OLG Köln, Beschluss vom 29.06.2005 - 2 Ws 254/05
Fundstelle
openJur 2011, 34464
  • Rkr:
Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Bonn vom 07.04.2005 ( 37 Qs 9/05) wird aufgehoben.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Bonn hat den Angeklagten am 29.04.2004 wegen Körperverletzung zum Nachteil des Herrn T. W. zum Amtsgericht - Strafrichter - Bonn angeklagt. Der Geschädigte hat im Adhäsionsverfahren die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung von 5.000 EUR beantragt. In der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter am 04.10.2004 wurde der Beschwerdeführer dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 18.10.2004 wurde der Angeklagte sowohl zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten als auch zur Zahlung von 5.000 EUR nebst Zinsen an den Geschädigten verurteilt.

Danach beantragte der Beschwerdeführer u. a. auch die Festsetzung einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG bezogen auf einen Streitwert von 5.000 EUR. Dies wurde zunächst von der Rechtspflegerin beim Amtsgericht Bonn durch Beschluss vom 26.11.2004 abgelehnt. Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung hat der zuständige Richter des Amtsgerichts Bonn durch Beschluss vom 01.02.2005 angeordnet, "dass dem Erinnerungsführer die von ihm beantragte Gebühr 4143 VV RVG zuzüglich Mehrwertsteuer zu erstatten ist". Nachdem der Bezirksrevisor hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt hat, hat das Landgericht Bonn durch den fristgerecht angefochtenen Beschluss angeordnet, dass die von dem Verteidiger beantragte Gebühr 4143 VV RVG nicht von der Landeskasse zu erstatten ist. Es hat die weitere Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die weitere Beschwerde ist gemäß §§ 33 Abs. 6 S. 1, 56 Abs. 2 S. 1 RVG statthaft, denn das Landgericht hat sie wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Sie wurde auch ordnungsgemäß, insbesondere innerhalb der Frist der §§ 33 Abs. 3 S. 3, Abs. 6 S. 4, 56 Abs. 2 S. 1 RVG eingelegt.

2. Die weitere Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Dem Pflichtverteidiger steht die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG zu, ohne dass es einer besonderen Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO bedarf (ebenso: Hartung, in: Hartung/Römermann, RVG, 2004, VV Teil 4 Rdnr. 167; Kroiß, in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz 2004, VV Nrn. 4142 - 4146 Rdnr. 20; a. A. N. Schneider, in: Gebauer/Schneider, RVG, 2. Aufl., 2004, VV 4143 - 4144 Rdnr. 46, jedoch unter verfehlter Berufung auf BGH Rpfleger 2001, 370 = NJW 2001, 2486). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

a) Es ist - soweit erkennbar - allgemeine Auffassung, dass die Bestellung zum Pflichtverteidiger das gesamte Verfahren und damit auch das Adhäsionsverfahren erfasst (Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 48. Aufl., 2005, § 140 Rdnr. 5; Laufhütte in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Aufl., 2003, § 140 Rdnr. 4 jeweils m. w. N.). Dies folgt bereits daraus, dass eine Trennung zwischen der Tätigkeit des Verteidigers und derjenigen des anwaltlichen Vertreters im Adhäsionsverfahren nicht möglich ist: Es ist praktisch keine Tätigkeit des Pflichtverteidigers für den Angeklagten denkbar, die nicht zugleich zumindest auch Einfluss auf die Höhe des im Adhäsionsverfahrens geltend gemachten Anspruchs haben könnte. Nur so lässt sich auch die von dem Bezirksrevisor und dem Landgericht vertretene Auffassung rechtfertigen, dass die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG entstanden sei, wenn auch nicht gegen das Land. Für ein privatrechtliches Auftragsverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Beschwerdeführer neben der Pflichtverteidigung und beschränkt auf das Adhäsionsverfahren besteht nicht der mindeste Anhaltspunkt. Der Angeklagte hatte keine Veranlassung den Pflichtverteidiger insoweit gesondert zu beauftragen, da er ohne weiteres davon ausgehen konnte, dass sich bereits die Verteidigungstätigkeit auch auf das Adhäsionsverfahren auswirkt.

b) Bis zum In-Kraft-Treten des RVG am 01.07.2004 entsprach es der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung (OLG Schleswig NStZ 1998, 201; OLG Hamm StV 2002, 89 (LS)), dass der Pflichtverteidiger auch ohne besondere Beiordnung für die Tätigkeit im Adhäsionsverfahren zu vergüten ist. Durch das In-Kraft-Treten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes am 01.07.2004 hat sich keine Änderung ergeben.

