OLG Köln, Urteil vom 14.07.2006 - 6 U 224/05
Fundstelle
openJur 2011, 45516
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 16. November 2005 verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln (28 O 349/05) wird zurückgewiesen.

Dem Kläger werden auch die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die B.-Gesellschaft für Beratung, Planung und Organisation von Hard- und Software GmbH, zu deren Gründungsgesellschaftern der Kläger gehört hat, vertrieb etwa ab dem Jahre 1990 das für Reifenhändler bestimmte Computerprogramm "S. Q.". Sie besaß das ausschließliche Nutzungsrecht an diesem Programm einschließlich der Berechtigung, es zu verändern und weiter zu entwickeln. Der an der Erstellung des Programms jedenfalls maßgeblich beteiligte Kläger nimmt für sich in Anspruch, dessen alleiniger Urheber zu sein. Unter dem 24.09.1997 erwarb die Beklagte durch Vertrag mit der B.-GmbH neben einer Hardware-Ausstattung die Nutzungsrechte an dem Programm "S. Q.". Begleitend schloss sie mit der GmbH einen Programmwartungsvertrag ab.

Im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen den Gesellschaftern der B.-GmbH wurde der Kläger im Februar 2001 als Geschäftsführer abberufen. Die GmbH schloss einen Kooperationsvertrag mit der Firma Q. S. N.- AG, durch den diese mit dem Vertrieb des Programms "S. Q." betraut wurde.

In dem Vorprozess 28 O 561/01 LG Köln = 6 U 27/03 OLG Köln ist der AG die Verwendung des Programms mit der Begründung untersagt worden, der Beklagte sei zumindest dessen Miturheber und es fehle an seiner gemäß § 34 Abs. 1 Urhebergesetz erforderlichen Zustimmung zur Übertragung der Nutzungsrechte auf die neue Gesellschaft.

Nachdem die B. ihren Geschäftsbetrieb zum 01.09.2001 eingestellt und später Insolvenzantrag gestellt hatte, erklärte der Kläger mit Schreiben vom 22.07.2003 gegenüber der GmbH den Rückruf der eingeräumten Nutzungsrechte gemäß § 41 Urhebergesetz. Daraufhin hat die B.-GmbH in dem Verfahren 28 O 655/03 LG Köln gegen den jetzigen Kläger ein Verbot seiner Behauptung erstrebt, das Programm dürfe von den Kunden nicht mehr oder nur noch eingeschränkt benutzt werden, und mit der Behauptung, zur Nutzung berechtigt zu sein, die Unterlassung der Programmnutzung seitens des Beklagten verlangt. Sie hat dazu die Auffassung vertreten, der Rückruf sei unwirksam, weil der Beklagte (jetziger Kläger) nicht allein Urheber des Programms sei. Das Landgericht hat seinerzeit den jetzigen Kläger als Alleinurheber des Programms angesehen und deshalb die damalige Klage abgewiesen. Diese Entscheidung ist rechtskräftig, nachdem sie durch Senatsurteil vom 08.04.2005

(6 U 194/04) bestätigt worden ist.

Im Anschluss an dieses Senatsurteil forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 14.06.2005 auf, die Nutzung des Programms bis zum 28.06.2005 vorläufig einzustellen und die Erklärung abzugeben, das Programm gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen nicht weiter zu nutzen. Dem entsprach die Beklagte nicht.

Der Kläger ist der Auffassung, aufgrund des zwischen ihm und der B.-GmbH festgestellten Rückrufs der Nutzungsrechte nach § 41 Urhebergesetz sei auch

das Nutzungsrecht der Beklagten erloschen. Der Heimfall der Nutzungsrechte erfolge auch hinsichtlich der "Enkelrechte". Unabhängig davon habe die Beklagte ohnehin nur ein einfaches Nutzungsrecht an dem Programm "S. Q." im ursprünglichen Lieferumfang und Zustand gehabt. Die nachfolgenden upgrades und neue Versionen seien nicht lizenziert. Auch die Beendigung des Programmwartungsvertrages zwischen der Beklagten und der Fa. B. zum 01.09.2001 - die nachfolgende Wartung übernahm die Q. S. N. AG - habe zu einem Ende der von der Fa. B. GmbH abgeleiteten Nutzungsrechte geführt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, es zu unterlassen, die Software "S. Q." zu nutzen, an ihn einen gemäß § 287 Abs. 1 ZPO in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrag nebst 5% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, dass Programm "S. Q." sei in der gemeinsamen Urheberschaft mehrerer Personen entwickelt worden. Die ehemaligen Mitgesellschafter der B. GmbH T. und H. sowie auch die Herren Dr. F. und X. hätten mit urheberrechtlich geschützten Beiträgen die Entwicklungsarbeiten mitgestaltet. Darauf komme es aber nicht einmal entscheidend an. Ihr sei nämlich von der Fa. B. GmbH ein zeitlich unbeschränktes Nutzungsrecht an dem Programm eingeräumt worden. Dieses Nutzungsrecht sei auch bei einer Wirksamkeit des von dem Kläger erklärten Rückrufs nach § 41 UrhG nicht entfallen.

