VG Düsseldorf, Urteil vom 20.10.2006 - 1 K 3293/05
Fundstelle
openJur 2011, 43759
  • Rkr:
Tenor

Die Änderungsbescheide Nr. 00/000 und 00/000 der Beklagten vom 21. März 2005 und der Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2005 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Stadtbereichs „O P" beschloss die Klägerin dessen Anbindung an die nördlich und südlich davon gelegenen Stadtteile durch Einrichtung einer Straßenbahn- und Busverbindung von T bis zur Stadtgrenze nach N. Die Realisierung dieses, in vier Teilabschnitte unterteilten Vorhabens oblag der Stadtwerke P AG (StPAG).

Für den Streckenabschnitt IV „Zentrale ÖPNV-Trasse" vom Stadtteil ‚I' über den Bereich ‚O P' bis nach ‚Alt P' bewilligte der damals noch zuständige Landschaftsverband Rheinland (LVR) der StPAG in den Jahren 1994 bis 1997 Zuwendungen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) in Höhe von zuletzt 94.642.200 DM. Die Bescheidung eines weiteren Förderantrags nach dem GVFG durch die mittlerweile zuständige Beklagte (Dezernat 00) steht noch aus. Durch entsprechende Nebenbestimmungen in den Zuwendungsbescheiden verpflichtete der LVR die StPAG zur Beachtung der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB). Zu den im Streckenabschnitt IV anfallenden Baumaßnahmen gehörte auch die Errichtung der Straßenbahnhaltestelle ‚O P', deren aufwändige Dachkonstruktion Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs war. Mit Erlass vom 22.11.1994 setzte das Ministerium für Städtebau und Verkehr (MSV) den zuwendungsfähigen Kostenansatz für die Dachkonstruktion nach dem GVFG auf 2.400 DM/qm bzw. insgesamt 2.832.000 DM fest. Zugleich regte es an, die Förderung der darüber hinausgehenden Kosten aus Städtebauförderungsmitteln zu prüfen.

Mit Erlass vom 11.04.1995 wies das MSV die Beklagte (Dezernat 00) an, die im Rahmen der Maßnahme ‚ÖPNV-Trasse P' anfallenden städtebaulichen Mehrkosten für die Haltestellen ‚T', ‚X-Platz', ‚N1straße' und O' als städtebauliche Maßnahmen dem Grundsatz nach als zuwendungsfähig anzuerkennen. Die Höhe der Förderung bleibe der Prüfung der konkreten Förderanträge und deren Abstimmung mit dem Zuwendungsgeber GVFG-ÖPNV vorbehalten. Daraufhin beantragte die Klägerin unter dem 06.06.1995 bei der Beklagten unter Hinweis auf die Förderung des ‚Streckenabschnitts IV Zentrale ÖPNV Trasse' mit GVFG-Mitteln eine ergänzende Förderung für das Dach der zentralen Haltestelle ‚O' aus Städtebauförderungsmitteln in Höhe von 90% der nicht durch die Mittel nach dem GVFG abgedeckten zuwendungsfähigen Kosten. Dabei bezifferte sie die zuwendungsfähigen Gesamtkosten des Daches einschließlich des nach dem GVFG bezuschussten Kostenanteils auf 4.322.801,50 DM. Antragsgemäß bewilligte die Beklagte (Dezernat 00) der Klägerin für den bisher ungedeckten Kostenanteil von 1.490.801,50 DM Zuwendungen aus Landesmitteln zur Stadterneuerung in Höhe von jeweils 500.000 DM mit Bescheiden 00/000 vom 27.11.1995 und 00/00 vom 17.10.1996 und von 341.000 DM mit Bescheid 00/00 vom 19.09.1997. Ausweislich Abschnitt II (Nebenbestimmungen) der Zuwendungsbescheide sind die Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung an Gemeinden (ANBest-G) Bestandteil des jeweiligen Bescheides.

Unter dem 20.09.2000 legte die Klägerin unter Hinweis auf das noch nicht abgeschlossene Zuwendungsverfahren nach dem GVFG und eine Besprechung mit der Beklagten unter Beteiligung des zuständigen Ministeriums im Jahr 1999 einen vorläufigen Verwendungsnachweis vor. Darin führte sie aus, die Haltestelle sei 1996 fertiggestellt und eröffnet worden. Nach eigenen Erkenntnissen betrügen die zuwendungsfähigen Gesamtkosten des Daches nur 4.129.942,19 DM; allerdings habe das zuständige Ingenieurbüro die Gesamtkosten in dem noch nicht beschiedenen Änderungsantrag nach dem GVFG auf 4.416.300,00 DM beziffert.

Im Jahr 2000 führte der Landesrechnungshof (LRH) beim LVR eine Prüfung der Verwendung der für den Bau der zentralen ÖPNV-Trasse P gewährten Zuwendungen nach dem GVFG durch. Mit Prüfbericht vom 09.08.2000 wies der LRH u.a. darauf hin (PM 4.5), dass die Erstellung der Bahnsteige und Unterbauten der Haltestelle ‚O' mit einem Auftragsvolumen von 7,4 Mio DM von der StPAG nicht EU- weit, sondern vielmehr nach öffentlichem deutschlandweiten Teilnahmewettbewerb beschränkt unter sieben Firmen ausgeschrieben worden sei. Die Verpflichtung zu einem EU-weiten Aufruf ergebe sich aus § 17b Nr. 1 Abs. 1 lit. a), Abs. 2 VOB/A, der wie alle Vorschriften des 3. Teils der VOB/A von der StPAG als öffentliche Auftraggeberin auf dem Gebiet des Verkehrswesens anzuwenden sei, weil die Schwellenwerte des § 1b VOB/A überschritten seien. Der geschätzte Auftragswert von 7,4 Mio DM liege deutlich über dem Schwellenwert von 1 Mio Ecu (= ca. 1,9 Mio DM) für einzelne Auftragslose.

