OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.06.2006 - 6 A 1216/04
Fundstelle
openJur 2011, 45254
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wurde mit Wirkung vom 1. Juni 1991 zum damaligen Ministerium für die Gleichstellung von Frau und Mann des Landes Nordrhein-Westfalen versetzt. Im Mai 1994 wechselte sie als Sachbearbeiterin in das Referat I.3 "Presseangelegenheiten, Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungen, Veranstaltungen, Medienpolitik" und wurde im Februar 1995 zur Amtsrätin befördert. In den dienstlichen Beurteilungen vom 1. Februar 1995 und vom 23. Dezember 1997 wurde sie jeweils mit der Note "erheblich über dem Durchschnitt" beurteilt. Die dienstliche Beurteilung vom 20. Oktober 1998 des damaligen Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit (MFJFG) aus Anlass ihrer bevorstehenden Beförderung zur Oberamtsrätin schloss mit dem Gesamturteil "ohne jede Einschränkung: erheblich über dem Durchschnitt". Die Beförderung erfolgte im Dezember 1998.

Von Oktober 1998 bis Juni 2000 war die Klägerin als Vorsitzende des Personalrates von ihren dienstlichen Tätigkeiten freigestellt. Anschließend war sie im Referat I B 5 "Öffentlichkeitsarbeit, Medien, Veranstaltungen" des damaligen MFJFG und später in demselben Referat des Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie (MGSFF) tätig.

Zum Stichtag 1. Februar 2002 wurden die Oberamtsrätinnen und Oberamtsräte sowie die Angestellten der Vergütungsgruppe II a BAT des MFJFG nach den Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beschäftigten des MFJFG und im Geschäftsbereich des MFJFG - BRL - (Runderlass des MFJFG vom 3. Mai 2001 - I A 1-2003 -, MBl. NRW S. 840) im Rahmen einer Regelbeurteilung beurteilt. Vor Erstellung der Erstbeurteilungen fand am 14. Dezember 2001 ein Gespräch zwischen dem Abteilungsleiter I als Endbeurteiler mit den Referatsleitungen der Abteilung I unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten statt. Ziel des Gesprächs war die Anwendung gleicher Beurteilungsmaßstäbe und Beachtung der vorgegebenen Richtsätze. Am 20. März 2002 führte der Referatsleiter des Referats I B 5 mit der Klägerin ein Beurteilungsgespräch und erstellte für sie als Erstbeurteiler unter Verwendung der den BRL entsprechenden Beurteilungsvordrucke am 21. März 2002 einen Beurteilungsvorschlag. Er bewertete die Leistungsmerkmale wie folgt: Arbeitsweise 4 Punkte, Arbeitsorganisation 5 Punkte, Arbeitseinsatz 5 Punkte, Arbeitsgüte 5 Punkte, Arbeitserfolg 4 Punkte, Soziale Kompetenz 5 Punkte. Die jeweils zugeordneten Submerkmale bewertete er ebenfalls mit 4 oder 5 Punkten. Das Leistungsmerkmal Führungsverhalten bewertete er nicht. Als Gesamtnote der Leistungsbeurteilung schlug er vor:

"Die Beschäftigte hat im Beurteilungszeitraum eine Leistung erbracht, die die Anforderungen in besonderem Maße übertrifft und daher mit 5 Punkten bewertet wird".

In der Befähigungsbeurteilung vergab der Erstbeurteiler fünf Mal den Ausprägungsgrad C ("stärker ausgeprägt") und neun Mal den Ausprägungsgrad D ("besonders stark ausgeprägt"). Unter der Rubrik "Teilnahme an Lehrgängen, besondere Tätigkeiten, Fortbildungsvorschlag" vermerkte er:

"Frau T. war im Beurteilungszeitraum bis Juni 2000 - in der schwierigen Phase der Neuorganisation des Hauses - als Personalratsvorsitzende freigestellt".

