LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.03.2005 - L 5 KR 169/04
Fundstelle
openJur 2011, 36804
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 3 (11) KR 59/04
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 23.09.2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger auch nach dem 01.01.2004 mit dem Arzneimittel Viridal zu versorgen.

Der 1938 geborene Kläger ist als Rentenbezieher Mitglied der Beklagten. Er beantragte mit einer - als Wunschverordnung bezeichneten - privatärztlichen Verordnung der Urologen Dres. Q/O am 09.01.2004 die Kostenübernahme für die Versorgung mit dem Arzneimittel Viridal. Das Medikament (Wirkstoff Alprostadil) ist zur Behandlung der erektilen Dysfunktion zugelassen und wird durch Injektion in die Schwellkörper verabreicht (SchwellkörperAuto-Injektionstherapie (SKAT)). Mit Bescheid vom gleichen Tag lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab, da es sich um ein Arzneimittel handele, das überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion diene und daher nicht mehr von der Leistungspflicht umfasst sei. Den vom Kläger mit der Begründung erhobenen Widerspruch, er brauche das Arzneimittel auf Dauer, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2004 zurück.

Zur Begründung der am 05.04.2004 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er leide seit der Entfernung der Speiseröhre im Jahre 1991 an einer erektilen Dysfunktion. Seit 1997 habe die Beklagte die Kosten der erforderlichen Medikamente übernommen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sie seit dem 01.01.2004 eine Leistungsgewährung ablehne, da er auf Dauer an einer Krankheit leide. Ohne die Injektionstherapie sei er in seiner Lebensqualität eingeschränkt. Insoweit hat er sich auf eine Bescheinigung des Urologen Dr. M vom 24.01.2004 bezogen, der dort angibt, es bestehe eine persistierende erektile Dysfunktion. Eine ausreichende Behandlung sei nur mit Schwellkörperinjektionen mit Viridal oder Caverject möglich.

Mit Urteil vom 23.09.2004 hat das Sozialgericht unter Zulassung der Berufung die Klage unter Hinweis auf die zum 01.01.2004 eingetretene gesetzliche Neuregelung die Klage abgewiesen.

Mit der fristgerecht eingelegten Berufung hält der Kläger an seinem Begehren fest, die Beklagte zu verpflichten, ihn auch weiterhin mit dem Arzneimittel Viridal zu versorgen.

Dem Vorbringen des Klägers ist der Antrag zu entnehmen,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 23.09.2004 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2004 zu verurteilen, ihm 550,74 Euro zu erstatten und ihn in der Zukunft nach jeweiliger ärztlicher Verordnung mit dem Arzneimittel Viridal zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Leistungspflicht durch die gesetzliche Neuregelung für ausgeschlossen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Gründe

Der Senat ist bei der Formulierung des Antrags des Klägers davon ausgegangen, dass der Kläger über den schon vor dem Sozialgericht beantragten Erstattungsbetrag von 367,16 Euro hinaus auch die Erstattung der Kosten der bereits in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts angekündigten weiteren Beschaffung von Viridal in Höhe von 183,58 Euro, also jetzt einen Betrag von 550,74 Euro begehrt. Der Kläger hat auch im Erörterungstermin im Berufungsverfahren deutlich gemacht, dass er auch künftig das Medikament zu Lasten der Beklagten erhalten möchte, so dass der erstinstanzlich gestellte Antrag insoweit zu ergänzen war.

Die jedenfalls kraft Zulassung statthafte (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament Viridal durch die Beklagte hat.

Der aus § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) folgende Krankenbehandlungsanspruch schließt global auch die Versorgung mit Arzneimitteln (Satz 2 Nr. 3 a.a.O.) ein. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V konkretisiert diesen Anspruch jedoch dahingehend, dass dies nur gilt, sofern das Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen ist.

Es kann zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, dass die bei ihm vorliegende erektile Dysfunktion auch in seinem Alter als regelwidriger Körperzustand anzusehen ist, weil die gestörte Funktion bei zahlreichen Angehörigen dieser Altersgruppe noch erhalten ist, so dass er an einer behandlungsbedürftigen Krankheit leidet (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 11). § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V schließt jedoch Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Versorgung aus. Solche Arzneimittel sind damit nicht mehr Gegenstand des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKG). Zu diesen Medikamenten zählt auch das zur Behandlung der erektilen Dysfunktion zugelassene Viridal (s.a. Anlage 8 der Arzneimittel-Richtlinien in der Fassung vom 16.3.2004 (Banz. Nr. 77 vom 23.4.2004), geändert durch Beschluss vom 15.7.2004 (Banz. Nr. 156 vom 20.8.2004)).

