VG Münster, Urteil vom 11.12.2006 - 1 K 3539/04
Fundstelle
openJur 2011, 48581
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2004 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 4. November 2004 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kosten eines Einsatzes der Freiwilligen Feuerwehr F. .

Am Abend des 19. Februar 2004 verunfallte der Kläger mit seinem Pkw S. , amtliches Kennzeichen WAF T. XX auf der Landstraße L 792 in der Nähe von F. . Sein Pkw kam von der Straße ab, überschlug sich und blieb auf dem Dach auf einem Acker liegen. Der Kläger konnte sein Fahrzeug aus eigener Kraft unverletzt verlassen und verständigte im Folgenden den Eigentümer der Ackerfläche. Mit diesem kam er überein, das Fahrzeug am nächsten Morgen abschleppen zu lassen. Die Polizei oder Feuerwehr verständigte der Kläger nicht.

Um 21:34 Uhr verständigte ein anderer Verkehrsteilnehmer die Leitstelle der Feuerwehr des Kreises X. . Der Mitarbeiter der Leitstelle nahm unter anderem die Stichpunkte „Hilfeleistung - P eingekl. bis 2" und „VU nichts näher bekannt ..." auf und verständigte die Freiwillige Feuerwehr der Stadt F. . Diese rückte mit 15 Feuerwehrleuten in einem Einsatzleitfahrzeug und zwei Löschfahrzeugen aus. Vor Ort stellten die Feuerwehrleute fest, dass in dem Fahrzeug des Kläger niemand eingeklemmt war. Sie klemmten die Batterie des Pkw ab und übergaben die Unfallstelle der Polizei.

Mit Bescheid vom 25. Mai 2004 forderte der Beklagte den Kläger auf, die Kosten des Einsatzes in Höhe von 419,00 Euro zu erstatten. Der Kläger habe einen Verkehrsunfall verursacht und sei nach § 2 der Satzung über den Kostenersatz für Einsätze der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt F. zum Ersatz der Kosten verpflichtet. Bei der Berechnung der Kosten ging der Beklagte davon aus, die Freiwillige Feuerwehr sei mit 19 Feuerwehrleuten und vier Fahrzeugen ausgerückt.

Hiergegen erhob der Kläger am 1. Juni 2004 sinngemäß Widerspruch. Der Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr sei nicht erforderlich gewesen. Er habe mit dem Eigentümer des Ackers vereinbart, das Fahrzeug, das keinen Schaden angerichtet habe, am nächsten Morgen abschleppen zu lassen.

Mit Schreiben vom 16. Juni 2004 teilte der Beklagte dem Kläger mit, entgegen seiner bisherigen Annahme sei die Freiwillige Feuerwehr nur mit 15 Personen und drei Fahrzeugen ausgerückt, weshalb der Kostenbescheid auf eine Erstattung in Höhe von 318,00 Euro korrigiert werde. Die Mannschaftsstärke sei durch die Art des Einsatzes veranlasst worden.

Mit Schreiben vom 23. Juni 2004 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten geltend, er habe keine Veranlassung gehabt, die Feuerwehr oder Polizei zu verständigen, da sein Pkw nicht gebrannt habe und kein Öl ausgelaufen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2004 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger habe als Verursacher eines Verkehrsunfalls die Kosten des Einsatzes zu tragen. Der Einsatz hätte vermieden werden können, indem der Kläger die zuständige Polizeidienststelle verständigt hätte.

Der Kläger hat daraufhin am 3. Dezember 2004 Klage erhoben.

Zu deren Begründung macht er in Ergänzung zu seinem bisherigen Vorbringen geltend, es gäbe keine Verpflichtung, nach einem Verkehrsunfall, wie er ihn gehabt habe, die Polizei zu verständigen. Der Beklagte könne weder auf der Grundlage der Satzung der Stadt F. noch nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag von ihm Kostenersatz verlangen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2004 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 4. November 2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, der Einsatz der Feuerwehr sei aufgrund des Vorliegens einer Anscheinsgefahr zu Recht erfolgt. Insbesondere hätte die Freiwillige Feuerwehr der Stadt F. nicht zunächst ein „Vorauskommando" zur Verifizierung der Gefahr losschicken können, da gegebenenfalls nötige Hilfe dann womöglich zu spät gekommen wäre. Der Beklagte könne daher von dem Kläger als Halter des verunfallten Pkw gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 3 der Satzung über den Kostenersatz für Einsätze der Feuerwehr der Stadt F. Kostenersatz verlangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2004 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 4. November 2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Beklagte kann von dem Kläger auf der Grundlage von § 41 Abs. 2 des Gesetzes über den Feuerschutz und die Hilfeleistung (FSHG) in Verbindung mit § 2 Abs. 2 der Satzung über den Kostenersatz für Einsätze der Feuerwehr der Stadt F. vom 5. November 2001 (im Folgenden: Feuerwehrsatzung) keinen Kostenersatz in Höhe von 318,00 Euro verlangen.