Der Gruppenleiter I B gab in seiner Stellungnahme zur Erstbeurteilung am 26. März 2002 folgendes abweichendes, dem Punktwert 4 entsprechendes Votum ab:

"Unter Berücksichtigung eines einheitlichen Vergleichsmaßstabes und der Richtsätze der Vergleichsgruppe "Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Bes.Gr. A 13 und der Vergütungsgruppe II a BAT" sowie unter Anlegung eines strengen Maßstabes, der entwickelt wurde, um zu einer abgestuften vergleichenden Wertung zu kommen, übertreffen die Leistungen von Frau T. im Beurteilungszeitraum die Anforderungen, gehen aber darüber nicht hinaus."

Am 16. April 2002 fand eine Beurteilerkonferenz statt, an der neben dem Abteilungsleiter I als Endbeurteiler die Gleichstellungsbeauftragte und die zwei Gruppenleiter der Abteilung I als personen- und sachkundige Bedienstete teilnahmen. Der Abteilungsleiter I setzte nach dieser Konferenz das Gesamturteil auf 3 Punkte fest. Die Endbeurteilungen wurden am 25. April 2002 von der Staatssekretärin gebilligt. Der Abteilungsleiter I gab daraufhin am 14. Mai 2002 folgende Endbeurteilung der Klägerin ab:

"Ich stimme dem Beurteilungsvorschlag des Erstbeurteilers in der Gesamtnote der Beurteilung nicht zu und setze das Gesamturteil auf 3 Punkte fest."

Hierzu gab er folgende Begründung:

"Die Absenkung des Gesamturteils gegenüber der Erstbeurteilung erfolgt unter Berücksichtigung eines einheitlichen Vergleichsmaßstabes und der Richtsätze der Vergleichsgruppe der Beamtinnen und Beamten der Bes.Gr. A 13 bzw. Angestellten der Vergütungsgruppe II a sowie nach eingehender Beratung in der Beurteilungskonferenz. Unter Anlegung eines strengen Maßstabes, der entwickelt wurde, um zu einer abgestuften, vergleichenden Bewertung zu kommen, entsprechen die Leistungen von Frau T. im Beurteilungszeitraum voll den Anforderungen, gehen aber insgesamt nicht darüber hinaus."

Ausweislich des der Beurteilung beigefügten Beurteilungsspiegels wurden in dieser Beurteilungsrunde in der aus 28 Beurteilten bestehenden Vergleichsgruppe siebenmal 5 Punkte, sechsmal 4 Punkte und fünfzehnmal 3 Punkte vergeben.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2002 legte die Klägerin Widerspruch gegen ihre dienstliche Beurteilung ein. Mit einem weiteren Schreiben beantragte sie, das Gesamturteil auf 5 Punkte abzuändern.

Das MFJFG wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2002, zugestellt am 20. November 2002, zurück.

Die Klägerin hat am 19. Dezember 2002 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass der Endbeurteiler nach Nr. 5.5 Abs. 2 und 3 BRL eine vom Erstbeurteiler abweichende Beurteilung mit für die Beschäftigten nachvollziehbaren Gründen zu erläutern habe. Dies sei nicht geschehen. Es seien lediglich abstrakte, formelhafte und allgemeine Gründe dafür angegeben worden, dass dem Vorschlag des Erstbeurteilers nicht gefolgt worden sei. Zudem sei die angefochtene Beurteilung nicht plausibel, da die Gesamtnote in unauflösbarem Widerspruch zu den Einzelbewertungen stehe. Eine Abweichung erfordere eine nachvollziehbare Begründung, wobei bereits bei einer Abweichung um eine Notenstufe der bloße Hinweis auf einen einheitlichen und strengeren Vergleichsmaßstab nicht ausreiche. Dass ihre Tätigkeit als freigestellte Personalratsvorsitzende in der Erstbeurteilung erwähnt worden sei, obwohl sie selbst keinen entsprechenden Wunsch gemäß Nr. 7.6 BRL geäußert habe, stelle einen weiteren Fehler der Beurteilung dar. Die im Rahmen dieser Tätigkeit erbrachten Leistungen seien einer Bewertung durch den Dienstherrn entzogen. Es sei anzunehmen, dass ihre Personalratstätigkeit zur Absenkung der Gesamtbewertung als sachfremde Erwägung und auch im Ergebnis nachteilig berücksichtigt worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

