OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2006 - 15 W 322/05
Fundstelle
openJur 2011, 43269
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 T 546/05
Tenor

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts vom 25.04.2005 werden aufgehoben.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 2)wurde durch Beschluss vom 05.07.2000 zum Betreuer des Beteiligten zu 1) bestellt. Der an einer Minderbegabung leidende Beteiligte zu 1) ist in den L-Werkstätten, einer Werkstatt für Behinderte, beschäftigt. Aus seinem Arbeitseinkommen hatte er - bezogen auf den Stichtag 31.12.2004 - einen Betrag von 13.670,02 € angespart.

Durch Beschluss vom 08.05.2003 hatte das Landgericht in einem Verfahren zur Festsetzung der Betreuervergütung dahingehend entschieden, dass dem Beteiligten zu 1) gemäß § 1836c Nr.2 BGB i.V.m. § 88 Abs.3 S.3 BSHG ein Freibetrag von 23.010 € zu verbleiben habe. Infolge dessen wurde die Vergütung des Beteiligten zu 2) für den Zeitraum vom 01.04.2001 bis zum 30.09.2004 in Höhe von 7.050,58 € gegen die Staatskasse festgesetzt.

Nachdem durch das Gesetz zur Eingliederung der Sozialhilfe in das Sozialgesetzbuch vom 27.09.2003 zum 01.01.2005 § 1836c Nr.2 BGB dahingehend geändert worden ist, dass sich der Vermögenseinsatz des Betreuten nunmehr nach § 90 SGBXII richtet, hat das Amtsgericht auf Anregung des Beteiligten zu 4) durch Beschluss vom 25.04.2005 einen aus seinem Vermögen zu erstattenden Betrag von 7.050,58 € gegen den Beteiligten zu 1) festgesetzt. Gegen diese Entscheidung hat der Beteiligte zu 3) sofortige Beschwerde erhoben. Diese hat das Landgericht zurückgewiesen und hierbei die sofortige weitere Beschwerde zugelassen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerden ist nach den §§ 56 g Abs. 5 S. 2, 27, 29 FGG infolge Zulassung durch das Landgericht statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.

In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil die Entscheidung des mit einer zulässigen Erstbeschwerde befasst gewesenen Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 S. 1 FGG.

Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines Regresses gemäß § 56g Abs.1 S. 2 und 3 FGG i.V.m. §§ 1836e, 1836c BGB bejaht. Auf einen erhöhten Freibetrag könne sich der Beteiligte zu 1) nicht mehr berufen, nachdem § 88 Abs.3 S.3 BSHG außer Kraft getreten sei. In der Anwendung des nunmehr geltenden § 90 SGB XII auf die bereits vor Inkraftreten dieses Gesetzes übergegangenen Ansprüche liege auch keine unzulässige Rückwirkung.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung letztlich nicht stand.

Nach § 1836e Abs.1 S.1 BGB gehen die Ansprüche des Betreuers gegen den Betreuten auf die Staatskasse über, soweit diese den Betreuer wegen seiner Forderungen befriedigt. Die Geltendmachung und Durchsetzung dieses Anspruchs im Verfahren nach § 56g FGG setzt die durch § 1836c BGB definierte Leistungsfähigkeit des Betreuten voraus. Dabei entspricht es mittlerweile gefestigter Auffassung, dass eine nachträgliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse uneingeschränkt zu berücksichtigen ist (MK-Wagenitz, BGB, 4.Aufl., § 1836a Rdn.11; Bamberger/Roth/ Bettin, BGB, Stand 2005, § 1836e Rdn.3). Unerheblich ist dabei, ob der Betreute später zusätzliches Vermögen erwirbt, oder bereits zur Zeit der Leistung der Staatskasse vorhandene Vermögensgegenstände aufgrund einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ihre Eigenschaft als privilegiertes Vermögen im Sinne des § 90 Abs.2 SGB XII verliert.

