VG Düsseldorf, Urteil vom 30.05.2005 - 18 K 74/05
Fundstelle
openJur 2011, 33485
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die aus Palästina stammenden Kläger sind die Eltern des Schülers F2, der die Klasse 5 b der Realschule Istrasse in X besucht. Sie begehren aus Gründen des islamischen Glaubens die Befreiung ihres Sohnes F2 vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht.

Mit Schreiben vom 12. September 2004 stellte die Familie F,F1, F2 einen entsprechenden Antrag, in dem angegeben wurde, F2 dürfe auf Grund der islamischen Werte der Familie nicht am Schwimmunterricht teilnehmen; der (ersatzweisen) Teilnahme am normalen Sportunterricht einer anderen Klasse stünde nichts entgegen.

Die von F2 besuchte Realschule informierte die Kläger mit Schreiben vom 15. September 2004 darüber, dass die Bezirksregierung E1 als zuständige Schulaufsichtsbehörde für die Erteilung der beantragten Befreiung zuständig sei. Sie wies darauf hin, dass für Mädchen und Jungen getrennte Umkleideräume benutzt würden und das Tragen einer religiösen Vorschriften entsprechenden Kleidung grundsätzlich möglich sei. Eine Befreiung komme nur in Betracht, wenn die Teilnahme aus besonderen Gründen unzumutbar sei und dies begründet werde.

Die Kläger ergänzten ihren Antrag mit Schreiben vom 20. September 2004, in dem sie ausführten, nicht der Schwimmunterricht als solcher, sondern die Art und Weise der Durchführung verstoße gegen ihre islamischen Werte. Durch die Badebekleidung seien nur die Geschlechtsteile der gemeinsam am Schwimmunterricht teilnehmenden Jungen und Mädchen verdeckt. Dies stehe in Widerspruch zu islamischen Prinzipien, gefährde die Gefühlswelt junger Menschen und sei für Moslems unzumutbar.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4. November 2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, ein zur Befreiung vom Schwimmunterricht erforderlicher besonderer Ausnahmefall liege nicht vor. Der Schulsport sei ein wichtiger Bestandteil des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages. Er diene der Gesundheitserziehung und der Einübung sozialen Verhaltens. Demgegenüber müssten das Erziehungsrecht und die Religionsfreiheit der Eltern des Schülers bzw. des Schülers selbst zurückstehen. Dem Koran lasse sich nicht entnehmen, dass heranwachsenden Schülern die Teilnahme am Sportunterricht verboten sei. Auch der Anblick der Mitschülerinnen und Mitschüler in Badebekleidung sei nicht unzumutbar. Im Alltag, aber auch im normalen Schulunterricht, werde der Sohn der Kläger ohnehin - gerade im Sommer - häufig mit dem Anblick luftig bekleideter Mädchen und Frauen konfrontiert. Vor diesem für den hiesigen Kulturkreis alltäglichen Anblick biete die Befreiung vom Schwimmunterricht keinen Schutz.

Hiergegen erhoben die Kläger am 26. November 2004 Widerspruch. Sie führten an, im Alltag könne man dem Anblick leicht bekleideter Menschen durch Wegsehen entgehen, was im Schwimmbad, wo Lehrer, Mädchen und Jungen im selben Becken schwämmen, nicht möglich sei. Zudem sei auch für moslemische Jungen und Männer eine bestimmte Kleidung und das Keuschheitsgelübde vorgeschrieben.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2004, den Klägern mit gemeinsamer Postzustellungsurkunde am 14. Dezember 2004 zugestellt, als unbegründet zurück. Unter Vertiefung ihres Vorbringens im Bescheid vom 4. November 2004 führte sie aus, die Schule sei zwar gehalten, Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit der Schüler mit organisatorischen Mitteln zu begegnen. Eine nach Geschlechtern getrennte Durchführung des Schwimmunterrichts sei nach den Angaben der Realschule allerdings aus Organisationsgründen nicht möglich. Dies begründe aber keinen Befreiungsanspruch, weil es dem Sohn der Kläger möglich sei, am Schwimmunterricht teilzunehmen, ohne den Vorschriften des Islam zuwiderzuhandeln. Männer seien nach dem Koran nur gehalten, den Bereich vom Bauchnabel bis zu den Knien zu bedecken, was bei entsprechender Schwimmkleidung möglich sei und von der Schule auch zugelassen werde. Der Anblick von Mitschülerinnen in Badebekleidung sei zudem auch deshalb für F2 unter religiösen Gesichtspunkten nicht unzumutbar, weil nur Männer verpflichtet seien, die Augen vor dem weiblichen Geschlecht zu senken. Auf einen Fünftklässler finde diese Vorschrift (noch) keine Anwendung. Schließlich könne F2 den Anblick der Mitschülerinnen durch einfaches Wegsehen - genau, wie im alltäglichen Leben - vermeiden.