das beklagte Land unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. November 2002 zu verurteilen, ihre dienstliche Beurteilung vom 14. Mai 2002 aufzuheben und sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut dienstlich zu beurteilen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat vorgetragen, die Abweichungsbegründung des Endbeurteilers stelle den allgemeinen Quervergleich unter Berücksichtigung der Richtsätze in den Mittelpunkt und genüge damit den nach der Rechtsprechung an eine solche Begründung zu stellenden Anforderungen. Nichts anderes gelte für die Abweichungsbegründung des der Klägerin vorgesetzten Gruppenleiters. Fallübergreifende Ausführungen des Vorgesetzten seien nicht ausgeschlossen, wenn er diese für ausschlaggebend halte.

Das beklagte Land hat in der mündlichen Verhandlung die dienstliche Beurteilung der Klägerin dahin abgeändert, dass deren Tätigkeit als freigestelltes Personalratsmitglied nunmehr in die "Aufgabenbeschreibung" aufgenommen worden ist.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 10. Februar 2004 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die angegriffene dienstliche Beurteilung begegne in materieller Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Endbeurteilung nicht hinreichend plausibel sei. Das Gesamturteil stehe in einem unlösbaren Widerspruch zu den Einzelbewertungen. Nach Nr. 5.5 Abs. 2 Satz 2 BRL seien für den Fall, dass der Endbeurteiler von der Erstbeurteilung abweiche, die Gründe für diese Abweichung für den jeweiligen Beschäftigten nachvollziehbar darzulegen. Beschränke sich die Abweichungsbegründung zulässigerweise auf allgemeine Gesichtspunkte, liege ein zur Rechtswidrigkeit der Beurteilung führendes Begründungsdefizit gleichwohl dann vor, wenn die allgemeinen Erwägungen nicht ausreichten, um einander nicht entsprechende Wertungen innerhalb der dienstlichen Beurteilung aufzulösen. An einem solchen Begründungsdefizit leide die umstrittene Beurteilung, da die in der Abweichungsbegründung angeführten allgemeinen Erwägungen nicht erklären könnten, wie das Gesamturteil (3 Punkte) mit der Gesamtnote der Leistungsbeurteilung (5 Punkte) und der Bewertung der Leistungsmerkmale (dreimal 5 Punkte und zweimal 4 Punkte) sowie der jeweils zugehörigen Submerkmale vereinbar sein solle, und der Beklagte auch nachträglich keine ausreichende Begründung gegeben habe.

Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.

Das beklagte Land hat gegen das ihm am 4. März 2004 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 16. März 2004 - bei Gericht eingegangen am 18. März 2004 - Berufung eingelegt und diese unter dem 5. April 2004 - bei Gericht eingegangen am 13. April 2004 - begründet.