In der Folgezeit kam es wiederholt zwischen der seit dem 01.01.2001 auch für Zuwendungsverfahren nach dem GVFG zuständigen Beklagten (Dezernat 00) und der StPAG sowie dem LRH zu einem Meinungsaustausch über die Bewertung der Vergabe der verschiedenen Aufträge für die Haltestelle ‚O'. Dabei machte sich die Beklagte zunächst den Standpunkt der StPAG zu Eigen. Danach sei eine EU-weite Ausschreibung der Aufträge für die Haltestelle nicht erforderlich gewesen; die Haltestelle bestehe aus mehreren einzelnen Bauwerken (Fahrwegbrücke, Bahnsteigbrücke, Betriebsräume, Dach), deren jeweilige Auftragssummen den EU- Schwellenwert von 5 Mio Ecu nicht überstiegen. Unter dem 14.11.2001 teilte die Beklagte dem LRH dann jedoch mit, sie gehe mittlerweile auch von einem Verstoß gegen Vergaberegelungen aus und werde deshalb entsprechend den Vorgaben des Finanzministeriums nur 80% der Auftragssumme als zuwendungsfähig ansehen. Auf Nachfrage teilte die StPAG der Beklagten im April 2002 die bei Auftragsvergabe vereinbarten Preise für die Erstellung der Bahnsteigbrücken und Betriebsgebäude (8.510.000 DM) sowie der Haltestellenüberdachung (4.603.502,62 DM) und die tatsächlich abgerechneten Rechnungsbeträge (Bahnsteigbrücken mit Betriebsräumen 9.909.100,95 DM, Haltestellenüberdachung 4.749.433,52 DM) mit. Im Anschluss setzte die Beklagte den LRH mit Schreiben vom 08.05.2002 darüber in Kenntnis, dass sie an ihrer Mitteilung vom 14.11.2001 nicht weiter festhalte. Sie sei mittlerweile zu der Auffassung gelangt, dass eine Anwendung des Erlasses des Finanzministeriums über die Rückforderung von Zuwendungen bei Vergaberechtsverstößen allein wegen des Vorwurfs der unterbliebenen EU-weiten Ausschreibung im Hinblick auf die Mitte der 90er Jahre noch bestehenden Unsicherheiten im europäischen Vergaberecht eine unbillige Härte darstelle. Im März 2003 äußerte die Beklagte schließlich die Rechtsauffassung, dass schon kein Verstoß gegen die VOB vorliege, weil jedenfalls 80% aller Bauaufträge EU-weit ausgeschrieben worden sei. Nachdem der LRH sämtlichen Einwänden der Beklagten widersprochen und seine Rechtsauffassung wiederholt dargelegt hatte, hörte die Beklagte die StPAG mit Schreiben vom 12.01.2004 zu der nunmehr doch beabsichtigten Kürzung der zuwendungsfähigen Kosten der Haltestelle O um 20% an.

Mit Zuwendungsbescheid vom 17.2.2004 setzte die Beklagte gegenüber der StPAG den Zuwendungsbetrag nach dem GVFG auf 47.072.051 EUR (= 92.064.941 DM) fest. Zur Begründung führte sie aus, die Kürzung der Zuwendung beruhe zu einem wesentlichen Teil darauf, dass 20% der Kosten sowohl für die Überdachung der Haltestelle ‚O' als auch für die Bahnsteigbrücken und Betriebsräume aus der Förderung ausgeschlossen würden. Dabei würden für das Haltesstellendach nur die durch den Erlass des MSV vom 22.11.1994 festgelegten, nach dem GVFG zuwendungsfähigen Kosten von 1.447.978,61EUR zugrunde gelegt. Da die die entsprechenden Bauaufträge nicht EU-weit ausgeschrieben worden seien, liege ein schwerer Verstoß gegen die VOB nach Nr. 3.1 des Erlasses des Finanzministeriums vom 23.12.1987 i.d.F. vom 18.12.2003 vor. An diesen Erlass sei sie gebunden, habe allerdings zur Vermeidung einer unbilligen Härte den ihr verbleibenden Spielraum hinsichtlich des Umfangs der Zuwendungskürzung zugunsten der StPAG ausgeschöpft.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren von der StPAG vor dem erkennenden Gericht erhobene Klage (1 K 7490/04) erklärten die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer vom heutigen Tag für erledigt, nachdem die Beklagte den Zuwendungsbescheid vom 17.02.2004 aufgehoben hatte, soweit er Verfahrensgegenstand war.

Im September 2004 führte der LRH bei der Beklagten (Dezernat 00) eine Prüfung des im Rahmen des Programms zur Stadterneuerung durchgeführten Zuwendungsverfahrens ‚ÖPNV-Trasse P, Dach der zentralen Haltestelle O' durch. Mit Prüfbericht vom 08.11.2004 wies der LRH darauf hin, dass der bereits im Rahmen der Prüfung der GVFG-Maßnahme ‚ÖPNV-Trasse P' gerügte Vergaberechtsverstoß der unterbliebenen EU-weiten Ausschreibung von Aufträgen für die Haltestelle ‚O' auch die Förderung der Mehrkosten der Haltestellenüberdachung mit Städtebauförderungsmitteln erfasse. Die Erstellung des Daches sei nach einem öffentlichen Teilnahmewettbewerb unter fünf Firmen deutschlandweit ausgeschrieben worden, obwohl der Auftragswert mit ca. 4 Mio DM über dem Schwellenwert von 1 Mio Ecu gelegen habe und die mit der Durchführung der Maßnahme betraute StPAG als öffentliche Auftraggeberin im Bereich des Verkehrswesen die VOB/A habe beachten müssen. Deshalb erscheine es nach dem Erlass des Finanzministeriums vom 23.12.1987 angemessen, wie im GVFG- Zuwendungsverfahren 20% der zuwendungsfähigen Nettoauftragssumme von der Förderung auszuschließen. Lege man entsprechend dem vorläufigen Verwendungsnachweis Baukosten von 4.129.942,19 DM für die Haltestellenüberdachung zu Grunde, führe die Kürzung der zuwendungsfähigen Kosten um 20% zu einem Bewilligungsüberschuss von 406.481,62 DM, der zurückzufordern sei. Außerdem rügte der LRH das Fehlen einer Regelung über die Weiterleitung der Zuwendung von der Klägerin an die StPAG sowie die Entstehung vermeidbaren Verwaltungsaufwandes wegen der unterbliebenen Koordinierung der Zuwendungsverfahren aus GVFG-Mitteln und aus Städtebauförderungsmitteln.

