VG Düsseldorf, Beschluss vom 02.05.2005 - 6 L 637/05
Fundstelle
openJur 2011, 35445
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 21. März 2005 wiederherzustellen,

hat keinen Erfolg.

Gemessen an den gesetzlichen Vorgaben in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat der Antragsgegner zunächst die Anordnung der sofortigen Vollziehung seiner Ordnungsverfügung ordnungsgemäß begründet. Die Begründung stellt auf den konkreten Fall ab, ist nicht lediglich formelhaft und gibt die Erwägungen, die für den Antragsgegner maßgeblich waren, den Antragsteller sofort vom motorisierten Straßenverkehr auszuschließen, wieder. Der Antragsgegner bewertet das öffentliche Interesse an der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer höher als das persönliche Interesse des Antragstellers an der Belassung der Fahrerlaubnis, weil der Schutz von Leib und Leben anderer eine sofort wirksame Entscheidung erfordert.

Nach § 80 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat ein Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO unter anderem dann, wenn die Behörde, die den angegriffenen Verwaltungsakt - hier die Ordnungsverfügung vom 21. März 2005 - erlassen hat, aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes anordnet. Das Gericht kann jedoch auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen. Eine derartige Wiederherstellung kommt dann in Betracht, wenn entweder die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder aus sonstigen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.

Die für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche und vom Gericht in eigener Ermessensausübung zu treffende Abwägung des Interesses des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer sofort wirksamen Gefahrenabwehr muss vorliegend zu Ungunsten des Antragstellers ausfallen, weil im gegenwärtigen Verfahrensstadium - nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nur möglichen summarischen Prüfung - zwar offen ist, ob die Verfügung rechtmäßig oder rechtswidrig ist, aber hier die Interessenabwägung im Übrigen ergibt, dass das Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung überwiegt.

Der Antragsgegner hat seine Verfügung auf § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 5 FeV gestützt. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG und § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV hat die Entziehung bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Wirkung der Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Hier ist schon fraglich, ob diese Maßnahme mit dem europäischen Recht vereinbar ist.

Denn grundsätzlich darf nach § 28 Abs. 1 FeV der Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, der seinen ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - im Umfang seiner Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung nicht für Inhaber einer Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden war. Das Recht, von einer EU-Fahrerlaubnis nach einer Entscheidung nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag nach § 28 Abs. 5 FeV erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung nicht mehr bestehen.

Ob § 28 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, kann hier im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, in dem nur eine summarische Prüfung erfolgen kann, nicht abschließend geprüft werden.

Die genannten Bestimmungen der FeV könnten gegen die Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (91/439/EWG) verstoßen.

Der europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 29. April 2004

- C-476/01 (Frank Kapper), NZV, 2004, 372 ff.

ausgeführt, dass nach dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439 ein Mitgliedstaat es ablehnen kann, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen - Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis - angewendet wurde. Da diese Bestimmung eng auszulegen sei, könne sich der Mitgliedstaat nicht auf sie berufen, um einer Person, auf die auf seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eins Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Art. 1 II i.V.m. Art. 8 IV der Richtlinie 91/439 verbiete es diesem Mitgliedstaat, nach Ablauf der Sperrfrist weiterhin die Anerkennung der Gültigkeit des dem Betroffenen später von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen.

Ob aus dieser Entscheidung der Schluss gezogen werden kann, dass dem Mitgliedstaat (hier: Deutschland), in dem die Fahrerlaubnis des Antragstellers entzogen wurde, nach Ablauf der Sperrfrist und einer danach liegenden Erteilung der Fahrerlaubnis eines anderen Mitgliedstaates (hier: Tschechische Republik), eine eigene Prüfung der Voraussetzungen der Anerkennung der ausländischen Fahrerlaubnis grundsätzlich verwehrt sein soll, ist bisher in Literatur und Rechtsprechung ungeklärt.