Es führt aus, die Referatsleitungen hätten als Erstbeurteiler ihre Beurteilungsvorschläge unabhängig erstellt und seien dabei nicht an Weisungen gebunden gewesen. Bei der nachfolgenden Konferenz der Beurteilenden, die vor der Endbeurteilung stattgefunden habe, seien die Beurteilungsvorschläge der Erstbeurteiler für die Beamtinnen und Beamten der Besoldungsgruppe A 13 der Abteilung I erörtert worden, um leistungsgerecht abgestufte und untereinander vergleichbare Beurteilungen zu erreichen. Dabei sei auch unter Beachtung der Dauer der Zugehörigkeit zur Vergleichsgruppe eine Rangfolge zwischen den fünf zu Beurteilenden aufgestellt worden. Die Klägerin sei das erste Mal in dieser Vergleichsgruppe zu beurteilen gewesen, während drei der zu Beurteilenden in der Vergleichsgruppe bereits mehrfach die Spitzennote erhalten hätten. Die Klägerin sei bei dem Leistungsvergleich der zu Beurteilenden einvernehmlich an die letzte Stelle gesetzt worden. Das Ergebnis der Konferenz sei gewesen, dass der Ab- teilungsleiter I als Endbeurteiler den Beurteilungsvorschlägen der Erstbeurteiler nur in zwei Fällen gefolgt sei und den Vorschlag "5 Punkte" akzeptiert habe. Einmal habe er den Vorschlag von 5 auf 4 Punkte, in zwei Fällen von 5 auf 3 Punkte abgesenkt. Das die Klägerin betreffende Gesamturteil sei in der nach der BRL vorgesehenen Besprechung zwischen der Staatssekretärin und den Abteilungsleitungen von der Staatssekretärin gebilligt worden. Die Abweichungsbegründung genüge den an sie zu stellenden Anforderungen. Liege der Grund für die Abweichung - wie hier - in einem allgemeinen Quervergleich unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Richtsätze, müsse die Abweichungsbegründung diesen Aspekt in den Mittelpunkt stellen. Die Entscheidung des Senats vom 29. August 2001 im Verfahren 6 A 2967/00, auf die sich das Verwaltungsgericht als Beleg für das angenommene Begründungsdefizit gestützt habe, sei nicht einschlägig. Sie betreffe einen Sachverhalt aus dem Bereich der Polizei. In der dort damals maßgeblichen Beurteilungsrichtlinie sei ausdrücklich geregelt gewesen, dass der Schlusszeichnende die abweichende Beurteilung zu begründen habe, falls Erst- und Endbeurteilung bei der Bewertung der Hauptmerkmale und des Gesamturteils nicht übereinstimmten. Er habe somit bei abweichender Auffassung auch über die Bewertung der einzelnen Hauptmerkmale entscheiden und die Beurteilung insgesamt - einschließlich der Bewertung der Submerkmale - verantworten müssen. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen BRL enthielten keine entsprechende Regelung, nach der bei Absenkung des Gesamturteils in der Endbeurteilung die Hauptmerkmale zu ändern seien, sodass eine sich auf einzelfallübergreifende Aspekte stützende Abweichungsbegründung ausreiche. Die Orientierung an den Richtsätzen werde nicht dadurch unzulässig, dass die fragliche Vergleichsgruppe in der Abteilung I nur aus fünf Beschäftigten bestanden habe. Vielmehr bestimmten die BRL, dass bei Nichterreichen der Vergleichsgruppengröße von 30 Personen bei der Festlegung des Gesamturteils eine Differenzierung angestrebt werden solle, die sich an diesen Orientierungsrahmen anlehne. Dies sei geschehen, wobei die Richtsätze allerdings erheblich überschritten worden seien. Die Beurteilungen in der Abteilung I seien mit 40 % 5 Punkte, 20 % 4 Punkte und 40 % 3 Punkte deutlich besser ausgefallen als in den übrigen Abteilungen. Nach der so genannten Billigungskonferenz unter Beteiligung der Staatssekretärin seien in der aus sämtlichen Abteilungen zu bildenden Vergleichsgruppe von 28 Personen siebenmal 5 Punkte (25 %), sechsmal 4 Punkte (21 %) und fünfzehnmal 3 Punke (54 %) vergeben worden. Es sei schließlich auch nicht schematisch auf die Einhaltung der Richtsätze abgestellt worden, was das oben dargestellte Ergebnis der Beratung im Rahmen der Beurteilerkonferenz bestätige.