Nach vorheriger Anhörung der Klägerin kürzte die Beklagte mit Änderungsbescheid 04/030 vom 21.03.2005 die mit Zuwendungsbescheid 00/00 gewährte Zuwendung von 174.350,53 EUR (341.000 DM) auf Null und forderte die Klägerin zur Rückzahlung der bereits ausgezahlten Mittel in Höhe von 85.973,66 EUR auf. Unter demselben Datum kürzte die Beklagte mit Änderungsbescheid 04/031 die mit Zuwendungsbescheid 00/00 gewährte Zuwendung von 500.000 DM um 33.480,22 EUR und forderte die Klägerin zur Rückzahlung diese Betrages auf. Zur Begründung wiederholte die Beklagte die Ausführungen des LRH zum Vorliegen eines Verstoßes gegen die VOB/A durch das Unterlassen einer EU-weiten Ausschreibung der Erstellung der Haltestellendaches. Folge eines schweren Vergabeverstoßes sei nach dem fortgeltenden Runderlass des Finanzministeriums vom 23.12.1987 die Kürzung der Zuwendung um in der Regel 20% bis 25%. Wie bereits im Rückforderungsverfahren gegenüber der StPAG beschränke sie sich auch hier auf eine Kürzung der zuwendungsfähigen Kosten um 20%; insoweit werde auf die Begründung des Rückforderungsbescheides vom 17.02.2004 und den nachfolgenden Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Die Bescheide wurden der Klägerin am 07.04.2005 zugestellt.

Zur Begründung ihrer am 22.04.2005 erhobenen Widersprüche machte die Klägerin geltend, die Änderungsbescheide seien schon deshalb rechtswidrig, weil die Jahresfrist des § 49 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG für den Widerruf der Zuwendungsbescheide 04/77 und 04/50 abgelaufen gewesen sei. Kenntnis von dem Widerrufsgrund eines Verstoßes gegen die Auflage Nr. 3 ANBest-G habe die Beklagte bereits seit dem Prüfbericht des LRH vom 09.08.2000 gehabt. Die Beklagte müsse es sich als Organisationsverschulden zurechnen lassen, dass die dem Dezernat 00 vorliegenden Informationen nicht an das für Städtebauförderung zuständige Dezernat 00 weitergeben worden seien. Ebenso müsse die Beklagte in diesem Verfahren die wiederholten Mitteilungen der Mitarbeiter des Dezernates 00 gegen sich gelten lassen, dass eine Rückforderung von Zuwendungen nicht beabsichtigt sei, weil das erfolgte Vergabeverfahren für die Haltestelle ‚O' akzeptiert werde. Außerdem habe die Beklagte zu Unrecht einen schweren Verstoß gegen die VOB/A angenommen. Zunächst sei es ohne weiteres vertretbar, unter Heranziehung verwandter Begrifflichkeiten in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) Bahnsteigbrücken und Betriebsräume einerseits und die Überdachung andererseits als selbständige Bauwerke im Sinne von § 1a VOB anzusehen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung der Vergabesenate erst in den letzten Jahren zu einer Konkretisierung des Bauwerksbegriffs geführt habe. Zudem könne die fehlende EU-weite Ausschreibung nicht als schwerer Verstoß im Sinne des herangezogenen Erlasses des Finanzministeriums eingestuft werden. Zu Recht sei sie in dem Erlass nicht unter den ausdrücklich aufgeführten ‚schweren' Verstößen genannt. Diese zeichneten sich sämtlich durch nachteilige wirtschaftliche Auswirkungen aus, die hier nicht erkennbar seien. Es sei darüber hinaus nicht Aufgabe des Prüfungsverfahrens der Bewilligungsbehörden und Rechnungshöfe sondern vielmehr der Vergabekammern im Rahmen des Bieterrechtsschutzes, die Gleichbehandlung potentieller Anbieter in Europa sicherzustellen.

Mit Bescheid vom 17.06.2005 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin könne sich schon deshalb nicht auf den Ablauf der Widerrufsfrist oder Verwirkung berufen, weil sie mangels geprüften Schlussverwendungsnachweises, mit dem die Höhe der zuwendungsfähigen Kosten festgestellt werde, nicht darauf habe vertrauen könne, von Widerrufs- und Rückforderungsansprüchen verschont zu bleiben. Auch könne die Annahme eines schweren Verstoßes gegen Vergabebestimmungen nicht deshalb verneint werden, weil ein unwirtschaftlicher Umgang mit den gewährten Mitteln nicht feststellbar sei. Denn neben Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsgesichtspunkten sei für das Vergaberecht insbesondere die Gewährleistung fairen und ausreichenden Wettbewerbs von Bedeutung. Dieser Gesichtspunkt werde von dem zitierten Erlass des Finanzministeriums nicht ausgeblendet, sondern in gleicher Weise sanktioniert. Im Übrigen nimmt die Beklagte Bezug auf ihre Ausführungen im GVFG- Zuwendungsverfahren. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 23.06.2005 zugestellt.