Der Entscheidung des europäischen Gerichtshofes ist zu entnehmen, dass jedenfalls eine Versagung der Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins eines anderen Mitgliedstaates nicht auf unbestimmte Zeit erfolgen darf. Damit ist nicht entschieden, ob ein Mitgliedsland in bestimmten Fällen zu einer Prüfung der Gültigkeit eines im Ausland erworbenen Führerscheins berechtigt ist. Dazu finden sich in Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen und Entscheidungen. Zum Teil wird angenommen, § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV sei wegen des Vorranges des Gemeinschaftsrechts ohne Weiteres unanwendbar. Andere gehen davon aus, dass § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV weiterhin anwendbar ist, da er nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße,

vgl. dazu: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. August 2004 - 3 Ss 103/04 -, DAR 2004, 714; OLG Köln, Beschluss vom 4. November 2004 - Ss 182/04 -; NZV 2005, 110; VG München, Beschluss vom 13. Januar 2005 - M 6 b S 04.5543 -; VG Karlsruhe, Urteil vom 18. August 2004 - 11 K 4476/03, NJW 2005, 460; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2004 - 10 S 1346/04 -;Otte, NZV 2004, Seite 321 ff.; Ludovisy, DAR 2005, Seite 7 ff.

In einem vergleichbaren Fall wie dem Vorliegenden hat jedenfalls der VGH Baden-Württemberg in einer sehr ausführlichen Entscheidung dargelegt, dass Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG die Regelung der Anerkennung von im EU- Ausland erworbenen Fahrerlaubnissen nach einer vorangegangenen Entziehung der Fahrerlaubnis dem innerstaatlichen Recht überlässt und die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten nicht auf die Einhaltung einer im Inland ausgesprochenen Fahrerlaubnissperre beschränkt, da sonst dem vorrangigen Aspekt der Verkehrssicherheit nicht ausreichend Rechnung getragen würde,

vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2004 - 10 S 1346/04.

Zu dieser Auffassung neigt auch Ludovisy,

vgl. DAR 2005, 7, 12.

Die abschließende rechtliche Bewertung der Frage, ob § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV mit der Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG vereinbar ist, muss der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, weil dies den Rahmen des Eilverfahrens sprengen würde.

Angesichts der offenen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ist hier eine weitere Interessenabwägung vorzunehmen.

Dabei ist in die Abwägung einzustellen, dass es hier um einen besonders gelagerten Fall geht. Die Botschaft der Tschechischen Republik hat nämlich am 8. November 2004 dem Kraftfahrtbundesamt mitgeteilt, dass der Führerschein des Antragstellers nach tschechischem Recht ausgestellt worden sei. Die Gesetze ermöglichten es, dass Ausländer mit einem ständigen Wohnsitz außerhalb der Tschechischen Republik die Fahrschule absolvieren und die Prüfung in Tschechien ablegen dürfen. Es sei der Tschechischen Republik bekannt, dass dies nicht im Einklang mit europäischem Recht sei, und sie versuche, die Situation rasch zu klären. Damit handelt es sich um einen Führerschein, der unter der offen eingeräumten Missachtung des europäischen Rechts ausgestellt worden ist. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, einen derartigen Führerschein anzuerkennen. Ihr ist zwar nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen anderer Mitgliedstaaten verwehrt, in eine eigene Prüfung der Voraussetzung des Wohnsitzerfordernisses einzutreten. Diese Prüfung ist hier aber nicht notwendig, weil die Botschaft der Tschechischen Republik selbst eingeräumt hat, dass ein Verstoß gegen europäisches Recht vorliegt.

Dazu kommt, dass sowohl nach nationalem deutschen Recht als auch nach der Führerscheinrichtlinie der EU bei der Erteilung der Fahrerlaubnis zu prüfen gewesen wäre, ob der Antragsteller die erforderliche Fahreignung besitzt.

