VG Aachen, Beschluss vom 07.07.2006 - 3 L 336/06
Fundstelle
openJur 2011, 44659
  • Rkr:
Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

G r ü n d e : Der Hauptantrag mit dem Inhalt,

festzustellen, das die mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 12. November 2004 angeordnete Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 22. Dezember 2003 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 11. Dezember 2003 fortbesteht,

hat keinen Erfolg.

Nach dem Vergleich der Beteiligten vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Februar 2005 haben sich die Beteiligten darauf verständigt, dass die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung vom 11. Dezember 2003 fortbesteht. Damit enthält der Vergleich eine (verdeckte) Rücknahme des in erster Instanz gestellten Aussetzungsantrags des Antragstellers, wozu er im noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Beschwerdeverfahren befugt war. Die Rücknahme dieses Antrags hat zur Folge, dass der Eilrechtsschutz gewährende Beschluss des erkennenden Gerichts vom 12. November 2004 in dem Verfahren - 3 L 17/04 - gegenstandslos geworden ist und die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung vom 11. Dezember 2003 Bestand hat.

Der hilfsweise gestellte Antrag,

erneut die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 11. Dezember 2003 wiederherzustellen, bzw. hinsichtlich der darin enthaltenen Zwangsgeldandrohung anzuordnen,

ist zulässig, aber nicht begründet.

Im Falle der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen bzw. anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorrangig ist. Ein überwiegendes Aussetzungsinteresse ist gegeben, wenn der Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird, d. h. wenn die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist.

Hingegen setzt sich das gegenläufige Vollziehungsinteresse durch, wenn die angefochtene Verfügung schon bei summarischer Prüfung als rechtmäßig anzusehen ist und darüber hinaus ein - von der Behörde nach § 80 Abs. 3 VwGO VwGO schriftlich darzulegendes - besonderes öffentliches Interesse an ihrer Umsetzung vor Abschluss des Rechtsschutzverfahrens in der Hauptsache besteht.

So liegt der Fall hier. Nach gegenwärtiger Sach- und Rechtslage bestehen weder durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung noch daran, diese schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu vollziehen.

Die lediglich formelle Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 VwGO hat der Antragsgegner erfüllt. Die Begründung ist auf den konkreten Fall bezogen und lässt erkennen, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war. In der angefochtenen Verfügung wird ausgeführt, dass die Allgemeinheit wirksam vor den Gefahren des unerlaubten Glückspiels geschützt werden müsse, und dass ein öffentliches Interesse unter Zurückstellung der Interessen des Antragstellers besteht, die Untersagungsverfügung bereits vor Eintritt der Bestandskraft durchzusetzen.

Nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung erweist sich die angegriffene Ordnungsverfügung, die dem Antragsteller untersagt, Sportwetten anzunehmen bzw. zu vermitteln, als rechtmäßig, weil der Antragsteller zur Ausübung dieser Tätigkeit im Land Nordrhein-Westfalen nicht die erforderliche Erlaubnis besitzt. Genehmigungen und Zulassungen aus anderen Bundesländern bzw. EU-Mitgliedstaaten gelten nach gegenwärtiger Rechtslage nicht für Nordrhein- Westfalen.

Die Untersagungsverfügung findet damit ihre Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 2 Satz 1 der Gewerbeordnung (GewO) oder (jedenfalls) in der sog. ordnungsbehördlichen Generalklausel nach § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes (OBG NRW). Nach diesen Vorschriften kann eine (Gewerbe-) Tätigkeit unterbunden werden, wenn sie ohne die erforderliche Erlaubnis ausgeübt wird. Ein solches Handeln ist "formell illegal" und gefährdet bzw. beeinträchtigt die Unversehrtheit der Rechtsordnung als Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit.

Zwar geht die Kammer davon aus, dass das staatliche Monopol für Sportwetten, das nach § 284 des Strafgesetzbuches (StGB) i.V.m. den Vorschriften des Sportwettengesetzes NRW auch in Nordhrein-Westfalen besteht, in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG unvereinbar ist und folgt dabei den Feststellungen und Bewertungen des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtslage nach dem Bayerischen Staatslotteriegesetz vom 29. April 1999 in dem Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, www.bverfg.de, die auf die in Nordrhein-Westfalen geltende Rechtslage in allen wesentlichen Punkten übertragbar sind,

vgl. zur Übertragbarkeit: OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2006 - 4 B 961/06 -.

Aus den Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts und der von ihm geforderten Neuregelungen lässt sich jedoch für den Antragsteller nichts herleiten. Selbst wenn in naher Zukunft, wofür derzeit wenig spricht, das nach § 1 Abs. 1 des Sportwettengesetzes NRW geltende substantielle ("repressive") Verbot mit Befreiungsvorbehalt für öffentlichrechtlich geprägte Unternehmen (Staatsmonopol) in ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu Gunsten Privater umgestaltet werden sollte, bliebe es dabei, dass der Antragsteller nicht die erforderliche Genehmigung zur Veranstaltung von Sportwetten in Nordrhein-Westfalen besitzt.

Es kann nämlich trotz aller diskussionswürdigen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Beibehaltung oder Lockerung des staatlichen Monopols für die Veranstaltung von Sportwetten im Ergebnis als ausgeschlossen gelten, dass etwa aus dem Zusammenspiel von Gemeinschafts-, Verfassungs- sowie (zukünftigem) Bundes- und Landesrecht in absehbarer Zeit, also während der Dauer des Hauptsacheverfahrens ein Rechtsinhalt entsteht, der die kommerzielle Veranstaltung von Sportwetten ohne jede staatliche Zulassung (Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung) ermöglicht und damit das formell illegale Handeln des Antragstellers legalisieren würde.