Vorliegend beruht die von den Vorinstanzen angenommene Erweiterung der Regressmöglichkeit der Staatskasse jedoch nicht auf einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern darauf, dass der erweiterte Freibetrag nach § 88 Abs.3 S.3 BSHG nicht in die nunmehr geltende Regelung des § 90 Abs.3 SGB XII übernommen worden ist, auf die § 1836c Nr.2 BGB in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung verweist. Eine ausdrückliche Übergangsregelung für Altfälle, also bereits vor dem 01.01.2005 übergegangene Ansprüche enthält das Gesetz zur Eingliederung der Sozialhilfe in das Sozialgesetzbuch vom 27.09.2003 nicht (vgl. Art.70 des Gesetzes vom 27.09.2003). § 56g Abs.2 FGG enthält durch die Verweisung auf §§ 120 Abs.4, 115 Abs.1 S.3 ZPO zwar eine Regelung für die die nachträgliche Änderung durch Verordnung festzusetzender Freibeträge, diese beschränkt sich jedoch auf den Einsatz laufenden Einkommens im Gegensatz zu dem hier in Frage stehenden Einsatz des Vermögens.

Im Gegensatz zu den Vorinstanzen hält der Senat jedoch nach dem Zweck der Neuregelung eine Auslegung des Art.70 des Gesetzes vom 27.09.2003 dahingehend für geboten, dass die Neuregelung, mithin der Wegfall des Freibetrages aus § 88 Abs.3 S.3 BSHG, nicht auf solche Ansprüche anzuwenden ist, die vor dem 01.01.2005 auf die Staatskasse übergegangen sind. Der Senat folgt damit im Ergebnis der Entscheidung des OLG München vom 14.12.2005 (33 Wx 122/05, bislang veröffentlicht bei BeckRS 2006 00543). Hierfür sind die nachfolgenden Überlegungen maßgebend:

Entgegen der Auffassung des Landgerichts würde die Anwendung der Neuregelung auf bereits übergegangene Ansprüche eine teilweise Rückwirkung bedeuten, da das Gesetz auf einen Sachverhalt angewandt würde, der bereits bei seinem Inkrafttreten vorlag und in tatsächlicher Hinsicht keine Veränderung erfahren hat. Dem Betroffenen steht in diesem Zusammenhang ein Anspruch auf Vertrauensschutz zu. Der Senat legt die gesetzliche Vorschrift so aus, dass eine rückwirkende Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen im Hinblick auf das anzusetzende Schonvermögen nicht herbeigeführt werden sollte. Für nicht unbedenklich hält der Senat allerdings die Begründung des OLG München (a.a.O.; insoweit noch offen gelassen in seiner früheren Entscheidung in FGPrax 2005, 210, 211), es handele sich um zeitabschnittsweise geltend gemachte Forderungen, auf die der im Sozialhilferecht für den jeweiligen Bedarfszeitraum maßgebliche Berechnungsmodus Anwendung finden müsse. Denn zwischen der laufenden Gewährung von Sozialhilfe und der Erstattung von Vergütung und Aufwendungsersatz eines Berufsbetreuers aus der Staatskasse bestehen trotz der gemeinsamen sozialrechtlichen Grundlage erhebliche Systemunterschiede. Diese werden beispielhaft in der Regressmöglichkeit der Staatskasse gem. § 1836 e BGB deutlich, die etwa bei nachträglichem Vermögenserwerb des Betroffenen seine rückwirkende Inanspruchnahme auf die in der Vergangenheit aus der Staatskasse gewährten Leistungen ermöglicht.