Wenn der Antragsteller in Deutschland die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis beantragt hätte, hätte nach § 20 FeV i.V.m § 13 Abs. 2 Nr. 2 e) FeV die Fahrerlaubnisbehörde die Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens angeordnet, wenn sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr besteht. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da dem Antragsteller die Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr durch das Amtsgericht T entzogen wurde. Die verhängte Sperrfrist lief am 24. Mai 1999 ab. Der Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis wurde aufgrund des negativen Gutachtens des TÜV S vom 17. November 1999 abgelehnt. Darin hatte sich der Antragsteller selbst als alkoholabhängig bezeichnet. Aus dem Gutachten folgt auch, dass bei dem Antragsteller durch die Rheinische Landesklinik M am 13. März 1998 die Diagnose Alkoholabhängigkeit und Angstsymptomatik gestellt worden war. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass sich bei dem Antragsteller eine Alkoholkrankheit entwickelt habe; es sei angesichts der Alkoholabhängigkeit nicht damit zu rechnen, dass der Antragsteller ein Kraftfahrzeug sicher führen könne. Somit steht fest, dass der Antragsteller alkoholabhängig war. Ob der Antragsteller seine Alkoholkrankheit überwunden hat, ist nicht nachgewiesen. Der Antragsgegner konnte daher nach nationalem deutschen Recht die Beibringung des Gutachtens fordern und aus der Nichtvorlage nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen.

Art. 7 Abs. 1 a) der Richtlinie 91/439/EWG i.V.m. Anhang III Nr. 14.1. bestimmt, dass Bewerbern oder Fahrzeugführern, die alkoholabhängig waren, nach einen nachgewiesenem Zeitraum der Abstinenz vorbehaltlich des Gutachtens einer zuständigen ärztlichen Stelle und einer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle eine Fahrerlaubnis erteilt oder erneuert werden kann.

Daraus folgt, dass sowohl das deutsche Recht als auch das europäische Recht die Gefahren des Fahrens unter Alkoholeinfluss in den Blick nimmt. Im Anhang III Nr. 14 zu Art 7 Abs. 1 a) der Richtlinie 91/439/EWG wird ausgeführt: „Alkoholgenuss ist eine große Gefahr für die Sicherheit im Straßenverkehr. Da es sich um ein schwerwiegendes Problem handelt, ist auf medizinischer Ebene große Wachsamkeit geboten."

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den Schutz der betroffenen Rechtsgüter, Sicherheit des Straßenverkehrs und Schutz von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer, überwiegt hier das Interesse der anderen Verkehrsteilnehmer das Interesse des Antragstellers, vorläufig, bis zur Entscheidung in der Hauptsache, am Straßenverkehr teilzunehmen. Da nicht durch ein Gutachten geklärt ist, ob der Antragsteller seine Alkoholkrankheit überwunden hat und nunmehr abstinent lebt, kann nicht verantwortet werden, dass er in Deutschland am Straßenverkehr teilnimmt und andere Verkehrsteilnehmer an Leib und Leben gefährdet.

Der Einwand des Antragstellers, dass bei offensichtlichen Rechtsverstößen ggfs. ein Verfahren nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/439 und - falls der Ausstellungsmitgliedstaat nicht die geeigneten Maßnahmen ergreift -, ein Verfahren nach Artikel 227 EG vor dem europäischen Gerichtshof einzuleiten sei, vermag nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen. Es liegt auf der Hand, dass ein zeitaufwändiges Vertragsverletzungsverfahren im Hinblick auf die mögliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer an Leib und Leben nicht abgewartet werden kann.

Die Anordnung des Antragsgegners, ihm den tschechischen Führerschein vorzulegen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 StVG. Danach ist der Führerschein der Fahrerlaubnisbehörde zur Eintragung der Entscheidung vorzulegen. Da die Aberkennung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, vorläufig vollziehbar ist, muss der Antragsteller dieser Aufforderung nachkommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der Fahrerlaubnis der betroffenen Klassen wird im Klageverfahren nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer mit dem gesetzlichen Auffangwert des GKG angesetzt. In Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich der Betrag von 5.000,-- Euro um die Hälfte.

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