Abgesehen davon hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Leitentscheidung vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - im Freistaat Bayern für eine Übergangszeit bis zur Neuregelung sogar die völlige Untersagung der Durchführung privater Sportwetten gebilligt, wenn ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols andererseits dadurch hergestellt wird ,dass

- damit begonnen wird, das bestehende Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten,

- der Staat die Übergangszeit nicht zu einer expansiven Vermarktung von Wetten nutzt,

- bis zur Neuregelung die Erweiterung des Angebots staatlicher Wettveranstaltungen sowie eine Werbung unterbleibt, die über sachliche Informationen zur Art und Weise der Wettmöglichkeit hinausgeht und gezielt zu Wetten auffordert, sowie

- im Rahmen der staatlichen Lotterieveranstaltungen umgehend aktiv über die Gefahren des Wettens aufzuklären ist.

Diesen Maßgaben wird in Nordrhein-Westfalen genügt, wie sich aus der Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts NRW im Beschluss vom 28. Juni 2006 - 4 B 961/06 - ergibt, der die Kammer folgt.

Soweit der Antragsteller sich erneut darauf beruft, dass seine Vermittlungstätigkeit durch eine Erlaubnis vom 14. September 1990 gedeckt sei, die der Sportwetten GmbH H. noch nach dem Gewerbegesetz der ehemaligen DDR zur Veranstaltung von Sportwetten erteilt wurde, genügt der Hinweis, dass diese Erlaubnis nach ihrem räumlichen Geltungsbereich nach nicht im Land Nordrhein- Westfalen gilt,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Mai 2004 - 4 B 2096/03 - und nunmehr Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21. Juni 2006 - 6 C 19.06 -.

Ferner weist die Kammer darauf hin, dass die Vorgaben des EG-Vertrags aus Art. 43 und 49 (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) - falls anwendbar - das völlige Fernhalten privater Veranstalter vom Sportwettenmarkt als besonders rechtfertigungsbedürftig erscheinen lassen, nicht aber das Bestehen einer Erlaubnispflicht,

vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Urteil vom 6. November 2003 - C 243/01 - ("Gambelli"), wonach die Gemeinschaftsrechtsordnung das Bedürfnis der Mitgliedstaaten anerkennt, die Veranstaltung von Wetten und Glücksspielen zu beschränken oder sogar zu verbieten.

Im Übrigen gibt es nach dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts keine Regelung, nach der die in einem EU-Mitgliedstaat erteilte Sportwettengenehmigung von den anderen Mitgliedstaaten für ihr Hoheitsgebiet automatisch anzuerkennen wäre. Zwar kann die Nichtanerkennung für den betroffenen Unternehmer einen Eingriff in die Grundfreiheiten aus Art. 43 und 49 (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) darstellen. Angesichts der mit der Veranstaltung von Sportwetten verbundenen Gefahren durch betrügerisches Verhalten sowie die Förderung der Spielsucht dient das vom jeweils zuständigen nationalen Hoheitsträger für seinen Zuständigkeitsbereich geltende verwaltungsrechtliche Prüfungs- und Genehmigungsregime aber einem legitimen Zweck und erscheint mit Blick auf das insoweit bestehende Ermessen der Mitgliedstaaten auch nicht als unverhältnismäßig,

vgl. zum Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten: EuGH, Urteil vom 21. September 1999 - Rs. C-124/97 - ("Läärä").

Ungeklärte und gleichzeitig entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung bzw. Gültigkeit des Gemeinschaftsrecht, deren Beantwortung eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EGV ermöglichen bzw. erfordern würde, stellen sich daher im vorliegenden Zusammenhang nicht.

Allerdings trägt die danach anzunehmende Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung allein nicht die Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung. Vielmehr setzt § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ein besonderes öffentliches Interesse daran voraus, einen belastenden Verwaltungsakt bereits vor Abschluss des Rechtsschutzverfahrens in der Hauptsache umzusetzen.

Ein besonderes Vollziehungsinteresse liegt derzeit vor, weil die ungenehmigte Veranstaltung von Sportwetten wegen der damit verbundenen Gefahren ein sofortiges Einschreiten rechtfertigt. Eine formell illegale Gewerbetätigkeit verdient in aller Regel keinen Vollstreckungsschutz. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, dass die Aufnahme einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit ohne Erlaubnis ordnungsbehördlich nicht hingenommen werden muss, bestehen derzeit nicht. Eine (offensichtliche) Genehmigungsfähigkeit der beanstandeten Tätigkeit ist nicht ersichtlich. Sollte sie sich im Zuge eines Genehmigungsrechtsstreits - insbesondere aufgrund einer Rechtsänderung oder Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - im Einzelfall ergeben, bleibt es der Antragstellerseite unbenommen, einen Antrag auf Abänderung der vorliegenden Eilentscheidung zu stellen, vgl. § 80 Abs. 7 VwGO.

Ist demnach die sofortige Vollziehung der Grundverfügung berechtigt, besteht kein Anlass, hinsichtlich der rechtmäßig erlassenen Zwangsgeldandrohung vom Regelvorrang des Vollzugsinteresses nach § 8 Satz 1 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung (AG VwGO NRW) abzuweichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).