Die durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) mit Wirkung vom 01.01.2004 (Art. 37 Abs. 1 GMG) eingeführte Neuregelung ist einer einschränkenden Auslegung nicht zugänglich (a.A. SG Duisburg, Urteil vom 28.01.2005 - S 9 KR 215/04 -). § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V bezeichnet zwar die vom Ausschluss umfassten Arzneimittel als solche, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Diese Formulierung ist allerdings vor dem Hintergrund, dass grundsätzlich in der GKV Leistungen nur bei Krankheit beansprucht werden können (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V) unverständlich, denn wenn ein Mittel vornehmlich zur Steigerung der Lebensqualität eingesetzt wird, wird kaum ein Krankenbehandlungsanspruch im Raum stehen. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber in Satz 8 jedoch die vom Ausschluss umfassten Arzneimittel bezeichnet und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch die Medikamente zur Behandlung der erektilen Dysfunktion genannt. Sie werden zwar zusammen mit Mitteln genannt, bei denen - wie etwa der Verbesserung des Haarwuchses - tatsächlich kein Bezug zu einer behandlungsbedürftigen Krankheit erkennbar ist. Gleichwohl ist die gesetzliche Regelung eindeutig. Das Argument, da Satz 8 den Verordnungsausschuss in Satz 7 konkretisiere und in diesem Zusammenhang ansonsten Mittel genannt würden, die eher bei kosmetischen Befunden eingesetzt würden, sei daraus zu schließen, dass der Ausschluss für Medikamente zur Behandlung der erektilen Dysfunktion nur für die Fälle gelten solle, in denen der erektilen Dysfunktion wegen einer rein altersbedingten Erscheinung kein Krankheitswert zukomme, (so das SG Duisburg, a.a.O.), geht fehl. Davon abgesehen, dass bei einer nur altersbedingten Erscheinung keine Krankheit i. S. d. § 27 Abs. 1 SGB V vorliegen dürfte (offen gelassen von BSG, a.a.O.; s. umfassend zur Problematik Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V -, § 27 Rdn. 64 ff.), eine gesetzliche Regelung also nicht erforderlich gewesen wäre, ist diese Annahme nicht mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers vereinbar. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass die Regelung nur der "Klarstellung" diene, dass die heute schon in den Arzneimittelrichtlinien ausgeschlossenen Medikamente nicht zum Leistungskatalog der GKV zählten (BT-Drucks. 15/1525, 86). Der (frühere) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hatte aber mit Wirkung vom 30.09.1998 einschränkungslos in Nr. 17.1 Buchst. f der Arzneimittelrichtlinien (in der Fassung vom 03.08.1998, BAnz Nr. 182 vom 29.09.1998) Medikamente zur Behandlung der erektilen Dysfunktion von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen. Mit der Bezugnahme auf diesen Ausschluss macht die Gesetzesbegründung somit deutlich, dass auch der gesetzliche Ausschluss alle Fälle der erektilen Dysfunktion betrifft. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung ersichtlich auf die Rechtsprechung reagiert, die den Ausschluss in den Richtlinien als wegen Verstoß gegen höherrangiges Recht nichtig beurteilt hatte, weil der Bundesausschuss damit die Grenzen der ihm erteilten Ermächtigung überschritten habe. Er sei nicht befugt, die Behandlung einer bestimmten Erkrankung durch zugelassene Arzneimittel auszuschließen, da dies eine unzulässige Einschränkung des Krankheitsbegriffs darstelle (BSG, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.08.2001 - L 4 KR 4360/00 -; LSG NRW, Urteil vom 30.01.2003 - L 16 KR 7/02 -; Senat, Urteil vom 27.03.2003 - L 5 KR 200/02 -). In allen Entscheidungen wurde wegen einer als Krankheit anzusehenden erektilen Dysfunktion ein Krankenbe handlungsanspruch bejaht, der ungeachtet der - nichtigen - Regelung in den Arzneimittelrichtlinien auch die Versorgung mit Medikamenten einschloss. Wenn der Gesetzgeber nunmehr den früheren Ausschluss in den Richtlinien im Gesetz "klarstellen" wollte, zeigt dies, dass die gesetzliche Regelung auch Fälle einer krankhaften Störung der Kohabitationsfähigkeit betrifft.