Das Landgericht hat sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen und die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlich formulierten Klageanträge weiter verfolgt und seine Rechtsansichten vertieft.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Streitstoffes nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug.

II.

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Landgericht hat seine Klage mit Recht abgewiesen. Ein etwaiger, nach § 41 UrhG wirksam ausgeübter Rückruf hat nicht zum Verlust auch der Enkelrechte geführt (unten Ziffer 1). Das Nutzungsrecht des Beklagten ist auch nicht aus anderen Gründen untergegangen (unter Ziffer 2).

1.

Der Senat unterstellt ebenso wie das Landgericht, dass der Kläger der alleinige Urheber der Software "S. Q." gewesen ist und - ohne die Zustimmung anderer Miturheber - unter dem 22.07.2003 das der B. GmbH eingeräumte Nutzungsrecht nach § 41 UrhG wirksam zurückgerufen hat. Dadurch ist nach Auffassung des Senats das dem Beklagten seitens der Fa. B. eingeräumte einfache Nutzungsrecht nicht erloschen.

a) Nach § 41 Abs. 5 UrhG erlischt das ausschließliche Nutzungsrecht, das der Urheber einem anderen eingeräumt hat, mit Wirksamwerden des Rückrufs. Eine ausdrückliche Regelung, welches Schicksal die weiteren Nutzungsrechte nehmen, die der Rückrufadressat und Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechtes Dritten eingeräumt hat, findet sich in § 41 UrhG nicht.

b) Die - soweit ersichtlich - überwiegende Meinung nimmt an, dass mit dem Wirksamwerden des Rückrufs auch die vom Inhaber des ausschließlichen Nut-

zungsrechtes Dritten (den sogenannten Enkeln) eingeräumten Nutzungsrechte gleichfalls erlöschen. Das Erlöschen des dem Lizenznehmer eingeräumten Nutzungsrechts sei die Konsequenz dessen, dass es als "Enkelrecht" vom "Tochterrecht" des Lizenzgebers abhängig sei. Falle das Tochterrecht an den Urheber zurück und vereinige es sich mit dessen umfassenden Urheberrecht als "Mutterrecht", so werde auch die am Tochterrecht anhaftende Befugnis des Lizenznehmers wieder in das Mutterrecht eingegliedert. Der Lizenznehmer könne nicht mehr an abgespaltenen Rechten und diese auch nicht länger einräumen, als von seiner eigenen Berechtigung und damit Verfügungsmacht gedeckt sei. Das Abstraktionsprinzip sei bei Nutzungslizenzen unanwendbar (vgl. insbesondere Schricker, UrhG, 2. Auflage § 35 Rn. 11 unter Hinweis auf Schricker, Verlagsrecht 3. Auflage § 28 Rn. 27; Möhring/Nicolini/Spautz, 2. Auflage § 35 Rn. 6; Hertin in Fromm - Nordemann, 9. Auflage, § 34 Rn. 15; Wandtke/Grunert in Wandtke Bullinger, 2. Auflage, § 35 Rn. 7; Dreier/Schulze, 2. Auflage, § 35 Rn. 16; Heidelberger Kommentar - Kotthoff, § 35 Rn. 8; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Auflage, § 108 IV2; Wente/Härle GRuR 1997, 96, 99; OLG Hamburg GRuR Int 1998, 431, 435 und GRuR 2002, 335; andere Tendenz bei Brandi-Dohrn GRuR 1983, 146; Held GRuR 1983, 161; Berger GRuR 2004, 20, 24). Auch der erkennende Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich urheberlinzenzrechtlich das Abstraktionsprinzip nicht gilt und bei einem Rechtsverlust in der Person des Lizenzgebers die von ihm abgeleiteten Rechte eines Lizenznehmers wieder heimfallen, ohne dass es noch eines besonderen Verfügungsgeschäftes bedürfte.

c) Eine derartige, aus allgemeinen dogmatischen Grundsätzen abgeleitete Lösung wird den Interessen der Beteiligten, wie sie sich beim Rückrufsrecht darstellt, nicht gerecht. Das Rückrufsrecht steht nach § 41 Abs. 1 UrhG dem Urheber dann zu, wenn der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechtes das Recht nicht oder nur unzureichend ausübt und dadurch berechtigte Interessen des Urhebers erheblich verletzt werden. Eine typische Ausübung des ausschließlichen Nutzungsrechts wird oft darin bestehen, dass der Inhaber des