Der Wortlaut der Nr. 4143 VV RVG steht der Auffassung, dass die Gebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG dem Pflichtverteidiger zusteht, ohne dass es einer vorherigen Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO bedarf, zumindest nicht entgegen. Sowohl die Überschrift des Unterabschnitts 5 "Zusätzliche Gebühr" als auch die Differenzierung der Gebührenhöhe zwischen dem Wahlanwalt einerseits und dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Anwalt andererseits sprechen dafür, dass der gerichtlich bestellte Pflichtverteidiger diese Gebühren erhalten kann.

Dies entspricht auch dem klar erklärten Willen des Gesetzgebers. In der Begründung des Entwurfs des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes heißt es:

"Der Pflichtverteidiger soll die Gebühr nach Nummer 4143 VV RVG-E ebenfalls erhalten. Das entspricht dem geltenden Recht. Sie wird - wie derzeit nach § 97 Abs. 1 Satz 4, §§ 89, 123 BRAGO - der Höhe nach durch § 49 RVG-E begrenzt." (BT-Drs. 15/1971, S. 228)

c) Dem stehen auch nicht die insbesondere vom OLG München (StV 2004, 38) vertretenen systematischen Bedenken entgegen. Die Regelung des § 404 Abs. 5 S. 1 StPO, die auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Angeklagten im Adhäsionsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen zulässt, verliert ihre Bedeutung nicht, wenn man davon ausgeht, dass die Bestellung zum Pflichtverteidiger auch die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren umfasst. Es bleiben im Rahmen des § 404 Abs. 5 StPO die Fälle übrig, in denen die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht gegeben sind.

Es macht auch Sinn, dass in Fällen notwendiger Verteidigung der Pflichtverteidiger unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch für das Adhäsionsverfahren bestellt ist, in anderen Fällen eine Beiordnung grundsätzlich aber nur erfolgt, wenn die Voraussetzungen des § 114 ZPO vorliegen. Der Pflichtverteidiger muss zwangsläufig auch gegenüber dem Adhäsionsantrag tätig werden. In einfacher gelagerten Fällen, in denen eine Verteidigung nicht notwendig i. S. des § 140 StPO ist, geht es dagegen um die Frage, ob überhaupt auf Kosten der Staatskasse ein Rechtsanwalt für den Angeklagten tätig werden muss.

d) Es erscheint auch gerechtfertigt, dass der Angeklagte insofern besser gestellt ist als der Nebenkläger, denn die Bestellung zum Beistand des Nebenklägers gemäß § 397a Abs. 1 S. 1 StPO umfasst gerade nicht die Beiordnung für das Adhäsionsverfahren (BGH NJW 2001, 2486 = Rpfleger 2001, 370). Diese Trennung zwischen der Beiordnung als Beistand des Nebenklägers gemäß § 397a Abs. 1 StPO einerseits und der Beiordnung als Beistand des Antragstellers gemäß § 404 Abs. 5 StPO andererseits beruht entscheidend darauf, dass verhindert werden soll, "dass die Staatskasse mit Gebührenansprüchen belastet wird, die durch das Einklagen nicht bestehender oder überhöhter Ersatzansprüche im Adhäsionsverfahren entstehen. Dem könnte aber nicht mehr vorgebeugt werden, wenn der dem Nebenkläger nach § 397a StPO bestellte anwaltliche Beistand ohne weitere gerichtliche Prüfung auch im Adhäsionsverfahren für den Nebenkläger auftreten und für diesen jegliche Forderungen ohne Rücksicht auf deren Erfolgsaussicht geltend machen könnte sowie hierfür anschließend nach den Maßstäben des § 123 BRAGO entschädigt würde." (BGH NJW 2001, 2486, 2487). Gerade diese Gefahr besteht jedoch beim Pflichtverteidiger nicht. Dieser hat es nicht in der Hand, ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe Ansprüche im Adhäsionsverfahren geltend gemacht werden. Das Missbrauchsrisiko besteht hier nicht.

e) Schließlich erscheinen dem Senat auch die von der Kammer angestellten fiskalischen Erwägungen nicht so gewichtig, dass deswegen eine andere Entscheidung geboten wäre. Der Pflichtverteidiger kann nach der vom Senat vertretenen Auffassung zwar auch dann Vergütung aus der Staatskasse verlangen, wenn der Angeklagte wirtschaftlich durchaus im Stande wäre, die Kosten der Rechtsverteidigung gegen den Adhäsionsantrag zu tragen. In diesem Fall wird er sich im Ergebnis diesen Kosten aber auch nach der hier vertretenen Auffassung nicht dauerhaft entziehen können. Die Vergütung des Pflichtverteidigers gehört zu den Kosten des Verfahrens, die der Angeklagte im Falle seiner Verurteilung zu tragen hat (Meyer-Goßner, a. a. O., § 464a Rdnr. 1 m. w.N).

II.

Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 56 Abs. 2 S. 2 RVG nicht veranlasst.