Die Klägerin hat am 22.07.2005 Klage erhoben, mit der sie Aufhebung der Änderungsbescheide vom 21.03.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2005 begehrt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend führt sie aus: Die Auflage, die nach dem Gemeindehaushaltsrecht anzuwendenden Vergabegrundsätze zu beachten (Nr. 3 ANBest-G), sei nichtig. Ihre Erfüllung sei von vornherein unmöglich gewesen, da die geförderte Maßnahme nicht von ihr - der Klägerin - sondern der StPAG durchgeführt worden sei. Deshalb fehle es auch an einem Verstoß gegen Vergaberecht durch sie selbst. Dass die StPAG von Gesetzes wegen zur Anwendung des Vergaberechts verpflichtet gewesen sei, sei nicht ausreichend, da ein bloßer Gesetzesverstoß - anders als der Verstoß gegen eine Auflage - einen Widerruf nicht rechtfertige. Außerdem sei die Formulierung der Auflage, ‚Vergabegrundsätze zu beachten', zu unbestimmt. Die Widerrufsentscheidung leide zudem an Ermessensfehlern. Zu Unrecht habe die Beklagte die Rechtsauffassung des LRH als maßgeblich für die Entscheidung über das ‚Ob' des Widerrufes erachtet. Außerdem habe die Beklagte missachtet, dass nach dem Erlass des Finanzministeriums auch bei schweren Verstößen gegen Vergaberecht nur ‚grundsätzlich' und ‚regelmäßig' ein Widerruf zu erfolgen habe, also jeweils eine einzelfallgerechte Entscheidung zu treffen sei. Zudem könne ein Verstoß gegen Vergaberecht, der wie hier allein auf einem Rechtsirrtum beruhe, nicht als ‚schwerer' Verstoß eingestuft werden.

Die Klägerin beantragt,

die Änderungsbescheide Nr. 00/000 und 00/000 der Beklagten vom 21.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt die Beklagte Bezug auf ihre Ausführungen im parallelen Klageverfahren 1 K 7490/04. Ergänzend führt sie aus: Da es in den Bewilligungsbescheiden an einer Regelung fehle, nach der die Klägerin die Zuwendungen an einen Dritten weiterleiten dürfe, bleibe die Klägerin Trägerin der Maßnahme und für die Einhaltung des Vergaberechts verantwortlich. Die behaupteten Ermessensfehler lägen nicht vor. Die maßgeblichen Ermessenserwägungen seien der Klägerin aus dem GVFG-Zuwendungsverfahren der StPAG bekannt. Eine Bindung an die Vorgaben des LRH bestehe selbstverständlich nicht. Allerdings sei sie nicht gehindert, sich die Ausführungen des LRH zu Eigen zu machen. Die Bindungswirkung des Erlasses des Finanzministeriums sowie die Maßgeblichkeit auch wettbewerblicher Gesichtspunkte sei bereits vom Oberverwaltungsgericht NRW in der Entscheidung vom 22.02.2005 (15 A 1065/04) klargestellt worden. Zur Frage der Widerrufsfrist wiederholt die Beklagte ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahrens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Akten des Parallelverfahrens 1 K 7490/04 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten über das GVFG- Zuwendungsverfahren und über die Förderung mit Städtebauförderungsmitteln Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Änderungsbescheide 00/000 und 00/000 vom 21.03.2004 sowie der Widerspruchsbescheid vom 17.06.2005 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Entscheidung der Beklagten, die Zuwendungsbescheide 00/00 und 00/00 im Hinblick auf die unterbliebene EU-weite Ausschreibung des Bauauftrages für die Haltestellenüberdachung (teilweise) zu widerrufen (1.), erweist sich als ermessensfehlerhaft (a). Außerdem war die Beklagte zum Widerruf der Zuwendungsbescheide im Hinblick auf diesen vermeintlichen Vergabeverstoß nicht (mehr) berechtigt, weil die einjährige Widerrufsfrist bereits abgelaufen war (b). Kann die Klägerin deshalb Aufhebung der Widerrufsentscheidungen verlangen, führt dies auch zur Rechtswidrigkeit der zugleich festgesetzten Erstattungsforderungen (2.).

1. Gemäß § 49 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine Geldleistung gewährt, insbesondere dann mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn der Begünstigte eine mit dem Verwaltungsakt verbundene Auflage nicht erfüllt hat. Der Widerruf ist gemäß § 49 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, zu dem die Behörde Kenntnis von den Tatsachen erhalten hat, die den Widerruf rechtfertigen.

a) Die Beklagte stützt ihre Widerrufsentscheidungen auf die Annahme, die Klägerin habe die mit den Zuwendungsbescheiden verbundene Auflage in Nr. 3 ANBest-G verletzt. Danach hätte sie die nach dem Gemeindehaushaltsrecht anzuwendenden Vergabegrundsätze zu beachten, wozu nach § 31 Abs. 2 GemHVO auch die durch das Innenministerium mit Runderlass vom 15.06.1993 (- III B 3- 7/6000-6801/93 -, MBl NRW 1993, 1187) bekanntgegebene VOB/A gehört.

Vgl. zum Auflagencharakter der Nr. 3 ANBest-G: OVG NRW, Urteil vom 22.02.2005 - 15 A 1065/04 -, NVwZ-RR 2006, 86.

Dabei müsse sich die Klägerin das Handeln der StPAG zurechnen lassen. Diese habe den Bauauftrag für die Haltestellenüberdachung nicht EU-weit ausgeschrieben und damit gegen § 17b Nr. 1 i.V.m. §§ 3b Nr. 1, 1b VOB/A verstoßen.

