LG Bonn, Urteil vom 18.03.2004 - 6 S 322/03
Fundstelle
openJur 2011, 30322
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 17 C 472/03

Zur Frage der groben Fahrlässigkeit eines Rotlichtverstoßes

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28.11.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Euskirchen -17 C 472/03- abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Wegen des Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO verwiesen.

Die Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung eines Betrages von 3.091,90 EUR an den Kläger aus einem bei der Beklagten bestehenden KfZ-Kaskoversicherungsvertrag, wobei als Schadensereignis ein Verkehrsunfall des Klägers mit seinem BMW Z 3 am 21.03.2003 auf der D. Str. in Bonn bei der Einfahrt in den Kreisel in Fahrtrichtung Euskirchen zugrunde liegt.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte gem. § 61 VVG wegen grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers aufgrund des Überfahrens einer auf Rot geschalteten Lichtzeichenanlage von ihrer Verpflichtung zur Leistung frei ist.

Soweit dies das Amtsgericht wegen des Fehlens der subjektiven Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit verneint hat, begründet die Beklagte ihre Berufung damit, dass das Amtsgericht zu diesem rechtsfehlerhaften Ergebnis aufgrund einer falschen Tatsachenwürdigung gelangt sei.

Dem tritt der Kläger unter Verteidigung des angefochtenen Urteils und unter Vertiefung seiner erstinstanzlichen Ausführungen, dass es insbesondere an den für das Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit notwendigen subjektiven Voraussetzungen fehle, entgegen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

I.

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens gem. § 1 VVG in Verbindung mit dem mit der Beklagten geschlossenen KfZ-Kaskoversicherungsvertrag.

Bereits aufgrund des eigenen Sachvortrages des Klägers ist vielmehr davon auszugehen, dass die Beklagte nach § 61 VVG von der Leistung frei geworden ist, da im vorliegenden Fall ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers vorliegt.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wobei es sich auch in subjektiver Hinsicht um ein unentschuldbares Fehlverhalten handeln muß, dass ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. Urteil des BGH vom 29.01.2003, Vers. Recht 2003, Seite 364ff.;Prölss, VVG, § 61 Anm. 4 B).

Nach der vorstehend zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist das Nichtbeachten des roten Ampellichts wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren in aller Regel als objektiv grob fahrlässig anzusehen. Nach den jeweiligen Umständen kann es jedoch schon an den objektiven oder subjektiven Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit fehlen. Dies kann der Fall sein, wenn die Ampel nur schwer zu erkennen oder verdeckt ist und bei besonders schwierigen, insbesonders überraschend eintretenden Verkehrssituationen. Vom Bundesgerichtshof wird als Beispiel der Fall angeführt, wenn der Fahrer zunächst bei "Rot" angehalten hat und dann in der irrigen Annahme, die Ampel habe auf "Grün" umgeschaltet, wieder angefahren ist. Dabei weist der Bundesgerichtshof jedoch ausdrücklich darauf hin, dass diese Beispiele nicht abschließend sind und sich wegen der Verschlingung objektiver und subjektiver Gesichtspunkte und der Notwendigkeit, die Würdigung auf die besonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen, nur mit großen Vorbehalten allgemeine Regeln darüber entwickeln lassen, wann eine unfallursächliche Fahrlässigkeit als grobe zu qualifizieren ist.

Im vorliegend zu entscheidenen Fall weist die Beklagte im Rahmen ihres Berufungsvorbringens zu Recht auf den uneinheitlichen Vortrag des Klägers in der ersten Instanz hin.

Dabei ist sein Vortrag nachvollziehbar, er sei in die rechte Abbiegerspur zur Autobahn geraten, von wo es ihm nur mit Mühe gelungen sei, nach links in eine Lücke des fließenden Verkehrs auf die Mittelspur für den Geradeausverkehr zu gelangen.

Bezüglich der Darstellung seines nachfolgenden Verhaltens hat der Kläger in der Klageschrift ausdrücklich behauptet, er habe die "grün" zeigende Ampel beachtet und sei bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren, und hat ausdrücklich bestritten, dass die Ampel bereits Rotlicht zeigte.

Dass dies objektiv falsch ist, steht inzwischen unstreitig fest. In der Beweisaufnahme hat die Zeugin C eindeutig bekundet, dass die Ampel für den Geradeausverkehr "rot" zeigte, als der Kläger auf der Mittelspur in den Kreisel einfuhr.

Unter Zugrundelegung der oben zitierten Passage der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (vgl. aaO) ist das Nichtbeachten des roten Ampellichts in aller Regel als grob fahrlässig anzusehen. In jedem Fall ist dieser Verschuldenstatbestand objektiv erfüllt.