Der Senat legt demgegenüber maßgebliches Gewicht darauf, dass einer rückwirkenden Inanspruchnahme von Vermögen, das nach den bisherigen Vorschriften als Schonvermögen bewertet wurde, verfassungsrechtliche Bedenken hätten entgegen stehen können. Dabei würde allerdings kein Fall einer sog. echten, grundsätzlich unzulässigen Rückwirkung vorliegen, die nur anzunehmen ist, wenn der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereiches normativ auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d. h. gültig geworden ist (BVerfGE 63, 343, 353). Hieran fehlt es, da auch eine Anwendung auf bereits übergegangene Ansprüche nicht auf einer Vorverlagerung des Geltungszeitpunktes beruhen würde, sondern der durch § 1836e Abs.1 S.2 BGB eröffneten Möglichkeit, die Durchsetzbarkeit dieser Ansprüche für jeweils 10 Jahre ständig erneut zu prüfen.

Aber auch für Gesetze, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen, hier die Durchsetzbarkeit der übergegangenen Ansprüche, für die Zukunft einwirken und damit zugleich die betroffenen Rechtspositionen nachträglich entwerten (sog. unechte Rückwirkung), können sich, obgleich sie grundsätzlich zulässig sind, aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes je nach Lage der Verhältnisse verfassungsrechtliche Grenzen ergeben (BVerfGE 30, 392, 402 = NJW 1971, 2111 m. w. Nachw.; BVerfGE 39, 128, 143 ff.; 43, 242, 286; BVerfGE 43, 291, 391). Hierbei ist zwischen dem Vertrauen auf den Fortbestand des Rechtszustandes nach der bisherigen gesetzlichen Regelung und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen (BVerfGE 43, 242, 286; 43, 291, 391). Der Vertrauensschutz geht dabei zwar nicht so weit, den Betroffenen vor jeder Enttäuschung zu bewahren (BVerfGE 43, 242, 286), erforderlich ist jedoch in jedem Fall, dass dem Eingriff in die Vertrauensposition ein gesetzgeberisches Anliegen gegenübersteht, welches geeignet ist, den Eingriff zu rechtfertigen.

Bereits im Rahmen der Auslegung der Übergangsvorschrift muss danach berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber keine Schlechterstellung des ursprünglich durch § 88 Abs.3 S.3 BSHG erfassten Personenkreises beabsichtigt hat. Die Regelung ist vielmehr allein deshalb nicht in § 90 Abs.3 SGB XII übernommen worden, weil die Bedürftigkeitsprüfung, in deren Rahmen der Freibetrag Bedeutung erlangte, für die sog. Eingliederungshilfe abgeschafft worden ist (vgl. BT-Drucks. 15/1514 S.66 sowie § 92 SGB XII). Der Abschaffung dieses Freibetrages liegt also nicht die gesetzgeberische Intention zugrunde, den betroffenen Personenkreis im Interesse der angespannten öffentlichen Haushalte stärker zu belasten. Vielmehr ist eine Besserstellung des betroffenen Personenkreises beabsichtigt. Zu einer Abwägung gegenüber den Belangen des Vertrauensschutzes des Betroffenen hatte der Gesetzgeber deshalb in diesem Rahmen keine Veranlassung.

Dass diese strukturelle Änderung des Sozialhilferechts sich im Bereich des Vormünder- und Betreuervergütungsrechts durch die Verweisung in § 1836c Nr.2 BGB als Schlechterstellung auswirken würde, ist im Gesetzgebungsverfahren offenbar übersehen worden. Die Neufassung des § 1836c Nr.2 BGB durch Art.40 des Gesetzes vom 27.09.2003 wurde in der Entwurfsbegründung als rein redaktionelle Änderung angesehen (vgl. BT-Drucks. 15/1514 S.76). Beruht die Fassung der Übergangsvorschriften - bezogen auf den Regress wegen Betreuervergütungen - jedoch auf einem gesetzgeberischen Versehen, muss eine rückwirkende Anwendung der gesetzlichen Vorschrift unterbleiben, der die verfassungsrechtliche erforderlich Grundlage einer gesetzgeberischen Abwägung mit den Belangen des Vertrauensschutzes des Betroffenen fehlt.