger nahm im April 2005 als Schüler des H. I. in C. an einer Klassenfahrt nach England teil. Zu diesem Zeitpunkt war er vierzehn Jahre alt. Die Reisekrankenversicherungen für diese Klassenfahrt schlossen die Eltern nach einem Beschluss der Klassenpflegschaftssitzung jeweils individuell ab. Die Reise begann am 04.04.2005. Die Schülerinnen und Schüler wurden von zwei Lehrkräften begleitet. Während des Aufenthalts in England erkrankte der Sohn der Kläger. Er wurde am 06.04.2005 wegen eines Blinddarmdurchbruchs in einem Krankenhaus in London operiert. Einer der die Klasse begleitenden Lehrer war bis zum Nachmittag des 07.04.2005 im Krankenhaus anwesend.

Die Klägerin zu 1. flog am 07.04.2005 zu ihrem Sohn nach London. Am 08.04.2005 besuchten die die Klassenfahrt begleitenden Lehrer U. und seine Mutter ca. zwei Stunden im Krankenhaus. Die Schulklasse sowie die begleitenden Lehrer reisten wie geplant am 09.04.2005 per Bus und Schiff zurück. Die Klägerin zu 1. und ihr Sohn flogen am 10.04.2005 zurück, nachdem der Sohn der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen worden war.

Mit Schreiben vom 10.10.2005 und 26.10.2005 machte die Klägerin zu 1. bei der Beklagten einen Anspruch aufgrund einer öffentlichrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag geltend und beantragte die Erstattung der ihr durch die Reise nach London und die Rückreise mit ihrem Sohn entstandenen Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 728,41 EUR. Zur Begründung trug sie vor, sie habe mit der Betreuung ihres Sohnes während seines Krankenhausaufenthaltes in London eine Aufgabe übernommen, die ohne ihre Anwesenheit von den Lehrkräften hätte sicher gestellt werden müssen. Es hätte ein Lehrer bei ihrem Sohn bleiben und seine Rückreise organisieren müssen. Bei seiner Rückreise sei er noch nicht so weit wieder hergestellt gewesen, dass er eine Reise mit Bus, Bahn und Schiff hätte überstehen können. Deshalb habe das schnellste Transportmittel, der Flug, gewählt werden müssen. Die von den Klägern für ihren Sohn abgeschlossene Auslandsreise-Krankenversicherung habe eine Übernahme der Kosten abgelehnt, weil nach den Versicherungsbedingungen die Kosten des Rücktransports nur dann übernommen würden, wenn an Ort und Stelle bzw. in zumutbarer Entfernung eine ausreichende medizinische Behandlung nicht gewährleistet sei. Eine ausreichende medizinische Behandlung sei in England jedoch grundsätzlich gewährleistet. Auch die gesetzliche Krankenkasse übernehme die Kosten für den Rücktransport nicht.

Mit Schreiben vom 09.12.2005 und 30.12.2005 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten ab und verwies auf eine beigelegte Stellungnahme der C1. E. . Die C1. E. vertrat darin die Auffassung, dass die Betreuungspflicht der Schule zeitlich nicht unbegrenzt sei und je nach Art und Umstand des Einzelfalls die Eltern mit einzubeziehen seien. Die Klägerin zu 1. habe im Übrigen mit ihrer Reise nach London ein ihr selbst obliegendes Geschäft übernommen.

Am 04.04.2006 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen ergänzend vor, die Klägerin zu 1. habe zwar auch ein eigenes Interesse verfolgt, als sie die Betreuung und sichere Rückreise ihres Sohns gewährleistet habe, es sei aber grundsätzlich Aufgabe der Schule bzw. der begleitenden Lehrer gewesen, sich um U. zu kümmern und sicherzustellen, dass er nach der Entlassung wohlbehalten nach Hause komme.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 728,41 EUR nebst 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihre Schreiben an die Kläger, eine Stellungnahme des H. I. und die Stellungnahme der C1. E. .

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang (1 Hefter) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung von 728,41 EUR nebst 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gegen die Beklagte.

Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus den Grundsätzen der öffentlich- rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die bürgerlichrechtlichen Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) grundsätzlich auch im öffentlichen Recht Anwendung finden können.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.03.2003 - 6 B 22.03 - Buchholz 442.066 § 53 TKG Nr. 2; Urteil vom 11.06.1991 - 7 C 1.91 -, DVBl. 1991, 1156 (1157); Urteil vom 06.09.1988 - 4 C 5.86 -, BVerwGE 80, 170 (172 ff.); Urteil vom 09.06.1975 - 6 C 163.73 -, BVerwGE 48, 279 (285).