ausschließlichen Nutzungsrechtes gegen Entgelt einfache Nutzungsrechte verleiht - gerade so wie im Streitfall, wo es zur Geschäftsidee der B. GmbH gehörte, das urheberrechtlich geschützte und für Reifenhändler entwickelte EDV-Programm an Reifenhändler zu lizenzieren. Innerhalb dieser Fallgruppe ist es mithin so, dass der Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts dieses Recht dann im Sinne des § 41 Abs. 1 UrhG ordnungsgemäß und "zureichend" ausübt, in dem er finanzielle Vorteile aus der Einräumung der sogenannten Enkelrechte zieht. Erst der entgegengesetzte Befund, dass nämlich die B. GmbH eines Tages (wegen Insolvenz) keine weiteren Enkelrechte mehr verliehen hat, hat die Voraussetzungen für das Rückrufsrecht in der Person des Klägers als Urheber begründet. Die Einräumung des Enkelrechts an den Beklagten war mithin ein Ausdruck ordnungsgemäßer "Verwaltung" des ausschließlichen Nutzungsrechtes durch dessen Inhaber, und das Enkelrecht stünde hinsichtlich seiner Existenz nicht zur Debatte, wenn der Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts weiter in der Anfangs geschehenen Weise tätig geblieben und zusätzliche Enkelrechte eingeräumt hätte. Es wäre nach Auffassung des Senats ein innerer Widerspruch, in einer derartigen Situation die abgeleiteten Lizenzen "heimfallen" zu lassen, nur weil nicht noch genügend andere weitere Lizenzen vergeben worden sind. Aus der Sicht des einfachen Lizenznehmers ist das nicht plausibel zu begründen. Aus der Sicht und dem Interesse des Urhebers muss es genügen, dass das auf der zwischenzeitlichen Untätigkeit des Inhabers des ausschließlichen Nutzungsrechts begründete Rückrufsrecht für die Zukunft dazu führt, dass er - der Urheber - zur Verwertung der Nutzungsrechte nun wieder selbst anstelle des untätigen vormaligen Inhabers initiativ werden kann. Er hat kein berücksichtigungswertes Interesse daran, dass auch die zur Zeit der ordnungsgemäßen Nutzungsrechtsverwaltung eingeräumten einfachen Nutzungsrechte wieder an ihn zurückfallen mit der Folge, dass dadurch auftretende Unbilligkeiten durch schuldrechtliche Maßnahmen in den Ketten der Nutzungsberechtigungsverträge wieder ausgeglichen werden müssten.

d) Der Senat gibt dem nach den Ausführungen oben unter c) der Interessenlage eher entsprechenden Ergebnis den Vorzug gegenüber der Lösung, die

sich aus rein dogmatischen Grundsätzen ableitet. Er fühlt sich dazu umso mehr berechtigt, als nach § 33 S. 2 UrhG ausschließliche wie einfache Nutzungsrechte gegenüber später eingeräumten Nutzungsrechten wirksam bleiben, auch wenn der Inhaber des Nutzungsrechtes auf sein Recht verzichtet. In diesem Fall bleibt aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmungen der Lizenznehmer am Ende der Kette Inhaber seines Rechtes, auch wenn der (vormalige) Lizenzgeber, von dem er seine Rechte ableitet, über keine Rechte mehr verfügt. Es geht, um dies klar zu stellen, dem Senat insoweit nicht um eine analoge Anwendung des § 33 S. 2, deren Berechtigung im Streitfall schon deshalb zweifelhaft wäre, weil der Beklagte die Nutzungsrechte an der Software "S. Q." bereits mit Vertrag vom 23.04.2001 erlangt hat, die Neuregelung des § 33 S. 2 UrhG hingegen nach § 132 Abs. 3 UrhG nur "auf Verträge oder sonstige Sachverhalte", die vor dem 01.07.2002 geschlossen wurden oder entstanden sind, zur Anwendung zu bringen ist. Vielmehr ist entscheidend die Erwägung, dass der Grundsatz, abgeleitete Lizenzrechte müssten mit dem Rechtsverlust beim Lizenzgeber "automatisch" entfallen, auch vom Gesetzgeber nicht ohne Ausnahme durchgeführt wird. Er muss daher nicht in jedem Einzelfall gegen eine etwa anderes gebietendes Interessenlage durchgesetzt werden.

2.

Hat danach der Rückruf des Klägers aus § 41 UrhG nicht zum Wegfall des Nutzungsrechtes des Beklagten geführt, so greifen auch die weiteren von dem Kläger im Laufe des Rechtsstreits noch ins Feld geführten Argumente nicht durch. Der Kläger hat insoweit zum einen die Auffassung vertreten, das Nutzungsrecht des Beklagten sei durch die Kündigung des Programmwartungsvertrages zwischen der B. GmbH und dem Beklagten entfallen. Zum zweiten meint er, die Veränderungen des Programmes und seiner Versionen bei der Beklagten hätten zu einer Verletzung seiner Urheberrechte geführt. Beide Argumente hält auch der Senat nicht für stichhaltig. Er beruft sich zur Begründung auf die eingehenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil unter Ziffer 2 a) bis c). Die dortigen Ausführungen macht sich der Senat zu eigen.

3.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 91 ZPO zurück zu weisen.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus den

§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Frage, wie sich der Rückruf aus § 41 UrhG auf die Existenz vorhandener "Enkelrechte" auswirkt, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und grundsätzliche Bedeutung hat.