Das beklagte Land beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts und vertieft ihren erstinstanzlichen Klagevortrag. Dabei führt sie ergänzend aus, dass die Berufung auf Richtsätze nach Nr. 7.4 Abs. 3 BRL eine Vergleichsgruppe von mindestens 30 Personen voraussetze. Da in ihrem Falle eine Vergleichsgruppe dieser Größenordnung nicht habe gebildet werden können, trete die Bedeutung der Richtsätze zurück. Es sei - jedenfalls zusätzlich - eine ausführliche einzelfallbezogene Begründung für die abweichende Endbeurteilung zu fordern. Dies gelte insbesondere dann, wenn - wie hier - die Richtsätze innerhalb der Vergleichsgruppe deutlich überschritten würden. Auch wenn das Gesamturteil nicht notwendigerweise mit dem arithmetischen Mittel der Einzelbewertungen identisch sein müsse, dürfe das gefundene Ergebnis in seiner Gesamtbetrachtung nicht widersprüchlich sein. Die Widersprüchlichkeit der angefochtenen Beurteilung resultiere daraus, dass die Unterschiede zwischen der Benotung der Hauptmerkmale und dem Gesamturteil in einer Weise gravierend seien, die einen rational nachvollziehbaren Grund nicht erkennen lasse. Es werde der Eindruck erweckt, die Einzelnoten seien aus Gefälligkeit erteilt und im Rahmen der Gesamtbenotung vollständig ignoriert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes (Beiakten Hefte 1 und 2) Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des beklagten Landes ist unbegründet.

Die dem angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteil zu Grunde liegende Klage ist zulässig und begründet. Die angegriffene dienstliche Beurteilung vom 14. Mai 2002 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Aufhebung dieser dienstlichen Beurteilung sowie auf eine erneute, rechtsfehlerfreie Beurteilung für den fraglichen Zeitraum. Der dem entgegenstehende Widerspruchsbescheid des früheren Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. November 2002 ist aufzuheben.

Dienstliche Beurteilungen sind nach ständiger Rechtsprechung verwaltungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbar. Nur der Dienstherr oder der für ihn handelnde jeweilige Vorgesetzte soll nach dem erkennbaren Sinn der Regelungen über die dienstliche Beurteilung ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der Beamte den - ebenfalls grundsätzlich vom Dienstherrn zu bestimmenden - zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen seines Amtes und seiner Laufbahn entspricht. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich gegenüber dieser der gesetzlichen Regelung immanenten Beurteilungsermächtigung darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat.

Hat der Dienstherr - wie hier - Richtlinien für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen, sind die Beurteiler an diese Richtlinien hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens und der einzuhaltenden Maßstäbe gebunden. Das Gericht kann kontrollieren, ob sich die Richtlinien im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung halten und ob sie auch sonst mit den gesetzlichen Vorschriften in Einklang stehen.

Nach diesen Grundsätzen ist die dienstliche Beurteilung vom 14. Mai 2002 rechtswidrig, weil das Gesamturteil von 3 Punkten jedenfalls angesichts der ausschließlich mit 4 oder 5 Punkten bewerteten nachgeordneten Leistungsmerkmale (Haupt- und Submerkmale), die dem Gesamturteil zu Grunde liegen, nicht plausibel ist.

Das allgemein anerkannte Gebot der Plausiblität dienstlicher Beurteilungen verlangt nicht, dass das Gesamturteil als zwingend folgerichtiges Produkt der Benotungen ihm nachgeordneter Einzelkriterien erscheint. Vielmehr können in die höchstpersönliche Einschätzung des Beurteilers auch solche Überlegungen einfließen, die bei den Einzelbewertungen nicht vollständig zum Ausdruck gelangen. Dementsprechend ist nach Nr. 7.1.2 Satz 6 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beschäftigten des MFJFG und im Geschäftsbereich des MFJFG - BRL - (Runderlass des MFJFG vom 3. Mai 2001 - I A 1-2003 -, MBl. NRW S. 840) die Gesamtnote der Leistungsbewertung aus der Bewertung der Leistungsmerkmale unter Würdigung ihrer Gewichtung und des Gesamtbildes der Leistungen zu bilden. Für das Gesamturteil hat der Endbeurteiler nach Nr. 7.3 BRL die Gesamtnote der Leistungsbeurteilung und die Befähigungsbeurteilung zu berücksichtigen, wobei für letztere nach Nr. 7.2.2 BRL keine Gesamtbewertung vorzunehmen ist. Da die Befähigungsmerkmale nicht nach Noten, sondern nach Ausprägungsgraden zu bewerten sind (Nr. 7.2.2 BRL), kann das Gesamturteil schon aus diesem Grunde nicht mit dem arithmetischen Mittel der Einzelbewertungen identisch sein.