Es kann im Ergebnis offenbleiben, ob die StPAG bei Ausschreibung des Bauauftrages für die Überdachung der Haltestelle ‚O' die Regelungen des 3. Abschnitts der VOB/A und damit auch § 17b Nr. 1 VOB/A über den EU-weiten Aufruf zum Wettbewerb hätte anwenden müssen, weil das Gesamtauftragsvolumen für die Haltestelle den Schwellenwert des § 1b Nr. 1 Abs. 1 VOB/A von 5 Mio. Ecu und der Auftragswert für das Haltestellendach den Schwellenwert für Auftragslose nach § 1b Nr. 1 Abs. 2 1. Spielgelstrich VOB/A in Höhe von 1 Mio Ecu überstiegen. Ebenso wenig muss der Frage nachgegangen werden, ob sich die Klägerin einen Vergaberechtsverstoß der StPAG wie eigenes auflagenwidriges Verhalten zurechnen lassen muss. Denn selbst bei Annahme eines der Klägerin zurechenbaren Vergaberechtsverstoßes sind die Widerrufsentscheidungen zumindest ermessensfehlerhaft.

Die Beklagte hat zu Unrecht angenommen, nach dem Runderlass des Finanzministeriums vom 18.12.2003 (- I1 - 0044 -3/8 -) (RdErl FM) zum Widerruf der Zuwendungsbescheide und Kürzung der Zuwendung verpflichtet zu sein, weil die unterlassene EU-weite Ausschreibung des Bauauftrages für die Haltestellenüberdachung einen schweren Verstoß gegen die VOB/A im Sinne dieses Erlasses darstelle.

Der Runderlass des Finanzministeriums vom 18.12.2003, der die Vorgängererlasse vom 23.12.1987 und 16.12.1997 fortschreibt, hat ermessensbindende Wirkung und ist deshalb bei der Prüfung, ob die Behörde ermessensfehlerhaft gehandelt hat, zu berücksichtigen.

Vgl. zu dem Vorgängererlass vom 16.12.1997: OVG NRW, Urteil vom 22.02.2005, a.a.O.

Nach Nr. 2 RdErl FM ist bei einem schweren Verstoß gegen die VOB/A grundsätzlich ein Widerruf des Zuwendungsbescheides und die Neufestsetzung einer gekürzten Zuwendung angezeigt, weil davon auszugehen sei, dass im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung das Interesse an einer Rückforderung überwiege. Der für den Regelfall vorgegebene Umfang der vorzunehmenden Zuwendungskürzung könne bei Vorliegen besonderer Gründe über- sowie unterschritten werden. Unter Nr. 3 RdErl FM werden beispielhaft als schwere Verstöße einzustufende Tatbestände (z.B. 3.1 Verstoß gegen die Vergabeart ohne die im Regelwerk zugelassenen Sachgründe) aufgezählt, bei deren Vorliegen im Regelfall nach Nr. 2 zu verfahren sei, soweit nicht Umstände des Einzelfalles einer mildere Beurteilung erforderten.

Ein schwerer Verstoß im Sinne von Nr. 2 und 3 RdErl FM liegt hier nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob der von der Beklagten in den Vordergrund gestellte Umstand, dass das Ausschreibeverfahren nicht EU-weit durchgeführt sondern auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt wurde, einen ‚Verstoß gegen die Vergabeart' im Sinne von Nr. 3.1 des Erlasses darstellt. Auch wenn das der Fall wäre, wöge der Verstoß nach den Besonderheiten des Einzelfalles nicht „schwer".

Einer nachträglichen Zuwendungskürzung wegen vergaberechtswidrigen Verhaltens kommt in erster Linie Sanktionscharakter zu. Die als Sanktion vorgesehene Kürzung der Mittel ist beträchtlich. Dann kann unter Heranziehung von Verhältnismäßigkeitserwägungen als „schwerer", diese Sanktion regelmäßig nach sich ziehender Verstoß im Sinne des Finanzministererlasses nur ein Verhalten angesehen werden, dass sich offensichtlich und eindeutig von den Vorgaben des Vergaberechts entfernt.

Dass dies hier nicht angenommen werden kann, wird schon anschaulich durch die Schwierigkeiten der Beklagten, das Vergabeverfahren rechtlich sicher zu bewerten. Trotz Aufzeigens von Rechtmäßigkeitszweifeln durch den LRH hat sie die Vergabe der Aufträge für die Haltestelle ‚O' zunächst für akzeptabel und den Rechtsstandpunkt der STPAG für vertretbar gehalten; nachfolgend hat sie ihre Rechtsauffassung mehrfach geändert. Besteht aber schon bei zwei Fachbehörden keine Einigkeit über die Beurteilung eines Vergabeverfahrens und wird der Rechtsstandpunkt des Zuwendungsempfängers von der Bewilligungsbehörde, zu deren Aufgaben auch die Prüfung der rechtmäßigen Mittelverwendung gehört, geteilt, kann bei später gewonnener gegenteiliger Einsicht regelmäßig kein schwerer Verstoß gegen Vergaberecht angenommen werden. Ausnahmen mögen gelten, wenn die von der Behörde zunächst für richtig gehaltene Normauslegung handgreiflich falsch war, etwa weil eine unmittelbar einschlägige Vorschrift oder obergerichtliche Entscheidung übersehen wurde. Dass dies hier der Fall gewesen wäre, trägt die Beklagte nicht vor und ist auch nicht ersichtlich.