Der Kläger zu 1. hat am 6. Januar 2005 Klage erhoben. Mit Schreiben vom 23. Mai 2005 hat die Klägerin zu 2. angegeben, die Klageerhebung durch ihren Mann sei auch in ihrem Namen erfolgt und sich ausdrücklich der Klage angeschlossen. Die Kläger sind der Ansicht, aus Gründen ihrer Religionsfreiheit und mangels Möglichkeit zur geschlechtergetrennten Erteilung des Schwimmunterrichts einen Befreiungsanspruch zu haben. Neben dem Zwang, spärlich bekleidete Mitschülerinnen während des Schwimmunterrichts anzusehen, sei auch direkter Körperkontakt mit anderen Schülerinnen im Schwimmunterricht nicht zu vermeiden. Nach verbindlichen islamischen Vorschriften gelte das Gebot der Geschlechtertrennung ab einem Alter von 10 Jahren.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 4. November 2004 und 8. Dezember 2004 zu verpflichten, ihren Sohn vom koedukativen Schwimmunterricht zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist auch hinsichtlich der Klägerin zu 2. zulässig. Zwar hat sich die Klägerin zu 2. entgegen § 74 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) später als einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids mit Schreiben vom 23. Mai 2005 der zunächst vom Kläger zu 1. allein erhobenen Klage angeschlossen. Die Zustellung des Widerspruchsbescheids ist jedoch fehlerhaft erfolgt, weil sie einheitlich an beide Kläger erfolgt ist und nicht, wie es entsprechend § 2 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) hätte erfolgen müssen, an jeden der beiden Kläger gesondert mit getrennten Postzustellungsurkunden.

In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg. Die Ablehnung der beantragten Befreiung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren (Eltern-) Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erteilung einer Befreiung für ihren Sohn F2 vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Allgemeine Schulordnung (ASchO) kann ein Schüler nur in besonderen Ausnahmefällen und in der Regel zeitlich begrenzt auf Antrag der Erziehungsberechtigten vom Unterricht in einzelnen Fächern oder von einzelnen Schulveranstaltungen befreit werden. Diese Vorschrift findet auf alle Unterrichtsfächer, also auch auf das Fach Sport Anwendung. Das Fach Sport ist für Schüler der 5./6. Klasse der Realschule ein gemäß § 6 Abs. 1 und 5 Ausbildungsordnung Sekundarstufe I (AO-S I) i.V.m. Anlage 2 zur AO-S I der allgemeinen Schulpflicht aus Art. 8 Abs. 2 Verfassung des Landes Nordrhein- Westfalen (LVerf NRW) i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 ASchO unterliegendes Pflichtfach.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 ASchO entscheidet über die Befreiung bis zu 2 Monaten der Schulleiter, darüber hinaus die Schulaufsichtsbehörde. Danach ist die Beklagte als gemäß § 15 Abs. 2 Schulverwaltungsgesetz (SchVG) zuständige Schulaufsichtsbehörde zwar für die Entscheidung über die Befreiung zuständig, denn der zu Beginn des Schuljahres 2004/2005 gestellte Antrag richtete sich auf eine Befreiung für das gesamte Schuljahr. Allerdings liegt bereits kein besonderer Ausnahmefall i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 ASchO vor. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff erlaubt eine Ausnahme von der dem staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 Grundgesetz (GG) entsprechenden allgemeinen Schulpflicht. Angesichts der besonderen Bedeutung des staatlichen Bildungsauftrags für die Gesellschaft sowie insbesondere für die Verwirklichung der vom Grundgesetz allen Bürgern gleichermaßen eingeräumten Grundrechte und dem Ziel des Schulwesens, allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen,