Gleichwohl ist eine dienstliche Beurteilung nicht mehr plausibel, wenn sie in unlösbarem Widerspruch zu den Einzelbewertungen steht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. August 2001 - 6 A 2967/00 - m.w.N.

Ein solcher unlösbarer Widerspruch ist hier jedenfalls zwischen Gesamturteil und der Bewertung der Leistungsmerkmale festzustellen. Von den sechs bewerteten Leistungsmerkmalen (Hauptmerkmale) der Leistungsbeurteilung sind vier mit dem Spitzenprädikat 5 Punkte und zwei mit 4 Punkten bewertet. Die diesen Bewertungen nachgeordneten Kriterien (Submerkmale) sind ebenfalls durchgängig mit 4 oder 5 Punkten benotet. Die Leistungsbeurteilung schließt dementsprechend mit der Gesamtnote 5 Punkte ab. Ohne die einzelnen Benotungen zu ändern, hat der Endbeurteiler bei der Festsetzung des Gesamturteils aber nur 3 Punkte vergeben.

Diese Diskrepanz macht die dienstliche Beurteilung widersprüchlich. Der Senat hat schon in seinem oben erwähnten Urteil vom 29. August 2001 - 6 A 2967/00 - für den Fall, dass zwischen den Bewertungen von Submerkmalen und des entsprechenden Hauptmerkmales überwiegend mehr als eine Notenstufe liegt, eine Erklärung mit einer dafür denkbaren unterschiedlichen Gewichtung von Einzelmerkmalen als ausgeschlossen erachtet.

Für den vorliegenden Fall gilt nichts anderes: Die Abweichung zwischen dem Gesamturteil und den Bewertungen der nachgeordneten Leistungsmerkmale, von denen keines mit weniger als 4 Punkten bewertet wurde, ist sogar noch auffälliger, zumindest aber vergleichbar. Auch würde eine Gewichtung, die die Befähigungsbeurteilung in den Vordergrund stellte, die Herabsetzung des Gesamturteils gegenüber der Gesamtnote der Leistungsbeurteilung in keiner Weise erklären können. Von den insgesamt vierzehn Befähigungsmerkmalen sind neun mit dem Ausprägungsgrad "besonders stark ausgeprägt" und fünf mit dem Ausprägungsgrad "stärker ausgeprägt" bewertet, sodass sich auch die Befähigungsbeurteilung überwiegend im obersten Bereich der Beurteilungsmöglichkeiten bewegt. Davon abgesehen hat das beklagte Land einen dahin gehenden Erklärungsversuch auch nicht unternommen.

Eine schlüssige Begründung für die aufgezeigte Widersprüchlichkeit ist auch sonst nicht erkennbar. Die der Endbeurteilung beigefügte Begründung, die nach Nr. 5.5 Satz 5 BRL erforderlich ist, wenn - wie hier - Erst- und Endbeurteilung nicht übereinstimmen, enthält dazu keine Ausführungen. Dasselbe gilt für die Stellungnahme, die der Vorgesetzte der Klägerin gemäß Nr. 5.4 Satz 3 und Nr. 5.5. Sätze 5 und 6 BRL abgegeben hat. Beide Begründungen berufen sich für die Herabsetzung des Gesamturteils auf die Anlegung eines einheitlichen strengen Vergleichsmaßstabes, der entwickelt worden sei, um zu einer abgestuften vergleichenden Bewertung zu kommen, sowie auf die Richtsätze der Vergleichsgruppe, der die Klägerin angehört. Der Endbeurteiler verweist darüber hinaus auf die eingehende Beratung im Rahmen der Beurteilungskonferenz.