Zu Recht weist die Klägerin außerdem darauf hin, dass die Bewertung des möglichen Verstoßes nicht nach heutigem Stand der Rechtsmeinung erfolgen könne, sondern auf den Zeitpunkt des Ausschreibungsverfahrens bzw. der Auftragsvergabe, also 1994/95 abzustellen sei. Zwar wurde der in seiner Auslegung zwischen den Beteiligten streitige § 1b Nr. 1 VOB/A über die Schwellenwerte für die Anwendung der EU-Vergaberegelungen bereits Ende 1992 in die VOB/A aufgenommen. Erst die Rechtsprechung der Vergabekammern und -senate nach den 1999 in Kraft getretenen Vorschriften über den Bieterrechtsschutz im Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat aber zur näheren Entwicklung von Auslegungsgrundsätzen geführt. Bestand deshalb 1994/1995 noch keine gefestigte Rechtsmeinung über den Anwendungsbereich der EU-Vergaberegelungen in Abhängigkeit von der Überschreitung der Schwellenwerte des § 1b Nr. 1 VOB/A, kann eine nach heutigem Stand der Rechtsprechung möglicherweise fehlerhafte Auslegung der insoweit maßgeblichen Begriffe „Baumaßnahme bzw. Bauwerk" jedenfalls nicht als schwerer Verstoß gegen Vergaberegelungen eingestuft werden.

Infolge der fehlerhaften Annahme des Vorliegens eines ‚schweren Verstoßes gegen die VOB' im Sinne des Runderlasses des Finanzministeriums hat sich die Beklagte für die Entscheidung über das ‚Ob' des Widerrufes zu Unrecht an die Vorgabe des Erlasses, dass ein Widerruf grundsätzlich angezeigt sei, gebunden gesehen. Dieser Ermessensausfall wird auch nicht dadurch kompensiert, dass die Beklagte die Umstände, die hier schon gegen die Annahme eines schweren Vergaberechtsverstoßes sprechen, zumindest bei der Entscheidung über den Umfang des Widerrufs zugunsten der Klägerin berücksichtigt hat. Denn es ist nach den Äußerungen der Beklagten im Rahmen des Verfahrens über den Widerruf der GVFG-Mittel keineswegs ausgeschlossen, dass sie bei ‚freier' Ermessensentscheidung auch über das ‚Ob' des Widerrufes von solchen gänzlich abgesehen hätte.

b) Die (Teil-) Widerrufe erweisen sich auch deshalb als rechtswidrig, weil die einjährige Widerrufsfrist des § 49 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG NRW bei Erlass der Änderungsbescheide am 21.03.2005 bereits abgelaufen war.

Die Anwendung des § 49 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG NRW scheidet nicht bereits wegen entgegenstehender Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts aus. Die Anwendung der einjährigen Widerrufsfrist im Rahmen des streitbefangenen Zuwendungsverfahren verstößt nicht gegen das allein in Betracht zu ziehende, aus Art. 10 EGV abgeleitete sog. Effizienzgebot. Danach darf die Wirksamkeit und Tragweite des Gemeinschaftsrechts nicht durch nationale Verfahrensregelungen beeinträchtigt, die Herstellung gemeinschaftsrechtlich gebotener Zustände nicht praktisch unmöglich gemacht werden. Dass dies nicht schon allein dann anzunehmen ist, wenn die Wiedereinziehung fehlerhaft gewährter staatlicher Leistungen von der Einhaltung einer Frist abhängt, hat der Europäische Gerichtshof unter Hinweis auf die auch dem Gemeinschaftsrecht eigenen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes wiederholt bestätigt.

Vgl. EuGH, Urteil vom 21.09.1983, Rs 205-215/82 - Deutsches Milchkontor /Bundesrepublik Deutschland -, NJW 1984, 2024, Urteil vom 12.05.1998, Rs C- 366/95 - Landbrugsministeriet/Steff-Houlberg Export -, Slg I 1998, 2674.

Anderes folgt auch nicht aus dem „Alcan II - Urteil" des Europäischen Gerichtshofes,

EuGH, Urteil vom 20.03.1997, Rs C-24/95 - Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH -, NJW 1998, 47.

Damit entschied der Europäische Gerichtshof, ein Bewilligungsbescheid sei auch nach Ablauf der Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG noch zurückzunehmen, weil der Empfänger der gewährten Beihilfe nicht auf deren ordnungsgemäße Gewährung habe vertrauen dürfen, nachdem das Anmeldeverfahren nach Art. 93 Abs. 3 EWGV (jetzt Art. 87 3 EGV) nicht durchgeführt worden sei und die Europäische Kommission rechtskräftig die Rückforderung der Beihilfe angeordnet hätte. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt hier schon deshalb nicht vor, weil es kein Verfahren nach Art. 93 Abs. 3 EWGV gab, dessen Außerachtlassung schutzwürdiges Vertrauen hätte ausschließen können.

Gemäß § 49 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG NRW beginnt die Widerrufsfrist zu laufen, wenn die Behörde Kenntnis von den Tatsachen erlangt hat, die den Widerruf rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dies der Fall, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Widerruf oder sonst zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsakts berufene Amtswalter den Grund für den Widerruf erkannt hat und ihm die weiteren für die Widerrufsentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind. Für den Fall des Widerrufs wegen Nichterfüllung einer Auflage erfordert dies, dass dem Amtswalter nicht nur der Sachverhalt bekannt ist, aus dem sich der Auflagenverstoß ergibt, sondern er diesen auch rechtlich als Auflagenverstoß bewertet. Darüber hinaus müssen die Umstände bekannt sein, die für die zu treffende Ermessensentscheidung wesentlich sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.1984 - GrSen 1,2/84 - NJW 1985, 819 zur Rücknahme eines VA, Urteil vom 24.12.2001 - 8 C 8.00 -, DVBl 2001, 1221.