vgl. hierzu BVerfGE 34, 165, 181 ff., 186 ff.; BVerwG, Urteil vom 25. August 1993, - 6 C 30/02 -,

ist eine restriktive Auslegung geboten.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 1991, - 19 A 1706/90 -.

Danach ist ein besonderer Ausnahmefall jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Durchsetzung der Teilnahmepflicht an einem bestimmten Fach oder einer bestimmten schulischen Veranstaltung eine grundrechtlich geschützte Position des Kindes und/oder seiner Eltern verletzen würde.

OVG NRW, a.a.O..

Das ist hier nicht der Fall. Im Fall der Kläger muss das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und das dieses Recht im Zusammenhang mit der Befreiung vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen besonders prägende Recht der Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) hinter dem in Art. 7 Abs. 1 GG normierten staatlichen Erziehungsauftrag zurücktreten. Daraus folgt - andere Gründe, die eine Befreiung rechtfertigen könnten, sind weder ersichtlich noch geltend gemacht -, dass ein besonderer Ausnahmefall im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 ASchO nicht vorliegt.

Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen gilt im einzelnen Folgendes. Durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist das Recht der Eltern gewahrt, ihre Kinder (auch) in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zu erziehen und ihren Kindern die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung nahezubringen sowie ihr gesamtes Verhalten - wozu auch die Beachtung von Bekleidungsvorschriften, die vielfach einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Lebensführung von Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften bilden - an den Lehren des Glaubens auszurichten. Danach ist der Wunsch der Eltern, die Teilnahme ihres Kindes an einer Schulveranstaltung zu verhindern, die das Kind zwingt, sich als verbindlich erachteten religiösen Bekleidungs- oder Verhaltensvorschriften zuwider zu verhalten, grundsätzlich durch die genannten Grundrechtspositionen geschützt. Auch ist es dem Staat und dem staatlichen Gericht verwehrt, eine Bewertung der vorgebrachten Glaubenshaltung oder eine Überprüfung ihrer theologischen Richtigkeit vorzunehmen,

Vgl. OVG NRW, a.a.O..

Allerdings trifft denjenigen, der unter Berufung auf seine Grundrechte aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Befreiung von einer vom Staat durch Gesetz allen auferlegten Pflicht - hier von der allgemeinen Schulpflicht hinsichtlich des Sportunterrichts - begehrt, die Darlegungslast dafür, dass er durch verbindliche Ge- oder Verbote seines Glaubens gehindert ist, der gesetzlichen Pflicht zu genügen, und dass er in einen Gewissenskonflikt gestürzt würde, wenn er entgegen dieser Ge- oder Verbote die gesetzliche Pflicht erfüllen müsste. Erst die konkrete, substantiierte und hinsichtlich des Inhalts des als verpflichtend dargestellten religiösen oder weltanschaulichen Gebots ausreichend objektivierbare Darlegung eines Gewissenskonflikts als Konsequenz aus dem Zwang, der eigenen Glaubensüberzeugung zuwiderzuhandeln, ist geeignet, einen möglichen Anspruch auf Befreiung von einer konkret entgegenstehenden, grundsätzlich für alle geltenden Pflicht unter der Voraussetzung zu begründen, dass der Zwang zu Befolgung dieser Pflicht die Glaubensfreiheit verletzen würde.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1993, -.6 C 30/92 -, Urteil vom 12. Dezember 1972, - 1 C 30/69 -.