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass sich Umfang und Intensität der Begründung, die erforderlich ist, wenn Erst- und Endbeurteilung nicht übereinstimmen, daran auszurichten haben, was insoweit angesichts des vorgesehenen Beurteilungsverfahrens überhaupt möglich und zulässig ist. Beruht die Endbeurteilung nicht auf einer abweichenden Bewertung des individuellen Leistungs- und Befähigungsprofils, sondern auf einzelfallübergreifenden Erwägungen, etwa der Korrektur einer zu wohlwollenden oder zu strengen, vom allgemeinen Beurteilungsmaßstab abweichenden Grundhaltung des Erstbeurteilers und/oder auf einem allgemeinen Quervergleich mit den Beurteilungen der anderen zur Vergleichsgruppe gehörenden Personen unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Richtsätze, muss die Abweichungsbegründung diese Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellen. Die dabei maßgeblichen allgemeinen Erwägungen führen zwangsläufig zu einer Abstrahierung vom Einzelfall und finden sich wegen ihrer fallübergreifenden Bedeutung ebenso zwangsläufig in ähnlicher oder gleicher Wortwahl auch in den Beurteilungen anderer Beamter wieder. Auch wenn die Begründung in derartigen Fällen möglicherweise formelhaft wirkt, ergibt sich allein daraus zwar kein zur Rechtswidrigkeit führendes Begründungsdefizit.

Vgl. Beschlüsse vom 13. Dezember 1999

- 6 A 3599/98 -, DÖD 2000, 161, und

- 6 A 3593/98 -, DÖD 2000, 266; Urteil

vom 29. August 2000 - 6 A 2967/00 - und Beschluss vom 2. Mai 2005 - 6 B 594/05 -.

Das hilft aber nicht über einen Beurteilungsmangel der hier vorliegenden Art hinweg, der in einer solchen Fallgestaltung auftreten kann, denn die Widersprüchlichkeit einer Beurteilung, die auf einem nicht nachvollziehbaren Unterschied zwischen dem Gesamturteil und der Bewertung nachgeordneter Einzelmerkmale beruht, wird dadurch nicht beseitigt.

Auch die Erwägung, dass die vom Erstbeurteiler vergebenen Benotungen der Einzelmerkmale als stillschweigend mit abgesenkt betrachtet werden können, wenn der Endbeurteiler - ohne diese Benotungen ausdrücklich zu ändern - das Gesamturteil herabsetzt,

so für den damaligen Einzelfall OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2005 - 6 B 594/05 -,

rechtfertigt keine für das beklagte Land günstigere Entscheidung. Nach dem Rechtsstandpunkt des Landes war eine Herabsetzung der Leistungsmerkmale weder notwendig noch beabsichtigt, weil der Endbeurteiler - anders als im Beurteilungswesen der Polizei - nach den hier anzuwendenden BRL nur für das Gesamturteil die Verantwortung trage. Ausgehend davon kann dessen von der Erstbeurteilung abweichende Festsetzung im vorliegenden Streitfall nicht als Abänderung der Einzelbewertungen gedeutet werden.

Ebenso wenig verhilft es der Berufung zum Erfolg, dass mit der von der Erstbeurteilung abweichenden Festsetzung des Gesamturteils die für die Klägerin günstigeren Bewertungen der Leistungsmerkmale durch den Erstbeurteiler obsolet geworden sein könnten.

So in einer für das damalige Eilverfahren nicht entscheidungstragenden Erwägung, OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2005 - 6 B 594/05 -.

Zwar wäre bei einer solchen Annahme die bemängelte Widersprüchlichkeit zwischen Gesamturteil und nachgeordneten Leistungsmerkmalen möglicherweise beseitigt, doch verbliebe eine unvollständige Beurteilung, die in späteren Auswahlverfahren unter Umständen für den Qualifikationsvergleich unbrauchbar sein könnte. Der Dienstherr muss nämlich bei gleichlautenden Gesamturteilen der Frage nachgehen, ob die Einzelfeststellungen in aktuellen dienstlichen Beurteilungen eine Prognose über die zukünftige Bewährung im Beförderungsamt ermöglichen. Er darf sich also im Rahmen des Qualifikationsvergleichs nicht ohne weiteres auf das Gesamturteil aktueller Beurteilungen beschränken.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2004 - 6 B 1584/04 -.