Die Voraussetzungen der einzig in Betracht zu ziehenden Vorschriften der § 41 Abs. 2 Nr. 1 FSHG i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Feuerwehrsatzung und der § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 3 Feuerwehrsatzung liegen nicht vor.

Nach § 41 Abs. 2 Nr. 1 FSHG, § 2 Abs. 2 Nr. 1 Feuerwehrsatzung kann die Stadt F. Ersatz der ihr durch den Einsatz der Feuerwehr und der hilfeleistenden Feuerwehren entstandenen Kosten von dem Verursacher verlangen, wenn er die Gefahr oder den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es kann dahin stehen, ob der Begriff der Gefahr in § 41 Abs. 2 Nr. 1 FSHG auch die Anscheinsgefahr oder sogar die Schein- oder Putativgefahr umfasst. Die vermeintliche Gefahr für eine im Pkw des Klägers eingeklemmte Person ist von ihm jedenfalls nicht vorsätzlich herbeigeführt worden. Zur Beurteilung dieser Frage ist allein auf das unmittelbar unfallverursachende Verhalten des Klägers abzustellen. Denn nur dieses Verhalten kann die - hier vermeintliche - Gefahr, eine Person sei in seinem Fahrzeug eingeklemmt und benötige Hilfe, herbeigeführt haben. Der Eindruck einer Gefahr ergab sich für andere Verkehrsteilnehmer und den Disponenten der Leitstelle des Kreises X. nicht unmittelbar aus einem Tun oder Unterlassen des Klägers, sondern aus der Lage des verunfallten Fahrzeugs. Indem der Kläger nach dem Verlassen seines Fahrzeugs es unterlassen hat, Polizei oder Feuerwehr von seinem Unfall zu benachrichtigen, hat er lediglich dazu beigetragen, dass dieser sich aus der Lage des Fahrzeugs ergebende Eindruck nicht beseitigt wurde. Sein insoweit vorsätzliches Verhalten hat den sich aus der Lage des Fahrzeugs ergebenden Eindruck jedoch nicht herbeigeführt. Dass der Kläger sein Fahrzeug vorsätzlich von der Fahrbahn gesteuert und hierdurch die vermeintliche Gefahr vorsätzlich herbeigeführt hat, ist nicht ersichtlich.

Der Beklagte kann von dem Kläger auch nicht auf der Grundlage von § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG, § 2 Abs. 2 Nr. 3 Feuerwehrsatzung Kostenersatz verlangen.

Hiernach kann die Stadt F. Ersatz der ihr durch den Einsatz der Feuerwehr und der hilfeleistenden Feuerwehren entstandenen Kosten von dem Fahrzeughalter verlangen, wenn die Gefahr oder der Schaden beim Betrieb des Kraftfahrzeugs entstanden ist.

Auch diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Ein Schaden, bei dessen Beseitigung die Freiwillige Feuerwehr der Stadt F. gemäß § 1 FSHG hätte Hilfe leisten müssen, ist bei dem Unfall des Klägers ebenso wenig entstanden wie eine Gefahr für eine in seinem Fahrzeug eingeklemmte Person.

Eine Kostenersatzpflicht des Klägers nach § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG, § 2 Abs. 2 Nr. 3 Feuerwehrsatzung besteht auch nicht aufgrund einer von der Lage seines verunfallten Fahrzeugs ausgehenden Anscheinsgefahr. Unter dem Begriff der Anscheinsgefahr, der für das Polizei- und Ordnungsrecht entwickelt wurde, ist eine Sachlage zu verstehen, die von dem handelnden Beamten zum Zeitpunkt seines Tätigwerdens zu Recht als gefährlich eingestuft wurde, die sich jedoch im Nachhinein als gefahrlos herausstellt. Demgegenüber ist die Putativ- oder Scheingefahr dadurch gekennzeichnet, dass der handelnde Beamte eine Gefahrensituation annimmt, ohne dass hierfür hinreichende Anhaltspunkte bestehen. Es kann dahin stehen, ob von dem Fahrzeug des Klägers eine Anscheins- oder - mit Blick darauf, dass der Disponent der Leitstelle den Anrufer zu seinen Beobachtungen möglicherweise nicht ausreichend befragt hat - eine Putativgefahr ausging. Die den Gemeinden nach § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG eröffnete Möglichkeit, Kostenersatz zu verlangen, setzt voraus, dass die Gefahr tatsächlich bestanden hat.