Auf dieses Darlegungserfordernis hat das Gericht die anwaltlich vertretenen Kläger mit Schreiben vom 10. Mai 2005 ausdrücklich hingewiesen.

Hieran gemessen erscheint es dem Gericht bereits zweifelhaft, dass F2 an der Teilnahme am koedukativ erteilten Schwimmunterricht aufgrund von als verbindlich erachteten Ge- oder Verboten des Islam gehindert sein soll.

Die Kläger verweisen hierzu auf ihre "islamischen Werte", die mit dem koedukativ erteilten Schwimmunterricht nicht vereinbar seien. Sie führen an, nicht nur für moslemische Mädchen und Frauen, sondern auch für moslemische heranwachsende Jungen und Männer sei bestimmte Kleidung vorgeschrieben und gelte das Keuschheitsgelübde. Mit welchen für sie als verbindlich erachteten Vorschriften (beispielsweise des Koran) der koedukative Schwimmunterricht in Widerspruch stehen soll, wird indes nicht dargelegt. Insbesondere geben die Kläger nicht an, welchen konkreten religiösen Bekleidungsvorschriften sie sich verpflichtet fühlen und warum diese Bekleidungsvorschriften durch eine Badebekleidung - beispielsweise in Form eines von dem Bauchnabel bis zu den Knien reichenden Schwimmshorts - nicht sollen eingehalten werden können. Der nur pauschale und unsubstantiierte Hinweis auf den Koran bzw. (in der mündlichen Verhandlung) auf die Sunna ist insoweit unzureichend, denn ohne Nachweis dieser angeblich verbindlichen Vorschriften können die von den Klägern daraus abgeleiteten Verhaltensgebote nicht nachvollzogen werden. Eine solche Darlegung wäre gerade auch deshalb erforderlich gewesen, weil die Realschule (im Schreiben vom 15. September 2004) wie auch die Beklagte in den angegriffenen Bescheiden angeführt haben, dass F2 das Tragen einer den religiösen Vorschriften entsprechenden und den Bereich vom Knie bis zum Bauchnabel abdeckenden Bekleidung während des Schwimmunterrichts grundsätzlich möglich sei. Dem Koran lasse sich nämlich keine konkrete Anweisung entnehmen, die die Teilnahme am Sportunterricht für heranwachsende Schüler verböte, und religiöse Bekleidungsvorschriften des Islam verlangten bei Männern lediglich, den Bereich zwischen Bauchnabel und Knien zu bedecken.

Die Beklagte hat weiter ausgeführt, es seien auch sonst keine religiösen Vorschriften - insbesondere solche des Koran - ersichtlich, die der Teilnahme am Schwimmunterricht entgegenstünden und F2 bzw. den Kläger in einen Gewissenskonflikt führten. Der Umstand, dass F2s Mitschülerinnen und Mitschüler in in Deutschland üblicher Schwimmbekleidung am Schwimmunterricht teilnähmen, sei nicht unzumutbar. Dies folge bereits daraus, dass es nach dem Koran nur Männern vorgeschrieben sei, die Augen vor dem weiblichen Geschlecht zu senken, um ihre Keuschheit zu bewahren. Diese Vorschrift finde auf F2 als Schüler der 5. Klasse keine Anwendung, weil er noch kein Mann sei. Zudem werde hierdurch auch deshalb kein unausweichlicher Gewissenskonflikt begründet, weil F2 im Alltag und auch in der Schule - insbesondere in den Sommermonaten - entsprechend der von dem Kläger angeführten Verhaltensgebote gezwungen sei, seinen Blick von leicht und nicht den islamischen Bekleidungsvorschriften entsprechend bekleideten Frauen abzuwenden.