In diesem Sinne hatte die Beklagten spätestens am 08.05.2002 Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen für die Entscheidung über den (Teil-) Widerruf der für die Errichtung der Überdachung der Haltestelle ‚O' gewährten Zuwendungen, so dass die Widerrufsfrist am 08.05.2003 abgelaufen ist. Dabei sind den Mitarbeitern des Dezernats 00 der Beklagten, die für den Erlass der streitbefangenen Änderungsbescheide über die Kürzung der Zuwendung aus Städtebauförderungsmitteln zuständig waren, die Kenntnisse des Dezernats 00 zuzurechnen, welches die Förderung derselben Baumaßnahme aus GVFG-Mitteln betreut.

Erstmalig Kenntnis von den vermeintlichen Verstößen gegen die VOB/A durch Unterlassen der EU-weiten Ausschreibung von Bauaufträgen für die Haltestelle ‚O' erlangte das seit 2001 für das Zuwendungsverfahren nach dem GVFG zuständige Dezernat 00 der Beklagten durch den Prüfbericht des LRH vom 09.08.2000. Ausweislich des Schreibens an den LRH vom 08.11.2001 war die Beklagte unter Berücksichtigung der Stellungnahme der StPAG zu der Prüfmitteilung des LRH zu der Rechtsauffassung gelangt, dass der vom LRH gerügte Vergaberechtsverstoß vorliege und sie deshalb nach Maßgabe des Runderlasses des Finanzministeriums vom 16.12.1997 20% der Auftragssumme als nicht zuwendungsfähig behandeln werde. Spätestens durch die Mitteilung der konkreten Auftrags- und Abrechnungssummen durch die StPAG mit Schreiben vom 10.04.2002 erlangte die Beklagte positiv Kenntnis davon, dass nicht nur der Wert des vom LRH in den Vordergrund gestellten Bauauftrags für die Errichtung der Bahnsteigbrücken und Betriebsräume sondern auch der Auftragswert für die Haltestellenüberdachung den Schwellenwert des § 1b Nr. 1 Abs. 2 1. Spielgelstrich für Auftragslose von 1 Mio Ecu klar überschritt. Außerdem lagen der Beklagten damit die für die Bestimmung des Umfangs des Widerrufs erforderlichen Daten vor. Die erneute Stellungnahme der Beklagten gegenüber dem LRH vom 08.05.2002 lässt darüber hinaus erkennen, dass sich die Beklagten mittlerweile auch Überblick über die weiteren, für die zu treffende Ermessensentscheidung bedeutsamen Sachverhaltsumstände verschafft hatte. Denn sie macht deutlich, dass sie das Fehlverhalten der StPAG angesichts der damals noch nicht gefestigten Rechtslage im EU-Vergaberecht nicht für gewichtig und deshalb - anders als zunächst geäußert - ein Vorgehen nach dem Runderlass des Finanzministeriums für unbillig erachte.

Der Fristablauf wurde nicht dadurch über den 08.05.2003 hinausgeschoben, dass die Beklagte auch nach dem 08.05.2002 den Meinungsaustausch mit der StPAG und dem LRH fortsetzte und ihre Auffassung über das Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes sowie über die zu treffende Ermessensentscheidung wiederholt änderte. Denn der Wortlaut des § 49 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG NRW bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Widerrufsfrist nach Eintritt der Entscheidungsreife im Sinne vollständiger Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen sowie Feststellung eines Widerrufsgrundes dadurch gehemmt wird, dass die Behörde bei ihrer rechtlichen Bewertung wiederholt anderen Sinnes wird. Dies widerspräche auch den hinter der Fristregelung stehenden Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Denn der Bestand des Verwaltungsakts bliebe auf unabsehbare Zeit und für den Betroffenen unberechenbar in der Schwebe. Da der Zeitpunkt erneuter Meinungsbildung der Behörde häufig nur schwer feststellbar sein wird, öffnete eine solche Auslegung des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW zudem einer missbräuchlichen Verfahrensweise das Tor.

Vgl. so bereits: VG Düsseldorf, Urteil vom 08.09.2000 - 1 K 3487/00 -.

Der 08.05.2002 ist gleichermaßen für den zwischenzeitlich nicht mehr rechtshängigen Zuwendungsbescheid Nr. 006 über die Festsetzung einer gekürzten Zuwendung aus GVFG-Mitteln als auch für die streitgegenständlichen Änderungsbescheide über die Ermäßigung der Zuwendungen aus Städtebauförderungsmitteln als Beginn der Widerrufsfrist anzusehen. Zwar hatte der LRH seine Feststellungen über Verstöße gegen die VOB/A bei der Vergabe der Bauaufträge für die Haltestelle ‚O' zunächst nur dem für GVFG- Zuwendungsverfahren zuständigen Dezernat 00 der Beklagten mitgeteilt und damit dessen Ermittlungen zur Frage eines Teilwiderrufs der gewährten Zuwendungen ausgelöst. Jedoch muss sich das Dezernat 00, das seitens des LRHs erst im Herbst 2004 über mögliche Vergaberechtsverstöße im Zusammenhang mit der Errichtung des Haltestellendaches informiert wurde, die beim Dezernat 00 weit früher vorliegenden Kenntnisse zurechnen lassen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Bestimmung des Fristbeginns nach § 49 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG NRW auf die Kenntnis der Stelle innerhalb einer Behörde abzustellen, die zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsaktes berufen ist. Dies verlangt nicht, starr auf behördeninterne Abteilungsgrenzen abzustellen. Sind Mitarbeiter verschiedener Abteilungen auf hinreichend eng zusammenhängenden Arbeitsgebieten tätig, so dass sich die Bedeutung von Tatsachen für den Widerruf von Verwaltungsakten der jeweils anderen Abteilung aufdrängt, kann ein Austausch von Informationen erwartet werden mit der Folge, dass sich eine Abteilung ausnahmsweise die Kenntnisse der anderen zurechnen lassen muss.

Vgl. Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 217; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 158; BFH, Urteil vom 23.03.1983 - I R 182/82 -, DB 1983, 1798.