Vgl. VG Minden, Urteil vom 13. Mai 2004 - 9 K 1857/02 -, juris.

Während der Ordnungspflichtige einer polizei- oder ordnungsbehördlichen Maßnahme nach § 77 Abs. 1 VwVG NRW grundsätzlich deren Kosten zu tragen hat, sind die Einsätze der Feuerwehr nach § 41 Abs. 1 FSHG grundsätzlich unentgeltlich; nur unter den Voraussetzungen des § 41 Abs. 2 FSHG können die Gemeinden nach pflichtgemäßem Ermessen Kostenersatz verlangen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind insoweit höher als bei der Heranziehung eines Polizei- oder Ordnungspflichtigen. Die Geltendmachung eines Kostenersatzanspruchs setzt zunächst - wie im Polizei- und Ordnungsrecht - die Rechtmäßigkeit des Einsatzes voraus. Diese Voraussetzung ergibt sich aus § 41 Abs. 1 FSHG, der auf den Kostenersatz nach § 41 Abs. 2 FSHG verweist und ihn für Einsätze „im Rahmen der den Gemeinden und Kreisen nach diesem Gesetz obliegenden Aufgaben" ermöglicht. Im Falle einer Putativgefahr ist der Feuerwehreinsatz als rechtswidrig zu qualifizieren, so dass bereits aus diesem Grund eine Inanspruchnahme nach § 41 Abs. 2 FSHG nicht in Betracht kommt. Neben die Rechtmäßigkeit des Feuerwehreinsatzes treten die in § 41 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 FSHG normierten Anforderungen, die unabhängig davon erfüllt sein müssen, ob die Feuerwehr nach § 1 FSHG tätig werden musste. Der Begriff der Gefahr in § 42 Abs. 2 Nr. 3 FSHG ist - anders als im Polizei- und Ordnungsrecht - keine Voraussetzung für den Einsatz der Feuerwehr nach § 1 FSHG, sondern wird von dem Gesetzgeber erstmalig im Zusammenhang mit dem Kostenersatz verwendet. Es besteht mithin kein Bedürfnis, ihn im Interesse eines wirkungsvollen Feuerwehreinsatzes auf die Fälle der Anscheins- und Putativgefahr auszudehnen.

Gegen eine Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG auf die Fälle der Anscheins- und Putativgefahr spricht ferner der Umstand, dass sich in diesen Fällen nicht eine betriebsspezifische Gefahr des Kraftfahrzeugs realisiert hat. Die nach § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG mögliche Inanspruchnahme des Fahrzeughalters findet ihre Berechtigung darin, dass er durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs - erlaubtermaßen - eine Gefahrenquelle eröffnet. Die Möglichkeit seiner verschuldensunabhängigen Inanspruchnahme setzt daher - wie in § 7 StVG - voraus, dass sich eine von seinem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat. An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die von der Feuerwehr angenommene Gefahr nicht mehr eine spezifische Auswirkung der mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verbundenen Gefahren ist.

Vgl. zu § 7 StVG: BGH, Urteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 -, NJW 2005, 2081 = VersR 2005, 992 = DAR 2005, 440.

In den Fällen der Anscheins- und Putativgefahr hat sich gerade nicht die betriebsspezifische Gefahr eines Kraftfahrzeugs ausgewirkt, vielmehr ist dies nur von der Feuerwehr zu Recht oder Unrecht angenommen worden.

Gegen eine Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG auf die Fälle der Anscheinsgefahr spricht ferner der Umstand, dass von dem Anscheinsstörer im Polizei- und Ordnungsrecht nur dann Kostenersatz verlangt werden kann, wenn er die den Anschein begründenden Umstände in zurechenbarer Weise herbeigeführt hat. Diese Grundsätze lassen sich nicht systemgerecht auf die Gefährdungshaftung in § 41 Abs. 2 Nr. 3 FSHG übertragen, die ein Verschulden des Halters gerade nicht voraussetzt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.