Hierzu haben die Kläger im Widerspruchsschreiben vom 25. November 2004 angegeben, im alltäglichen Leben, besonders in den Sommermonaten, habe man die Möglichkeit, leicht bekleidete Menschen durch Wegschauen gar nicht wahrzunehmen. Im Schwimmbad, wo Lehrer, Mädchen und Jungen im selben Schwimmbecken planschten, sei man dagegen gezwungen, hinzuschauen. Ihre Verfahrensbevollmächtigte hat zudem in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, im Schwimmbad könne man schon deshalb nicht einfach wegschauen, weil sonst eine Kollisionsgefahr bestünde. Dass die islamischen Bekleidungsvorschriften für F2 und seine Mitschülerinnen bereits Geltung beanspruchten, ergäbe sich aus einer verbindlichen Vorschrift der Sunna, wonach "die Betten von Kindern ab dem Alter von 10 Jahren zu trennen seien".

Diese Differenzierungen sind indes nicht nachvollziehbar. Wenn es F2 nach den Angaben der Kläger außerhalb des Schwimmunterrichts ohne weiteres möglich ist, den angeblich für ihn aus religiösen Gründen bestehenden Gewissenskonflikt durch bloßes Wegschauen zu vermeiden, dann ist es nicht einsichtig, weshalb dies nicht genauso während des Schwimmunterrichts (dem Umziehen vor bzw. nach dem Schwimmunterricht kommt insoweit keine Bedeutung zu, weil hierzu unwidersprochen nach Geschlechtern getrennte Umkleideräume benutzt werden) möglich sein soll. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Kontakt zu nicht den religiösen Vorstellungen entsprechend gekleideten Mitschülerinnen während des Schwimmunterrichts intensiver ist als außerhalb davon. Gerade bei Busfahrten, auf den Schulfluren während Unterrichtspausen und auf dem Schulhof, aber auch im Klassenraum dürften sich die Schüler F2s Klasse, aber auch anderer Klassen, auf einer Fläche aufhalten, die in vielen Fällen deutlich kleiner ist, als ein für den Schwimmunterricht benutztes Hallenbad. Insbesondere besteht auch in den genannten Bereichen außerhalb des Schwimmunterrichts eine - zum Teil deutlich vehementere - Kollisionsgefahr, die zu meistern F2 offenbar trotz Wegschauens in der Lage ist. Sonstige Gründe, warum F2 während des Schwimmunterrichts, aber nicht außerhalb davon, dennoch gezwungen sein soll, seine leicht bekleideten Mitschülerinnen anzublicken, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass sich die Kinder während des Schwimmunterrichts überwiegend im Wasser befinden dürften und während dieser Zeit schon aus diesem Grund die Gefahr des Anblicks nicht den eigenen religiösen Vorschriften entsprechend gekleideter Mitschülerinnen gering sein dürfte.

Zudem bleibt es zweifelhaft, dass die in Bezug genommenen islamischen Bekleidungsvorschriften für F2, dessen Alter die Verfahrensbevollmächtigte der Kläger auf Nachfrage des Gerichts nicht angeben konnte, als Schüler der fünften Klasse überhaupt schon Geltung beanspruchen sollen. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen gelten islamische Bekleidungsvorschriften für Muslime ab der Pubertät, da dieser Einschnitt die Volljährigkeit kennzeichnet.

Vgl. etwa folgende Websites: www.religion- online.info/islam/themen/kleidung.html; http://islam.de/?site=forum/faq&di=answers#scharai/gebet_keidung.html; http://64.233.183.104/search?q=cache:kpq3F5cqPoJ: www.akas.tufreiberg.de/25fragenislam.pdf+akas+25+fragen+islam&hl=de.

Dass F2 bereits in der Pubertät sein soll, ist für das Gericht mangels Angaben zu seinem Alter und zu seinem Entwicklungsstand nicht nachvollziehbar. Der pauschale Hinweis auf die Sunna, wonach "die Betten von Kindern ab dem Alter von 10 Jahren zu trennen seien", gibt diesbezüglich wenig her. Weder wird dargelegt, um welche Vorschrift genau es sich handeln soll, noch ist es nicht einsichtig, weshalb diese Vorschrift auch eine Aussage über die Geltung von Bekleidungsvorschriften beinhalten soll.