Ein solcher Ausschluss steht auch nicht in Widerspruch zu dem in § 27 Abs. 1 Satz 1 verbürgten Krankenbehandlungsanspruch. Dieser wird nämlich hinsichtlich der Versorgung mit Arzneimitteln in § 31 SGB V konkretisiert und diese Norm bestimmt, dass der Anspruch nur so weit besteht, als nicht das Arzneimittel in § 34 SGB V ausgeschlossen ist. Die einzelnen Leistungs vorschriften konkretisieren den in § 27 Abs. 1 SGB V nur global zugesagten Krankenbehandlungsanspruch und in diesem Zusammenhang kann der Gesetzgeber auch inhaltliche Beschränkungen des Anspruchs vornehmen (zu vergleichbaren Fällen s. § 28 Abs. 2 Sätze 6, 8 und 9 SGB V).

Der Ausschluss steht auch mit Verfassungsrecht in Einklang. Aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) folgt kein Anspruch auf Bereitstellung spezieller Gesundheitsleistungen im System der GKV (BVerfG NJW 1997, 3085; MedR 1997, 318; BSGE 86, 54, 65). Der Gesetzgeber genießt aus verfassungsrechtlicher Sicht ein weites Ermessen, welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der GKV einbezogen und welche ausgenommen und damit der Eigenverantwortung der Versicherten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) zugeordnet werden. Ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen (BSGE 76, 40, 42 f.; 86, 54, 65). Der Gesetzgeber ist deshalb nicht gehindert, zur Erhaltung der Finanzierbarkeit der Krankenversicherung bestimmte Leistungen oder Leistungsbereiche ganz aus der gesetzlichen Krankenversicherung auszugliedern. Insofern ist zu berücksichtigen, dass für die Behandlung der erektilen Dysfunktion alternative Behandlungsmethoden wie mechanische Hilfsmittel (Vakuum-Erektionshilfe) oder gegebenenfalls Schwellkörperimplantate zur Verfügung stehen (s. unter www.impotenzselbsthilfe.de/ therapie/therapie.html). Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Verlust der Kohabitationsfähigkeit zwar die Lebensqualität nachhaltig beeinträchti gen kann, jedoch insoweit keine vitalen Funktionen betroffen sind, so dass die Beschränkung des Krankenbehandlungsanspruchs eher hingenommen werden kann. Wenn die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang allerdings davon spricht, die Regelung stelle sicher, dass die Finanzierung von Arzneimitteln, deren Einsatz im Wesentlichen durch die "Art der persönlichen Lebensführung" bedingt sei, durch den einzelnen Versicherten selbst zu gewährleisten sei und dass Arzneimittel, die zum Zwecke "individueller Bedürfnisbefriedigung" dienten, künftig nicht mehr zu Lasten der Solidargemeinschaft verordnet werden könnten (a.a.O. S. 87), geht dies an der Sache vorbei. Die Ausübung der Sexualfunktionen ist keine Frage der Art der persönlichen Lebensführung oder der individuellen Bedürfnisbefriedigung, sondern ein selbstverständlicher Teil menschlichen Seins. Der Gesetzgeber mag auch möglicherweise über sein eigentliches Ziel hinausgeschossen sein. Hintergrund der Regelung des Bundesausschusses war seinerzeit die Markteinführung des oral einzunehmenden Medikaments Viagra, durch das erhebliche Belastungen für die gesetzlichen Krankenkassen befürchtet wurden. Dieses Medikament erscheint tatsächlich für einen Missbrauch anfällig. Dies gilt jedoch nicht für Medikamente, die, wie das hier in Frage stehende Viridal, im Rahmen einer SKAT-Therapie eingesetzt werden. Zu einer solchen Art von Behandlung werden nur Versicherte greifen, die tatsächlich auf diese Behandlung angewiesen sind. Von daher wäre wohl ein Ausschluss oral einzu nehmender Medikamente zur Behandlung der erektilen Dysfunktion ausreichend gewesen, um den befürchteten Missbrauch und die damit verbundene Kostenbe lastung für die Krankenkassen abzuwehren. Dass der Gesetzgeber aber gleichwohl einen umfassenden Ausschluss vorgesehen hat, ist angesichts seiner von Verfassungs wegen bestehenden Gestaltungsfreiheit und der grundsätzlich gegebenen Behandlungsalternativen nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat im Hinblick auf die Vielzahl von Streitverfahren zur Neuregelung dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und zur Herbeiführung einer höchstrichterlichen Klärung der Rechtslage die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).