Voraussetzung für einen solchen Anspruch des Bürgers gegen die Verwaltung ist unter anderem, dass der Bürger eine Angelegenheit erledigt, die - wie er weiß - zum Aufgabenbereich einer Behörde gehört, und er damit ein auch fremdes Geschäft erledigt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 06.09.1988, a.a.O.

Ein auch fremdes Geschäft besorgt der Handelnde, wenn die Übernahme zugleich im eigenen und im Interesse eines anderen liegt, d. h. wenn er ein objektiv fremdes Geschäft mit besorgt.

Vgl. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Auflage 2007, § 677 Rn. 6 m.w.N.

Die Klägerin zu 1. hat mit der Reise nach London zwecks Betreuung ihres Sohns und der Rückreise zusammen mit ihrem Sohn nicht auch ein fremdes Geschäft, sondern ausschließlich ein eigenes Geschäft wahrgenommen. Grundsätzlich sind die Eltern gemäß §§ 1626, 1631 Abs. 1 BGB berechtigt und verpflichtet, ihr Kind zu beaufsichtigen. Die Aufsichtspflicht der Schule erstreckt sich gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 der im April 2005 noch geltenden Allgemeinen Schulordnung (ASchO) vom 25.06.2002 auf die Zeit, in der die Schülerinnen und Schüler am Unterricht oder an sonstigen Schulveranstaltungen teilnehmen. Die Schule ist damit zur Aufsicht während der Klassenfahrt als sonstiger Schulveranstaltung verpflichtet. Der Sohn der Kläger musste jedoch wegen seiner Erkrankung ins Krankenhaus und konnte wegen seines Krankenhausaufenthalts an der Schulveranstaltung nicht mehr teilnehmen. Es war ihm auch nicht möglich, mit der Klasse zurückreisen. Er war damit ab Aufnahme im Krankenhaus, spätestens aber ab Rückreise der Klasse nicht wegen seiner Teilnahme an der Schulveranstaltung, sondern wegen seiner Erkrankung und des damit verbundenen Krankenhausaufenthalts zu beaufsichtigen. Diese Pflicht oblag den Klägern als Eltern nach §§ 1626, 1631 Abs. 1 BGB. Indem die Klägerin zu 1. dieser Pflicht mit der Reise nach London nachkam, hat sie kein objektiv fremdes Geschäft, sondern ausschließlich ein eigenes Geschäft wahrgenommen.

Auch mit der Übernahme der Kosten für die Rückreise ihres Sohns haben die Kläger ein ausschließlich eigenes Geschäft wahrgenommen. Es war Aufgabe der Kläger als Eltern, für die Kosten der Reise ihres Sohns nach England aufzukommen. Dass es ein Geschäft der Beklagten bzw. der Schule gewesen sein könnte, die Kosten der Rückreise für den Sohn der Kläger nach seiner Erkrankung zu übernehmen, ist nicht ersichtlich. Die Gefahr einer Erkrankung während einer Auslandsreise zählt zu den allgemeinen Lebensrisiken. Es ist auch sonst grundsätzlich Aufgabe der Kläger als Eltern die im Zusammenhang mit Erkrankungen ihres Sohns entstehenden Kosten zu übernehmen, soweit sie nicht durch eine Versicherung getragen werden. Der Abschluss einer Auslandsreise- Krankenversicherung war im Übrigen Thema in der Klassenpflegschaft, deren Mitglieder die Kläger als Erziehungsberechtigte ihres Sohns waren (vgl. § 11 Abs. 2 des damals gültigen Gesetzes über die Mitwirkung im Schulwesen (Schulmitwirkungsgesetz - SchMG) vom 13.12.1977, zuletzt geändert durch Gesetz vom 08.07.2003). Eine Hinweispflicht der Schule dahingehend, dass es verschiedene Versicherungsanbieter mit unterschiedlichen Versicherungsbedingungen gibt, ist nicht anzunehmen. Es war den Klägern als Eltern überlassen, eine Auslandsreise-Krankenversicherung ihrer Wahl abzuschließen. Die Übernahme der durch die Rückreise ihres Sohn entstandenen Kosten, die weder von der Auslandsreise-Krankenversicherung noch von der sonstigen Krankenversicherung getragen wurden, war ein ausschließlich eigenes Geschäft der Kläger.

Da die Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von 728,41 EUR gegen die Beklagte haben, haben sie auch keinen Anspruch auf Zahlung von 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gegen die Beklagte.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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