Nach alldem ist bereits nicht objektiv nachvollziehbar dargelegt, dass die Kläger bzw. ihr Sohn durch die Teilnahme am koedukativ erteilten Schwimmunterricht in einen Gewissenskonflikt gestürzt würden.

Aber selbst wenn dies zu bejahen wäre, müssten die geltend gemachten Rechtspositionen aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinter dem staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG zurücktreten. Dieser verfassungsrechtliche Bildungsauftrag im Bereich der Schulerziehung umfasst auch die inhaltliche Gestaltung und Festlegung der Ausbildung und Unterrichtsziele. Der Staat kann daher in der Schule unabhängig von den Erziehungszielen der Eltern auch im Bereich des religiösen Bekenntnisses eigene Erziehungsziele verfolgen. Dieser Erziehungsauftrag des Staates ist eigenständig und dem Bildungs- und Erziehungsrecht der Schüler und Eltern gleichgeordnet; weder dem einen noch dem anderen Recht kommt ein absoluter Vorrang zu.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. Dezember 1975 , - 1 BvR 63.68 -, und vom 16. Oktober 1979, - 1 BvR 7.74 -.

Im Rahmen des staatlichen Bildungskonzepts kommt dem - hier in der Form des Schwimmunterrichts durchgeführten - Sportunterricht eine bedeutsame Funktion zu. Die Beklagte weist zu Recht auf die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Schüler und die Entwicklung ihrer sportlichen Fähigkeiten, die Einübung sozialen Verhaltens und das gerade auch beim Schwimmunterricht bedeutsame Erlernen der Einhaltung von Regeln und Vorschriften hin. Damit trägt der Sportunterricht in besonderer Weise zur Erfüllung wichtiger überfachlicher Erziehungsaufgaben der Schule (Gesundheitsförderung, soziales Lernen, Regelbeachtung etc.) bei. Das gilt insbesondere angesichts der zunehmenden motorischen Defizite und körperlichen Leistungsschwächen bei Schulkindern. In diesem Bereich bietet der Schulsport erhebliche Potenziale zur sozialen Prävention und Intervention. Er kann auch pädagogische Beiträge zur Koedukation, zur interkulturellen Erziehung und auch zur Gewaltprävention leisten (vgl. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. September 2004, S. 9, vgl. www.kmk.org). Gerade das Erlernen von Fähigkeiten in einem Handlungsraum, der Spontanität genauso erfordert wie planerisches Denken, Durchsetzungsvermögen wie Sensibilität, Leistungsstärke des Einzelnen wie Solidarität mit Schwächeren ermöglicht, dass durch Sport negatives Sozialverhalten verringert und jene Spannungen positiv wirksam werden, die aus unterschiedlichen Begabungen, Neigungen und Temperamenten resultieren. Bei dem hier fraglichen Schwimmunterricht kommt für die Schülerinnen und Schüler die Erfahrung hinzu, dass das Medium Wasser einen besonderen Reiz ausübt, die normalen menschlichen Fähigkeiten jedoch unzureichend sind und lebensbedrohlich sein können. Dem durch den Schwimmunterricht vermittelten Gefahrenbewusstsein, dem Ziel, das Schwimmen zu erlernen und der hierdurch erfahrenen realistischen Einschätzung der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit kommt daher eine für die gesamte Lebensführung der Kinder wichtige und der Vermeidung späterer lebensbedrohlicher Situationen dienliche Bedeutung zu.