Eine solche Konstellation liegt hier vor. Die Haltestelle ‚O' war Teil der mit GVFG- Mitteln geförderten Maßnahme ‚Streckenabschnitt IV, Zentrale ÖPNV-Trasse', die zunächst vom LVR und - bei teilweiser Personenidentität - seit 2001 durch das Dezernat 00 der Beklagten betreut wird. Bereits bei Bearbeitung des ersten Bewilligungsantrages wurde offenbar, dass die Kosten für die aufwändige Dachkonstruktion der Haltestelle ‚O' auch bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs nicht vollständig aus GVFG-Mitteln gefördert werden könnten. Im Hinblick darauf hat das MSV mit an den LVR gerichtetem Erlass die Förderhöchstsumme für das Haltestellendach nach GVFG festgelegt und ausdrücklich die ergänzende Beantragung von Städtebauförderungsmitteln angeregt. Mit gesondertem Erlass wies das MSV das Dezernat 00 der Beklagten an, die im Rahmen der Maßnahme ‚ÖPNV- Trasse P' anfallenden städtebaulichen Mehrkosten u.a. für die Haltestelle ‚O' als zuwendungsfähig anzuerkennen und über die Höhe der Förderung in Abstimmung mit dem Zuwendungsgeber ÖPNV-GVFG zu entscheiden. In dem nachfolgenden Bewilligungsantrag für die Förderung der Haltestellenüberdachung aus Städtebauförderungsmitteln wie auch in dem 2000 vorgelegten vorläufigen Schlussverwendungsnachweis wies die Klägerin im Finanzierungsplan die bereits gewährten GVFG-Mittel als Einnahme aus. Die Konnexität der beiden Zuwendungsverfahren setzt sich auch in den Widerrufsverfahren fort. So sind beide Dezernate bei der Bemessung des Umfangs des Widerrufs zwar von den Gesamtbaukosten der Haltestellenüberdachung ausgegangen, haben aber den Umfang der Kürzung der Zuwendung selbstverständlich nur anhand des auf das jeweilige Förderprogramm entfallenden Kostenanteils berechnet. Außerdem nimmt die Beklagte zur Begründung der streitbefangenen Bescheide in weitem Umfang auf ihre Ausführungen im Widerrufsverfahren bezüglich der GVFG-Mittel Bezug.

Vor dem Hintergrund dieser Umstände drängte sich die Bedeutung möglicher Unregelmäßigkeiten im Vergabeverfahren für beide Zuwendungsverfahren ohne weiteres auf. Eine unverzügliche Weitergabe der entsprechenden, für die Frage einer Zuwendungskürzung maßgeblichen Informationen von Dezernat 00 an Dezernat 00 war auch im Hinblick auf den Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit unbedingt zu erwarten.

Der Annahme, die Widerrufsfrist sei auch hinsichtlich der Zuwendungen aus Städtebauförderungsmitteln bereits am 08.05.2002 angelaufen, steht auch nicht entgegen, dass zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch keine Anhörung der Klägerin stattgefunden hatte. Es kann offen bleiben, ob eine solche möglicherweise entbehrlich war, weil die Baumaßnahme tatsächlich von der StPAG durchgeführt und diese bis zum 08.05.2002 mehrfach zu dem Vorwurf des Vergaberechtsverstoßes und der beabsichtigten Zuwendungskürzung Stellung genommen hatte. Denn bei rechtzeitiger Weitergabe der Informationen von Dezernat 00 an Dezernat 00 hätte eine Anhörung der Klägerin ohne weiteres vor dem 08.05.2002 stattfinden können. Insoweit muss grundsätzlich gelten: Kennt die Behörde die maßgeblichen Fakten und ist sie zu einer die Rücknahme aufdrängenden Einschätzung gelangt, kann sie sich die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht faktisch unbegrenzt dadurch verlängern, dass sie die von § 28 VwVfG vorgegebene Anhörung unterlässt. Vielmehr folgen „Anhörungsreife" und „Entscheidungsreife" aufeinander. Um dem Rechtsnachteil des § 48 Abs. 4 zu entgehen, muss die Behörde in diesen Fällen die Anhörung alsbald durchführen. Die Jahresfrist beginnt dann mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem die Anhörung abgeschlossen ist oder bei ordnungemäßen Verhalten abgeschlossen wäre.

Die Beklagte kann sich gegenüber der Annahme, die (Teil-) Widerrufe der Zuwendungsbescheide 00/000 und 00/000 seien wegen Ablaufs der Widerrufsfrist rechtswidrig, auch nicht darauf berufen, die Klägerin könne vor Abschluss der - hier noch ausstehenden - Prüfung des Schlussverwendungsnachweises grundsätzlich nicht darauf vertrauen, von Zuwendungswiderrufen und -rückforderungen verschont zu bleiben. Führt der LRH bereits vor Einreichung des Schlussverwendungsnachweises eine Prüfung der Verwendung einer Zuwendung durch und nimmt die Bewilligungsbehörde das Ergebnis dieser Prüfung zum Anlass für die Einleitung von Widerrufsverfahren, muss sie sich auf die Einhaltung der für die gewählte Verfahrensweise geltenden Regelungen verweisen lassen. Der Zuwendungsempfänger muss in diesem Fall darauf vertrauen können, dass nach Herbeiführung der Entscheidungsreife über die Konsequenzen von Mängeln bei der Mittelverwendung auch in angemessener Frist entschieden wird.

2. Erweisen sich die (Teil-) Widerrufe der Zuwendungsbescheide 00/00 und 00/00 als rechtswidrig und sind deshalb aufzuheben, entfällt die Grundlage für die mit den Änderungsbescheiden 00/000 und 00/000 zugleich gemäß § 49a VwVfG NRW festgesetzte Rückforderung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.