Um den ihnen zugewiesenen Auslesezweck zu erfüllen, müssen die in einem Auswahlverfahren herangezogenen Beurteilungen der jeweiligen Bewerber nicht nur im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Erstellung und den Beurteilungszeitraum, sondern auch inhaltlich vergleichbar sein. An einer solchen inhaltlichen Vergleichbarkeit fehlt es, wenn für einen der Bewerber nur eine auf das Gesamturteil reduzierte Beurteilung vorliegt, während die Beurteilungen anderer Bewerber ausführliche Bewertungen von einzelnen Leistungsmerkmalen aufweisen.

Zudem stünde eine auf das Gesamturteil reduzierte Beurteilung im Widerspruch zu dem nach den BRL notwendigen Beurteilungsinhalt. Nach Nr. 7 BRL besteht die Beurteilung unter anderem aus Leistungs- und Befähigungsbeurteilung. Nr. 6 BRL schreibt die Verwendung des in Anlage A beigefügten Beurteilungsbogens vor, der wiederum die Bewertung der in Nr. 7.1.2 BRL aufgezählten Leistungsmerkmale vorsieht.

Unzutreffend ist schließlich auch das Argument, der Endbeurteiler habe die Einzelfeststellungen des Erstbeurteilers unverändert hinzunehmen. Der Endbeurteiler verantwortet im Gegenteil nicht nur das Gesamturteil, sondern die Beurteilung insgesamt,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. August 2001 - 6 A 2967/00 -, a.a.O.,

sodass er nicht nur berechtigt, sondern unter Umständen sogar verpflichtet ist, die nachgeordneten Einzelmerkmale zu ändern. Auch wenn hier für den Endbeurteiler die Möglichkeit zur Abänderung der Einzelmerkmale über die zu verwendenden Vordrucke nicht ausdrücklich vorgesehen ist, ist er nicht gehindert, bei der Abweichungsbegründung nach Nr. 5.5 Satz 5 BRL auch auf die Bewertung der Einzelmerkmale einzugehen, zumal er dabei auf die Erkenntnisse weiterer personen- und sachkundiger Bediensteter zurückgreifen kann (Nr. 5.5 Satz 2 BRL).

Im Ergebnis ist im Interesse der Plausibilität und Vollständigkeit der Beurteilung zu fordern, dass sich der Endbeurteiler, der die Erstbeurteilung hinsichtlich des Gesamturteils abändert, auch zu den Benotungen der nachgeordneten Einzelmerkmale äußert. Ob er dabei die Bewertung dieser Merkmale im Einzelnen dem von ihm vergebenen Gesamturteil anpasst oder die erforderliche Anpassung in einer sonstigen geeigneten Weise - etwa durch entsprechende allgemeine Aussagen zu den Benotungen der Einzelmerkmale in der Abweichungsbegründung - herbeiführt, bleibt ihm überlassen.

Der festgestellte Mangel der dienstlichen Beurteilung ist nicht nachträglich beseitigt worden. Ein Defizit in der Plausiblität kann grundsätzlich im Widerspruchsverfahren und auch noch im gerichtlichen Verfahren ausgeglichen werden.

Der Endbeurteiler verantwortet - wie oben bereits ausgeführt - die dienstliche Beurteilung insgesamt, das heißt einschließlich der Bewertungen der dem Gesamturteil nachgeordneten Einzelmerkmale. Stehen sie in Widerspruch zu dem Gesamturteil, hat er es in den genannten Verfahrensstadien in der Hand, die Abweichungen - soweit möglich - vertretbar zu begründen oder die Widersprüche sonst in die eine oder die andere Richtung aufzulösen.

Dies ist nicht geschehen. Das beklagte Land trägt ausschließlich Argumente vor, die die Herabsetzung des Gesamturteils auf 3 Punkte rechtfertigen mögen, benennt aber keine Gründe, die die Diskrepanz zwischen dem Gesamturteil und den Bewertungen der nachgeordneten Einzelmerkmale erklären könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 BRRG hierfür nicht gegeben sind.