Der so definierte staatliche Erziehungsauftrag lässt sich zunächst nicht dadurch mit den widerstreitenden Rechtspositionen der Kläger in einen schonenden Ausgleich bringen, dass der Schwimmunterricht nicht koedukativ, sondern nach Geschlechtern getrennt durchgeführt wird. Hierzu hat die Beklagte auf die dem durchgreifend entgegenstehenden, ohne weiteres nachvollziehbaren und von den Klägern auch nicht in Zweifel gezogenen erheblichen Organisationsschwierigkeiten hingewiesen. Im Übrigen wäre zweifelhaft, ob den Klägern ein Anspruch auf einen nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht zustände, selbst wenn das schulorganisatorisch möglich wäre. Denn dieser Anspruch kollidierte möglicherweise mit dem Anspruch anderer Eltern und Schüler bzw. Schülerinnen, die zum Erlernen wichtiger sozialer Werte, die gerade im Sport- bzw. Schwimmunterricht vermittelt werden, auf einen koedukativ durchgeführten Schwimmunterricht Wert legen.

Angesichts der angeführten Aspekte setzt sich der staatliche Erziehungsauftrag zur Überzeugung des Gerichts gegen das von den Klägern unter dem spezifischen Gesichtspunkt ihrer Religionsfreiheit verstandene Erziehungsrecht durch und ist F2 bzw. den Klägern seine Teilnahme am Schwimmunterricht zumutbar. Die mit dem staatlichen Erziehungsauftrag einschließlich des Schwimmunterrichts verbundenen Eingriffe in die Grundrechte der Kläger bzw. ihres Sohnes stehen in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten lassen. Der Schwimmunterricht hat nicht nur die Vermittlung von Wissen zum Inhalt, sondern auch die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und dem Ganzen gegenüber verantwortungsbewusst an demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft sollen teilnehmen können. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden und dem anderen Geschlecht, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch aller Fächer verbundenen Alltagserfahrung sind.

BVerfG, Beschluss vom 29. April 2003, DVB. 2003, 999.

Demgegenüber erfolgt die Beeinträchtigung der Rechtspositionen der Kläger nur in einem kleinen Teilbereich der schulischen Ausbildung und ist durch die im Rahmen der staatlichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf abweichende religiöse Überzeugungen möglichen organisatorischen Maßnahmen erheblich abgemildert. Hierzu zählen die Benutzung von nach Geschlechtern getrennten Umkleidekabinen und die Möglichkeit zur Verwendung einer den religiösen Bekleidungsvorschriften entsprechenden Badebekleidung. Zudem ist durch die ständige Anwesenheit von Lehrpersonal gewährleistet, dass bei der konkreten Durchführung des Schwimmunterrichts möglichst weitgehend auf die geltend gemachten Rechtspositionen der Kläger und ihres Sohnes Rücksicht genommen wird. Diesbezüglich hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich klargestellt, dass hierdurch verhindert werden könne, dass F2 im Rahmen bestimmter Übungen bzw. Spiele eine Mitschülerin berühren müsse. Auch ist auf die verbleibende umfängliche Einflussnamemöglichkeit der Kläger auf die Erziehung F2s hinzuweisen. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch zu beachten, dass Schule nicht im isolierten Raum stattfindet, sondern eingebunden ist in die Vielschichtigkeit und das soziale Gefüge der in Deutschland gelebten Gesellschaftsform. Diese zeichnet sich durch von Konventionen und Normen weitgehend losgelöste Verhaltensweisen aus, die auch ausgelebt werden. Das bedeutet, dass im alltäglichen Zusammenleben überall und jederzeit Situationen anzutreffen sind, in denen muslimische Glaubensangehörige mit freieren Wertvorstellungen konfrontiert werden, mit denen sie umgehen müssen. Nichts anderes gilt für staatlichen Schwimmunterricht, bei dem noch die Aufgabe besteht, durch Lehrpersonen Spannungen abzumildern.

Durch die vorgenannten Aspekte ist der Eingriff in die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht so weit abgemildert, dass die Zumutbarkeitsgrenze in der Gesamtschau - jedenfalls hinsichtlich eines Schülers der fünften Klasse - nicht überschritten wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO liegen nicht vor.