ArbG Herne, Urteil vom 01.06.2006 - 2 Ca 3033/05
Fundstelle
openJur 2011, 44279
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 18 Sa 1149/06

Bei einem Wegeunfall handelt es sich nicht um einen "Betriebsunfall" im Sinne des § 6 des allgemeinenverbindlichen Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten im Gebäudereiniger-Handwerk, so dass kein Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses zum Krankengeld besteht.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf 167,83 Euro festgesetzt.

4. Die Berufung wird zulassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten einen Zuschuss zum Krankengeld nach dem Rahmentarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten im Gebäudereinigungshandwerk zu zahlen.

Der am xx.xx.xxxx geborene Kläger steht bei der Beklagten seit 1990 als Gebäudereiniger mit einem Bruttostundenlohn in Höhe von 11,56 Euro in einem Arbeitsverhältnis.

Auf das Arbeitsverhältnis finden die tarifvertraglichen Bestimmungen des Gebäudereinigerhandwerk Anwendung.

Nach § 6 des Rahmentarifvertrages für das Gebäudereinigerhandwerk erhält der Beschäftigte bei Arbeitsunfähigkeit infolge eines Betriebsunfalls mit Beginn der 7. Woche einen Krankengeldzuschuss in Höhe von drei Stundenlöhnen je Arbeitstag. Dabei dürfen jedoch Krankengeld und Zuschuss zusammen den bisherigen Nettolohn nicht übersteigen.

Am 02.05.2005 erlitt der Kläger auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall, der die Arbeitsunfähigkeit bis zum 28.06.2005 verursachte. Die Beklagte erbrachte Entgeltfortzahlung bis zum 12.06.2005, ab dem 13.06.2005 erhielt der Kläger Krankengeld.

Der Kläger ist der Auffassung, dass er für den Zeitraum vom 13.06.2005 bis zum 28.06.2005 (12 Arbeitstage) einen Anspruch auf den Zuschuss zum Krankengeld nach § 6 des RTV Gebäudereinigerhandwerk habe. Denn ein Betriebsunfall im Sinne der Tarifvorschrift sei auch der Wegeunfall. Nach dem Tarifvertrag berechne sich der Zuschuss zunächst auf 416,16 Euro (12 Arbeitstage x 3 Stunden x 11,56 Euro). Aufgrund der Deckelungsvorschrift sei die Nettovergütung und das Krankengeld für den Monat Juni 2005 in Abzug zu bringen, so dass letztlich ein Betrag in Höhe von 167,83 Euro netto offen sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 167,83 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2005 zu zahlen.

Da zum Kammertermin trotz ordnungsgemäßer Ladung für die Beklagte niemand erschien, beantragt er den Erlass eines Versäumnisurteils.

Das Gericht hat Tarifauskünfte eingeholt beim Bundesvorstand der IG Bauen Agrar und Umwelt in Frankfurt und beim Bundesinnungsverbandes des Gebäudereinigerhandwerks in Bonn. Hinsichtlich der Einzelheiten der Auskünfte wird auf das Schreiben des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereinigerhandwerks vom 27.01.2006 (Blatt 30 der Akte) und auf das Schreiben der IG Bauen, Agrar und Umwelt vom 23.03.2006 (Blatt 33 ff. der Akte) verwiesen.

Gründe

I.

Da für die Beklagte zum Termin niemand erschien, hat der Kläger den Erlass eines Versäumnisurteils gemäß § 331 ZPO beantragt.

Nach Abs. 2 der Vorschrift kann nach dem Antrag nur erkannt werden, wenn er gerechtfertigt ist, andernfalls ist die Klage abzuweisen. Da der Kläger hier keinen Anspruch auf den Krankengeldzuschuss hat, war daher im Wege des unechten Versäumnisurteils gemäß § 331 Abs. 2, zweiter Halbsatz, die Klage abzuweisen.

Der Kläger kann seinen Anspruch auf den Zuschuss nicht mit Erfolg auf § 6 des Rahmentarifvertrages für die gewerblich Beschäftigten im Gebäudereinigerhandwerk stützen.

In dieser Vorschrift ist geregelt, dass ein Krankengeldzuschuss bei "Betriebsunfällen" durch den Arbeitgeber zu zahlen ist. Was die Tarifvertragsparteien genau unter dem "Betriebsunfall" verstehen, ist durch die Auslegung des Tarifvertrages zu ermitteln.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der normative Teil eines Tarifvertrages nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen (vgl. BAG, Urteil vom 21.07.2005, 6 AZR 442/04). Ausgangspunkt muss danach zunächst der Tarifwortlaut sein. Es muss der maßgebliche Sinn der Erklärung ermittelt werden, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Weiter kommt es auf den tariflichen Gesamtzusammenhang an, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so am Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. BAG, EzA § 4 TVG Bühnen Nr. 5; BAG AP § 4 TVG Rationalisierungsschutz Nr. 37; Urteil vom 21.07.2005, 6 AZR 442/04).