Unter Zugrundelegung der oben zitierten Ausführungen des Bundesgerichtshofes ist in dieser Situation ein subjektiver Aspekt erforderlich, der dem Kläger die Vorstellung vermittelte, dass für die von ihm benutzte Geradeausspur "grün" galt. In diesem Zusammenhang kann vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden. Auch wenn in diesem Zusammenhang für die subjektive Seite des Schuldvorwurfs gem. § 61 VVG der Versicherer darlegungs- und beweispflichtig ist und die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht anwendbar sind (vgl. BbH aaO), bleibt es dennoch Sache des Versicherungsnehmers, ihn entlastende Tatsachen vorzutragen. Das entspricht dem allgemeinen prozessualen Grundsatz, wonach die nicht beweisbelastete Partei ausnahmsweise eine Substantiierungslast treffen kann.

Ein solcher Fall liegt vor, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufes steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der anderen Partei bekannt sind und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind. Bei einem Verkehrsunfall wird diese Konstellation regelmäßig gegeben sein, ohne dass dies etwas an der Beweislast ändert.

In Anknüpfung an die einleitenden Ausführungen zum konkreten Fall bedeutet dies vorliegend, dass es dem Kläger in erster Instanz nicht gelungen ist, zu erklären, warum er -wie sich nach der Beweisaufnahme inzwischen als unstreitig herausgestellt hat-, bei "Rot" in die Kreuzung gefahren ist.

In die beampelte Kreuzung, auf der sich der Verkehrsunfall des Klägers ereignet hat, erfolgt die Einfahrt von drei Spuren.

Aufgrund des vom Kläger vorgenommenen Spurwechsels waren an ihn erhöhte Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Dem Kläger musste sich aufdrängen, dass er mit dem von ihm behaupteten Wechsel von der Rechtsabbiegerspur in die rechte Geradeausspur verpflichtet war, sich vor der anschließenden Einfahrt in den Kreisel neu zu orientieren. Insbesondere musste er sich Klarheit darüber verschaffen, ob er dem Verkehr, dessen Fahrbahn er kreuzen wollte, gegenüber tatsächlich bevorrechtigt war. Da er nach seinem eigenen Sachvortrag langsam fuhr und insbesondere vor der Ampel nicht beschleunigte, hätte er prüfen können und müssen, welche Lichtzeichenanlage für die nunmehr von ihm befahrene Fahrspur für die Verkehrsregelung maßgeblich war.

Der objektive Rotlichtverstoß spricht dagegen, dass er diesen Anforderungen auch nur ansatzweise genügt hat. Wie schon ausgeführt, fehlen irgendwelche tauglichen Erklärungsversuche für das Einfahren in die Kreuzung bei Rotlicht in erster Instanz völlig.

Vor diesem Hintergrund spielen im weiteren Verlaufe der Verkehrsführung vom Kläger behauptete Schwierigkeiten aufgrund der Einmündung beziehungsweise Ausfahrten weiterer Fahrbahnen danach keine Rolle mehr.

Erstmals in der Berufung behauptet der Kläger nunmehr: " Die Ampel, die den auffließenden Verkehr hin zur Autobahn regelt, und die Ampel am Kreisverkehrs stehen direkt nebeneinander und sind unterschiedlich geschaltet. Im Rahmen des Wiedereinscherens ist es möglich, dass der Kläger das Grünlicht der einen Ampel auch als Fahrtfreigabe für sich wahrgenommen hat.

Aufgrund der gewählten Formulierung des letzten Satzes in seiner Berufungserwiderung bestehen bereits Bedenken, den dortigen Sachvortrag als substantiierte Behauptung von Tatsachen anzusehen.

Unabhängig davon ist, wie bereits schon oben ausgeführt, nach der dort behaupteten Fahrweise des Klägers nach der Beendigung des Fahrmanövers zum Einordnen auf der Mittelspur bereits nicht nachvollziehbar, dass dem Kläger das Vorhandensein zweier dicht nebeneinander stehender Ampelanlagen nicht aufgefallen ist. Auch die jetzt für ihn maßgebliche linke Lichtzeichenanlage war in Betrieb und zeigte "Rot", was insbesondere nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers gerade dann besonders auffallen musste, wenn die jetzt weiter vom Kläger entfernte rechte Lichtzeichenanlage eine andere Farbe, insbesondere "Grün" gezeigt haben sollte.

Insoweit kommt auch keine Berufung auf ein Augenblickversagen in Betracht. Nach der bereits schon zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (vgl. aaO) dies ist kein ausreichender Grund, wenn sich der Vortrag auf die bloße Behauptung beschränkt, ohne dass dies, woran es nach den obigen Ausführungen fehlt, durch nachvollziehbare Tatsachen ausgefüllt wird.

Letztlich kommt es in diesem Zusammenhang nicht mehr entscheidend darauf an, dass der neue Vortrag, sofern er überhaupt als substantiierte Tatsachenbehauptung zu werten ist, nach § 531 ZPO in der Berufung ausgeschlossen ist.

II.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht in entsprechender Anwendung der §§ 708 Nr. 10 i.V.m. 711,713 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 3.091,90 EUR.

Die Nichtzulassung der Revision beruht darauf, dass die Voraussetzung des § 543 ZPO nicht gegeben sind.

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