Die Tarifvertragsparteien haben hier anspruchsbegründend den Begriff des "Betriebsunfalls" geregelt. Damit haben sie im Zusammenhang mit dem Zuschuss nicht den sozialversicherungsrechtlichen Begriff "Arbeitsunfall", wie er in § 8 Abs. 1 SGB VII definiert ist, gewählt. Die Wahl des Wortbestandteils "Betrieb" legt aber nahe, dass die Tarifvertragsparteien den Zuschuss zum Krankengeld nur in den Fällen gewähren wollten, in denen der Unfall im Betrieb geschieht. Daher spricht durch die Verwendung des Wortes "Betriebsunfall" eher dafür, dass bei Wegeunfällen kein Zuschuss gezahlt werden sollte.

Dies gewonnene Ergebnis stimmt auch mit dem tariflichen Gesamtzusammenhang überein. Der Rahmentarifvertrag für das Gebäudereinigerhandwerk regelt in § 5 die Rechtsfolgen der Arbeitsunfähigkeit. Dabei ist in § 5 Abs. 1 und 2 geregelt, welche Meldepflichten der Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit hat. In § 5 Abs. 2 unter Abs. 2 heißt es dann wörtlich:

"bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit bzw. Arbeitsunfall erhält der/die Beschäftigte bis zu einer Dauer von sechs Wochen seinen/ihren für seine/ihre regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlichen Lohn der letzten 12 Monate ......"

Damit wird deutlich, dass die Tarifvertragsparteien zunächst unterscheiden zwischen der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Krankheit und der Arbeitsunfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls. Deutlich wird darüber hinaus aber auch, dass die Tarifvertragsparteien unterscheiden zwischen einem Arbeitsunfall und einem Betriebsunfall. In diesem Zusammenhang spricht einiges dafür, dass mit Arbeitsunfall auch das gemeint ist, was in der Sozialversicherung unter Arbeitsunfall verstanden wird. Denn unabhängig davon, worauf die Krankheit beruht, hat der betroffene arbeitsunfähige Arbeitnehmer Anspruch auf Lohnfortzahlung für sechs Wochen. Deswegen muss der Begriff des "Arbeitsunfalls" umfassender sein, als der Begriff des Betriebsunfalls. Denn bei der im übrigen gesetzlich nicht vorgesehenen Differenzierung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Arbeitsunfall, hätte es nahe gelegen, den gleichen Begriff in § 6 zu wiederholen. Da die Betriebsparteien dies nicht gemacht haben, müssen sich jedenfalls Arbeitsunfall und Betriebsunfall unterscheiden. Dabei ist der Begriff des Arbeitsunfalls aus § 8 SGB VII bekannt. Dort wird definiert, dass Arbeitsunfälle solche Unfälle für einen Versicherten sind, die infolge einer versicherten Tätigkeit auftreten. Gemäß § 8 Abs. 2 SGB VII wird geregelt, dass auch der Wegeunfall eine versicherte Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII ist. Da die Tarifvertragsparteien sich hier an einem juristischen Sprachgebrauch orientiert haben, ist davon auszugehen, dass sie diese im Umfang der Fachsprache verwenden (vgl. BAG HP § 1 TVG Tarifverträge: Fernverkehr Nr. 3). Haben die Tarifvertragsparteien in § 5 Abs. 2 unter Abs. 2 den Begriff "Arbeitsunfall inclusive Wegeunfall" verstanden und verwenden sie dann in § 6 den Begriff des "Betriebsunfalls", so kann der Wille der Tarifvertragsparteien nur dahingehend verstanden werden, dass nicht bei allen Arbeitsunfällen ein Zuschuss zum Krankengeld gezahlt wird, sondern nur in den Fällen, in denen die Unfälle im Betrieb geschehen sind. Da Wegeunfälle nicht im Betrieb geschehen, sind sie damit nicht zuschusspflichtig.

Dem widerspricht die Auskunft der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar und Umwelt vom 23.03.2006 im übrigen nicht. Die IG Bau hat darauf verwiesen, dass der Begriff des "Betriebsunfalles" als Unfallereignis mit der Ausübung der betrieblichen Tätigkeit zu verstehen sei. Dies folge aus den Besonderheiten des Gebäudereinigerhandwerks, wonach die gewerblichen Mitarbeiter häufig die Objekte wechseln, in denen gereinigt wird, teilweise mehrmals am Tag. Die Anfahrt zu den Objekten stelle vor diesem Hintergrund eine betriebliche Tätigkeit dar, so dass die Tarifvertragsparteien den gewerblichen Mitarbeitern, die aufgrund ihrer Flexibilität einen Unfall erleiden, eine finanzielle Kompensation durch den Zuschuss zum Krankengeld gewähren wollten. Dies begründet aber gerade nicht, warum auch Unfälle auf dem Weg zur Arbeit als Betriebsunfälle anzusehen sein sollen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Der Streitwert ist gemäß § 61 Abs.1 ArbGG im abgegebenen Urteil festzusetzen. Er bemisst sich in Höhe der Klageforderung.

Das Gericht hat die Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Ziffer 2 b ArbGG zugelassen.

gez. Gerretz